Dammi il paradiso! Montevedis Marienvesper und der Combattimento di tancredi e clorinda in Luc Percevals und René Jacobs‘ verschlungener Inszenierung an der Staatsoper Unter den Linden Berlin.

Die Bühne ein – so sieht es aus – bis unter die Decke reichendes Tafelbild, das in fünf Ebenen aufgeteilt ist: nüchtern, Konzertsaal in 2D. Jacobs selbst spricht von einem „Fries“. Der ist querüber diagonal von langen sanften Aufstiegen durchzogen. Drei kleine Instrumentengruppen sind übers Tafelbild gestreut und unten rechts und links organi di legno, je dahinter ein Kontrabaß. Die Musiker, locker gekleidet, kommen herein, steigen auf, füllen völlig das Bild; manche sind barfuß. Barfuß heißt „Erde“, man gibt dem Monotheismus seinen Eros zurück. Den er im mediterranen Raum, g e g e n die Kirche, doch niemals verlor. Er ist vom Volke durchgesetzt; erst 1950 (!) ward die Muttergottes in den Himmel geholt. Tintoretto zeigt die Gewalt dieses Jahrhunderte währenden heidnischen Wunsches; Luk Perceval und René Jacobs zeigen seine Verführung und – Liebe.
Erschauern schon beim ersten Ruf: „Deus! (in adiutorium meum intende)“. Mit diesem Hilferuf und fortan ist der gesamte Abend von Schönheit durchstrahlt. Einige Zeit geht die Messe. Doch als die erste Tancredi-Szene anhebt, regt sich das Konzert ein wenig ins Inszenierte; ganz vorsichtig schauen Sänger vom Dirigenten hinweg, verfolgen, was geschieht. Der musikalische Übergang von Oper zu Messe ist phänomenal, ist – das Wort paßt zur beendeten Szene – ‚schlagend‘. Man zieht die Luft durch die Zähne, so erschütternd setzt, ‚Nigra sum‘, die Messe abermals ein.
Da löst sich aus dem Tableau eine junge Frau, die mädchenhaft noch, und während die Sänger singen, die Galerien durchstreift. Jemanden streichelt sie hier, dort schäkert sie mit einem andern. Die Starre des Rituals löst sich auf. Musiker verlassen ihre Plätze. Momentlang finden sich Paare. Zu alledem dieser Klang, diese Reinheit und Kraft! In die Verkündigung ewigen Heils schmiegt sich die Verkündigung ewiger Erde. Noch ist die Himmelsgöttin Kore… doch wird reifer, Frau wird sie, Sinne. Schließlich, ganz langsam, steigt sie zum Magnifikat, nunmehr nackt und so schön wie ein Traumbild, all die Aufgänge hinan ins himmlische Jerusalem. Jacobs b e l ä ß t die chiavette, er transponiert die hohen Lagen nicht hinunter. Anders nicht klingt Seligkeit.
Jacobs und Perceval haben die Messe mit dem vierzehn Jahre nach ihr uraufgeführten, durchaus blutigen Liebes- und Bekehrungsstück „Combattimenti di Tancredi e Clorinda“ kombiniert, ja beides ineinander verschlungen. Funktioniert das – ein viel zu nüchternes Wort für diese Aufführung -, weil Monteverdi selbst die starre Liturgie der Messe vermittels kleiner instrumentaler Concerti aufgelockert hat, die die Musik nicht mehr nur der Verkündigung dienen lassen? Weil er ‚musikalische Weltlichkeit‘ bereits selbst hereingeholt hat – wie die auf die christliche Lehre verpflichteten Maler des Mittelalters ganz besonders den Hintergrund malten, der dem Alltäglichen und dem Leben galt, nicht dem Tod und einem Heil nur im Jenseits? Abermals also das ‚Menschen-Fries‘.
Doch verklammert werden beide Stücke eben auch semantisch, also bedeutend: Hier das Heil durch Verkündigung, da die Verbreitung der Verkündigung durch das Schwert und aufgehoben durch die Liebe: Vorklang bereits des in Tankreds Todesjahr geborenen Friedrichs II., der, wie schon sein Großvater, die sizilischen Muslime ausgesprochen fruchtbar – man könnte sagen ‚tolerant‘- in sein Reich integrierte. So gesehen, ist es auch eine politische Verheißungsgeschichte, was Percevals Inszenierung durchwirkt.Er geht in dem vorzüglichen Programmbuch eigens darauf ein.
Nur eine klitzekleine Ambivalenz macht einen skeptisch… nämlich gegenüber der schönen nackten Frau. Nicht, weil Nacktheit auf der Bühne nicht mehr sonderlich aufregend wäre, auch nicht wegen der feinen Blasphemie – die Marienvesper ist schließlich Messe -, sondern weil man lange Zeit nicht weiß, was tun vor lauter Glück: ob des Klanges wegen die Augen schließen oder ob sie offenhalten, weil man den Körper anschauen und immer noch weiter anschauen möchte. Aber Percevals Inszenierung holt den Himmel in die Erde zurück oder diese hebt er in jenen. Das ist von einer solchen Menschlichkeit und wahrt das Überirdische gleichfalls, daß man gar nicht mehr applaudieren möchte, sondern benommen das Opernhaus verläßt. „…io vade in pace“ singt Clorinda zuletzt, „ich gehe in Frieden“. So gehn auch wir.

[>>>> Geschrieben für die Frankfurter Allgemeine Sonntagzeitung und dort am 21 Januar 2007 >>>> in einer alternativen Kurzfassung erschienen.
Diskussionen >>>> da und >>>> dort.]

4 thoughts on “Dammi il paradiso! Montevedis Marienvesper und der Combattimento di tancredi e clorinda in Luc Percevals und René Jacobs‘ verschlungener Inszenierung an der Staatsoper Unter den Linden Berlin.

  1. Lieber Alban,
    …sondern weil man lange Zeit nicht weiß, was tun vor lauter Glück: ob des Klanges wegen die Augen schließen oder ob sie offenhalten, weil man den Körper anschauen und immer noch weiter anschauen möchte. Aber Percevals Inszenierung holt den Himmel in die Erde zurück oder diese hebt er in jenen…
    Man wünscht dabei gewesen zu sein. Durch Deinen ganzen Text zieht sich die Begeisterung des Hörers und Zuschauers Herbst und steckt an. Kritik ist dann Kunst, wenn die Leser die Schwingungen des Rezensenten, als eigene nachempfinden können. So geschah es mir.

    Ich winke aus der Ferne und sage: Danke!

    Lutz

    1. Über Kunst zu schreiben, die einen erfüllte. Verpflichtet dazu, die Begeisterung weiterzugeben. Wer das nicht kann oder nicht will, schadet selbst dann, wenn er es gutmeint. Also schweige er besser.
      Dies war immer das Problem der Kritik – und große Kritiker sind solche, die mitteilen können, wie verliebt sie sind in das, wovon sie nunmehr erzählen. N ä h e zulassen, darum geht es. L e i d e n s c h a f t l i c h schreiben.

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