Hütet Euch vor der Moral. Das PP203, des 5. Augusts 2014 nämlich, einem Dienstag. Wieder einmal: Vater sein.

(9.11 Uhr, Arbeitswohnung.
Rossini, L’Italiana in algeri.)

Ich kann >>>> Zedda schon verstehen: Irgendwann wird man nach Rossini süchtig, sogar dann, wenn einem jemand ziemlich fremd ist, der ab einem bestimmten Zeitpunkt sagt: “So, nu’ isses genug mit der Komponiererei – jetzt wird nur noch gegessen.” Was der Mann, irre fett schließlich, auch durchgehalten hat, etwas, das, trotz ganz ähnlichem, wenn auch weniger gourmandem Vorsatz dem alten Verdi zzu unserem, ich möchte fast sagen, Heil n i c h t gelang: Immerhin verdanken wir dem alten Mann zwei der größten Musikwerke der gesamten Menschheitsgeschichte, beide bezeichnenderweise nach Shakespeare. Und mich beginnt mein Bart zu nerven, juckt nämlich, während er weiter- und weiterwächst und ich überhaupt nicht eindeutig in meiner Tragehaltung bin; लक्ष्मी gestern allerdings: “Das sieht gut aus. Das sieht sogar sehr gut aus. Das sieht sehr sehr sehr sehr gut aus.” Ich war richtig ein bißchen sprachlos, um das ein bißchen zu lax auszudrücken, für meine sprachlichen Wertekategorien: Genau darum geht’s aber gerade. Falls Sie verstehen, was ich meine. Wenn einem dann noch gesagt wird, man habe den idealen Schwanz, aus sozusagen Platons Ideenhimmel wie das Christkind auf Erden gekommen, dann kann ein Mann eigentlich nur, sie dabei reibend, in die Hände klatschen und sich sagen: Weitermachen. Rossini ist dann keine Option, obwohl er wirklich genial war und die Musik es nach wie vor ist, zu der ihr vorgehabtes Ende ganz offenbar gehört hat. Verstehen Sie j e t z t, was ich meine?
Nun lief mein Gestern ohnedies, Rossini Zweiter Akt, und Moment!: erster Morgencigarillo, völlig anders als geplant, so daß ich mit den >>>> O-Ton-Protokollen immer noch nicht durch bin und sie also in der Serengeti fertigmachen muß, in die ich morgen für drei Tage wieder reisen werde. Das ist deshalb nicht unkompliziert, weil ich ja nicht schleppen darf, dem bartursächlichen >>>> Vögelverbot steht ziemlich gleichberechtigt das Hebeverbot schulterschlussig ( „schlussich“?) zur Seite; nu’ weiß ich gar nicht, wie Rucksack und Arbeitsrucksack nach Tegel bringen; der Flug hoppst von dort nach Frankfurtmain, dann nach >>>> Dodoma zur Chessna weiter… was wollte ich erzählen? Jedenfalls fänd ich es gut, wenn Sie >>>> diese Petition mitunterschrieben; es wird langsam genug der staatlichen Marionettenführereien, die man -führerien nennen muß, mit langem langem i. Schon die Tabusierung des Rauchens will ja fünfhundert Jahre europäischer Kulturgeschichte einfach durchstreichen. Man mag zum Rauchen stehen, wie man will, mag es auch, nachvollziehbarerweise, als belästigend empfinden, alles zugestanden: aber eine Tabuisierung und fast Kriminalisierung macht aus einigen der wichtigsten europäischen Geistesvertreter vernachlässigenswerte Popanze zugunsten einer völlig wurzellosen, herkunftslosen „Reinheit“. Wir sollten wirklich nicht vergessen, daß zu den radikalsten Nichtrauchern Hitler gehörte, der obendrauf auch Vegetarier war, und Robespierres Hobby war bekannlich Häkeln. Wir kommen, unterm Strich, um ein Leben in Ambivalenzen nicht herum. Alles andere ist unreif, Unreife aber genau das, was erreicht werden soll. Hierzu paßt die Überwacherei, über die jetzt so viel geschrieben wird, wie der Dotter ins Eiweiß. Bei dem angestrebten Versuch eines Verbotes der eCigaretten geht es mithin darum, das gesellschaftliche Vergessen zu fördern; man soll nicht mehr daran erinnert werden, daß es große Geister gab, die rauchten. Auch den Wein, übrigens, ist Bestandteil, ein viel älterer noch, der europäischen Geistesgeschichte, und auch hier werden wir den Vorstoß der Sauberfrauen und -männer ganz sicher noch erleben. Menschen, schützt Euch vor der Moral!

An den drei Pankower Gedichten hab ich, immerhin, gestern ein wenig gesessen; ich denke mal, daß ich sie Ihnen morgen einstellen kann, bei allen Zweifeln, die mir weiterhin bleiben. Jetzt aber muß ich erstmal zur Ärztin, eines neuen Verbandes wegen. Gestern ging das eben nicht mehr, wel ich da zwar ebenfalls beim Arzt war, nun aber nicht meinetwegen, sondern mit dem Zwillingsmädlein, das unterm linken Ballen einen heftigen Dorn hatte, der herausoperiert werden mußte. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie tapfer diese kleine Frau gewesen ist… Keinen Ton gab sie von sich, aber unter ihr, unter ihrem Gesichtchen, war die Papierdecke dann ganz naß. Ich habe ein Kind noch nie stumm weinen sehen, das geht aus meinem Herzen gar nicht mehr raus. Fast eine dreiviertel Stunde lang versorgte ich dann noch die Wunde; das Ding war anderthalb Zentimeter tief herausgeschält worden, und das Loch blutete und blutete. Aber am Abend hüpfte meine Kleine schon wieder. Jedenfalls werden Sie verstehen, daß ich unter diesen Umständen nicht zum Arbeiten kam. Väter sind so, wenn sie’s sind; für ihre Kinder, auch wenn sie’s nicht „richtig“ sind, sind sie sofort da, und alles andre steht zurück. Eisessen sind wir hinterher gegangen, in wundervoller Sonne; auch der Zwillingsbub, der sich die Operation tapfer mit ansah; auch mein Sohn, der eine Zeit lang, weil ich kurz hinausmußte, die Wundversorgung übernahm.

Dann jetzt mal zur meinen. Danach O-Ton-Protokolle ff, und gegen Mittag wird M. mit dem neuen, von ihm fertig aufgebauten Musikcomputer anrollen, den wir hier im Netzwerk einrichten wollen, damit ich die Produktion des nächsten Hörstücks zu Anfang September, wenn ich aus Italien zurücksein werde, angemessen durchziehen kann.

Und also grüßt Sie – noch bebärtet –
>>>> Ihr Unhold.

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(10.55 Uhr, Rossini ff.)
Und dann ist die Ärztin nicht da: Praxisurlaub bis 8. August steht draußen neben dem Schild; irgendwie hätt sie ja mal sagen können. Lust, jetzt schon wieder einen anderen Arzt aufzusuchen, habe ich nicht, und zu dem Chirurgen G., der mich um meine Gallenblase bringen wollte, geh ich nicht mehr. Da es aber in Meru Mbega sowieso keinen Arzt gibt und ich also meine Wundnaht da sowieso selbst versorgen muß, kann ich auch gleich damit anfangen. Deshalb flugs octenisept und drei septische Pflaster gekauft und d a dran, gleich nach hiesiger Rückkehr, ein bißchen geübt:

Geben Sie zu, daß diese Knoten was haben, sowas blau-Romantisches, find ich. Daß ich bei der Wundversorgung Pfeife rauche und den zweiten Latte macchiato trinke, macht das Ganze sogar witzig.
Um aber d a s nicht zu vergessen: Wäre nicht heute vor vierundvierzig Jahren etwas ganz Bestimmtes Großes geschehen, es gäbe >>>> Tainted Talents nicht.
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(13.15 Uhr.
Rossini, La Donna del lago.)

Fertig mit den O-Ton-Protokollen. Allerdings: Ein Problem. Offensichtlich habe ich, was ich überhaupt nicht verstehe, weder in Hongkong, noch vor allem in Freemantle Töne aufgenommen; jedenfalls fehlen die entsprechenden Dateien, sind weder auf der einen noch der anderen Sicherungsplatte zu finden, noch auch im Arbeitsordner auf dem Laptop. Das bedeutet, daß ich >>>> den Typoskriptentwurf noch einmal umschreiben muß; der Anfang muß nun ein anderer werden. Ärgerlich, mir auch nicht nachvollziehbar, aber nun ist es es so. Um mich jetzt nicht weiter aufzugallen, mach ich meinen Mittagsschlaf. Danach ist dann Zeit für den neuen Musikcomputer; ich nehme mal an, daß M. am frühen Mittag kommen wird. Dann werde ich wohl erstmal etwas offline sein; außerdem muß die Schreibtischoberfläche umgebaut werden, die Handlexika müssen, um Platz für den zweiten Bildschirm zu schaffen, nach links. Jajajajaja, ich weiß, daß Sie das nicht wirklich interessiert. Pardonnez-moi:
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2 thoughts on “Hütet Euch vor der Moral. Das PP203, des 5. Augusts 2014 nämlich, einem Dienstag. Wieder einmal: Vater sein.

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