Romane nachträumen, aber mit Ergänzungen. PP233, 28. September 2014: Sonnentag. Darinnen Pynchons Tosca. (Bleeding Edge ff).

[10.41 Uhr, Arbeitswohnung.
Maderna, Julliard Serenade (1971).]

Das gebe ich zu, liebe Freundin, wie stolz ich bin, daß dieses Netzwerk nunmehr so geradezu anstrengungslos läuft. Und gehe ich frecherweise übers Gastkonto in meine Dateien und wechsle dann den Benutzer auf mich, laufen auch die ganzen Programm nicht mehr im Hintergund, die manche Arbeit doch ziemlich verzögert haben, weil sie den Prozessor belasten. Das ist alles ganz wunderbar, hat aber auch etwas Komisches, wenn Sie sich angucken, wie ein bißchen irritiert ich vor meinen Textdateien sitze. Da breitet sich jetzt, nach der SoweitErstmalFertigstellung des Traumschiffs eine richtig weiße Ebene aus. Klar könnte ich die jetzt Flecken für Flecken füllen, mit einigen der Gedichtzyklen zum Beispiel, an denen weiterzuarbeiten nicht nur wäre, sondern ist. Aber dazu müßte ich mich in den >>>> PoesieAlsLebensform-Modus begeben, von dem ich weiß, ich muß ihn des anstehenden Hörstücks wegen eventuell morgen schon wieder verlassen, eventuell aber erst in einer Woche. Das wuschelt mich. Was Sie bitte nicht mit „wuschelig machen“ verwechseln möchten; das hat meine ziemlich sehr junge, ihrerzeit, Geliebte A. immer für „lüstern“ gesagt hat.
Das bin ich momentan einmal nicht.
Wobei es heute auch wirklich eine lange, sozusagen frühe Nacht mit den beiden Damen war, rein platonisch selbstverständlich. Normalerweise finde ich Reinheitsbegriffe ja verdächtig, aber diesmal… – Jedenfalls aßen, tranken und tranken wir nochmals, da allerdings nach einem kleinen Rundgang durch den Prenzlauer Berg, bis etwa halb drei Uhr weiter. So daß ich, als ich wieder hier war, unbedingt noch ein bißchen was von dem neugekauften „Rauscher“ in mich aufnehmen mußte, Federweißen mithin, der vorhin zu einer ungeheuren Stoffwechselbeschleunigung geführt hat. Denn was Sie brennend, leugnen Sie es nicht! interessiert, ist eingetreten: Sowas gegen Viertel nach drei ließ ich mich ins Bett plumpsen, und zwar noch mit der Vornahme am Hals als Gewicht, einfach keinen Wecker zu stellen. Sowas führt bei mir unweigerlich zu verstärkter Orientierungslosigkeit, wenn ich dann erst um halb neun Uhr aufwache und wegen der einerseits geistigen Verlangsamung, andererseits besagter Stoffwechselbeschleunigung nicht vor halb zehn verstehe, was ich am Schreibtisch eigentlich (nicht) tue.
Maderna ist sowas von klärend! Wie ein musikalisches Haschisch, momentan. Klarheit kann einen, Freundin, dermaßen träge machen!
Erschwerend kommt hinzu, daß ich, wahrscheinlich bereits gegen Morgen, noch einmal die gesamte Sterbeszene des Taumschiffs nachgeträumt habe, leider aber auch – und absolut einsichtig – derart ergänzt, daß ich mich jetzt an nix mehr erinner. Dabei habe ich ganze Sätze eingefügt. Ich wußte nämlich im Traum den genauen Wortlaut, schob neue Sätze dazu, stellte Absätze um – das Ganze wurde dadurch natürlich furchtbar lang. Irgendwie scheine ich Herrn Lanmeister nicht loslassen gewollt zu haben. Trotzdem war das schlüssig. Jetzt habe ich das Gefühl, nicht rechtzeitig gesicherten Text verloren zu haben, durch den Computerabsturz nämlich meines Erwachens. Geht das auch den Lebensformlern so, daß sie zum Beispiel Verse verlieren, weil sie aufwachen?

[Maderna, Music of Gaity (1969).]
Nun will ich lieb zu mir sein und mich nicht grämen. Zum Beispiel ist dieser herrliche Spätseptembertag absolut für die Weiterlektüre >>>> Pynchons geeignet, und am Nachmittag könnte ich mit der quasiFamilie einen Spaziergang unternehmen. Zum Beispiel. Danach dann zu >>>> Broßmann rüber, unter Mitnehmung, bzw. -bringung der zweiten Flasche Rauschers, den ermahnungsvoll die Badener auch „Reißer“ nennen.
Hübsche zwei Sätze bei Pynchon:Manche Verschwörungen sind warm und tröstlich – wir wissen, wer die Bösen sind, und wollen sehen, wie sie dafür bezahlen müssen. Aber bei andren ist man gar nicht so sicher, ob man wirklich will, daß es stimmt, weil die Wahrheit so böse, so weitreichend und umfassend ist.
(S. 155)

Selbstverständlich kann man den ersten der beiden Sätze dem Autor, bzw. Dirk van Gunsteren, seinem Übersetzer, nur deshalb durchgehen lassen, weil es sich um die wörtliche Rede einer Romanfigur handelt. Denn wir wollen ja nicht sehen, daß die Bösen für die Wärme und Tröstlichkeit der Verschwörungen bezahlen müssen. Also für Stilkritik bin ich immer noch nicht matschig genug. Aber an sich, in der semantischen Richtung, ist das Zitat eine Aussage nach meinem Herzen. Wie sagte M. gestern abend zu recht? „Viele Amerikaner“, womit sie US-Amerikaner meinte, „sind toll. Sie finden das genau so furchtbar, was ihre Regierung anstellt.“ Denn wir hatten es fertigbekommen, direkt von Fragen der Kindererziehung auf Guantánamo und andere Formen gewaltradikaler Hegemonialakte zu springen. Es ist typisch für Pynchon, daß er quasi nebenbei immer auch die Existenz geheimgehaltener Aliens, vielleicht sogar, in Käfigen selbstverständlich, gehaltener, der Aura seiner Vermutungen beifügen muß. Der Witz besteht dabei in der gleichzeitig kompletten Realismusfreude dieses Romans.
Ich muß mir das merken, falls ich nun doch eine Romanrezension beauftragt erhalten sollte.

[Maderna, Grande Aulodia (1970).]


So plappert des Katerherbstchens Maul vor sich hin.
Fällt mir nicht eine nette Anzüglichkeit, Freundin, für Sie ein? Ich könnte von der wunder-, wirklich wunderwunderwunderschönen neuen Serviererin, zum Beispiel, >>>> im Beakers sprechen; für uns hier in der Duncker ist das in der Tat ein zweites Wohnzimmer, für mich sogar das erste, weil ich nur das Arbeitszimmer habe:

Ich passe da rein, also dort, wie eine Schraubzwinge in den Obstkorb, denn, was soll ich sagen? die mögen Schraubzwingen. Und zwar egal, ob sie Krawatte tragen. Komme ich spätabends heim, sitzen manchmal meine gesamten zwei Hinterhäuser dort, die gesammelten jedenfalls. Seit ich meine eCigarren habe, ist es wurscht, daß man auch dort, drinnen, nicht rauchen darf. Mein Dampf ist akzeptiert. Sie ahnen nicht, welch eine Freiheit das wieder bedeutet.
Bleeding Edge findet übrigens seine computertechnologiche Erklärung: „Kein erwiesener Nutzen, hohes Risiko – etwas, mit dem sich nur Freaks, die immer das Neueste haben müssen, wohlfühlen“ (105). Pynchon muß wahnsinnig recherchiert haben; der Nerd-Slang perlt ihm nur so aus den Fingernspitzen. Und dann fängt er auch noch an, von Oper etwas zu verstehen. Was bedeutet, daß zum Beispiel folgender Witz nur von Operngängern verstanden werden kann: „Keine Frau sollte sich mit einem Regierungsangestellten einlassen, bevor sie nicht mindestens einmal Tosca gesehen hat“ (132). Des unterstreichend Witzige in dieser absolut zutreffenden Aussage ist selbstverständlich das „mindestens“.
Den Mittagsschlaf lasse ich heute ausfallen. Ich kann einfach nicht dauernd im Bett liegen.

Bleiben Sie mir, Freundin, gewogen:
Ihr
ANH
(Bruno Maderna, Notturno)

P.S.: Wegen der Musik noch einmal mein Link >>>> auf die von mir besuchten Konzerte des Herbstfestes – schon deshalb, weil ich da noch richtig seriös geschrieben habe.

[17.03 Uhr.]



Wenn es beginnt, gut zu werden und also dem Spieler Freude zu bereiten:


[1](Eines Vaters Stolz.)


References

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1 (Eines Vaters Stolz.

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