Untriest 30: „Mist!“ Donnerstag, der 19. Februar 2015.

Arbeitswohnung,
8.43 Uhr.

Mist, Geliebte, in der Tat… nein, im Dämmer… –
Es war d o c h zu früh, daß ich den Sport wieder aufgenommen habe; sozusagen lagen die Erkältungsfieslinge im Hinterhalt, hatten sich heckengeschützt, als sie merkten, daß sie mich nicht beeindrucken konnten. Also warteten sie ab, völlig zu recht darauf lauernd, daß ich die Geduld verlöre, auch mit einem gewissen, mir nicht uneigenen Leichtsinn den Körper aus seiner Wartestellung holte und ihn losrennen ließe, und stemmen halt; als er dann erschöpft war, eröffneten die Biester das Feuer.
Gestern spät abends ging es los: Dauerbeschuß durch Schnupfenattacken, Gehuste, kein Fieber, nein, das nicht, aber die halbe Nacht durch lief ich nasenquellend aus. Komischer Traum: Ich müsse meine Sätze (!) vereinzeln, zwischen sie Entfernung bringen, damit die, sagen wir, Virchen nicht vom einen in den anderen springen konnten, sondern sich in separierten Phrasen erschöpften, zum Beispiel ihre Munition verknatterten, ohne von den Nachbarsätzen Nachschub zu erhalten. Dabei ging eine fast ganze Rolle Küchenpapier drauf. Hielten die Niesattacken ein, übernahm das Gehuste und vice versa.
Mist vor allem, daß mich das nun wirklich aus dem Trainingsplan wirft; es wird ein harter Akt der Selbstbeherrschung werden, wenigstens bis zum Montag mit nächstem Sport zu warten. Wie ging die Faustregel? „Drei Tage kommt sie, drei Tage bleibt sie, drei Tage geht sie.“ Das sind dann aber neun. Und es ist herrlichstes Laufwetter!
Also ich sehe, Liebste, einigermaßen verknautscht heute früh aus.
Dazu Erinnerungsbilder, zum Beispiel meines Lehranwalts R., um 1976 in Bremen. Auch das hat mich durch die Nacht begleitet. Wenn den sowas erwischte, saß er hinter den Aktenstößen an seinem Schreibtisch und hatte in beide Nasenlöcher zu Röllchen zusammengezuzzelte Tempofetzchen gesteckt, damit nicht ständig das Sekret auf seine Materialien tropfte. Natürlich waren diese Pfropfen immer schnell durchweicht und mußten dann ersetzt werden, so daß sich diese Würmchen bald zu Füßen seines Arbeitsstuhls als quasi lebendige Hügelchen ineinanderwanden. Ich muß wohl nicht erzähle, daß der ohnehin cholerische Mann in solchen Phasen unausstehlich war; er war nämlich noch, glaube ich, eitler als ich. Aber auf die Idee, zuhause zu bleiben, kam er nicht; er wär sonst vor Hilflosigkeit die Schlafzimmerwände rauf- und runtergerast. Das gibt es, eine Hilflosigkeit aus gehemmtem Aktivitätsdruck. Besser dann doch mit in der Nase klitschnassen Tempopfropfen am Schreibtisch sitzen.
Jetzt weißt Du, wie hier auch ich heute sitze.

Bin mit dem achten Triestbrief gestern kaum weitergekommen; es gab einige Korrespondenz >>>> mit dem Verlag, einige großartige Nachrichten, enormes Engagement, und meine Lektorin hat Sätze aus dem Traumschiff zusammengestellt, die in die Vorschau sollen. Außerdem schrieb Freund Haacker von >>>> Arco, da war umgehend zu antworten. Und sogar Du hast Dich gemeldet, nachdem ich Dir über >>>> Pfaller geschrieben. Vielleicht, daß wir zumindest wieder ein Gespräch beginnen, da ich nun sowieso, sozusagen schnupfenmäßig, als „Verführer“ ziemlich disqualifiziert bin – vorübergehend, klar, aber momentan wirklich nicht gefährlich. (Daß ich jetzt so rumkränkel, kann aber, sagen wir verstärkend, auch damit zu tun haben, daß es Dir nicht gutgeht. Ich habe das bei geliebten Menschen immer wieder gehabt, daß, wenn ich ihnen nicht helfen konnte, meine Empathie ihre Geschwächtheit auf mich selbst übertrug. Ich weiß, das ist absurd, aber doch immerhin ein Ausdruck von Nähe, der mich einmal sogar in die Klinik brachte, Jahrzehnte liegt das zurück, unter schrillem Tatütata mit Nierenkoliken, die ausgesprochen schmerzhaft und so auch meßbar waren, aber ohne daß sich irgend ein medizinischer Befund ergab. Daß ich die Dynamik durchschaute, half wenig. Immerhin war der Spuk schon tags darauf vorbei, und ich konnte wieder heim.)

*

2 thoughts on “Untriest 30: „Mist!“ Donnerstag, der 19. Februar 2015.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .