Selbstbemächtigtes Bewußtsein. Im Arbeitsjournal des Sonnabends, dem 30. Mai 2015. Morgens, bei nachtröpfelndem Regen.


[Arbeitswohnung
8.39 Uhr
Vögels Zwitschersang]


Es scheint ein menschliches Bedürfnis zu sein, Autorität nur dann zu akzeptieren, wenn sie ihrerseits von einer Instanz – oder etwas, das als solche angesehen wird – legitimiert wurde; etwas, das sich selbst setzt, wird dagegen geringgeachtet oder sogar abgewehrt. Auf diese Weise erhalten sich Machtstrukturen ganz gegen die Menschen selbst; die Vorstellung, etwas stehe frei nur für sich, macht sie schwindeln oder ihnen Angst. Sie wollen sich anlehnen können. Deshalb funktionieren Abhängigkeitsverhältnisse: Es sind letztlich selbstgesuchte, aufgesuchte. Wer sich in sie nicht einfügt, wird abgestoßen. Dabei können diese Instanzen Alter sein, der Regeln etwa „von Alters her“, allgemein akzeptierte kulturelle oder politische Vorlieben, z.B. der Pop, oder ganz einfach Macht. Wie sie sich ihrerseits, diese Instanzen, legitimieren, spielt, sowie sie quasi institutionalisiert sind, kaum mehr eine Rolle. Befragt wird der, der sich selbst ermächtigt, nicht, wer die Macht schon hat.
Dies geschieht nicht bewußt, jedenfalls nicht in aller Regel, sondern folgt offenbar einem Schutzinstinkt, und zwar auch dann, wenn das Gegenteil, persönliche Freiheit, ideologisch hoch geschätzt und sogar zum Ziel pädagogischer Unternehmungen wird. Wenn gestern >>>> Farah Day davon schrieb, sie möge ihr leben als stapel nicht mehr, will in die fläche, so werden ihre Freunde ihr folgen, ja die Welt wird es – aber nur theoretisch, als – ecco! – „Idee“. Denn „auf kante zu liegen“, nur das, vermittelt Legitimität. Die Schriften zu achten, den Ordnungen zu folgen, anstatt sich selbst eine Ordnung zu geben:
>>> “Wie fang ich nach der Regel an?“
„Ihr stellt sie selbst und folgt ihr dann.“
<<<

Dieses ist der Allgemeinheit Skandal; daß es dies auch der Macht ist, muß nicht verwundern. Wenn sie nicht krönen darf, ist sie gefährdet. Denn dann hat sie die Krone nicht mehr in der Hand, zieht auch kaum noch Fäden. Insofern ist Hans Sachsens Definition der künstlerischen Regel der Keim von Rebellion. Sie verweist auf etwas außerhalb der sozialen Gefüge, auf etwas aus sich. Ich bin geneigt, es – wenn es sich eben nicht auf ein bereits Akzeptiertes stützt – Autorität zu nennen; Autoritäten sind eben nicht, was das vor allem US-amerikanische Englisch „authorities“ nennt; die sind sogar das Gegenteil. Autorität ist nicht das Gesetz. Autorität entsteht und wirkt aus sich, eben ohne Abhängigkeit von äußerlichen und äußeren Legitimationen. Sie ist ein ausgesprochen sinnliches Phänomen der Immanenz.
Selbstbemächtigung. Zu sagen: Was ich tue, ist gut. Zum Beispiel in der Kunst. Auch hier wird fast immer nur akzeptiert, was legitimiert ist, für gut also gilt, egal was es tatsächlich ist. Geltung aber ist vorgesetzt, sei es über einen – mehr oder minder wirtschaftsorientierten – „Betrieb“, sei es vom, sagen wir, Zeitgeist. Die Vorstellung, selbst Kriterien zu entwickeln, anstelle sie als „gesicherte“ übernehmen zu können, läßt sich die Menschen verknoten. Hierin zum Beispiel liegt die Kraft der Kritik, indem wieder nur solchen Kritikern gefolgt wird, die als legitimierte erscheinen: Legitimation und Autorität werden verwechselt. Hat ein berühmter Kritiker zu einem Kunstwerk etwas Gutes geschrieben, wird er namentlich zitiert; schrieb es ein unbekannter, nennt man nicht ihn, sondern als Legitimierung die Zeitung.

Ich ermächtige mich selbst.

*

Das Problem ist dabei, auch für mich, die Unsicherheit. Also gab ich drei der überarbeiteten Triestbriefe, die ich morgen (Datum des Poststempels) für eine Förderung einreichen will, an Freunde, aber solche „vom Fach“, der eine Schriftsteller selbst, der andere Verleger. Einer hat noch nicht reagiert, der Kollege las sofort. So würde heute Hölderlin, sagte er nachher am Telefon, Hyperion an Diotima schreiben lassen. Ein paar Kürzungsvorschläge noch und zwei drei Korrekturchen. „Einer der großen Liebesromane kann das werden.“ Schon die Löwin hat sowas gesagt, vor Wochen. Zur Selbstbemächtigung gehört, mit seinen Zweifeln klarzukommen, selbst noch gegen sie zu schreiben. Idem ich diesen Zuspruch bekam, spürte ich wieder, was es eigentlich heißt, ohne Legitimation zu sein, spürte erneut, wie schwierig Selbstbemächtigung ist. Daß manche darüber wahnsinnig wurden, wen wundert‘s? oder daß sie sich aufgaben schließlich, komplett. Daß wiederum andern ihr Größenwahn half? In den letzten Wochen war ich nahe daran, die Triestbriefe aufzugeben; wozu, dachte ich, erneut in den Schmerz? Jetzt kenne ich den Grund, legitimiert vom Kollegen.
Darum brauchen wir als Künstler, wo die öffentliche Legitimation fehlt, den Zuspruch der Freunde, solcher, denen wir auch fachlich vertrauen und die aber auch, wenn wir fehlgehn, es sagen; Freund ist nicht, wer nur abnickt und vorschnell-ungenau lobt, ob aus liebender Rücksichtnahme, ob aus dem Desinteresse an Kunst. Diotima aber als Sídhe: das lohnt! So ist es mir nun fast egal, ob mein Antrag abgelehnt werden wird; das „fast“ schreib ich nur, weil ich das Geld dringend brauche. Selbstbemächtigung geht drüber hinaus. Und Tag um Tag aufs neue. Wahrscheinlich ist sie der Kern eines Künstlers, sein tiefstes Uneinschränkbares – und ihres, jeder Künstlerin.

Das Exposé des Romans, das ich gestern formulierte, nun >>>> dort im Kommentar.

ANH
9.45 Uhr

10 thoughts on “Selbstbemächtigtes Bewußtsein. Im Arbeitsjournal des Sonnabends, dem 30. Mai 2015. Morgens, bei nachtröpfelndem Regen.

  1. Briefe nach Triest, Exposé

    Drei ineinander verwobene Liebes- und Trennungsgeschichten, als Distanzierungsar­beit aus der unmittelbaren Trennung heraus quasi nach rückwärts geschrieben. Dabei wird eine „eigentliche“ Grundgeschichte in zwei andere Geschichten überführt, und alle drei Geschichten werden ineinander gespiegelt, um einen möglichst weiten Fä­cher von Variationen des immerselben Themas zu haben: sich verlieben – unmittel­bar lieben, bzw. einander verfallen – sich trennen. Dabei geht es nicht „nur“ um Dy­namiken und Strukturen, die uns aneinander verhindern, unbewußt wirkende, ja sich perpetuierende Prägungen, sondern auch um die Ausbrüche, Ausrufe, Anrufungen und schließlich um den Schmerz, den alleine Trauer aufheben kann – sich zu trauern zuzulassen, und zwar mit sämtlichen Phasen der Verleugnung, der Wut, Depression, schließlich möglicherweise Akzeptanz, aber doch immer auch der Auflehnung gegen die perverse Macht der Strukturen, in denen Menschen verfangen sind. Hierbei will ich den Emotionen intensiven Ausdruck verleihen, ihnen poetische Ausdrucksformen finden, etwa wie es der späte Aragon vermochte, Blanche ou l‘oubli, La mise à mort. Das heißt: auf keinen Fall ironisieren, weil Ironie nichts ist als Abwehr, es hier aber ums Annehmen geht, nicht darum, etwas kleinzureden (und klein damit zu ma­chen), sondern es trotz der erlittenen Trennung in der Sprache bleibend, und zwar glühend, zu h a l t e n. Gleichermaßen die Hoffnung, die Lust und den Schmerz.
    Notwendigerweise, da der Erzähler kein junger Mann mehr ist, ist ein hiermit ver­knüpftes Thema das des Alterns und der Irreversibilität: zu sehen und allenfalls ak­zeptieren zu lernen, daß etwas vorbei ist und Vergleichbares oder Ähnliches auch nicht mehr kommen wird – oder aber, sich immer noch dagegen aufzulehnen, und vielleicht sogar erfolgreich: dem Resignativen wie der Resignation die Tür zu weisen – mit der stolzen Geste des „trotzdem!“ Insofern sind die „Briefe an Triest“ Gegen­stück und Reaktion auf meinen im August bei mare erscheinenden Sterberoman
    >>>> „Traum­schiff“.

    Die „Briefe nach Triest“ sind als ein Gedanken- und Möglichkeitenroman angelegt, der bei allem Schmerz spielerisch, ja tänzerisch sein soll, leichtfüßig fast – aber dies ergibt sich fast nur aus der Form. Der „Plot“ ist nebensächlich, weil letztlich aus­tauschbar; er ist zwar immer besonders (a l l e Einzelnen fühlen so), aber prinzipiell allgemein. Um so dringlicher muß „Abgeklärtheit“ – eine letzlich zu Kitsch umgelo­gene Resignation – vermieden und das rebellische Element am Leben erhalten wer­den, das Bestandteil jedes Aufbruchs ist, also besonders neuer Lieben, egal, in wel­chem Lebensalter sie aufschießen. Dabei besteht die („klassische“) Modernität der Triestbriefe, ihre Tradition, im begleitenden Reflektieren der Geschehen, besser: in ihrem Bedenken und den Fragen an sie. Szenische Romanpartien entwickeln sich ebenso aus dem Durchdachten, wie sie in ein andres zu Durchdenkendes hineinfüh­ren. Kein „story-telling“ eben und keine Simplizität, sondern ein komplexes, flirren­des Sprachgebilde, das Erfahrung und Fiktion poetisch ineinanderfügt. Genau dies kann die von mir gewählte Briefform leisten, die insofern ganz ebenso eine moderne ist, als die Schreiben sehr offenbar als Emails versendet werden, möglicherweise so­gar als Offene Briefe ins Netz gestellt sind. Zugleich ist der Roman, als und am Grund, eine Liebeserklärung – gerichtet an eine Imaginäre: an, wenn man so will, die Anima.

    ANH
    Mai 2015

  2. Natürlich muss man … … sich selbst ermächtigen, denn für den anderen ist man nur der andere, was schlicht ein Synonym von ‘Bedeutungslosigkeit’ ist. Schauen Sie sich um, überall sind andere. Wir schwimmen in einem Meer von anderen.

    PS: Autorität (Präfix: Auto = selbst; griechisch)

    1. Selbstbemächtigung braucht ihn nicht immer den Anderen, hat ihn auch nicht immer, darf ihn aber gerne haben, wenn möglich. Dann umso besser!

      Platon war in meinen Augen ein arg schlauer Mann. Ob er sich Diotima, hat es sie denn gegeben, gegenüber gesetzt hat (dann: umso wunderbarer und schlau!), oder ob er so eine wie sie erfunden hat (dann: ebenso schlau!)! Deswegen wäre ich auch so schlau mich ihm als Gegenüber gegenüber zu setzen. Nur kommen wa halt zeitlich nimmer zusammen.

      Der Andere. Ein Synonym für Bedeutungslosigkeit. Was traurige Annahme!

  3. Dieses “Ich ermächtige mich selbst” hat in der Konsequenz ja durchaus etwas mit dem zu tun, was der große polnische Schriftsteller Witold Gombrowicz einmal so formulierte: „Das Schreiben ist nichts anderes als ein Kampf, den der Künstler mit den Menschen um seine hervorragende Bedeutung kämpft“. Ob nun mit oder ohne Legimitation – gekämpft werden muß!

    1. Mr. Schlinkert, ich verstehe dieses der Andere erst einmal als etwas Positives. Ne Gute Annahme. Prognose immer ungewiss!

      Kommt halt auch drauf an ob wir hier gleich Instanzen miteinbeziehen. Über so etwas wie Staat nachdenken. Und Gewalt. Für den Staat bin ich nicht unbedingt der Andere. Mein Ausweis ist betitelt mit, und ich gehe mal davon aus Ihrer auch: Personalausweis. Nicht Personenausweis! So als wäre ich immer, zu jeder Zeit, an die Kandarre genommenes Personal, egal ob ich frei habe, Bock auf sonstwas habe, dieses so sehe, jenes so sehe. Komme mir also diesem gegenüber auch nicht wie das Andere vor. Jemandem aber, der ausübend, an diesen mehr oder weniger angeschlossen ist, sei es durch seine Arbeit, der, vereinfacht gesagt, “im Auftrag” von diesem etwas von mir will, dem gegenüber schon …

      Ist gut sich mit Gesetzen z.B. schon vorab auszukennen, ohne bereits ganz konkrete Konflikterfahrung gemacht zu haben. Ist aber auch ein Selbststudium.

    2. Miss’s read An, der Andere, die Andere kommt, die Anderen kommen aber eben so oder so ins Spiel, ganz gleich, was wir annehmen, und da stellt sich die Frage, wer man kraft der eigenen Wassersuppe denn ist, wen man – auch – darstellt! Und dann kämpft man nicht mehr nur mit sich, sondern mit … der Welt “da draußen”.

    3. Richtig. Den Spiegel, also den Anderen, den braucht man. Ich zumindest. Nen Tisch. Zwei Stühle. Die Muße und Zeit. Den Willen. Die Lust. Die Kraft.

      Ich setz´ mich doch nicht der Welt gegenüber. Sondern einem Menschen. Und das allein trägt schon mächtig viel Welt in sich! Manchmal ne ganze gar! Nur das kann, wenn überhaupt, von ihr, Welt, erzählen. Spürt man sie, diese Kugel im Bauch. Lebenserhaltend, wie auch zerstörend. Eben alles, was Leben ausmacht. >>>Der Kugelmensch und wie das so ist.

      Alles andere ist Kampf oder Krampf. Darf sein. Oder nicht. Ersteres liegt mir, letzteres nicht. Das entscheidet sich selbst. Zumeißt. Und es geht mir nicht um Text oder nicht Text.

      Ich und Draußenwelt. Das bleibt immer so ein inneres, mehr oder weniger, je nachdem, geäußertes Appellding.

      Platon hat auch appelliert. Aber eben nicht nur! Allein was für ein Verständnis von Eros der hatte!!!

      Und es haben schon viele appelliert! Viele viele viele. Hat das längerfristig irgendetwas geändert? Wird es mit deftig hoher Wahrscheinlichkeit auch nie. Muss da immer an einen Bekannten denken, der am Telefon mal sagte: Deutschland gehört mal wieder durchgeRAFt …

      Was sagt man da?! Gesundheit vielleicht.

      Aber ich seh´ mich eben genauso auch als der Andere für den anderen. Und manchmal passiert es ja, dieser Tisch. Dann war es das wert. Ich appellier´ auch. Verflixt, leider öfter! Bin aber der Meinung miteinander sprechen ist besser. Ist wirklicher Austausch. Nährboden für überhaupt erst Verstehen.

      Denn appellieren allein kann man noch bis zum St. Nimmerleinstag. Man könnte sich dann ebenso gut auch einfach die Beine epilieren. Dann hätte man wenigstens glatte Beine, wenn man denn welche braucht, meint.

    4. Der Andere ist immer da. Setze ich mich auch einen Stuhl, und sitze ich gut auf diesem Stuhl (oder auch schlecht), dann kommuniziere ich mit dem, der den Stuhl gemacht hat, eben der Schreiner, indem ich über die Qualität dieses Stuhles befinde. Ich könnte ihm auch einen Brief schreiben, aber wozu? So gut wie alles, was mich umgibt, ist von anderen.

    5. Ja, wie wunderbar! Dass er da ist! Der Andere. Und der Stuhl, den er gemacht hat.

      Hi tom!

      (Die Hölle, das sind immer die Anderen? Von wegen! Die Hölle, das bin allenfalls ich. Ich und mein Höllenstuhl.)

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .