Vierter Tag vor dem Traumschiff: Der Countdown läuft unerbittlich weiter, auch über dieses fünfte Parisjournal hinaus, das am Freitag, dem 7. August 2015, nämlich soeben, geschrieben wird.


[Sur les toits de Clichy,
9.43 Uhr]


Zwei Tage war der Alban krank, nun säuft er wieder: Gott sei Dank. Ich sag nur ‚Codein‘, vivent les opiate! In Deutschland, hörte ich, verboten, jedenfalls vom Markt genommen. Aber auf grobe Klötze (mich) gehören grobe Äxte. Sowieso müssen Sie nicht gleich ‚dummer Hund!‘ zu mir sagen, denn das weiß ich wohl selbst: daß mein gestriges Video so gut wie unverständlich ist, jedenfalls in Sachen Tonspur:


Dabei nahm ich mit getrenntem Mikro zusätzlich auf, zeitgleich: Doch Kunstkopftechnik nimmt alles ununterschieden wahr, und anders als vorgestern wollte ich nicht den Text in getrenntem Raum aufnehmen und dann drüberlegen, sondern ich fand, daß gerade die Durchmischung eine eigentümliche, bewahrenswerte Aura hat. Nebenbei bemerkt, las ich ja auch aus den Skizzen, die ich gerade erst hingeschrieben hatte, also einen wirklich provisorischen, fast noch gestammelten Text – so, wie es bisweilen ist, wenn man mit etwas eben ansetzt. Daß sich, wie, offenbar nicht unamüsiert, >>>> Parallalie >>>> darunter bemerkte nur das Wort „Stalingrad“ vernehmen lasse, ist allerdings eine der Pariser Namensgebung geschuldete Fehlspur; ich selbst zum Beispiel verstehe nach wie vor das Wort „Muslima“ ganz gut; die Zeilen des Zusammenhangs lauten (ich tipp‘s aus dem Notizbuch jetzt mal ab):
In der Métro zog eine alte Muslima
das Kopftuch um ihre Brille zusammen
So klein das Gesicht und die Gläser
tupfte sie nicht, sondern wischte verstohlen
Tränen
stille, eine so stille mekkaferne Beweinung
Ich dachte, welch Kind ist gestorben.
das sie ganz selbst war

Man kann den Videos Untertitel beifügen; das wäre freilich sehr viel Arbeit, weil Frame für Frame zu tun; vielleicht aber für solch stadtlärmgeladene Aufnahmen eine Option?
Was meinen Sie?

Den nächsten Text skizziere ich gleich, wenn ich rausgegangen sein und mich ins Café gesetzt haben werde. Ich will „einfach“ eine Reihe von Skizzen notieren, die ich hier noch gar nicht ausarbeite, sondern mir, sozusagen sammelnd in meine Berliner Arbeitshöhle als Vorrat hineingehortet, in den Tagen vornehmen will, an denen man novemberhalber nicht vor die Tür geht; unser letzter November, also der in Berlin, hat fast sieben Monate angedauert. Doch an die Ausarbeitung der Béart-Gedichte geht es, und an den Pound. Das werd ich dachmachen hier (: in meiner Dachkammer machen). Drei Straßen weiter, übrigens, hat Henry Miller in die Wanne gepinkelt, und die beiden Mädels, die eben noch mit ihm dringesessen hatten, sprangen da quiekend hinaus. In der ersten >>>> Verfilmung des Buches war das, soweit ich mich entsinne, die Schlußszene, indessen Chabrol sie, meines Wissens, ausließ. Unsere Erinnerungen schaffen manchmal Wirklichkeiten, die es vorher nicht gab, aber n u n gibt, von nun a n: Sie werden im Erinnern und wirken dann und schaffen, schöpfen (kreieren objektiv). In meinen poetologisch-„philosophischen“ Zeiten spreche ich von der Realitätskraft der Fiktionen.
>>>> Pappkarton.
Mal sehen, was ich heute vorlesen werde. Es wäre Zeit für Prosa.

In der Innenstadt sieht man die Augusttouristen Ausschau nach indigenen Parisern halten, deren heimatliche Cafés sie allerdings meiden; sie kommen mir dauerverblüfft vor und bleiben doch, ganz wie jene, rein unter sich. Zum Teil wirkt das bizarr, weil diese Gaststätten oft direkt nebeneinander liegen. So schauen die einen aus ihrem Zoo in den der andren hinüber: Das Verhältnis ist immerhin nicht einseitig, sondern ergänzt sich. Wozu ich allerdings dringend rate, ist, derzeit Notre Dame und das Louvregebiet zu meiden, jedenfalls tagsüber.
Zudem, die République ist totrenoviert, ebenso die Gare de l‘Est. Eindrücklich indes die Place de Bastille – was an ihrem architektonisch grandios-modernen Opernhaus liegt.
(Nachher geht‘s nach Barbès).

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