Das achte und erste Parisjournal nach Erscheinen des Traumschiffs. Geschrieben am Mittwoch, dem 12. August 2015.


[Sur les toils de Clichy,
7.20 Uhr]


„Es ist etwas Unangenehmes an den Menschen“ – so hätte ich beginnen wollen, wären nicht nur einige gemeint. Ich habe gestern lange darüber gesprochen, oder wir haben es, als >>>> Phyllis Kiehl und ich, worauf sie bestand, aufs Erscheinen des Traumschiffs angestoßen haben. Ein für mich aufregender, in mir hochnervöser Tag, der nach >>>> Carsten Ottes SWR-Besprechung des Vortags die bereits >>>> zweite Kritik zum Buch brachte – verfaßt von dem von mir ausgesprochen geschätzten, dem von mir ebenso geschätzten >>>> Begleitschreiben engst verbundenen Lothar Struck. Ein guter Tag also, schon weil es das noch nie gegeben hat, daß eines meiner Bücher kaum heraus ist, und schon melden sich Stimmen. (Eben bekam ich die Meldung zur schon dritten Kritik, erschienen >>>> bei Sandammeer.at; jede legt den Finger auf eine andere Stelle; was für Otte – so in einer Facebook-Antwort – „leicht zu lesen“, gilt Struck als etwas, dessen Manierismen Hingabe bräuchten, indessen Krestan Lanmeisters sprachliche Eigenwilligkeiten – meine Lektorin sprach immer öfter von einem ‚Lanmeister-Sound‘ – eben auf das eigentümliche Verhältnis des körperlichen Verfalls zur zunehmenden Sensibilität zurückführt; so schillert das Buch in seinen Besprechungen je anders, aber schillert eben – und darauf kommt es an). Freilich ärgere ich mich auch über die eine und/oder andere Formulierung; der „Manierismus“ hängt mir ja seit Jahren an. Seltsam, nein: bezeichnend, daß man ihn südamerikanischen Autoren nie vorwarf, etwa García Marquez, auch südeuropäischen nicht, sagen wir Lobo Antunes. Vielmehr ist es, oder scheint mir zu sein, ein speziell deutsches „Problem“, das ich als eine der reichlichen NachwievorFolgen des >>>> Kahlschlag-Verdiktes sehe; tatsächlich hat es diesen „Kahlschlag“ nie gegeben, er ist eine Proklamation gewesen, ein Ideologem, das ich zwar verstehen und dessen, als politisches Instrument, Funktion ich nachvollziehen kann; gleichwohl bleibt es falsch.
Aber darum geht‘s mir grad nicht. Sondern was mich gestern aufbrachte und mich meinen mindestens ebenso ungerechten normativen Satz denken, mehr noch: fühlen ließ (demzufolge dieses Unangenehme ‚an den Menschen‘ sei), war eine Kleinigkeit – ein Kommentar mal wieder, den mir wer >>>> unter das gestrige Annoncement geschrieben hatte: Meine Verlinkung auf das Traumschiff habe ihn, Danke, zu einem guten Buche geführt, das nun seinerseits er verlinkte und das ein völlig anderes als das meine war – womit er implizierte, daß das meine n i c h t gut sei. Ist sein Recht, auch wenn er es noch gar nicht gelesen haben kann; was meine Verachtung an solchen Prozessen begründet, ist etwas anderes, ist die sich selbst gewisse Feigheit in ihnen und daß es um ein Buch-selbst gar nicht geht, sondern darum, jemanden zu verletzen, als Person. Mit Kritiken kann man sich auseinandersetzen, auch mit negativen, es läßt sich aus ihnen möglicherweise auch einiges lernen, vor allem kann man argumentieren; hier ist das ausgeschlossen und soll auch ausgeschlossen bleiben. Genau deshalb habe ich immer wieder von denunziatorischer Mentalität gesprochen – zumal es ein Recht auf eine eigene Meinung nur dann gibt, wenn man sie offen vertritt, also für sie eintritt. Man kann das allein oder in einer solidarischen Gruppe tun; alles andre indessen ist Heckenschützerei.
Es regt mich nicht mehr so auf wie früher, ich hab den Kommentar einfach gelöscht. Doch mein Menschenbild wird insgesamt dunkler. Wie ich oben schrieb, ist aber auch das nicht restlos gerecht – übersieht nämlich all die, die das Risiko eingehen, für sich und die eigene Meinung einzustehen, jene also, denen nicht um Diffamierung zu tun ist.
Ich selbst könnte so etwas gar nicht, hätte Schwierigkeiten, in den Spiegel zu gucken, weil’s meinen Narzissmus kränken würde. Vielleicht sind es ja die besonders uneitlen Menschen, die sich als Denunzianten eignen, indem sich ihr Selbsthaß – oder sagen wir, ihre seelische Autoaggression – ein Ventil sucht außerhalb ihrer selbst. Wirklich klar ist mir, wie so etwas „funktioniert“, aber nicht; offenbar gehört die Lust daran, andere aus dem Hinterhalt zu verletzen und sich an deren Verwundung dann zu erfreuen, zu den perversen Vergnügungen der allzu Normalen. Es tritt ja nie zutage, man wird nie zur Rede gestellt: Es ist die Macht der geistig Kleinen. Wenigstens so haben sie eine, wenn schon die Weltläuft‘ sie ihnen politisch versagen und auch ihr Ganglion keine produktiven Möglichkeiten eröffnet. Die Affen hinter den Gittern pissen gern auf Passanten: schlichtweg, weil die frei sind. So gesehen, lassen sich sogar Denunzianten verstehen: Was solln sie denn tun? Problematisch ist nur, wenn es ihrer zu viele und ihre, ecco!, Mentalitäten „demokratischer“ Standard werden. Letztlich aber, denke ich, reagieren sie auf vermeintliche, aber auch tatsächliche Gefährdungen.
Also sprachen wir lange über Risiken, Kiehl und ich, am nächtlichen Ufer der Seine bei, übrigens, einer Flasche Weins unter drei flitzigen Fledermäusen, die gar nicht von uns wegwollten, weil, nehm‘ ich an, wir die Mücken lockten. „Man muß die Menschen lehren, f r ü h lehren, daß Risiken zum Leben gehören und s i e erst das Vergnügen bereiten und die Lust… daß Unsicherheit zum Leben gehört!“ – ‚nicht Sicherheit‘, dachte ich, ‚weil diese immer Tod bedeutet – Entwicklungslosigkeit, Stillstand, Erstarrung, zumindest Lethargie.‘

Mein letzter voller Tag in Paris, jedenfalls in diesem August. Ich habe sehr viel weniger gearbeitet als ich wollte, bin mir momentan unsicher, ob mein „Plan“ aufgehen wird, in Amelia die Triestbriefe fertigzubekommen, ob ich nicht vielmehr auch dort auf Gedichte konzentriert bleiben sollte; der neue Roman käme eh noch nicht im kommenden Jahr, und mein nächster Gedichtband ist überfällig. Dazu die Übersetzungen. Ich werd es auf mich zugleiten lassen. Gleich jedenfalls erstmal hinaus, ins Cyrano, etwas skizzieren, beobachten, weiterskizzieren, dann fürs >>>> ANHsTfT das nächste Video vorbereiten: eigentlich habe ich Lust auf eine Erzählung-am-Stück.
Austern schlürfen auf dem Weg; mein Austernmesser habe ich stets in der Hosentasche, die davon schon ein bißchen, fürcht‘ ich, riecht. Dabei sehe ich dieser Tage erschreckend seriös aus:

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