Kains Weltbühne. Das Erledigungs- ‘n Arbeits- sowie Vorreisejournal des Dienstags, dem 15. Dezember 2015. Mit Kurt Tucholski, Carl von Ossietzky und Almut Oetjen.


[Arbeitswohnung, 8.33 Uhr
Jarrett, >>>> Creation (2014/15)]

Vernarrt in diese Musik, höre ich sie quasi laufend, mitunter konzertsaallaut, bisweilen diskret; sie erlaubt mir tatsächlich, ein Gedicht nach dem anderen zu überarbeiten, was mir bei Musikbeschallung eigentlich nicht möglich ist. Ich will in den kommenden Tagen eine zumindest kleine Kritik zu dieser ungewöhnlichen CD schreiben. Ungewöhnlich ist außerdem, daß ich die beiläufig entstandenen Scherzgedichte
zum Beispiel dieses:Die Amsel hat ein Recht zu singen,
will sie uns doch den Frühling bringen
mit Wärme und Vermehrung.

Nur in dem dunklen Bau der Bär
tut mit Erwachung sich sehr schwer;
er brummt was über Ruhestörung

und furzt, weil‘s niemand hört,
vom eignen Schnarcheln noch betört:
„Halt‘s Maul!“ – worauf er zur Entleerung

schwankt und ächzt und stöhnt.
Doch wird auch er ganz bald versöhnt
mit Amseln und Begehrung werden –

es muß ihn nur der läst‘ge Trieb
zwacken in die Lenden lieb
zur Wiederwelterhörung:

daß Paarung werd‘ auf Erden.

in die neue Sammlung mit aufnehmen, sie gleichberechtigt neben den „ernsten“ stehen haben möchte, egal, wie wir sie, die Sammlung, später zusammenstellen werden; momentan gehe ich ja, praktikablerweise, alphabetisch nach den Titeln vor.

Meine Rezension des Frankfurtmainer Don Carlo ist >>>> bei Faustkultur erschienen; ich will noch zwei Tage warten und sie dann auch hier, in Die Dschungel, einstellen, räumte den Frankfurtern diesmal Exklusivität ein, weil ich, was sie mit ihrem Netzprojekt auf die Beine gestellt haben, außerordentlich beachtlich finde. Seit einiger Zeit findet sich im Kopf der Site sogar eine Anspielung auf die später von Kurt Tucholsky, dann sehr bald Carl von Ossietzky geleitete >>>> Weltbühne:


Damit stellen sie sich in eine Traditionslinie, der ich zumindest nahestehe; sagen wir: Faust-Kultur entspricht der Weltbühne, Die Dschungel Mühsams >>>> Kain:


Des Anarchisten Anrufung des Subproletariats („Verbrecher, Landstreicher, Huren und Künstler – Das ist die Bohème, die einer neuen Kultur die Wege weist“) liegt meiner politischen Auffassung emphatisch sehr viel näher als der pragmatische Verlaß auf repräsentativdemokratische Instanzen, die letztlich Ordnungsgefüge sind und notwendigerweise auf eine Konsensgesellschaft zielen. Da ist es zur Parteiraison nicht weit. Ich kann es auch mit >>>> Deidameia sagen: „Wir wollen, Hans Deters, nicht korrekt leben. Wir wollen Risiken. Wollen Rauschgifte nehmen und mit überhöhter Geschwindigkeit fahren. Wollen übernächtigt sein und uns betrinken, wollen leiden, weil das die Lust anfacht.“ – Übrigens eine absolut blödsinnige Leser„kritik“ bei amazon. Daß da noch niemand dagegengeschrieben hat…
Ich verlinke hier mal auf >>>> Stefan Maus‘ seinerzeitige Kritik in der Neuen Zürcher, denn solche Leserkritiken sind eine ziemlich zweischneidige Sache, weil dort auch deutliche >>>> Trollereien daherkommen wie objektive Urteile. Das gilt auch im Positiven. Von einer mir befreundeten Kollegin weiß ich, daß sie nach Erscheinen jedes Buches ihre Fans dazu geradezu aufruft, bei amazon gute Leserrezensionen zu schreiben. So etwas wird nur aufgehoben, wenn sich mehrere Stimmen melden. Das gilt dort freilich ebenso wie für Die Dschungel, die in ihrer wildesten Phase bekanntlich sehr viel mit getrollten Böswilligkeiten zu tun hatte.

      
***

Und dann habe ich mich gefreut, aber sowas von gefreut! Und zwar über eine >>>> Traumschiff-Kritik Almut Oetjens auf http://Belletristik-Couch.de. Ja, selbstverständlich auch deshalb, weil die Kritik gut ist, aber auch, weil, wie mir meine Lektorin gestern nachmittag schrieb, sie, Frau Oetjen, jemand sei, die sich beim Lesen eingelassen habe und nicht vorausschauend bloß ihren eigenen Vorerwartungen gefolgt sei, um schnellstmöglichst ans schon vorgeprägte Ziel zu kommen. Sondern es habe da jemand verstanden und ihre Empfehlung ganz „ohne Kommando und Selbstgefälligkeiten“ ausgesprochen. – So würde ich auch eine schlechte Kritik akzeptieren – ach, wie oft ich‘s schon geschrieben habe: begründet. Dann habe ich, immer, Respekt.
Oetjen hat übrigens schon einmal über eines meiner Bücher geschrieben, >>>> vor zwei Jahren für Literaturkritik.de, über >>>> Argo. Schon da war mir aufgefallen, wie sensibel die Autorin bemüht ist, auch in komplexe Gewebe einzudringen; genau deshalb konnte sie nun Traumschiff in einen Werkzusammenhang stellen und der Auffassung dieses leise „Nein“ entgegenzusprechen, das neue Buch falle aus ihm heraus wegen, zum Beispiel, „leichterer“ Zugänglichkeit. Auch ich tendiere ja zu dieser Ansicht; doch hat Oetjen insofern völlig recht, als sie, jene, nur auf der Oberfläche des Meeres stimmt, eines jeden. Von der eigentlichen, der tiefen Wahrheit weiß ein jeder Taucher.
Schade nur, daß solche Kritiken eben nicht im klassischen Feuilleton erscheinen, so daß sie innerhalb des Tages- und Marktgeschäftes Wirkung entfalten können, dem nach wie vor das Internet >>>> Muleta ist – aus nur zu bekannten Gründen. Aber: Danke, Frau Oetjen! Und danke auch noch mal an >>>> Benjamin Stein.
Danke allen, die mir in den vergangenen ziemlich schweren Monaten zur Seite standen, ob >>>> vom Verlag, ob mit mir befreundet oder nicht. Ohne sie alle hätte ich jetzt die Lust kaum wiedergewonnen, meine Arbeit neu aufzunehmen. Nicht ein Traumschiff in den Buchhandlungen des Prenzlauer Berges; nun gut, das schmerzt. Aber sei‘s drum. Man bekommt mich nicht klein:Wie es im Hintergrund geht.
Geburten und Sterben vergessen,
ist einem eine Zeit bemessen,
die ihr in den Gesichtern seht:

an Fülle, an Tiefe und Schluchten;
die Augen werden dir ganz matt,
zu früh, wenn einer nicht ausgeschöpft hat
Versuchung und Höhen und Buchten;

spät aber dem, der bereit war zu nehmen,
und verbarg sich in niemandes Schatten.
Er blutete, spritzte, war nicht zu zähmen

und s t ü r z t e, er sank nicht. Sie hatten
ihn zu töten die Kraft, nicht zu lähmen.
Er stürzte, um noch den Tod zu begatten.

Und dem bürgerlichen Verlangen, man solle sich verbergen und eine Maske des Niebetroffenseins tragen, entspricht im Betrieb der Vorschein der Autor:inn:en, sie nähmen Kritiken gar nicht zur Kenntnis; sie beträfen sie gar nicht, egal, was geschrieben werde. Es ist dies schlichtweg falsch, sogar verlogen. Es ist das Verlangen, verlogen zu sein, darüber hinaus das Verlangen, daß man entfremdet lebe, sogar von sich selbst, also dem, was man (er)schafft. Gegenüber Kindern hält man das mit Recht für ein Verbrechen. Die Arbeit aber soll einen nichts angehn. Dem schmettr‘ ich nunmehr neu mein „Ihr seid bigott!“ entgegen – und wenn es mir gutgeht, dann mit allem, allem Spott:



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(Es g e h t mir gut. À propos: Habe ich Ihnen schon von Ciane erzählt? Lesen Sie’s >>>> dort!)

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