Meine Offenheit. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 7. Januar 2015. Außerdem Effi Briest.


[Arbeitswohnung, 8.16
Beethoven, Klaviersonaten 1-32 (Richter):
Nr. 2 op. 2,2]


Quatro strati.


„Du bist so offen“: Nun jà, strategisch. Es ist ein unterdessen altes Mißverständnis, das Arbeitsjournal für ein pures Tagebuch zu halten; vieles, ich wiederhole es, wird nicht oder verstellt erzählt, anderes erfunden. Allein die, sagen wir, Eckdaten meines Künstlerlebens halte ich dokumentarisch, so auch seine Befindlichkeiten; daß ich dies tue, hat freilich abermals einen rezeptionsästhetischen Grund: um Höhen und Tiefen festzuhalten, aus deren Bekenntnissen sich möglicherweise später einmal Rückschlüsse auf die in der jeweiligen Zeit entstandenen Dichtungen schließen lassen, wie etwas einen Text beeinflußt, ob es ihn überhaupt erst bewirkt oder anderes verhindert habe usw. Die Frage hier ist: Wie funktionieren kreative Prozesse, welches sind ihre Abhängigkeiten, was fördert sie usw.
Daneben ist meine Offenheit politisch Strategie – gegen gesellschaftlichen (Vor-)Schein, gegen Prüderie und Verklemmtheit, gegen als Onnefaitpas‘e fetischisierte, bzw. sanktionierte, nicht aus eigenem Erkennen und Wollen begründete, tatsächlich entfremdete Moralen; sprich: ein Versuch freiheitlichen Lebens, das von der sogenannten political correctness unters Joch gebunden wird und sich besonders als erotical correctness in unsere Verhältnisse schiebt. Daß ich aber zugleich nicht nur schützen will, wen ich liebe, sondern auch die „einfachen“ Leute meines Umgangs, macht das poetische Verfahren zu einem heiklen ständigen Balanceakt. Manche für mich wichtigen Menschen, die aber anders denken und anders vor allem fühlen als ich, wollen auch einfach nicht vorkommen; möchte ich sie nicht verlieren, muß ich sie zur Unerkennbarkeit umformen; meist bleibt es schlimm genug, daß sie sich selbst wiedererkennen. Andere sind zu schützen, um sie nicht zu verletzen: Immer, auch hier, suche ich Wege – nicht anders als in meinen Büchern. Dabei beruhigt mich, daß es zwischen eigener Wahrhaftigkeit und objektiver Wahrheit einen Unterschied gibt und diese jene nicht unbedingt braucht. Auch daher die Realitätskraft der Fiktionen, daher auch die Ἀναδυομένηn, लक्ष्मीs, Samarkandinnen, Amélien, Lin-Yüës, Cianes, Κίρκηs und Sídhes, daher die roten Tische, Serengetis und Libanonzedern. Doch welche Volten ich auch voltigiere, hinter allem steht der Ruf: Geben Sie Persönlichkeitsfreiheit! Und geben Sie sie sich selbst! Gedankenfreiheit allein führt nämlich geradenwegs in doppelte Moral, und wir alle werden zu Tartuffes.
Betrifft übrigens auch mich selbst; das ist viel innere, emotionale nämlich, Akzeptanzarbeit. Da liebt, sagen wir, jemand jemanden anderes n o c h, und zwar nicht minder, und ich muß es tragen, sexuell wie platonisch; es hat einen Grund, wenn ich in Der Dschungel sehr oft über Polyamorie geschrieben habe, die eben nicht nur sexuelle Freizügigkeit bedeutet, gerade nicht „Libertinage“, sondern ihrerseits politisch ist – Widerpart der Warenverfaßtheit nämlich, Widerpart der Käuflichkeit, Widerpart von Liebe als einer zur Sache verdinglichten und unter normatives Recht gestellten Paarbeziehung. Wir wurden aber erzogen, sie so zu nehmen, und empfinden sie schließlich so. Das abzuschütteln, ist ein extremer Kraftakt – weil er gegen Prägungen gerichtet ist, die unser Persönliches erst geformt und zum Diktat der Privatheit geführt haben, die nun dort zum Freibrief für Machtausübung wird, wo Macht immer schon war. Das Private ist, so gesehen, prinzipiell restaurativ; ihm entspricht der unsägliche, wider alle ökonomische und soziale Vernunft durchgesetzte Neuaufbau des Berliner Schlosses, ihm entspricht das hinter geschlossenen Politikertüren ausbaldowerte Freihandelsabkommen, das den Interessen der Multis jede Tür öffnet, die hierzulande eine besonnene Gesetzgebung noch verschlossen hält. Deshalb ist recht eigenlicht jeder, national gesehen, Whistleblower ein Rebell gegens Private. Wir dürfen nicht verkennen, daß die sogenannte Privatsphäre ein Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse und deshalb durchaus kein Garant persönlicher Freiheit, eher vielmehr ihr Verhinderer ist; sie, allgemeine persönliche Privatheit, zu erlangen, ist einmal ein bedeutender emanzipativer Akt gewesen; doch in dem Moment, in dem sie sich etabliert hat und zur Norm wird und schließlich zum unbefragbaren Gebot – das heißt: ihr Bruch, ja schon es nur infragezustellen, zum Tabu –, streicht ihr Emanzipatives sich selbst durch. Genau diesen Prozeß nennt man Verdinglichung.

Gedichte weiter. Gestern abend ein gutes Gespräch über eine als Inszenierung leider hakende Hörspielarbeit; dennoch lohnt es sich >>>> sie sich anzuhören; nämlich die Sprecher:innen sind toll:


Da hätte i c h gerne die Regie geführt, möglichst auch den Schnitt gemacht! Und mit der Jany würde ich gerne mein Nicht Sirius auf die Bühne bringen, das seit Jahren beim Verlag der Autoren liegt, ohne daß sich irgend jemand dafür interessieren würde. Ich wüßte sogar >>>> den idealen Raum. Um den aber – und die Produktion insgesamt – finanzieren zu können, bräuchte ich einen Produzenten, den ich wiederum nur dann fände, hätte ich für den Männerpart einen Namen. (H a t t e ich, glaubte ich, bis sich die Idee in alle vier Ignoranzen zerstreut hat; manchmal bin ich echt naiv.)

Wie auch immer, weiter mit den Gedichten. Ich muß >>>> an den Ehrhardt. Eine Rezension, für >>>> die horen, ist außerdem zu schreiben, dringend, und auch dazu ein Hörbuch – immerhin nur „zuende“ – zu hören (es sind zwölf CDs).
Musikalisch wird es mit Svjatoslav Richters Beethoven-gesamt weitergehen, danach >>>> Karl Amadeus Hartmann folgen. So die Vornahme.
Ans Werk.

[Beethoven, op. 26 (Richter)]

4 thoughts on “Meine Offenheit. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 7. Januar 2015. Außerdem Effi Briest.

  1. das erschrecken könnende für garantiert nicht alle zweibeiner ist doch :das private ist poilitisch, also durchaus hart-tragend polyamoriell und echt schutzbedürftig.
    es geht um dies nicht um auch nicht das : ambivalenz eines dies und das in echter dualamorie heischt auf das eine wie das andere, mal ganz metaphorisch ausgedrückt.

    ich möchte echt mal wissenschaftlichkeit in tagebuchform.

    1. die einen verbergen sich hinter metaphern
      die anderen sich hinter zahlen
      und wideerum andere sich hinter frauen.

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