Haltungen. Erwartungen & Rezeptionsmentalitäten. Im Arbeitsjournal des Sonntags, dem 10. Januar 2015. – Nachmittags darinnen auch Corinna Antelmanns Hinter die Zeit.


[Arbeitswohnung, 0.12 Uhr
Allan Pettersson, Fünfte]

Madame LaPutz wirbelt, rumpelt, nippt bisweilen von ihrem Tee. Ich selbst war bereits im Waschsalon und muß auch gleich wieder hin, die dann saubere, aber noch nasse Wäsche schleudern, trocknen, legen. Um sechs beugte ich mich über ein altes Gedicht, faßte dann den Anfang des ersten Ehrhardtentwurfs neu, versorgte den Ofen, las >>>> chSchlesingers Kommentar.
Seine, Schlesingers, Einwürfe reichen bis 2010 zurück; seitdem ist >>>> sein sehr schönes Weblog offenbar verwaist. Anfangs war er neugierig, durchaus offen, dann kippte es: seine Kritik wurde zunehmend ressentimentgeladen. Es kann sein, daß sich unsere Differenzen an meiner >>> schroffen Abwehr des Pops entzündet haben, darüber hinaus an dem alten, und nicht falschen, Urteil, daß ich eitel sei. Der Pop jedenfalls, als Ästhetik des Kapitalismus, wird für mich ein ewiges Thema bleiben; für viele ist es nicht virulent, weil sie von ihm geprägt worden sind, auch und vielleicht gerade in der rebellischen Negation, die aber eben Grundlage multinationaler Labelfinanzierung ist. Ich bin prinzipiell anders geprägt worden, gehörte ja auch nie in irgend eine Gruppe. Außerdem spielt für den Pop Idolbildung eine extreme Rolle – also säkulare Heldenverehrung, der ich sowieso ablehnend gegenüberstehe, jeder.
Ich schreibe jetzt über den Kommentar eigens, weil sich in ihm eine Haltung ausdrückt: Sie nagelt Kunst auf objektive Wahrheit fest, wischt Aragons Konzept des mentirvraie vom Tisch oder versucht es, wenn auch, wie Schlesinger gut eingesteht („gut“ im Sinn von „wahrhaftig“), nur für sich selbst. Erfindungen, also Fiktionen, nennt er „ausgedacht“ – als wäre das ein Makel und nicht überhaupt erst Ausdruck wirklicher künstlerischer Schöpferkraft. Es stellt sich die Frage, ob er „nur ausgedacht“ auch bei Pynchon, Nabokov, Gaddis, García Marquez schreiben würde. Nicht zum ersten Mal wirft er mir, hier indirekt, Vermessenheit vor: Was weiß denn der von zerbombten Körpern?
Ich will es hart sagen: Sie sind Gegenstand der ästhetischen Verarbeitung, so gesehen Material. So nemen wir sie auch in den Medien wahr, die einen großen Teil unseres Empfanges von Wirklichkeit bestimmen. – Darin, in der materialen Aneignung, liegt ein Unmoralisches, das ist wahr; aber genau dieses Unmoralische ist ein Teil von Kunst, nahezu aller, die sich so nennen läßt. Man auch selbst ist Material; ich schrieb es schon verschiedenorts; die eigenen Lieben sind Material.

(Muß wieder los. Nachher mehr.)

***

[14.36 Uhr]
Also weiter:

(Wäsche & Wohnung sind sauber, die Wäsche ist gelegt und eingeordnet, und zu mittag wurde geschlafen.)

[Pettersson, Sechste
Espresso (ital.: Caffè), Cigarillo
Denkkäppchen auf dem Schädel: blaues Satin]

Zu lesen, >>>> wie Gogolin Ähnliches hörte. Es müßte Herrn Schlesinger also gefallen, daß ich nicht nur Bücher, sondern auch Die Dschungel schreibe; er müßte es zumindest weniger schlimm als jene finden.
Das Problem ist, daß wir, wenn wir auf Fiktionalisierung verzichten, jede Utopie aufgeben – und sei es die, uns hineinversetzen, also über die faktischen Erlebnisse hinaus Aussagen treffen zu können. Menschen wie er tendieren ins Dunkle der Welt-allgemein; sie können letztlich keine Hoffnung mehr haben, vielleicht gar nicht haben wollen, weil dies ein großer Schutz vor Enttäuschungen ist. Ihnen ist Welt prinzipiell schlimm, als, deshalb die heutige Überschrift, Haltung nämlich. Das von den einen empfundene und/oder tatsächlich erlebte Glück ist ihnen Teil des Unglücks anderer, woran tatsächlich oft etwas ist, aber eben nicht-prinzipiell, zumal, wären auch diese einen unglücklich, es das Glück der anderen noch gar nicht garantierte, sondern die Welt wäre a l l ein Trauertal. Hinzu käme, daß es keine Geschichten mehr gäbe, keine Märchen, keine Phantasie. Ich lese grad solch ein Buch, das mich fesselt, auch wenn mich seine Sprache nicht immer überzeugt, weil zwar die Imagination ins Innere geht, nicht aber der Ausdruck: Corinna Antelmann, >>>> Hinter die Zeit, erschienen bei Septime, einem jungen Wiener Verlag, dessen und auf dessen Programm unbedingt zu achten ist:


Abgesehen von kleineren Inkorrektheiten (an den nur nachlässig gehandhabten Irrealis sind wir unterdessen ja gewöhnt) und stilistisch bisweilen etwas Stelz („Um eben diese Zeit nutzen zu können“/unnötige „Und“-Folgen in den Satzreihen/) und Beziehungsfehlern („Irina lehnt sich an den Torpfosten, er hält ihrem Gewicht stand, und redet sich ein“ – imgrunde alles Flüchtigskeits- und damit Lektoratssachen) baut der Roman eine ruhige Fremdwelt voll unmerklich einsetzender Ver-Rückungen auf, in die man schnell hineingezogen wird – für meinen Geschmack etwas zu ungefährdet, was aber den Vorteil hat, daß – anders als bei meinen Texten – keine vorsorgliche Abwehr erzeugt wird. Wenn ich von Ausdruck schreibe, meine ich ästhetische Expression, die wiederum, notwendigerweise, Manier ist, nicht aufgesetzt, sondern vielmehr sprachinnerlich. Wir überschauen nicht mehr, der Sog zieht uns selbst mit – sofern wir uns einlassen. Bei Antelmann kann man sich ohne solche Gefährdung einlassen, man bleibt unangefochtene Leserin, unangefochtener Leser, geht also mit dem Buch bei allem Mitfühlen distanziert um, bewahrt sich sein/ihr Ich, bleibt, um es anders auszudrücken, autonom.
Meine Bücher wollen diese Autonomie immer brechen – was daran liegt, daß ich an Autonomie noch nie richtig glauben konnte, sie für einen, und zwar in mehrfachem Sinn grundlegenden (Gründe legenden) Irrtum der Empfindung halte. Gerade darum suche ich nach Freiheit und stelle sie, hoffe ich, über das utopische Potential meiner Fiktionen her, l ü g e sie wahr. So müssen aber Bücher nicht geschrieben sein, gar keine Frage. Nur interessieren mich anders geschriebene in einer Regel nicht, die nun aber Antelmann bei mir durchbricht. Auch das spricht für ihren Roman, wie gerne ich ihm folge. Ich bin mir sicher, Schlesinger täte es ebenso gerne. Lesen Sie also meine Empfehlung einzig als für ihn und entscheiden sich, ob Sie ihm folgen möchten. Wo aber Antelmann bei meiner Ästhetik ist, ist eben die Geschichte, daß überhaupt eine erzählt und nicht nur betrachtet wird, was ist bzw. sei. Blieben wir bei dem, wären wir (was wir vielleicht auch so, aber eben nicht unbedingt sind) in den Determinismus hinreichender und notwendiger Ursachen gefangen; Nietzsches Gedanke ist ja vollkommen richtig, daß, ob wir uns wie freie oder wie unfreie Menschen benehmen (für frei also halten oder nicht), selbst ein Ergebnis von Prägungen, mithin determiniert sei. Aus dieser Mühle gilt‘s, sich auszuzwicken.
Das andere Argument Schlesingers ist bedeutsamer: Wer nicht im Krieg war, kann und soll nicht drüber schreiben, jedenfalls nicht emphatisch, also nicht fiktional. Es ist dies eine Spielart des ohnedies doktrinären „Realismus“; wichtiger aber ist, daß es etwas übersieht: nämlich wir haben z.B. 9/11 ja gesehen, so, wie wir auch Afghanistan sahen und Syrien sehen, den Sudan gesehen haben. Auch wenn wir ihn nur medienvermittelt gesehen haben, prägt dies doch unsere Welt(sicht) und wird dadurch unbedingterweise zum künstlerischen Material. Es müßte dies g e r a d e die Forderung eines Realismus sein, der auf die Bedeutung seines Namens auch wertlegt. Auch politisch wird auf das reagiert, was man „nur“ medial sieht, und die Bevölkerung reagiert auf das, was sie medial sieht, physisch-direkt. So dreht sich die Schraube. Eine Kunst, die das ignorierte, wäre tatsächlich l‘art pour l‘art.
Nebenbei bemerkt, halte ich Nullgrund, also das „Vorspiel“ von >>>> Argo, für die derzeit einzig angemessene poetische Verarbeitung 9/11s, die es in deutscher Sprache bislang überhaupt gibt. (Selbstverständlich kann es aber sein, daß ich manches schlichtweg nicht kenne). Die Expression der Mittel entspricht dem Katastrophalen der Geschehen – daß sie „nur“ aufgrund medialer „Dokumente“ zustandekam, ist eh Teilmotiv dieses Vorspiels-selbst. Die „menschlichen“, sagen wir: humanistischen Seiten des Romans sind späteren Seiten vorbehalten; zudem scheint Schlesinger vergessen zu haben, daß Argo der abschließende Teil einer Trilogie ist, deren ersten beiden Teile er schon längst zur Kenntnis hätte nehmen können, als er in Der Dschungel erstmals kommentierte; dann hätte er jetzt schon, vor dem Kauf von Argo, gewußt, was nachher auf ihn zukommen würde.
Er schreibt, er habe sich von der Kategorie „episch“ anlocken lassen. Dem mag so sein; die Frage ist, was ihn nun enttäuschte, also was er für nicht-episch hält. (Welche Rolle Homer in der Romanserie spielt, war schon in >>>> Thetis klar). Er gibt uns darüber keine Auskunft, wir können nur vermuten.
Ich vermute. Selbstverständlich.
Ich spekuliere.
Und sehen Sie, auch dies gehört zu meiner nichtbeliebten Art, auf Kritiken zu reagieren: Es ist mir immer wieder Grund, poetische Positionen zu durchdenken und zu verdeutlichen, läßt mich meine Ästhetik weiterschreiben. Um ein Mehr geht es, ein Immermehr und -weiter: eine poetische, zumindest, Evolution, die auskosten will, was ist, auch wenn es wehtut. Ich lebe auch so, wie sollte meine Kunst im Rückzug sein, gar sich regredieren lassen, und sei es nur formal?
Ich glaube nicht, daß Frau Antelmann sich solche Fragen stellt. Aber das muß sie auch nicht. Ihr Buch lebt auch ohne das, ich empfehle es hier nachdrücklich >>>> noch einmal. Nur daß ich weiter will, immer wollte: der Sprache selbst geschehen lassen, was geschieht. Ein Satz Adornos, >>>> in seiner Mahler-„Physiognomik“, war der Anlaß:


Hier, im vierten Satz der Sechsten, werde die Musik-selbst katastrophisch. Kompositorisch hat das Pettersson beerbt, literarisch war es m i r Leitsatz. Im deutschen Sprachraum kenne ich – in dieser Hinsicht – keinen zweiten wie mich. Nein, das ist keine Hybris; ich liebe es, auch andere Autor:inn:en zu ehren und zu verehren, die teils ganz anderen Prioritäten folgen. Dschungelleser:innen wissen das.

Es ist Herrn Schlesinger also, und wirklich freundschaftlich, zu raten, sich anzusehen – statt daß er nur auf den Inhalt starrt und ob ich ihn persönlich erlebt haben könne -, was mit dem Material geschieht, auch formal, das in dem Vorspiel in Bewegung gesetzt wurde, und weshalb es eben so und nicht anders in Bewegung gesetzt wurde; die ganze Diskussion über die erreichte Ikonographie des Anschlags ist in diesen Text mit eingegangen und bewegt ihn teils mit. Dabei ist die Ungeheuerlichkeit des Verfahrens nicht größer als die des Penthesilea-Schlusses bei Kleist – auch er, übrigens, hat keine Liebe erlebt, die ihre Zähne leibhaftig in ihn schlug. Man muß (oder sollte) „einfach“ sehen, aus welchen Linien sich eine Dichtung entwickelt hat und was es ist, das sie fortschreibt.
Daß ich mit >>>> Traumschiff all dies verlassen zu haben scheine, und weshalb, und, hätte der Alte gesagt, „kommensurabel” wurde, steht dann auf einem weiteren Blatt.

Um in ein Buch hineinzufallen, muß man bereit sein; die Bereitschaft ist vorgängig. Fehlt sie, werden Kunstwerke immer verschlossen bleiben – bis hin zur Abwehr. Wie solche Bereitschaft aussieht, hat der mir, bzw. meinem Werk gegenüber durchaus skeptische Bücherblogger in drei fulminanten Teilen >>>> gezeigt. Gestern fand ich diese Rezension zufällig wieder und las sie noch einmal, dankbar. So sehen Einlassungen jenseits der Ressentiments aus und jenseits ästhetischer Vorprägungen. Walter Benjamin schrieb einmal von der „unendlichen Nähe“ und bestimmte sie zur conditio sine qua non jedes kritischen Schreibens; er übernahm den Gedanken von Schlegel. Vielleicht, daß Herr Schlesinger dort einmal nachliest. Aber vielleicht ist seine Sichtweise längst gefestigt und mag sich auch nicht mehr verflüssigen lassen.
Ich würde es bedauern.

Irina, Corinna Antelmanns Heldin, übrigens, betritt in unversehenen Erscheinungen eine andere Welt ebenfalls, eine, die seltsam blieb. Doch bin ich erst auf der Seite 111, aber auf ihrer, Irinas, Seite – und doch nicht. Daß ich in diese Spannung gerate, ist zweifelsohne eine Leistung des Romans. Hingegen habe ich auf Knausgard nicht die allergeringste Lust – was meinerseits ungerecht(fertigt) sein könnte, aber auch damit zusammenhängt, daß ich eine Übersetzung lesen müßte, also gar nie wissen würde, was denn nun „wirklich“ die poetische Leistung ist, die sprachliche also. Ich bin und bleibe ins Deutsche gefangen und vom Deutschen aber gewärmt und bedeckt und – gebeten.

[Pettersson, Achte]

12 thoughts on “Haltungen. Erwartungen & Rezeptionsmentalitäten. Im Arbeitsjournal des Sonntags, dem 10. Januar 2015. – Nachmittags darinnen auch Corinna Antelmanns Hinter die Zeit.

  1. Ausgedacht, nur ausgedacht Hier steckt ein Problem, das mir seit einigen Jahren immer wieder begegnet. Es scheint so zu sein, dass die Leser gar nicht mehr begreifen, was Fiktionalisierung ist. Sie gelangen dadurch zu einem Begriff von “Wahrheit”, der sich auf platte Realismen reduziert. Und wenn ein Autor diesen Realismus nicht bedient, also den Leser in der einzigen Weise, in der er auf die Welt zu schauen vermag, nicht bestätigt, dann wird er abqualifiziert.
    Mir sagte jemand vor einiger Zeit, er wisse gar nicht, was das denn eigentlich sein solle, was ich schreibe. Das stimme doch alles gar nicht, wäre für ihn nichts anderes, als meine eigene krankhafte Geistesverfassung in Bücher gequetscht. In einem anderen Gespräch kam ich mit jemanden auf ein Thema der Physik, und ich merkte an, dass ich darüber auch in einem Buch geschrieben habe. Ich erhielt die Antwort, das sei ja nicht so, was ich da geschrieben habe, das sei ja nur ausgedacht.
    Dass man, indem man erzählend etwas über einen Tatbestand aussagt, diesen zugleich fiktionalisiert, das scheint gar nicht mehr bekannt zu sein.

    1. Danke@schaakej Den Text kannte ich tatsächlich noch nicht; allerdings geht er nicht in den harten Schmerz, bleibt über dem Ungeheuerlichen – meinem Eindruck nach, und zwar bleibt er es wegen einer Kultiviertheit, die einerseits das Geschehen selbst meidet, es andererseits melancholisch auflöst oder aufzulösen versucht. Will sagen: das Gedicht trauert, weshalb die Sprache bereits Abstand hat.
      Denoch ist es – selbstverständlich, möchte ich fast schreiben – ein sehr schöner Text. In dieser Schönheit mag sich tatsächlich das, von uns so gesehen, Perverse des Attentates spiegeln.

  2. Danke für die Erwähnung meines Romans und für die Fragestellungenen, die sich im Zusammenhang ergeben: Gibt es eine Sprache angesichts der Schrecken des Krieges?, steht es uns zu, den nicht mittelbar Beteiligten, darüber zu schreiben/reden? Eine gelungene Flucht steht nicht am Ende einer Geschichte, sie markiert den Anfang von neuen Verflechtungen. In meinem Roman leiden Großmutter und Mutter eben unter der Sprachlosigkeit, zu verstrickt sind sie in Krieg und Schmerz und damit ohnmächtig. Es ist ein Versuch, ihnen im Nachhinein zu einer Sprache zu verhelfen, die vielleicht erst mit Abstand gefunden werden kann, Generationen später, um die Selbstermächtigung, auch über das eigene Leben, zurück zu gewinnen.

    1. @Corinna Antelmann Wie schön, daß Sie sich hier-direkt melden! Und danke, übrigens, für diesen Satz:

      Hier gibt es ein Zuviel an Leben, das über die Zeit hinweg nicht verschlossen wurde, sondern noch immer atmet (…).Ich meine den Gedanken, daß jemand/etwas Zeit verschließen könne. Darüber kann man meditieren.
      Auf Ihre Fragen möchte ich eingehen, sowie ich >>>> Ihr Buch zuendegelesen haben werde. Vielleicht kommen vorher auch noch andere Stimmen als die meine.

      (Kleiner Tip: Es ist klug, nicht als “Gast” zu schreiben, sondern sich zu registrieren; zum einen läßt sich dann ein automatischer Link unter den Kommentarnamen legen, der auf eine Site Ihrer Wahl führt, zum anderen geht es hier bisweilen hoch her, so daß es schon vorkam, daß anonyme Kommentatoren sich anderer Namen angeeignet haben. Hingegen als registrierte sind sie vom Programm geschützt.)

  3. Reiner Stach schreibt in seiner herausragenden Biographie von Franz Kafka, dass Kafka mit fortschreitender Tuberkulose immer weniger der Sinn stand nach den absichtslosen Schreibexperimenten seiner Jugend. Und wie billig ist das Erfinden einer Strafkolonie gegen ein tatsächliches Sterben, das keinen Plot im Rücken hat?
    Ernst Jünger schreibt, dass man keinen Menschen kennt, den man nicht in der Gefahr gesehen hat. Und wie wirkt auf Sie eine Plaudertasche von Schriftsteller, der seine Homepage plötzlich schließt mit dem knappen Hinweis auf seine Krebserkrankung?
    Tatsächlich wische ich etwa die einst von mir so geschätzte Madame Bovary nun auch als “ausgedacht” vom Tisch. Längst erscheint mir ein Flaubert nützlicher, der seziert wie es sich anfühlt, als Frühverrenteter mit seiner Mutter daheim zu hocken und von dem zu leben, was sein Vater sich erarbeitete… Am irrwitzigsten aber kommt mir mittlerweile Hesses “Steppenwolf” daher. Ein gefragter Weltliterat, der meint beschreiben zu können wie es ist, wenn das Leben einen ums 50. Lebensjahr ausspeit. Entsprechend locker plottet er die atemberaubende Einsamkeit weg, die immer mehr von uns ertragen müssen. Bei Hesse liegt dann auch schonmal eine junge Frau im Bett, wo für jeden anderen bloß ein weiterer trister Tag sein Ende findet…
    Wer weiß denn, ob sie die furchtbaren Verwüstungen, die Sie beschreiben, bei klarem Verstand ausgehalten hätten? Literatur ist für mich einen Frage des Vermögens. Wie etwa sollte ich mir meinen Onkel Wolfgang aneignen, der bei bitterster Kälte in den Wald ging, sich dort auszog und im Schnee den Kältetod erwartete, wie bitteschön, wenn ich bereits in dickster Winterkleidung zittere?
    Aber gut, ich habe auch nach der Anderswelt gegriffen, falls mir das, was ist, nicht gelingt: Dem Gottglauben der Jugend zu weit entrückt, keine Kraft für ein Ende, absichtsloses Zwischenreich, das vielleicht gut genug ist, es mit meiner persönlichen Anderswelt anzureichern…
    Und, weil Sie vom “Glück” schreiben, da ist der Herr Knausgard ein viel schwereres Kaliber, geradezu eine Offenbarung: “Aber Glück ist nicht mein Ziel, ist noch nie mein Ziel gewesen, was soll ich damit?”

    1. Danke@chSchlesinger. Ich meine dieses “Danke” ernst, denn Sie geben die Perspektive an, Ihre, die in der Tat die meine nicht ist, nicht sein kann und auch nie sein wird. Ich bin am Leben und liebe es, also i s t Glück mein Ziel; ob ich es bekomme, steht auf einem anderen Blatt, und daß es nie von Dauer sein kann, ebenfalls. Glück ist eine sinnliche Erscheinung der Differenz.
      Knausgards “Was soll ich damit?” gibt mir nun einen “wirklichen” Grund, das Buch nicht zu lesen. – Sind Sie Vater? Dann sagen Sie so etwas mal Ihren Kindern. Kleine Kinder würden Sie damit ernstlich krank machen.
      Nein, ich bin voller Glaube, an Körper, an Liebe, an Sinnlichkeit, an Geist, an Erfindung, an die Möglichkeit, Schlimmes zu wenden – kurz: an unser aller Fähigkeit zur Verwandlung. Hat man diesen Glauben, zittert man weniger, selbst, wenn es zum Zittern allen Anlaß gäbe und vielleicht auch gibt.

      (Ernst Jünger, übrigens, gebe ich in dieser Hinsicht recht. Aber das hat nichts mit Weltunlust oder -abkehr zu tun, eher im Gegenteil. Mein Wahlvater D.B. sagte einmal: “Wer wirklich unser Freund ist, erkennen wir dann, wenn wir unter seiner eigenen Gefährdung versteckt werden müssen.”)

      [chSchlesingers Kommentar und diese
      meine Replik beziehen sich beide
      >>>> d a r a u f.]
  4. Nein, Kinder habe ich keine. Und seit Knausgard gebe ich auch nichts mehr auf das Raunen, was ein Mann angeblich verpasse ohne Kinder: “Mir kommen die Tränen, wenn ich ein schönes Gemälde sehe, jedoch nicht, wenn ich meine Kinder sehe. Das heißt nicht, dass ich sie nicht liebe, denn das tue ich, von ganzem Herzen, es bedeutet nur, dass der Sinn, den sie schenken, kein Leben ausfüllen kann. Jedenfalls nicht meins. Bald bin ich vierzig, und wenn ich vierzig bin, bald fünfzig. Bin ich fünfzig, bald sechzig. Bin ich sechzig, bald siebzig. Und das wird es dann gewesen sein… Es war mir immer schon sehr wichtig, für mich zu sein, ich benötige große Flächen des Alleinseins, und wenn ich diese wie in den letzten fünf Jahren nicht bekomme, nimmt meine Frustration zuweilen beinahe panische oder aggressive Formen an. Und wenn das, was mich während meines gesamten Lebens als Erwachsener angetrieben hat, der Ehrgeiz, einmal etwas Einzigartiges zu schreiben, in dieser Weise bedroht wird, ist mein einziger Gedanke, der wie eine Ratte an mir nagt, mich aus dem Staub zu machen…” Wohlgemerkt, als Knausgard so mit sich haderte, wurde er bereits als Genie gefeiert für seine Romanschreiberei. Ahnen Sie jetzt, welch einen Mehrwert Knausgard bedeutet für mein tägliches Erleben? Knausgard hilft mir zu bestehen gegen die Übermacht der Fiktionäre und Fortpflanzer! Hingegen ich mit jeder Seite Ihrer Anderswelt ratloser nach dem Nutzen Ihres Werkes frage, was ich mit dem Wissen über Ihres Anderswelt soll, zu welch einem Wachstum es mir verhilft? Statt Ihnen einen Gedenktafel stiften zu wollen, ist da bloß Schulterzucken. Immerhin, jetzt war ich mal nicht auf dem Massenmarkt unterwegs, sondern habe etwas von einem Geheimtipp von Schreibmanufaktur erworben. Vielleicht erhebt dieses Lebensgefühl viele Leser, nicht mit Millionen Schaulustigen auf Tolkiens Mittelerde unterwegs zu sein…

    1. Vergleichen Sie@chSchlesinger diese beiden Einlassungen:

      … es bedeutet nur, dass der Sinn, den sie schenken, kein Leben ausfüllen kann. Jedenfalls nicht meins. Bald bin ich vierzig, und wenn ich vierzig bin, bald fünfzig. Bin ich fünfzig, bald sechzig. Bin ich sechzig, bald siebzig. Und das wird es dann gewesen sein…
      … Hingegen ich mit jeder Seite Ihrer Anderswelt ratloser nach dem Nutzen Ihres Werkes frage, was ich mit dem Wissen über Ihre Anderswelt soll, zu welch einem Wachstum es mir verhilft?

      Der “Nutzen”, den Sie aus Knausberg ziehen, ist ganz offenbar – Selbstbestätigung, etwas, das nun wieder mir zu wenig wäre. Einmal abgesehen davon, daß “meine” Anderswelt eine “Anders”welt gar nicht ist, aber offenbar für Sie genauso funktioniert wie für die von Ihnen so genannten Schaulustigen auf Tolkiens Mittelerde – spielen Sie übrigens auf sein Buch an oder auf seine Verfilmung(en)? Da besteht eine große Differenz, die einiges über das ausdrückt, was Sie bei, ich zitiere nur, Thomas Manns und meinem “Ausgedachten” >>>> anwidert. Allerdings finde ich interessant, wie verschieden von Ihnen (und anscheinend Knausberg) >>>> Gregor Lanmeister auf die Welt reagiert, der ja nun wirklich stirbt. Das Jammertal ein NurJammertal zu nennen, kommt mir durchaus luxuriös oder psychisch erkrankt vor, wenn man nicht vor Meuchlern auf der Flucht ist; die dieses sind, tun es in der aller Regel n i c h t, sondern, wo und wann immer möglich, feiern. Darin steckt für mich ein Kern unsres Menschseins. Hingegen mir dieses “Bald bin ich vierzig, (…) bald siebzig. Und das wird es dann gewesen sein…” unerträglich larmoyant klingt.
      Schon insofern, finde ich, tut man falsch daran, Depressionen zur Grundlage der eigenen Weltsicht zu machen, sie gar für andere als eine solche zu fetischisieren. (Typisch auch, daß Knausgard bei Gemälden Tränen kommen, nicht etwa Gefühle wie Lust, rauschhafte Erregung, nicht Ergriffenheit, nicht Beseelung. Aber, wie ich schon sagte, ich habe sein Buch nicht gelesen und werde es nun mit Sicherheit auch nicht mehr tun. Es ist mir schon zuviel “Ich” in dem, was Sie zitieren.)

  5. Als 14-jähriger versuchte ich es mit Tolkien. Weil Schachwelteister Garri Kasparow den “Herrn der Ringe” las. 1985 war das Werk ungleich schwerer zu bekommen, vielleicht wäre es ohne die Verfilmungen längst tot. Und bereits damals gelangte ich nicht über den Abschnitt hinaus, wo Tolkien weit ausholt mit der Vorzeit der Mittelerde. Welch ein Quatsch gegen das, was ich mir zur gleichen Zeit anlas über die Geschichte des Dritten Reiches… Tatsächlich könnte man Ihre Anderswelt wohl wie die Mittelerde ganz unterhaltsam verfilmen. Zumindest der Anfang wirkt in weiten Teilen, als hätte man ihn vom Fernseher abgeschrieben… Müsste ich meine Phantasie derart ins Kraut schießen lassen, wäre Friedrich Nietzsche mein “dunkler Ritter” Batman, und Zarathustra sein Robin. Gemeinsam mit Waffen von Jules Verne gegen ein Heer von “Eckenstehern”, das gelenkt wird durch “hässliche” Priester und Giftmischer. Als Obermotz der “zweite Sokrates”, abscheulich anzusehen und wie Rumpelstilzchen in seinem Athen, dass er die Menschheit zum Debattierclub kastrieren werde… Aber mir erschließt sich kein Grund, warum ich das mehrere tausend Seiten weit zu Papier bringen sollte… Und mit einem Male stehe ich mir selbst vor Augen! Wie ich als junger Mann in bester Goldgräberstimmung war: jene Geschichten von Vorschüssen bis zu 20 Millionen Dollar, die mich begeistert meinen eigenen Bestseller planen ließen. Und der Leser kam darin bloß vor als zahlender Kunde… Es gibt also vielleicht auf dem Buchmarkt weit und breit keinen anderen Sinn, als den des Abverkaufs… Ja, dieses Bild schenkt mir nun Frieden: ich als Laienprediger unter lauter Gewerbetreibenden.

    1. @chSchlesinger, weiters Das an Ihnen tatsächlich Großartige ist, daß Sie so sehr offensichtlich nicht die geringste Ahnung von Sprache haben, und Liebe ja ohnedies nicht, vielleicht auch niemals Döblin gelesen… “aus dem Fernseher abgeschrieben”: Gäbe es derart künstlerisch gearbeitete Sendungen darin noch, hätte ich wieder einen.
      Dennoch, Ihre Besetzungsideen (“Casting”) haben was; vielleicht sollten Sie sich an Satiren versuchen. Das bekäme auch Ihrer >>>> schwarzen Galle, glauben Sie mir, gut. Sie würde sich erhellen.

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