Zweites ZwischendenLesungenArbeitsjournal. Am Freitag, dem 5. Februar 2016. Darinnen, einmal mehr, auch Ursula März.


[Arbeitswohnung, 6.50 Uhr]

Wie Kafka über Brod schreibt, in Paris. Seit ich, neuestens Adjutant >>>> Frau v. Hüons, ihre Fahnen korrigierte, blieb ausgerechnet dieser Text mir hängen, in mir, um mich. Stellt Euch vor, daß er sich später hingesetzt haben muß, um ihn niederzuschreiben – alleine dieser Akt! Und wie ungerecht Ursula März gegen >>>> Meere schreibt, >>>> wenn sie Natascha Wodin zugesteht, was sie bei uns, Biller und mir, auf das schwerste mißbilligt. Sie argumentiert – an machtvoller Stelle – mit dem Kunstrecht, das sie Meere dadurch aberkennt. – Hat die Frau keine Ahnung, oder ist sie nur böse gegen Männer? Wahrscheinlich hat sie mein Buch gar nicht gelesen oder ihr eigenes Vorurteil hineingelesen und es darum drin auch bestätigt gefunden. Vielleicht hat sie auch nie geliebt, nie unvoreingenommen, sondern immer mit Vorhalt. Es geht wohl um die zehn Zentimeter, >>>> von denen ich Euch gestern schrieb; daß man die nicht offenstehen haben will; immer fein die Fenster verschlossen und die bloß nicht zu hohe Zimmerdecke als Decke im Blick:

Wheel down, wheel down to southward; oh, Gooverooska, go!


D o n ‘ t tell the Deep-Sea Viceroys the story of our woe –
Daß jemand daliegt und schläft, wenn ich mich an den Schreibtisch setze:



Franz Kafka also:
Max kommt in mein Hotelzimmer heraus und ist darüber aufgeregt, daß ich noch nicht fertig bin und mir das Gesicht wasche, während ich früher doch gesagt hätte, daß wir uns nur ein wenig waschen und gleich weggehen sollen. Da ich mit Wenigwaschen nur das Waschen des ganzen Körpers ausgeschlossen, dagegen damit gerade das Waschen des Gesichtes gemeint habe und damit eben noch nicht fertig bin, verstehe ich seine Vorwürfe nicht und wasche das Gesicht weiter, wenn auch nicht so genau wie früher, während sich Max mit dem ganzen Schmutz der Nachtfahrt in seinen Kleidern auf mein Bett setzt, um zu warten. Er hat die Gewohnheit und führt sie auch jetzt vor, beim Vorwürfemachen den Mund, aber auch das ganze Gesicht süßlich zusammenzuziehen, als suchte er dadurch einerseits das Verständnis seiner Vorwürfe zu befördern und als wollte er andererseits zeigen, daß dieses süßliche Gesicht, das er gerade hat, ihn davon abhalte, mir eine Ohrfeige zu geben.
Tagebücher, 1911
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Mich hat die Entscheidung der Leipziger Jury gestern fast den ganzen Arbeitstag gekostet. Mußte mich ablenken. Wie dumm, daß ich selbst da, wo ich sicher vorhersehe, dann doch immer noch so enttäuscht bin! sogar verletzt bin. Anstelle endlich auch im Herzen zu begreifen, wie dieser Betrieb läuft und daß genau das, was ich für eine Qualität, ja Notwendigkeit der Dichtung erachte, zu meinem Abgelehntsein führte.
Dazu ein Lehrstück (Leerstück) kam von ganz anderer Seite, von der mir die Löwin berichtete, womit sie vielleicht auch nicht gleich herausrücken wollte, eine Bemerkung, wie ich sie schon >>>> auf der Bremer Lesung zu hören bekam: >>>> So könne man (aber „dürfe“ dürfte gemeint sein) mit dem Sterben nicht umgehen. Ja, der Text sei sehr poetisch, ABER: Eben drum. Zu sterben soll nüchtern sein und am besten er/nüch/ternd. Jede auch nur Ahnung einer Verklärung führt zu Widerstand, der Tod ist eine ernste Angelegenheit, da laß ich mich nicht durch Schönheit verführen. Besser, die Menschen sterben elend, als daß sie sich dabei erheben. Weh über dieser Allianz von Protestantismus und Ökonomie! Wir werden, was sie will: Replikanten. Wurden‘s vielleicht schon.
Egriffen sind wir allein, wenn der Rahmen steht, etwa einer Opernbühne oder einer Leinwand. Wenn wir nach der Vorstellung wieder hinausgehen können, uns allgemein erschauert haben, ein bißchen nettes Spiel; nu‘ aber geht‘s zum Ernst des Lebens zurück, der den Ernst der persönlichen Maske meint, hinter der man sich versteckt. Die darf auf keinen Falle Risse bekommen.
So gehen die Leute auch mit Funktionen um, die sie haben, und funktionalen Bedeutungen: Es wird so getan, als wären sie ein Seelenteil und eben nicht nur, aus welchen Gründen auch immer erlangt, Funktion. Meine aber – und anderer Künstler:innen Arbeiten – unterlaufen das, und zwar um so mehr, je mehr Nähe sie herstellen. Es ist, als würde eine persönliche Fluchtzone übertreten.
Nur, genau das hat große Kunst immer getan, darum ging und geht es in ihr.
Es kann deshalb gut sein, daß ich den entscheidenden Irrtum beging, als ich meinte, ich müsse einfach literarisch immer nur besser werden, um die Anerkennung zu finden – was eigentlich nur bedeutet: eine meiner Arbeit angemessene Anzahl von Leser:inne:n –; das Gegenteil ist offenbar der Fall: Hätte sich meine Ästhetik unverbindlich gehalten, ein Zuspruch wäre viel eher gewiß. Allerdings, wie ich schon mehrfach schrieb, ist dieses eine speziell deutsche Dynamik; andere europäische Kulturen kennen diesen Vorbehalt gegens Ergriffenwerden nicht. Im Gegenteil. Er, dieser Vorbehalt, besteht auch nur gegen Literaturen aus Deutschland, von Deutschen. Er ist das Symptom eines Traumas, das, statt es zu behandeln und vielleicht zu heilen, verdinglicht worden ist, fetischisiert geradezu. Damit ist aber für Deutschland der Grund„gedanke“ aller Kunst kaputt: Katharsis. Man könnte von einem Schuldsyndrom sprechen, wenn denn diejenigen, die unter ihm leiden, schuldig w ä r e n. Das sind sie aber nicht.
Letztlich wird Hitler prolongiert, ihm ein „Sieg“ zugeschoben, den wir ihm dringendst streitig machen müßten. Aber wie eine an einem Fliegenklebband hängende Fliege kleben wir an dem, was uns umbringt, und holen allenfalls, was wir zum Leben brauchen, aus dem Ausland. Das ist auch realpolitisch verheerend, spielt der Äquivalenzform zu, die Tauschbarkeit zur allgemeinen Disposition macht. Wer auch nur mit dem Boden, den er bebaut, verbunden ist, steht im Ruch des Fschistoiden. Mit anderen Wurzeln wird ähnlich umgegangen. Diejenigen haben insofern immer recht gehabt, die der Meinung waren, daß Hitler dem Kapitalismus den Boden eigentlich erst wirklich urbar gemacht habe („ur“ ist in diesem Zusammenhang ein ziemlich fieses Präfix; seine Verwendung hier spiegelt den Vorgang).

Die Löwin hat selbstverständlich recht, wenn sie sagt, hätte ich woandersher irgend eine ökonomische Sicherheit, ich würde mich um all dies nicht scheren, nicht immer wieder in meine, sagen wir, „Zustände“ hineinfallen, sei‘s der schweren Niedergeschlagenheit, sei es der Wut. „Du würdest einfach deine Arbeit machen, und keiner könnte dich beirren. So, wie es Künstler immer schon taten.“
Aber ich bin abhängig von diesem Betrieb. Und bleibe dennoch, unterdessen bereits aus Altersgründen, unkorrumpierbar. Auch dies ist ein – strategisch durchaus nachvollziehbarer – Grund, meine Ästhetik keinen Einfluß gewinnen und meine Bücher nach und nach vergessen zu lassen. Das ist um so leichter zu erreichen, als „vergessen“ ohnedies ein Gebot des product placements ist; es muß schnell Platz für die nächste Ware werden.

Schmerzhaft übrigens, daß es auf Amazon >>>> so wenige Kundenrezensionen gibt – als würde das Buch tatsächlich nicht gelesen werden.

Dann eine SMS, die mir das Herz schnürt: „Felsen im Mund“. Welch ein Bild! Besser dann doch n i c h t s im Mund, denken dagegen die Bürger. Und gehen ins Büro.

[Michael Mantler, >>>> Cerco un paese innocente, 1995

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