Ein paar Sätze zur Objetivität der Dichtung. Im Arbeitsjournal des Sonntags, dem 8. Mai 2016.


[Arbeitswohnung, 10.32 Uhr]

Die gerade Linie ist das Schlafmittel der Gedanken.
>>>> Friedrich bei Stern, 384


Seit sieben an den Gedichten. Um fünf kurz auf, um einen Teigling aus dem Kühlschrank zu nehmen, noch einmal zu strecken und zu falten und in die >>>> Stückgare zu geben. Unterdessen ist der Laib, der ziemlich gut aufging, im Ofen, und es beginnt zu duften.
Gestern nachmittag zwei Stunden in der Sonne des Thälmannparks gelegen und gelesen, statt zu laufen; die Waden schimpfen noch immer, nun jà. Vielleicht heute frühabends. Ich will mit dem Gedichtband vorankommen. Auch die Routinen der Inspiration – was redundant ist, denn Inspiration ist eines der Ergebnisse poetischer Routinen – beginnen, neu zu greifen, so daß wirkt, was Friedrich >>>> dort über die Eigenbewegungen des Sprachleibs schreibt. Manche Volte, die ein Gedicht aufgrund seines konkreten und eben nicht metaphorischen oder semantischen Materials vollführt, habe ich tatsächlich nicht vorher gewußt; das meint Friedrich mit dem ruhenden Willen. Selbstverständlich ruht er nicht, sondern will nach wie vor, aber sozusagen will er ins Leere, das erst der Sprachleib selber füllt – der Spachlaib?
Auf die Spur bringt mich nicht die Ratio, jedenfalls nicht in erster Linie, siehe das Motto oben, sondern entweder der Klang, der sich unter anderem in Reimen und Anlauten ausgedrückt, oder die Rhythmik. Das heißt, es scheint eine gewisse Notwendigkeit zu geben, die sich eben dann von Gebastel unterscheidet, wenn die eigene Absicht zurücktritt. Insofern ist das sogenannte lyrische Subjekt das abstrakteste aller Subjekte, damit nicht mehr subjektiv, sondern objektiv, interessanterweise.
Deutlich passiert ist mir das gestern abend bei diesem Brot(!)gedicht:
Ich esse gerne altes Brot

Ich esse gerne altes Brot,
graues, das hart an der Rinde wie Knochen,
die aufjubelnd splittern,
nicht wie das weiche ist,

frisches, das schimmelt
unter den Sätteln,
bevor noch die Zähne es reißen.

Die meinen wollen beißen,
und wäre es den Tod.

Ich bin der Khan geheißen!



Die ersten dreieinhalb Verse liegen bei mir seit 2007 herum. Ich nahm sie mir immer mal wieder vor, kam aber keine Zeile weiter. Erst als ich gestern das „ist“ einfügte, das nun das harte mit dem weichen Brot verklammert, und über den Schimmel nachdachte, von dem hartes Brot, weil ihm die Feuchtigkeit fehlt, nicht mehr befallen wird, war „Haltbarkeit“ mit einem Mal Thema; dazu das martialische Aufjubeln splitternder Knochen. Da war es zu den mongolischen Sätteln nur noch einen Augenblick, unter denen des Khans Truppen das Dörrfleisch mürberitten. Und das Gedicht, eigentlich ganz anders und fast privat gemeint, wandelte sich in die herrische Geste eines Mannes, dessen Grausamkeit längst mythisch wurde. Damit ist auch er selbst, in diesem Fall Dschingis Khan, nicht mehr persönlich, sondern Stellvertreter absolutistischer Herren.
So wendet sich das Gedicht sogar gegen mich, der ich hartgewordenes Brot ja tatsächlich sehr mag, aber diese Art Härte bis gestern nie mit Kriegsakten in Verbindung gebracht habe. Das tat tatsächlich erst der Sprachleib des Gedichtes, zwang sie mir auf.
So kann es geschehen, daß unsere Dichtungen etwas vertreten, das wir selbst zutiefst ablehnen; die Wahrheit ist aber auf der Seite des Gedichts oder des Romans; sie zu ändern wäre nicht nur intentiös, sondern eine Verfälschung. Genau hier liegt die Schwäche aller „gut gemeinten“ Kunstprodukte – daß die in sie hineingezwungene politische Correctness zwar zum Produkt führt und vielleicht sogar zum politisch erhofften Ergebnis, nicht indessen zur Kunst. Was Künstler wollen, als Menschen, ist ihr allenfalls Brennmaterial.
Deshalb haben sich solche, die sich dennoch schützen wollten, oft vereist. Ich denk da zum Beispiel an Jünger.
Wir Künstler müssen mit den furchtbaren Sätzen leben – nicht zuletzt deshalb, weil ihnen furchtbare Sachverhalte entsprechen, die sie aus unsrer Verdrängung ziehen, und bereit sein, eine Schuld zu tragen, die wir persönlich nicht haben oder nur in einem unkonkreten, nicht justitiablen Sinn. Diese Bereitschaft überführt sogar die Schmerzen dss lyrischen Ichs, was immer es nun sei, in die eines anderen/einer anderen, die nunmehr objektiv sind – etwa in diesem Erinnerungsabschiedsgedicht:

Doch auch die Sinne, dahingebreitet.
Nasse Gier war ihr bebender Leib.
Sperma trank sie aus Gläschen.

Unzentief stand im Nabel der Schweiß.
Fordernd waren, nichts als ein Weib,
die Nüstern geweitet.

Dann hob ihr allein noch Ergebung den Arsch,
spreizte die Backen des Tiers, das sich rächt,
ernüchtert ins Weltursprungsdunkeln.

Kein Funkeln mehr, nicht eines Wirs,
das sich vorbereitet, bäumende Kreiß,
war ihr imgrunde nur noch schlecht.



So derzeit meine Arbeit, die ich nur ungern und dann unterbreche, wenn die Einfälle stocken oder im Kreis laufen. Dennoch will ich nachmittags wieder auf die Thälmannwiese, um in der Sonne die letzten vierzig Seiten Friedrich zu lesen. Apulischer Prenzlauer Berg:


ANH

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