III,108 – Kopfameisen

Vorgestern fragte mich mein Besuch, wie man die flinke Bewegung einer Ameise nennen könne, ‘krabbeln’ passe nicht wirklich. Wuseln? Neinnein, es gehe um eine einzelne Ameise. Sie habe am Tag zuvor in den Tischritzen eine solche laufen sehen. Mehr war nicht zu erfahren. Außer, daß dauernd die Suche nach diesem Verb auftauchte. Dieses ihr Fortbewegen wolle sie unbedingt zum Ausdruck bringen. Gestern und auch heute tauchte wieder und wieder die Frage nach diesem Fortbewegungsverb auf. Sie habe schon eine ganze Liste von Wörtern aufgeschrieben, die nicht gehen (sehr doppelsinnig: Fortbewegungsverben, die nicht gehen…). Und wurde mir heute Nachmittag selbst zu einer mentalen Ameise, die mich einerseits an die Billardkugeln erinnerte, die dauernd auftauchten in Humes ‘Untersuchungen in Betreff des menschlichen Verstandes’, aus denen sie gestern abend noch eine lange Passage vorlas (die Ausgangsfrage war, glaub’ ich (ich bin ein schlechter Schüler): ob der Satz ‘morgen geht die Sonne nicht auf’ ein Behauptungsrecht für sich beanspruchen könne oder nicht), andererseits mich wieder ins Bücherregal greifen ließ: italienische Abteilung: Buzzati und ein Kopf voller Ameisen. Und zwar in dem – sagen wir mal so – Ex-voto-Buch ‘I miracoli di Val Morel’ (Text und Bild, Text und Bild). Die Angerufene ist ständig die heilige Rita (lernte das Buch tatsächlich erst kennen und schätzen, als mir selber mal eine solche leibhaftig über den Weg lief und in gewisser Weise Wege auch stellte). Hier der Text zu den >>>> mentalen Ameisen (hier die >>>> Website, woher das dem Link davor unterlegte Bild stammt): Ich, Angelo Dal Pont, Drucker aus Polpet, wurde ernsthaft durch geistige Ameisen gestört. Die mir sagten: Weißt du, daß es dich nicht gibt? Oder, falls es dich gibt, dass es um dein Dasein schlecht bestellt ist? Wieso ißt du überhaupt Fischfleisch? Warum hast du dich nicht eingefügt? Oder: Magst du uns Ameisen eigentlich? Weh dir, wenn du dich unserer Liebe nicht unterwirfst. Bis ich eines Abends die Heilige um Beistand bat, die herbeikam, in die Hände schlug und sprach: Oh là là, ihr altklugen Tierchen, laßt ihn in Frieden. Und so kam’s, durch die Gnade des Allmächtigen. Seitdem konnte ich heiteren Gemüts meiner Arbeit, meiner Familie, des Gottesdienstes pflegen. Longarone 1871. Fischfleisch… Morgen früh zur Fischhändlerin! Sie habe selbst einen Text dazu, blieb indes rätselhaft. Ein Buch, in dem sie derzeit dauernd liest, trägt den Titel ‘Scham’…

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3 thoughts on “III,108 – Kopfameisen

  1. In den Einkerbungen der Holztischplatte krabbelt eine Ameise. Ein kleiner Minotaurus im Ritzen-Labyrinth. Bleibt abrupt stehen, hebt das Totenköpfchen mit den Beißzangen in den Küchendunst und wittert kontingentes Entkommen. Rennt dann aber doch weiter. Immer die Einkerbung entlang. Seit wann sind Minotaurussen linientreu. Na komm schon!
    H. kommt, und stellt einen Topf mit Dampf-Kartoffeln auf den Tisch. Im Labyrinth darunter haucht der kleine Minotaurus sein Leben aus.
    Ich sage nichts. Denke aber, Instinkt ist total überschätzt.

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