III,110 – Fliegenorakel

Ich habe gerade mein grünlich changierendes Seidenhemd angezogen, das ich eigentlich nur am Nachmittag trage, wenn die Unterarme anfangen feucht zu werden und die Wörterbuchseiten förmlich in sich aufsagen. Denn es ist leicht, hat aber lange Ärmel. Aber auch wieder so leicht, daß ich grad’ niesen mußte, denn, wie schon gesagt, die Poren der Wohnung sind ständig offen und Wind zieht hindurch an den späten Nachmittagen und im Übergang von Tag zu Nacht. Zwischendurch hatte ich das wieder neuerstande karierte Hemd (Farben ein bißchen à la français) für Draußen angezogen, weil ich zum Tabaccaio mußte. Komische Regeln, ich weiß. Mein Besuch war während dieses kurzen Abstechers noch unterwegs, also machte ich einen Zettel an die Tür: “Torno subito” (mit deutscher Übersetzung). Sie traf dann zwei Sekunden vor mir ein, so daß immerhin die Zettelmühe ihre Wirkung entfalten konnte. Ick bün all dor. Von dem, was mir der Besuch bzw. sie mir dann an Aufnahmen zeigte von einem sehr mysteriösen und winddurchpfiffenen Amelia mit brennenden Lampen am hellichten Tag benahm mir sofort alle Lust an Wortklauberei: es hätte jeden Text sehr schön ersetzt. Mal schau’n, ob nicht ein youTube daraus zu basteln wäre. Und so in Fotolaune, war’s an mir, sie abzulichten inmitten malerischer Unordnung. War nicht leicht, sie zufriedenzustellen in dieser Hinsicht. Peu à peu ans Essen gemacht. Irgendwas mit Reis und Kapern und Thunfisch und und und. Auch noch etwas Gewürz aus einer Tüte, die letztes Jahr im August ein anderer Besuch aus Rom mitgebracht. Besuche haben etwas den Alltag lange Zeit nachhaltig Überschwemmendes. Dann nach dem Essen: “Ich weiß nicht, was ich schreiben soll. Mir fällt nichts ein.” (Ein ‘nix’ jetzt vermeidend, denn gestern war Descartes dran (über diese Zweifel schreiben, meinte sie à propos des Textes, allein ich trau’ mir nicht zu, Descartes zusammenfassen, das würfe mich selber wenn schon nicht aus dem Zugfenster (was ja verboten ist), dann aber doch in arge Selbstzweifel)). Irgendwann hatte sie gelacht am Nachmittag. Saß draußen in meinem Küchenlehnstuhl für die obere Hälfte des Körpers und mit einem Stuhl für die Beine. Siope kauerte unter dem Eingangstreppchen, als ich schritt zur Weltinspektion mit der Zigarette in der Hand. Sie glaube, Siope sei nicht wirklich eine Katze, sondern ein, na? Cavolo (die neulich erwähnte Verschiebung von cazzo! zu cavolo)! Sie habe es zwischen den Hinterbeinen ziemlich rasch bemerkt. Und lachte. Nun guckte ich auch hin. War da was? Mit Bestimmtheit kann ich’s immer noch nicht sagen. Gut, sagt’ ich, dann nennen wir sie halt Jupp! Die Berg im Mondesschimmer / Wie in Gedanken stehn (Eichendorff), über welche aufs Geratewohl aufgeschlagene Stelle grad eine kleine Fliege lief.

III,109 <<<<

2 thoughts on “III,110 – Fliegenorakel

  1. “Ick bün all dor.” Schöner Lesefehler, eben: Ick bin all door (für “I am all door”). Und gedacht: ‘Wo der Besuch immer hinguckt.’ Also ist’s ein Sióp – doorhalber.

    Und hier gibt’s einen Fliegrich, der sich zähe behauptet. Seine Kumpanchen sind weg oder tot (im Fluge vergiftet). Er hingegen widersteht jedem Sprühn, und triumphierend nervt er weiter.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .