III,178 – Was für ein Leben

Zünftig sieht’s wieder aus im Hof. Man hat seinen Holzstapel, und sobald er fertig war, fing’s an zu regnen, erst leicht, dann dichter, dann auch wieder gar nicht mehr. Der es mir raufbrachte, verdoppelte sich später. Einer aus der Nachbarschaft, den ich nur vom Sehen kenne. Auch einer, der darauf aus sei (erklärte man mir beim angebotenen Caffè), Gelegenheitsarbeiten zu erhaschen, weil ohne feste Arbeit. “Was kommt, das kommt.” Aus der Nachbarschaft seien noch weitere Bitten gekommen, Brennholz entsprechend zu stapeln, das beim Anliefern einfach in die Gasse abgeladen wird. (Früher bei uns die Briketts). Am Ende verlangte er dann doch nicht mehr, als ich ihm das letzte Jahr schon freiwillig zugesteckt.
Ich tat so, als ob ich arbeitete in der Zwischenzeit. Es war nur noch der Oman-Text geblieben, und ich kam mir vor wie auf einem Sofa. Diwan wäre falsch. ”Nie ist ein Sofa ein Möbel für Vorzimmer gewesen, und so wurde ich bei der Dame, der ich gehören sollte, in einem Gemach aufgestellt, das abseits von den übrigen ihres Palastes gelegen war… (Crébillon fils, Das Sofa). Heißt, nicht mehr die übliche Pluralität der Texte, die man wie in einer Art Simultanschach in Angriff nimmt. Sondern nur noch Sultanat. Sachlich wie nur was. ”Meinetwegen!” antwortete der Sultan… (ebd.). Nur ein paar Sachen, die sozusagen anregten: eine ausgegrabene Stadt, in der einst indische Händler überwinterten in Erwartung der rechten Winde, um nach Indien zurückzukehren. Und mich tadelnd mit dem Kopf schütteln: Tausendundeine Nacht: nie gelesen, nur so Brocken.
Während draußen ab und zu Holzscheite auf das Hofpflaster polterten, kam auch Ninno vorbei. Übliche Scherze: er wohne da und da, und man könne doch die noch ausstehende zweite Holzladung dort abliefern…
Grad von der heutigen Damigiana das erste Glas eingeschenkt, die schon sehr merkwürdig verschlossen war, denn sie trug eine Plastikfolien-Perücke unter dem Schraubverschluß (er sei etwas zu groß geraten der Verschluß…): auf der Oberfläche des Weins schwammen so etwas wie Fettaugen. Beim zweiten Glas jetzt nur noch Fettpünktchen. Wahrscheinlich eine der Ballonflaschen, in die auch schon mal Olivenöl geraten ist.
Während ich noch im Crébillon fils blätterte, klopfte es: der Ukrainer, dem ich mein Auto geliehen hatte, um zum Zahnarzt zu fahren, weil seins in der Werkstatt steht. Kühlbeutel auf der rechten Wange. Komplizierte Zahnextraktion. Schmerzen. Ich erzählte, wie ich mal von einer solchen aus Rom mit zunehmenden Schmerzen im Zug bis Orte und dann im Auto zurückgekehrt sei, ohne etwas dagegen tun zu können in meinem Unterwegssein, um dann den ganzen Nachmittag vorm Fernseh’ zu sitzen. Es war der 11. September 2001. Ja, sagte er, genau an dem Tag sei seine Großmutter gestorben. Und er habe jetzt erstmals bei Gericht für einen Ukrainer gedolmetscht. Also sinngemäß: es gehe voran. Aufrichtige Glückwünsche meinerseits.
Am Nachmittag, der Montaigne-Zeit, dann so eine Art Hut-Ab vor der Belesenheit dieses Mannes. Weil er über die Begebenheiten des Cortez berichtete. Über die Menschenopfer, darüber, daß die Azteken Krieg führten, um so viele Gefangene wie möglich opfern zu können. Entropie des Sonnenkults. Ich las mal einiges darüber. Mich interessierte das Thema des Herzausreißens. L’arrache coeur.
Er hatte mal eine Herzneurose. Manchmal denkt er noch daran zurück. Dann aber retten ihn die Azteken. Aber das hatte er vielleicht schon protokolliert, wie mittlerweile auch dieser Tag es ist.
Er streckte sich. Was für ein Leben. Und kein Mensch da zum Psychoanalysieren. (Vian, Der Herzausreißer).


i palpiti
i palpiti
i palpiti

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .