III, 307 – liechtensteinsch

Nach dem rasch gelöffelten Minestrone (nebenbei wie üblich das rasche Überfliegen der Zeitungen auch im alten, nun nicht mehr geläufigen Sinn) kippte mich das Arbeitskonzentrat des Tages in eine merkwürdige Sehnsuchtsbrühe aus Rausgehen-Wollen, Bier-bei-Valda-Trinken-Wollen, Ins-Kino-Gehen-Wollen, obwohl mich der Film überhaupt nicht interessierte: ein alternder >>>> Neil Young (weiter unten auf dieser Seite) unterwegs irgendwo in Ontario, dazu Konzertaufnahmen von dort. Gehörte nie zu meinem Audiorepertoire, auch wenn ich ihn wahrgenommen.
Blieb aber dennoch merkwürdig unentschlossen. Erstmal abwaschen. Die langgewachsenen Haare stylen (wer weiß, wie lange ich das durchhalte mit dem langen Haar: es ist zumindest ungewohnt, wenngleich etwas mir nicht Unbekanntes). Das Abwaschen hinterließ dunkle Flecken im grauen T-Shirt.
Ich zog das rote an, mit dem blauen Leinenhemd darüber. Ich laufe derzeit dauernd so herum, d.h. in der Kombination blau/grau. Ich brauchte dann eine halbe Stunde, mich an die Rot/blau-Kombination zu gewöhnen. An Neues kann ich mich schlecht gewöhnen, sofern das Alte nicht doch schon schwer langweilig geworden. Für das Bier bei Valda war’s nunmehr zu spät.
Wahrscheinlich wollte ich das erreichen. Denn ich hatte ja schon Wein getrunken.
Endlich ertappte ich mich beim Zuschlagen der Tür von außen. Ich ging betont langsam, fast wie schwebend. Stehenbleiben dann vor der Landschaft. Eine trat aus der Haustür. Lugte kurz zu mir hin. Rief dann wahrscheinlich den Namen einer Katze, den ich aber nicht verstand.
Und erreichte das Stadttor vorbei an besetzen Kaffeebar-Tischen. Einen Kaffee trinken, dachte ich. Rechts die Bar vor dem Tor, die ich gewählt hätte, machte zuviel Remmidemmi. Die andere links, in die ich ging, hatte als Gast außer mir in meinem Blaurot (ich war mir den ganzen Abend dessen bewußt (zwar sind’s die Farben von Liechtenstein, aber wer weiß das schon, selbst in der zweiklassigen Dorfschule war ich der einzige, der sagen konnte, wie dessen Hauptstadt heißt)) nur noch einen Mann auf Krücken. Fürsorglich wurde ich gefragt, ob ich ein Glas Wasser wolle. Nicht recht wissend, was antworten, sagte ich schließlich ja. Woraufhin wie in einem Schaltplan die nächste Frage kam: mit oder ohne Kohlensäure?
Weitere Optionen waren nicht vorgesehen.
Ich begann dann aber doch zu spüren, daß ich allein durch die Gegend stiefelte. Und erreichte immer noch zu früh den Chiostro Boccarini, der für die Projektion des Films unterm Himmel vorgesehen war. Aber doch schon mal Bluesmusik als Präludium. Lehnte mich an die eine und andere Säule, ging zu den Stufen, die auf den Platz davor gehen. Leute kamen.
Irgendwann auch der norwegische Kollege, der hier jetzt seine Sommerferien wie jedes Jahr verbringt. Vor zwei Tagen sah ich auch seine Frau kurz beim Hinuntergehen. Dummerweise fiel mir ihr Name nicht ein, und so ging das zwar in einem zögernden Wiedererkennen aneinander vorbei, aber eben doch in absoluter Namensabwesenheit. Was immer ein Hemmnis ist.
Er half mir darüber hinweg, und ich durfte zwei Zeilen aus ‘Gravity’s Rainbow’ zitieren, die ihren Namen zum Thema haben: “Julia, you make me peculiar.” Da freute er sich. Und ich sagte, ich sei eigentlich nur hier, um den Kopf von der Übersetzungsarbeit zu befreien: tabula rasa.
Selbst Peter Stein tauchte irgendwann auf in weib-/männlicher Begleitung. Hinzu kam ein Motorradpärchen aus Rumänien, das behauptete, es sei unterwegs nach Marokko. Wäre der Weg über Spanien nicht doch bequemer?
Der Film war nicht wirklich begeisternd. Die Rundfahrten in der alten Heimat eher langweilig. Die Konzertaufnahmen insofern interessant, als die Kamera sich penetrant auf den singenden Mund richtete. Ich dachte, das dürfte man mit mir nicht machen, denn da fielen mir ja alle Prothesen heraus. Ich konzentrierte mich also auf die Augen, die, wie ich erwartete, oft nach innen gerichtet waren. Das war eine Studie für sich. Das war das Natürliche daran, daß sie auch manchmal plötzlich das Außen in Augenschein nahmen, um dann gleich wieder in sich zu verschwinden.
Ich schaute ab und zu nach oben in den Sternenhimmel über dem Kreuzgang. Irgendwann erblickte ich eine Sternschnuppe. Das erste Mal, seit ich vor zehn Jahres meinen Landaufenthalt beendete.
Nach dem Film sollten noch Interviews dazu projiziert werden, aber während die anderen blieben, ging ich, der ich zwar noch in meinem Alleinsein nonchalant im Hinunter gewesen, beim Wiederhinauf doch mit einer Art “fardello” beladen war, was dieses Alleinhinaufgehen betrifft. Kein wirklich “stolzes Alleinsein” (Eigner, Mammut) mehr.
Ich, Pflanze, muß in meinem eigenen Garten leben. Bin auch heute nicht draußen gewesen. Die nächsten beiden Tagen arbeitsmäßig feurio!

III,306 <<<<

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