Zurück in der Zeit. Das Arbeitsjournal des Sonnabends, den 30. September 2017.


[ICE Düsseldorf-Berlin, 12.47 Uhr]

Weites Hügelland, zwei Reitställe, eine Reithalle, angrenzend Wald. So das erst künftige Ziel. Einigermaßen außerhalb Düsseldorfs, wo ich kurz noch Freund Faure auf ein… tja, ich sage immer Kölsch traf, womit ich mich in dieser Stadt regelmäßig unbeliebt mache. Der Bajuvare, Freundin, muß wissen, daß in DDorf Alt getrunken wird. Ich indessen beharre auf Kölsch. Normalerweise bricht der Freund dann besser das Zelt wieder ab, das wir eben doch erst aufgeschlagen in dieser Kneipe haben (“Pinte”, zu denken ans englische pint). Normalerweise müssen wir dann flüchten. Er, hochnervös, blickt sich ständig nach Verfolgern um – staatlichen, denn DDorf hat ein Altgesetz, das den Genuß von Kölsch mit noch schärferen Strafen belegt als den von, sagen wir (und müssens leider sagen) Augustiner. Schon das Wort nur auszusprechen, zieht Verwarnungen nach sich, denen, zahlt man die noch kleine Summe nicht, Bußgeldbescheide folgen. Für Kölnischwasser gilt dasselbe. Allein schon ein gesprochenes Wort mit “Kö” zu beginnen und aber nicht damit auch zu enden, führt zu hochgezogenen Augenbrauen; nicht wenige Bewohner der Stadt reagieren mit dicht unterm Auge zuckenden Wangen, andere schlagen zu, ohne abzuwarten, ob’s nicht mit “hler” weitergeht. Und wagen Sie nur nie, “Köpi” zu sagen; dann haut der Ekel doppelt zu.
Also normalerweise taucht mich dann der Freund in seiner Wohnung unter.
Gestern aber ging das nicht. Ich mußte eilig weiter. Also führten wir unser Gespräch bierlos-nüchtern auf der Straße. Bevor die vierspännige Droschke kam, um mich abzuholen. “Hü!” brüllte der Kutscher und ließ die Peitsche pfeifen.
Ulli winkte mir kurz nach, und erlöst. Wie er die Kneipe aber wieder betrat, das konnt’ ich nicht mehr sehen.
Jetzt traf die Peitsche auch. Die Gäule schrieen auf vor Schmerz.
Mit jedem zurückgelegten Meter fuhren wir tiefer ins Vorbei. Ich merkte es erst, als die Bomben stiegen. Lehnte mich aus dem Fenster und verrenkte meinen Hals, um den Himmel zu sehen. Die Flugzeuge nahmen, rückwärtsfliegend, die Bomben auf – sie sahen wie Stubenfliegen aus, die Torpedotrachten trugen -, dann schlossen sich die Klappen. Schon durchrappelten wir den Deutsch-Französischen Krieg. Für den Bruchteil einer Sekunde trat Bismarck auf ein Rednerpodest. Dann hißten Jakobiner Mützen, Büchsen und Fahnen. All das ging haarsträubend schnell. Schon fluteten Landsknecht’ das Land, denen wir bloß auf ein Nu kaum entkamen.
Erst 1633 hielt die Droschke an, wo mich die Bauersleute empfingen. Freundin, ja!, das “wo” steht hier richtig: Die Zeit war ein Ort, war mehr noch ein Gebäude. Sie war ein mächtiges, doch unter schweres Riet geducktes, gleichsam gestauchtes Bauernhaus von Stein, gekalktem Lehm und Fachwerk. Das Vieh mit der Stube unter nämlichem Dach.
Es waren bedürftige Menschen, die nicht wissen konnten, die Zellen großen späteren Reichtums, ja sogar Adels zu sein. Dennoch waren sie glücklich – schon weil ihr Haus zu abseits gelegen, als daß die marodierenden Horden sei’s Tillys, sei es Christian von Braunschweigs gefürchtet werden mußten. Allenfalls verirrte sich mal ein Räuber hierher, um an der Mistgabel zu scheitern; war er zu zäh, an der Axt.
Die Bauerngatten hatten so Muße, die Ahnen meiner Contessa zu zeugen – ein Buchen-, Eichen- und Erlengeschlecht.
Auch vom Nachbarhofe – zehn Lanzenwürfe entfernt – kondukteten die Menschen her, um meine Ankunft mitzufeiern. Ich trank dermaßen viel Mirabellenschnaps, daß ich erst früh mit >>>> Ecker wieder erwachte, der heute von einem Ausblick vom Keller hinab in die Höhe erzählt. Man sieht, in der Nase den Geruch des Mörtel- und Mäusedrecks, das spitze Dach des Doms. Bloß welchen, das erfahren wir nicht, weshalb wir aus der Geschichte nur mit leichten Schwindelgefühlen wieder hinaustreten können.

Zurück in Berlin gegen halb siebzehn Uhr, in der Arbeitswohnung eine Viertelstunde später. Fünf Stunden Tonaufnahme bringe ich mit, die transkribiert werden müssen. Heute freilich nicht mehr. Heute erwartet mich, aus Napule zurück, mein Sohn. Und während der Bahnfahrt ist’s zu unruhig, um Soundfiles verläßlich abzuhören. Doch vielleicht bekomme ich jetzt den Kark-Jonas fertig. Viereinhalb alte Seiten sind es noch.

Nachricht aus Wien: >>>> Unser Joyce geht nunmehr in Druck und Bindung; leider, leider sehr teuer.

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