Der Flaneurin Anneke Lubkowitzens „Falling through the map‟, glitchend mit Miéville.

Glitchen heißt, sich Wurmlöcher und unvorhergesehene Abkürzungen zunutze zu machen, sich den Gesetzen der Spielwelt für einen Moment zu entziehen.
Falling S. 8

Jede Pfütze Ozean.
ANH, Thetis.Anderswelt

Wenn sich die „intellelle‟[1]tanzende Forellen im hausgemachten Apfelmus; Sulke, → Die Intellektuellen Freundesgruppe im Valentin’s am Südstern trifft, liegen oft von uns Teilnehmerinnen und Teilnehmern zum Verteilen mitgebrachte Bücher und Zeitschriften auf dem sonst von vor allem Bier und Brezeln bewohnten Langtisch; später noch kommen Mahlzeiten hinzu, so daß sich aus den Überstücken ausgesucht schon sein sollte; einer von uns, der selbst in seinen Hunderten Regalen unter Platzmangel leidet, „mistet‟ ungern zwar, doch besonders häufig aus, was er zugleich nicht wegwerfen will. Gestern hatte sogar ich zwei Titel dabei, die ich auf der Leipziger Messe vorm Makulieren rettete. Doch fand nun selbst etwas – wobei es eigentlich ein einziger Satz war, der mein Interesse weckte:

Das Faszinierende an Gespenstern ist, daß sie sich nicht an die Gesetze halten müssen, die uns Lebenden auferlegt sind, diese aber bei ihrem Übertreten ins Gedächtnis rufen.
Falling S. 7

Geisterwesen als Erkenntnisträger, da bin ich daheim. Und blieb es. Daß →  die Autorin weibliche Sichtweisen präferiert, ist dabei zum einen im Wortsinn natürlich, gibt aber auch dann einen Erkenntnisschub hinzu, werden die Schußfolgerungen nicht in jedem Fall geteilt. Denn

Die Frage aber, wer die Stadt programmiert, ist nicht erst berechtigt, seitdam man von Smart Cities spricht, Städten, in denen Algorothmen das Wohnen maximal optimiert haben,

sondern

schon in den Achtzigern schrieb Michel de Cetreau (…) über die Taktiken, mit denen sich jene, die sich gehend im Netz der Straßen verlieren, die Stadt selbst zu eigen machen, denn auf seinem Weg verwandelt der Gehende [die Gehende selbstverständlich auch, ANH] jeden räumlichen Signifikanten in etwas anderes.
Falling S. 9

Es ist aber nicht das virtuose Spiel der zititerten Theorien, was Lubkowitzens kleinen Essay so reizvoll macht. Vielmehr ist es die sinnliche Beobachtungskraft, die uns den beschriebenen Spaziergang von etwa Höhe Wollankstraße/Pankow übers Wedding bis in die Stromstraße/Moabit derart reizvoll mitspazieren läßt, zumal die Autorin ihm quasi zugleich auch auf Googlemaps folgt und dort durch zwei verschiedene Jahreszeiten spaziert; gleichsam schaltet sie die virtuelle mit der realen Welt zusammen, und beide sehen einander ins Gesicht. Obwohl sie sich doch gegenseitig auszuschließen scheinen. Nein, sie sind Eines, wenn auch eben nicht identisch. So daß sich die Frage

Kann das minuziöse Gehen durch die Stadt sichtbar machen, was man sonst nicht sieht?
Falling S.7

in diesem schönen Text ganz selbst die Antwort gibt.

Auf dem sich nach oben wölbenden Kopfsteinpflaster im Schatten der Kastanie würden schwere Kutschpferde auch einem kritischen Blick zweifellos standhalten. (…) Aber schon hat mein Schreiben meine Schritte überholt, tatsächlich stoße ich auf der Prinzenallee noch vor der Einmündung der Gotenburger Straße neben einem verlassenen Spielplatz in einer Häuserlücke auf ein merkwürdiges Echo meines eigenen mir noch völlig unklaren Unterfangens.
Falling S.14

Genau hier liegt eine der, ich möchte schreiben (und tu’s somit), sanften Stärken dieser, ja, Prosa, daß sie sich sehr, sehr offen hält, obwohl die feministische Sicht der Autorin deutlich auf der Hand liegt. Paradoxerweise werden die Szenen nur umso plastischer:

Der Schultheiss der zugehörigen Brauerei prostet mir über den Lidl-Parkplatz hinweg zu, allerdings mit deutlich verblaßtem Eifer. Die gesamte Belegschaft von Unmut Coiffeur steht draußen und raucht. (…) Wie Schutzheilige blicken die Boateng-Brüder auf die belebte Kreuzung, doch kaum jemand schaut zu ihnen hinauf. Auf dem Boden dirigiert die Ampel die Schwärme von Fußgängern und Autos, in der Luft synchronisieren die Tauben das Schimmern in den Innenseiten ihrer Flügel.
Falling 15

Und auf so etwas wäre – selbstredend – ein Mann nie gekommen:

Wie um das Gefühl der Einsamkeit noch zu verstärken, prangt auf der Bushaltestelle ein Werbeplakat für den Echo Dot von Amazon. ALEXA, SCHALT DAS LICHT IM SCHLAFZIMMER AUS. Ich ärgere mich erst

was mir, dem Verfechter des „Sie‟s, noch stets genauso ging,

über die fehlende Höflichkeit in der Aufforderung, bis ich realisiere, daß es der weibliche Name ist, der mir das Gefühl gibt, selbst die Befehlsempfängerin zu sein.
Falling 17

Ja verdammt, da hat sie recht; das fühl ich sofort mit und danke für die Perpektive sehr. Aber was mich dann tatsächlich dazu brachte, über diesen kleinen Text zu schreiben, ist die folgende Passage:

– mein poetisches Unterbewußtsein scheint mehr verstanden zu haben als ich.
Falling 18

Ja und nochmals ja. Erst hier fängt Dichtung an. Und findet ihre Formulierung:

(…) jedes Mal, wenn ich wieder in der Nähe des Nordhafebns bin, ist da ein neues Bürogebäude, das die Weite der Brachfläche zuschnürt.
Falling S. 19

Ich könnt zitieren und zitieren, doch laß es nunmehr sein. Sonst müssen Sie sich, Freundin, das Heft ja gar nicht mehr besorgen.

 


Anneke Lubkowitz
Falling through the map
Geheftet, 24 Seiten
SuKuLTuR, Berlin 2018
2 Euro
ISBN 978-3-95566-075-8
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References

References
1 tanzende Forellen im hausgemachten Apfelmus; Sulke, → Die Intellektuellen

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