Ferengeburt. Horcynus Orca (2), Sätze II.

[Fotografien (©):
Rüdiger Hengl via → Meeresakrobaten]

 

Die Weibchen, die ein Kalb zur Welt brachten und dabei auf der rechten Seite lagen wie Schiffe, die an der Wasserlinie getroffen worden waren, schwammen zu den Grotten mit dem sich schon im hinteren Teil widerwillig anzeigenden Geschöpf, halb drinnen und halb draußen, am Schlitz unter dem Bauch, zur Fluke hin, wo sich ihre einzige Öffnung befindet, außer der großen des Mauls, und die dient ihnen zu allen Verrichtungen: Paarung, Werfung, Säugung[1]Tatsächlich liegen die beiden Zitzen je links und rechts der Geschlechtsöffnung, in der die Delphinschnauze einen guten Halt findet, während die Zunge des Delphinkalbs nach der Zitze tastet und … Continue reading und die Erledigung großer und kleiner Notdürfte. In den Wogen und Schaumrössern, die sie zu den Grotten trieben, bestand ihre einzige Sorge darin, ihren unteren Bauch vor den Sturzwellen zu schützen, mit jenem Bürstchen des Flukenendes, das ihnen aus dem Schlitz heraustrat und sich vor der Weiße des Bauchs mit seiner eben aus dem Schleier herausgetretenen blauen Haut, die in der Gischt bald leuchtete, bald wie Sahne wirkte, worin sie dem ständig wechselnden, glänzenden, duftigen Blau einer großen Pflaume verblüffend ähnelte. Nicht immer, doch hin und wieder kam es vor, dass man sie buchstäblich auf die Welt kommen sah: eine einzige oder höchstens ein Paar, auch darin den Christenfrauen entsprechend, mit dem Unterschied, dass sie nie auf drei, vier oder mehr kamen, vielleicht, damit sie sich die Linie nicht ruinierten. Man sah sie in dem Augenblick, wo die Mutter presste und presste, deren Gesicht aussah, als hätten Sturzwellen es bespritzt, dabei war es der triefende Schweiß, und sie ein feines Röcheln von sich gab, über das die Menschen dort bei geschlossenen Augen gesagt hätten, sie würden wohl eher hinter der Türe eines Zimmers stehen, wo eine Christenmenschin kreißte, als auf dem Felsen der ‘Ricchia und einer Fere bei der Geburt ihres Kalbs zuschauen. Die Mutter lag dabei fast völlig auf dem Rücken, so, als würde diese letzte Anstrengung sie unten zerdrücken, und schleuderte dieses Hemmnis aus sich heraus; das Kälbchen schoss hervor, formte sich in der Luft zu einem S und tauchte gleich, schon mit offenen Diebsaugen, ins Wasser: Dort, nach einer irgendwie beeindruckenden Balgerei, bei der es mit der Mutter in einem einzigen Aufschäumen verschwamm, setzte es sich mit einem entschlossenen Ruck an demselben Schlitz fest, aus dem es herausgeschossen war, und saugte wie ein Neugeborenes an der Brust. Das Kälbchen saugte, die Mutter schwamm, sie schwamm ihrer Wege und kehrte zurück, mit der einzigen Beschwernis, dass sie sich in einer dreiviertel Position befand, der Säugling quer dazu und vollkommen waagerecht, auch wenn er, nachdem er gesäugt worden war, ein Schläfchen machte, wie es bei jedem Jungen vorkommt, mit dem apfelfarbenen Schnabel an der Öffnung des unteren Bauchs, wo der milchige Saft rinnt, der so klebrig sein muss wie der von noch unreifen Feigen. Und dann sah man, nach einigen Monaten dieses Säugens, wie sie sich von selbst entwöhnten, wie sie der Mutter einen Tritt versetzten, das Wasser eroberten, aufschossen und sich dem schönen Leben hingaben.

Stefano D’Arrigo. Horcynus Orca, Roman (German Edition, Fischer E-Books, dtsch. von Moshe Kahn)
Kindle-Positionen 3217-3238
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1 Tatsächlich liegen die beiden Zitzen je links und rechts der Geschlechtsöffnung, in der die Delphinschnauze einen guten Halt findet, während die Zunge des Delphinkalbs nach der Zitze tastet und sie umwindet. Genaue Beschreibung siehe → dort.

1 thought on “Ferengeburt. Horcynus Orca (2), Sätze II.

  1. Manche Verlage sind etwas schlampig bei der Umsetzung ihrer eBooks, aber Fischer hat die Seitenzahlen der Druckausgabe mit drin, jedenfalls ist das bei meiner ePub-Version so. Ich glaube, man muss im Kindle nur die Anzeige der Seitenzahlen einschalten. Das würde jedenfalls für Besitzer der Holzausgabe die Nachvollziehbarkeit der Zitate erleichtern.

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