Geschafft. Und schwimmend nun – ACT sei gedankt – in Duos von Wollny und Kühn. Wenn auch der Schädel Schillers neu eine Rolle spielt.

           Hat jetzt doch länger gedauert, als ich erst glaubte. Ich hatte sogar gedacht, früher fertig zu werden als sonst, weil ich Elster ja schon kannte. Aber die dortigen online-Formulare verändern sich von Jahr zu Jahr, wie mir ein Mitarbeiter an der Hotline, sagte; nicht grundlegend zwar, aber doch spürbar. Und wo ich nach Inhalten buchführe – “Reisen”, “Bankkosten” “Bewirtungen”, “Büro”, “Tonstudio” usw. – will Elster die einzelnen Beträge nach der fiskalischen Bedeutung aufgelistet wissen. Imgrunde, für “normale” Menschen, zu denen ich nicht gehörte, sind ausgebildete Steuerberater oder -innen unumgänglich; man kann fast schon von staatlichem Protektionismus sprechen. Es muß jemand schließlich die Zeit und die Zähigkeit haben, sich eine knappe Woche lang in alles einzufuchsen, dauernd Fehler zu machen und sie wieder und wieder zu korrigieren. Ich will aber nicht abhängig von jemandem anderes sein, sondern selbst entscheiden und mich durch-, nun jà, -“kämpfen” — um es schließlich auch geschafft zu haben und diesen kleinen Sieg dann auch zu genießen, einen der eigenen und möglichst umfassenden Autonomie.
Auch der Schreibtisch ist nun wieder normal in Form, so daß ich endlich meine fast schon vollendete → Rumiz-Rezension werde abschließen können. Was ich heute noch tun will.

 

          Traurig ist nur, seit ungefähr zwei Stunden, der Blick aus meinen Fenstern wieder. Abermals wurde die wilde Jungfernrebe → weggerissen, die mir, von der Fassade des Nachbarhauses aus herüberwachsend, im Sommer wieder → eine solche Freude bereitet hatte. Ich bin sehr betrübt, doch immerhin sofort hinabgelaufen, um mir ein paar Ranken vom Haufen zu nehmen, die nun hier in einer Vase stehen, weil ich hoffe, daß sie Wurzeln treiben. Sollte es geschehen, würde ich sie außen auf dem Fensterbrett in ein langes Gefäß pflanzen, das ich allerdings werde irgendwie verankern müssen. Und dann, falls alles funktioniert, sehen wir mal weiter. Schon bei der ersten Migrantenvertreibung durch Wegriß habe ich mich informiert; eine Gefährdung der Fassade besteht durch diese Pflanze nicht. Eine – überdies derart kostenlose – Begrünung würde außerdem bis zu 30 % der Heizkosten sparen, ist also ein deutlicher Beitrag zum Umweltschutz. Aus ökologischen Gründen frag mich eh, weshalb solch eine Vernichtungsaktion nicht mit zumindest Ordnungsgeld geahndet wird. Stattdessen baut Berlin weiter an der A100.

          Doch insgesamt, die Zeiten sind, um es euphemistisch auszudrücken, schlimm. Die alte Abschreckungsideologie kommt wieder hoch; sogar von Atombomben wird “neu” geträumt – parallel zum neuen alten Antisemitismus: Sollte das wirklich ein … , nun jà, “Zufall” sein? Doch ist in diesem Falle  leider wahr, was Schiller schon bekunden ließ: Es kann der Frömmste nicht in Frieden, wenn es dem bösen Nachbarn usw. — wohltu’nd allein, daß der Mann den Dativ noch beherrschte und nicht “dem Nachbar” schrieb. Obwohl er Schwabe war … (Goethe soll sich seinen Schädel auf den Schreibtisch gestellt haben, also als er, Schiller, tot war.[1]Goethe war Anhänger der → Gall’schen Schädellehre, der späteren Phrenologie, die die Nazis bis bestialischst weitertrieben, von dem Dichter gleichsam noch bestärkt.Wobei, es war der falsche.)

Wollny und Kühn, → “Duo”. Soeben erschienen. Der eine ist sechsundzwanzig, der andre achtzig Jahre alt. Wunderbar Kühns Hommage an seinen älteren, vor anderthalb Jahren verstorbenen Bruder Rolf. Und Wollny und er klingen, als spielte derselbe Mann mit vier Händen. Die “Bemusterung” kam vor knapp einer Stunde herein, eine perfekt abgemischte Wave — nach → Bałdych und Możdżer die nun endlich mal wieder zweite ACT-Veröffentlichung, die ich unbedingt besprechen will, musikalisch hochintelligent, melancholisch verspielt, mitunter meditativ und ohne auch nur die Spur von Wohlklangskitsch —

          — “Kitsch”, ja, à propos: Wie gut es tut, meinen Arco-Verleger über → die Triestbriefe sprechen zu hören, die er jetzt ja liest; nur noch 120 Seiten fehlen ihm, “und es wird immer dichter. Ja! es werden dich viele nicht verstehen, all die Anspielungen nicht verstehen … aber wer sich einläßt auf diese Ästhetik, ich weiß einfach nicht … also wenn ich fertig bin, was soll ich denn dann lesen? Dagegen sind die meisten Bücher plan. Wer schreibt denn n o c h so wie du? derart bildhaft und doch eng verschlungen … Wie da alles zusammenläuft?” — “Nun jà”, gab ich zur Antwort, einfach nur spontan, “Pynchon … deLillo … d’Arrigo …” Kurzes Zögern: “Verzeih, selbstverständlich Christopher Ecker, ja, der auch. Wenn er mal wieder will.” Krausser, in seinen besten Büchern — die, wenn sie’s sind, zu d e n besten zählen, allerbesten. Nicht anders Christian Krachts. Und wenn ich an die Frauen denke … Da ist’s aber meist nicht die Konstruktion, die mich benimmt, sondern fast immer der Ton, d e r | und die emphatisch-zarte, diskret-autonome Distanz, die in dieser Sorgfalt Männern wie mir nicht gelingt. “Und du wirfst”, sagte mein Verleger weiter, “über diese Stadt ein ganzes Netz aus Wörtern, schreibst ihr, dieser an Geschichte und Kultur so reichen, eine weitere Geschichte, die fortan zu ihr gehört.” Wobei ich selbst diese “weitere Geschichte” als einen, so alt er auch ist, neuen Mythos begreife. Und der Verleger wieder: “Ich weiß einfach nicht, wo ich Vergleichbares finde.”

          Tat mir gut, ja. Und doch mußte ich eben denken, die → Junge Welt ist das Zentralorgan der AfD für die Linke, soweit die wagenknechtisch ist. Und welch ein Jammer, eine solch e l e g a n t e Frau … und überhaupt, FRAU !! Wenn ich denn biblisch wär, zerrisse ich mir alttestamentarisch die Kleider. THETIS.ANDERSWELT: Neue Krankheiten entstanden, und alte, urvordenkliche, stiegen aus dem Vergessen; man konnte sie voneinander nicht scheiden. Was ich dort “mythisch” sah, sehen so wollte, erweist sich als jüngste wiederkehrende Geschichte. Antike hin, Antike her, tragischer läßt sich kaum noch was nennen. Lächerlich, daß mich in Anbetracht dessen Steuererklärungen nerven … Na gut (oder schlecht), imgrunde bin ich stoisch vorgegangen. Außerdem hat heute Parallalie Geburtstag, und mit ihm hat es Bruno Lampe. Siebzig sind die beiden geworden. Die Dschungel gratuliert von Geist & Herz, voll nämlich großer Freundschaft.

Ihr ANH
[Arbeitswohnung, 20.08 Uhr
am Mittwoch, den 14. Februar 2021
Wollny & Kühn, Duo]

 

P.S.:
Da dies nun kaum mehr ein Arbeits- als Abendjournal geworden,
werde ich die Rumiz-Rezension wohl doch heut nicht mehr fer-
tig kriegen.


 

References

References
1 Goethe war Anhänger der → Gall’schen Schädellehre, der späteren Phrenologie, die die Nazis bis bestialischst weitertrieben, von dem Dichter gleichsam noch bestärkt.

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