Sowie das HerreiseJournal des Donnerstags, dem 1. Dezember 2011, worin der Countdown bis Weihnachten begonnen hat: zum Licht. Frankfurtmain und Berlin.

6.22 Uhr:
[Gesualo, Baci soavi e cari.]
Fast eine dreiviertel Stunde habe ich jetzt gebraucht, den aus einer von mir montierten Hörprobe von Helga Mathea für den WDR gebauten Trailer von der >>>> WDR-Site in Die Dschungel zu bekommen; doch immerhin: >>>> gelungen. So können Sie nun also direkt aus Der Dschungel in die Ahnung hineinhören, wie mein Hörstück klingen könnte. Selbstverständlich bleibt es, bis heute nacht, nichts als Ahnung, denn was Sie da hören, klingt anders als das Stück selbst.
Für das es gestern, als ich noch im ICE saß, eine Irritation gab, die nicht ohne Komik ist. Nämlich rief meine Redakteurin übers Ifönchen an: alles sei ganz wunderbar angekommen, die Sendung völlig in Ordnung, die ihr noch besser als >>>> das Junge-Hörstück gefalle, weil der Krausser schlichtweg weniger hermetisch sei, sondern diskursiv genug, um den Argumentationen dauernd folgen zu mögen, – ABER: die Sendung sei eine Minute zu kurz. Wie denn das sein könne? Ihr mp3-Player zeige die vereinbarte Sendezeit an, ganz genau, jetzt aber… dieses Tonfile…
Ich war sprachlos. Im Zug. „Das überprüfe ich. Sofort.“ Ich hatte ja alles Material auf dem Laptop und mein Musikprogramm sowieso. Und. Tatsächlich. Dann fielen mir die Augen von den Schuppen: Manche Player reagieren auf Waves wie CDs, rechnen nämlich ein oder zwei Sekunden obendrauf. Aber Sekunden, nicht etwa Minuten. Unterm Strich. Wir hatten nicht aufgepaßt, vornehmlich ich hatte es nicht. Mea culpa. Maximissima. Erneuter Anruf beim WDR, alles vom ICE-Sitz aus: „Also wenn Sie mir einen BAFF-Termin beim hr buchen, dann verlängere ich die Musiken jetzt und mische neu ab.“ Zu den Umsitzenden: „Entschuldigen Sie bitte, wenn mein Gespräch Sie belästigt. Es ist leider dringend.“ Die Umsitzenden lächelten, „Machen Sie nur.“ Ich wieder ins Ifönchen: „Das kann ich hier im Zug alles tun. Ich habe noch gute drei Stunden bis zu meiner Ankunft.“ Aber sie, die Redakteurin, sei am nächsten Tage, jetzt: heute, gar nicht im Haus, und solch Heikles möge sie auf keinen Fall jemandem anderes übertragen bei solch einer schönen Sendung. So daß wir uns entschieden, daß sie eine kleine Einleitung spricht, „ich rede halt über >>>> die Massimo… wann waren Krausser und Sie denn da?“ „1998.“ „Sie müssen verzeihen, bitte. Ich mach das nicht gerne, hätte das Stück lieber kommentarlos ausstrahlen lassen.“
Später, bereits mit der UBahn am Merianplatz, wo mich der erste Mitvorständler passierte und grüßte („Soll ich warten, und wir gehen dann gemeinsam?“ „Ich muß noch telefonieren“, dabei bereits die Pfeife im Maul), rief ich abermals an, legte meine Erklärung des verzwickten Umstandes dar, wir lachten. „Vielleicht ist es auch ganz gut, daß ich da jetzt nichts mehr auf die schnelle geändert habe, vielleicht hätte das die ausbalanzierte Komposition dann doch gestört.“ Zumal ich das spontane Ergebnis hätte nur über die kleinen InEarPhones bauen und abhören können, nicht über die für feinen Schnitt nötigen höchstempfindlichen Stax‘e.
Zehn Minuten später saß ich dann im Kreis des Vorstands im >>>> Literaturforum. Eva Demski war selbstverständlich da, deren Assi ich, als zweiter Vorsitzender dieses Vereines, bin; wir müssen uns immer nur angucken und bekommen ein Lächeln quer in die Herzen: unbeugsam bleiben, aber das Leben lieben. Ebenfalls Freund Leukert, elegant wie immer, durchaus nicht ohne Aristokratie. Er hatte die mp3 unterdessen ebenfalls gehört: „Dieser Broßmann… weißt Du, der kommt aber auch sowas von arrogant herüber!“ „Ich weiß. Deshalb gab ich ihm die Rolle.“ (Und höre ihn, wenn er dies liest, das Krausserlachen lachen: dazu sind Dichter nicht da, ihren Lesern ‚angenehm‘ zu sein. Genau das wird, neben einigem anderen, in dem Hörstück thematisiert.)
Werner Söllner ist sehr schmal geworden; schmal war er immer, aber nun ist er schmal. Doch er redet wieder, was sehr viel ist, seit ihn die Vernichtungskeule Herta Müllers traf, der ewig Verhärmten. Sie ist die einzige Person, der es jemals gelungen ist, aus ihrem Nobelpreis einen Grund zu machen, tief beleidigt zu sein, und die dieses ihr Beleidigtsein, das eine Million Literaturpreis geschafft hat – mitnichten aber hat sie geschaffen -, zur Pose hat gerinnen lassen. Krausser nennt sie, übrigens, nicht Schriftstellerin oder Dichterin, sondern schreibt schlicht: „auch die Preisträgerin Herta Müller war da“. Trefflicher kann man es nicht ausdrücken. Es gibt unter den Schriftsteller:innen Dichter:innen, die Preisträger:innen sind, und es gibt Preisträger:innen. Das ist eine ziemlich klare Ontologie, finden Sie nicht? Unerbittlich, aber klar.
Und schon bin ich fast wieder im Aufbruch. Um 9.20 Uhr beginnt ab Hauptbahnhof, was dieses Journal ganz eines der WiederHerreise werden lassen wird, nachdem >>>> das der Hinreise gestern abgeschlossen wurde. So gebe ich allen meinen Leserinnen, die grüne Augen haben, heute einen Kuß auf die linke Halsschlagader, damit alle anderen tüchtig eifersüchtig werden: schließlich sollen die Lust bekommen, sich recht an Herz und Schamgebieten schadenlos zu halten, sowie schadlos sowieso.
Sehn Sie, ich wußt‘ es: die Freunde kommen mit Café au lait. Soeben wurde an die Tür geklopft.
„Moment, ich tipp nur eben zuende.“ Der Bol kommt neben dem Laptop zu stehen. Lächeln, wirklich dankbar, so diese FrühmorgensUmsorgt-seinDankbarkeit. Leise wird hinausgegangen, Richtung Klugem Kopf, der aufgeschlagen schon dahintersteckend am Bett liegt. Soviel zur FAZ. Während an der anderen Seite meines Laptops Böhmers >>>> Am Meer.An Land.Bei mir. liegt. Wahnsinnsbuch:

            eine Art
Fundamentalkritik der Materie. So erwachte ich.

[Gesualdo, Son si belle le rose.]
Um acht Uhr ist die Löwin anzurufen und ihr zu – beichten. Lustvollst.

: 7.19 Uhr:
9.10 Uhr:
[ICE Frankfurtmain-Leipzig.]

So, im Zug, der schon fast eine Viertelstunde vor Abfahrt bereitgestellt wurde und gut ausgebucht ist, aber dennoch fand ich sofort einen Platz – schon, weil ich klugerweise auf „den letzten Cigarillo vor der nikotinen Fünfstundenaskese“ verzichtet habe.
Noch einen Liter Milch besorgt und von einer >>>> lütten Bosheit Der Welt erfahren, die mich nun lächeln läßt. Diese Redakteure schaffen es einfach nicht, wenigstens nicht in den von Ihnen gewählten Headlines, vorurteilsfrei zu sein, sondern wixen, die armen, ihre Ressentiments.

SMS angekommen STOP War ja zu erwarten, sowas STOP Hat viel Komik STOP Werde meiner (schönen!!!) Fußpflegerin den Artikel ausgedruckt mitbringen am kommenden Montag STOP Habe eben schon >>>>> reagiert STOP

Aber außer der >>>> gehwoligen Überschrift ist der Artikel schon fein.

Böhmer lesen, ff.

13.15 Uhr:
[DB Lounge, Leipzig.]
Jetzt sitze ich erst einmal fest, aber nur noch für eine halbe Stunde: der Anschluß-ICE komme, wegen eines Personenschadends, achtzig bis neunzig Minuten später – welche Ansage zuallermeist meint, daß sich jemand vor den Zug geworfen habe. Ich habe zweimal bereits in einem der von so etwas betroffenen Züge gesessen, für die Zugführer die Ursache eines, erfuhr ich, oft lebenslangen Traumas. „Schreiben Sie darüber!“ forderte mich Eleonora Büning auf, die mich wegen meines Frank-Martin-Textes für die FAZ anrief, dafür noch etwas brauchte, dann aber doch nicht mehr brauchte, da stand ich bereits hier auf dem Bahnsteig. Aber ich möge doch noch einzwei CD-Vorschläge machen, sie hätte da gern noch etwas Weiteres vor Weihnachten – indes ich auf der Fahrt nach Leipzig eigentlich nur Böhmer las, immer wieder benommen von manchen der Formulierungen.
Jetzt wird meine Berlinankunft doch etwas weniger bequem werden, als sie mit dem eigentlich ausgewählten Zug geworden wäre, der wieder direkt an Gesundbrunnen gehalten hätte; doch der nächste Zug weiter hält nur am Südkreuz und im Hauptbahnhof Berlins. So werde ich statt um Viertel nach zwei erst gegen halb vier in der Arbeitswohnung sein. Nun ja, ich hab ja zu lesen.
Übrigens ist der Trailer kein Trailer, sondern nur ein seltsam willkürlich ausgewählter Miniaturausschnitt aus dem Stück-direkt, „es wäre deshalb gut, wenn Sie den Hinweis auf meinen Namen so schnell wie möglich wieder von Ihrer Site nehmen würden“. Das werde ich jetzt gleich tun; dazu bin ich hier eingekehrt – eine der großen Privilegien, die >>>> bahn.comfort-Kunden der Deutschen Bahn genießen; gute Latte macchiato gibt es umsonst.

16.07 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Zurück. Heißer süßer Espresso und eines Rückkehrers Tabakspfeife. Es war sogar im Ofen noch Glut; da mußte ich nur neue Kohlen auflegen und die untere Klappe offenlassen, bis sie durchgeglüht sein werden. Es ist aber auch nicht wirklich kalt in der Wohnung.
Jetzt etwas buchführen, dann Geldsachen, die, wie Sie mehr als nur ahnen werden, ohne eigenes Konto immer ein bißchen kompliziert abzuwickeln sind. Freunde anrufen usw. Meine Lebensführung ist derart >>>> retro, vor allem >>>> für einen kybernetischen Realisten wie mich, daß mir nur Baudelaire einfällt: „Es ist ein aristokratisches“, schrieb er, „Vergnügen, zu mißfallen.“ Erstmal, vor d e m gen Winterwendes Lichterfest, zählen wir den Countdown >>>> bis heute nacht. Dabei zähln wir nicht nur, sondern ich tu‘s auf Sie. Dafür, wenn ich noch Zeit nachher finde, erzähle ich später von شجرة حبة und davon, wie die Löwin reagiert hat. Aber Na-wie-wohl?!: souverän.

[Tannhäuser, Bayreuth 1986 (Giuseppe Sinopoli, Cassettenmitschnitt).]

2 thoughts on “Sowie das HerreiseJournal des Donnerstags, dem 1. Dezember 2011, worin der Countdown bis Weihnachten begonnen hat: zum Licht. Frankfurtmain und Berlin.

  1. Der eine Kraftkerl hat gepflegte Füße, vom anderen weiß man’s nicht…
    Launige Headline, man weiß nicht, ist sie biestig oder einfach nur vergnügt. Tut dem Artikel selbst jedenfalls keinen Abbruch, sondern erhöht wahrscheinlich die Einschaltquote heute Abend.
    Gute Reise noch! Ich liebe Paulus Böhmers Werk. Bin sogar drin. In “21 Briefe an Froilleins” …

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