Oh mein Braunschweig, – der Erinnerung. Das Arbeits-, Familien- und Reisejournal des Sonnabends, dem 10. Dezember 2011. Berlin und Braunschweig-vor-dem-Böhmer. Mit einer Überfahrung am späten Nachmittag. (Braunschweig 1).

6.55 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Komischer Gedankentraum, während ich das Kaffeemehl für den ersten Latte macchiato mahle dieses Tages: Es sei völlig natürlich, daß, wer kocht, auf Reisen Liebesbeziehungen oder doch kleine Flirts zu fremden Messern beginnt – sofern man gerne kocht, selbstverständlich, und denn die andere Küche über ein Messer verfügt, daß scharf genug ist.
Genau so ging der Gedankengang, nachdem ich aus der Schublade einen kleinen Silberlöffel genommen; er war, dieser Gang, aber nicht eigentlich schon wirklich ein Denken, sondern schweifte in halber Erinnerung. Wie ich in Eigners Olevano auf dem Berg das alte Opinel zur Hand nahm, o f t zur Hand genommen habe, war ich dort zu Besuch, oder zur Zeit, da meine Mutter starb, bei ihr zuhause, wo mir ein ganz anderes Messer in die Hand fiel, sehr schwer mit gehämmerter Klinge; heute, nach ihrem Tod, lebt es Am Terrarium drüben. Viele solche Bilder kamen mir von anderen Küchen, und ich spürte, wie selbstverständlich es ist. Bis ich, und darüber hinaus, allmählich verstand, wie metaphorisch die immer doch konkreten Fakts sind, deren ich mich momentan so schweifend-halbkonkret entsann.
Um fünf nach halb vier aufgestanden; ich lag gestern nacht bereits um halb zwölf im Bett, was ja kaum je mehr vorkommt, doch war ich wirklich müde nach der zweiten Tour de force, durch das böhmersche Werk für den Vortrag nach dem krausserschen für das Hörstück. Getan. Heute noch, falls die Löwin Anmerkungen sendet, ein paar kleine Korrekturen, endgültig ausdrucken dann und morgen >>>>> den Leuten zur Kenntnis bringen. Zur Früharbeit Dir Dschungel. Ich will auch noch eine Frühmusik wählen. Danach erzähle ich weiter.
(Latte macchiato [also], und die Morgenpfeife).

5.25 Uhr:
[Puccini, La Rondine.]
Mir war noch einmal nach Puccini, und zwar dieser zu Puccinis Verletzung von Toscanini, der sie uraufführen sollte, abgelehnten „Commedia lirica“, mit der Kraussers Italiener hatte eine Operette schreiben wollen. Was ihm so ganz nicht gelungen ist, die von ihm gewählte Genrebezeichnung benennt, was das für ein Stück geworden ist, sehr viel innigster: wahr. Do hat es immer geliebt, ich weiß noch genau, aber weiß gar nicht, ob sie es daheimhat; ich hab‘s ja ‚nur‘ auf Vinyl.
Wie auch immer. Heute ist ein Schweifenstag. Zwar muß ich nun dringend an den zweiten Jungenroman, wirklich dringend, aber nachmittags geht es bereits nach Braunschweig, wo sich ein paar der Vortragenden sowie das Ehepaar Böhmer mit dem veranstaltenden Jungprofessor, dem Lyriker Jan Volker Röhnert, zum Essen treffen werden; und eben auch ich. Ganz sicher werde ich nachts allein noch einen Gang durch die Stadt meiner Kindheit machen, wie immer, wenn ich dort bin: die alten Wege zur Volksschule Am Bültenweg, zum Gymnasium Gaußschule, zum Staatstheater sowieso (die Oper meiner Statistereien) und zum Schloßpark, wo ich das erste Mal beschloß, von zuhause abzuhauen. Ich kam nicht mal über Braunschweigs Stadtgrenze raus. Für einen Ausflug nach Riddagshausen ist leider nicht genügend Zeit, das und das darangebreitete Hinterland nebst Kloster meine Vorstellung von Mittelalter ein- für allemal sinnlich geprägt hat. Aber doch auch in der Burg Dankwarderobe stehen will ich und an dem alten kleinen, schrägdachigen Anbau, darin einst mein Antiquariat befindlich; dort brachte ich mir bei, Sütterlin zu lesen, dort fand ich die heute verschollenen Maryattbände, Zwanzigerjahre, eingeklebte Sammelbildchen, die ersten Bände der ersten deutschen Tarzan-Übersetzungen überhaupt; sie stehen noch heute in meinen Bücherragalen.

Und an der Oker will ich langspazieren, einem damals uns allen unheimlichen Fluß, unheimlich vor Blutegeln und Nöcken, schwergrützig, sie galt als belastet, und als einmal jemand drin badete, schossen mein Bruder und ich davon Fotos, die in die Zeitung kamen. Tief immer hingen die Schütten aus Zweigen und Blattwerk der Weiden ins mählich fließende Wasser hinein, tief lagen die Brücken darüber. Ich hab bis heute den Faulei-Geruch in der Nase von Waffen, die aus einem porösen schwarzen Material geschnitten waren, Schwertern, Lanzenspitzen, die ich verborgen in einer Hexenlaube fand und stahl; bis heute seh ich die geilen Pflanzenschütten, von Bäumen herab, über dem aufgerissenen, aber längst zugewachsenen Hügelboden, den ich für immer mit rotgoldnem Herbstlaub wadenhoch bedeckt fühle, des Franzschen Feldes und seiner verbotenen Bereiche, in die ich eindrang; ‚verboten‘, weil noch von Unterständen und kleinen Bunkern durchsetzt, abgedrahtet, weil Bodenminen dort noch lägen. Aber nie ist eine hochgegangen, so sehr wir‘s auch drauf anlegten. Das war ein Märchenwald, wie er sein muß: voller Gefahr, die einem in den Nacken bläst, aber dreht man sich herum, ist da nichts als eine Präsenz, die einen zu beobachten scheint – und vielleicht wirklich beobachtet auch hat. Ich weiß es nicht.
In Braunschweig gab es auch meine ersten Pornokinos, harmlos, von heute aus betrachtet; meine Pubertät fiel in die Zeit Robin Hoods und seiner Gespielinnen, die brüstefreie Wamse trugen, was für ein Wams eigentlich unpraktisch, ja antiwamsisch ist, aber gut und ziemlich blühend aussah. Dabei wurde damals, meines Wissens, mit Silikon noch gar nicht freizügig umgegangen. Dennoch, das waren s t r o t z e n d e Brüste, ‚Titten‘ wär ein falsches Wort, pralle, mit glühenden Brustwarzenhöfen, schwelenden, wie späte Lagerfeuer von einem denen gleichen glimmendem Geheimnis. Es war die Zeit der Schulmädchen-Reporte, die ich als albern ablehnte, mit fünfzehn, es war auch die Zeit des aus der, wie ich heute weiß, Studentenrevolte gestiegenen cine-sexuellen Emanzipationsschmuddels. Die Mösen, die man damals, wenn man sie sah, sah, waren buschig behaart, Urwälder wie Augenbrauen greiser Riesen –
Welche Triumphe! In einen Film ab achtzehn gelassen worden zu sein. Ein zweites Pronokino gab es unweit vom Hagenmarkt, ein Raucherkino, zu dessen Eintritt man einen Wodka-Mini erhielt, weil nur der, nicht aber für den Film bezahlt werden durfte. Klemmlämpchen mit kunsttextilen Schirmchen neben jedem Platz. Damit man, während der Film lief, mit den auf- und abschreitenden Prostituierten Kontakt aufnehmen konnte, von denen aber niemals da eine auf- und abschritt. Ich hätte die bemerkt, schon aus Angst, angesprochen zu werden.
Dennoch lockten mich die Puffs der Bruchstraße, die wie ein Eingassen-Ghetto von je einer Mauer ein- und ausgangs abgeschirmt wurde; auch da durfte einer von Fünfzehn selbstverständlich nicht hindurch. Ich hatte aber einen Gönner, einen, erfuhr ich Jahre später, Zuhälter, der der Kopf einer Mädchenschlepper- nicht „-bande“, nein, sondern tatsächlichen -Organisation war. Peter. Er war stockschwul und in mich verliebt, blieb aber in allerhöflichster Distanz, als ich ihm einen Korb gab. Ich machte sowas damals weich, lächelnd, war ja sowieso fast immer traurig. Das muß ihn angerührt haben. Fortan stand ich, irgendwie, unter seinem Schutz. Tatsächlich hörten spontan die Quälereien durch Klassenkameraden auf, sei‘s, daß ich plötzlich etwas Neues ausstrahlte, sei‘s, daß Peter wirklich Einschüchterungsstrategien spielen ließ. Keine Ahnung. Aber ich konnte mich in heikelsten Stadtteilen bewegen und war völlig sicher.
Irgendwann verschwand er. Die Svenja-Zeit hob an, kurz, doch intensiv. Von einem Kinderschwarm abgesehen, der mich, wenn ich jetzt zurückdenke, an >>>> die Catterfeld erinnert (ich weiß noch heute, fünfzig Jahre später, ihren Namen: Sabine Schwarzkopf; doch war es, glauben Sie‘s?, d a s, was mich vorgestern nacht derart angerührt hat? – wie sind wir für ganze Leben, mehrere, von einer einzigen Kindheit geprägt!), war sie meine erste Liebe. Noch liegt die Erzählung darüber, vierzig Jahre danach, hier neben mir am Schreibtisch, unfertig nach wie vor, aber niemals aufgegeben. Kleine schwarze Lakritzkätzchen. Frühe Fellationes auf der in meiner Erinnerung knöcheltief teppichbedeckten Villentreppe. Die Elfe stand da bereit und wollt‘ doch immer fort von ihrer Mutter, das elegante und bereite Weib, den Buben einzuführen, in beides: die Gesellschaft und sich – ihn, gegen die Tochter, sich einzuverleiben.

Eine sinnlich hochgeladene Aggressivität, die ich gar nicht begriff, wohl aber spürte, wenn ich mein protestantisches Mutterhaus, labora ohne ora, geflohen war, um mich an den kleinen Brüsten meiner Elfe heilzuschlafen. Und glaubte noch an die ewige einzige Liebe. Svenja, die Elfe, nicht, die doch jünger war als ich. War sie dreizehn, was sie vierzehn? Sie wollte mit mir schlafen, unbedingt, als die Eltern abwesend waren. Ich versagte schon vor dem Präservativ und verkniff mich. Göttin, war ich vor Moral, wie Milch, sauer in meiner Ängstelei! Das vergab die Elfe nicht. – Ach, tausendundeine Geschichten wären, des Braunschweigs meiner Kindheit, zu erzählen, das bis heute eine der schönsten kleinen Städte ist, in mir, die ich kenne. Hier auch schrieb ich zum ersten Mal den Satz: Das Mittelalter ist ewig. Zwei Jahrzehnte später durchzieht er den gesamten >>>> Wolpertinger.
>6.50 Uhr:
Ich bin zu erzählen aufgelegt, wie einer die Melodien der Rondine vor sich, in sich, hinsummt. Sogar den Handpuppen-Kasper sehe ich vor mir, der drohend über dem Zimmereingang meines ersten Kindergartens hing und dessen Grinsen mir eine riesige, mich bis in die Träume verfolgende Angst machte. Immer wieder riß ich aus diesem Kindergarten aus, da muß ich fünf gewesen sein. Immer wieder suchte man mich. Immer wieder wurde ich am Okerwehr gefunden, sitzend, die Beine hinab zum Wassergewühl, über die Brüstung gebeugt, eine Art Reling, an der ich mich festhielt. Auch das ist mein Braunschweig, ebenso wie die Alkoholexzesse mit fünfzehn, da schrieb und schrieb ich schon, oft, bis ich völlig besoffen war von dem schweren Muskateller, den Svenjas Stiefvater privat einführte, nur für den eigenen Keller, und von dem er mir anderthalbliterweise mitgab. Er bestückte mich mit Zigaretten, die ich lose nach, scheint‘s mir heute, Hunderten sorgsam in Holzschatullen schichtete. Damals fing die Sammelleidenschaft an: Musik.
>
(Tagebuch März 1970)
Um sie zu befriedigen, klaute ich meiner Mutter, wenn sie noch schlief, Geld aus der Kasse. Die arme arbeitsame Frau verzweifelte, verstand erst nicht, wie ich‘s machte. Mein Bruder schloß sich, mit vierzehn, Rockerbanden an, angenervt davon, für derart schön zu gelten. Was er aber war.

Er brauche Narben, fand er. Da schrieb sich die spätere Laufbahn des Kleinkriminellen schon vor, aus der ihn, weiterhin später, ein alter Anwalt rettete. Ach, Dich. Ach Du mein frühverstorbener Bruder. Braunschweig. Er kam aus dieser Stadt nie weg, nie wirklich.
Das im Alpha gedealte Shit. Die Flipperautomaten. Straßentheater. Mein erster Adorno, mit sechzehn. Und abermals der Alkohol: im Theater, Kantine, Statisterie. Im Strohhalm. Im Schloßpark ohne Schloß. Die Boutiqueisierung der Stadt hub an, die sie so geschändet hat. Verkehrsumbrandet der schöne Brunnen Eulenspiegels, Sie wissen schon: Ulen un Apen. Brauschweig ist auch das. Der Welfenschatz. Welch ein Wort: W e l f e n! Die Wölflinge sind das später, bei Wagner, ‚später‘ meint mein Bewußtsein. Wenn wir erkennen, erkennen wir wieder, Anagnorisis immer, ist, was zählt. (So auch erkennen sich Liebende biblisch). Braunschweig.

Wie zärtlich gesungen wird. Wie einem das durch die Brust geht, die weiche.

Also.

Heute früh Familie, लक्ष्मी, Sohn, die Zwillingskindlein, beim gemeinsamen Frühstück. Dann muß meines Jungen Zimmer angegangen werden. Frühnachmittags werd ich zurücksein und packen. Um 17.07 werde ich die SBahn zum ICE nach Braunschweig nehmen, dort angekommen sofort zum Treffpunkt eilen, wo wir gemeinsam essen wollen. Das Hotel sei gleich gegenüber. Ich werd es nachts verlassen. Sagte ich schon. Werd einmal um den ganzen Wall. Werd vielleicht das hohe, oben spitze Gatter der Gaußschule überklettern und mich auf den Schulhof setzen. Werd hintenrum nach dem Alpha schauen, das es schon lange nicht mehr gibt. Hier fuhr die Elfe auf ihrem Mofa davon und lachte mich aus, als sie Gas gab. Nicht weit davon die schwere, stumpfe romanische Kirche, darin mein Musiklehrer, Jost Blachmann hieß er, Organist war. Er gehörte zu den sehr wenigen Lehrern, die mich mochten, und ließ mich mich an die Orgel setzen, oft. Ich durfte auch nachts hier hinein. Habe ich einen Schlüssel gehabt? Gab er ihn mir? Weshalb? Und aber ich spielte, spielte, ohne das zu können. Ich habe mich da mit Musik infiziert, für mein ganzes Leben. Die schweren Wälle Klangs bebten durch meinen Leib. Hier in der Gruft gruben mein Bruder und ich zum ersten Mal nach menschlichen Knochen. Fanden welche. Vor allem Oberschenkel. Oberschenkel- um Oberschenkelknochen. Wir wollten aber Schädel. Bis zu Kinnladen schafften wir es, immerhin.
Braunschweig.
Der aufgelassene Friedhof, wo ich, das war vieles früher, Weinbergschnecken von den Grabsteinen klaubte –

– ach, ich schau einmal, ob ich noch alte Fotografien habe. Denn damals, als ich vierzehn war, begann ich zu fotografieren, entwickelte selbst, zog die Bilder riesig ab. – Wo ist das alles hin?

15.33 Uhr:
[Zurück von Am Terrarium. Puccini, zum fast-Weinen: La Rondine.]
Ausgebig gefrühstückt mit der Familie. Vorher kam noch eine Kritik der Löwin, die den Vortrag gelesen hatte, etwas Prinzipielles, auf das ich erst einmal ungehalten reagierte, dann nachdachte – egal, jetzt ist‘s einmodifiziert. Lange mit meinem Jungen in seinem Zimmer Ordnung geschaffen, momentlang kam ich mir wie ein Müllmann vor – erinnerte mich allerdings an die tiefen Krachs mit meiner Mutter, weil unser, meines Bruders und mein, Zimmer immer ganz ähnlich aussah, und wieviel Tränen und Schreierei es gab jedes Mal. Also war ich milde, und hinterher nahm der Junge mich in den Arm: „Papa, danke. Ich fühl mich jetzt so wohl.“ Derweil lag seine Mama und schlief, von einem grippalen Infekt gebeutelt. Ich ließ sie schlafen, als ich leise aufbrach, die Zwillingskinder noch küßte und den Großen, dann hierher, um mich der löwigen Kritik zu stellen und zu packen.
Das ist jetzt alles fast schon fertig – aber um mittagszuschlafen, ist es zu spät; das werd ich nun wohl im ICE tun.
Puccini: wenn man einmal drauf kommt, gibt es – wie bei Wagner, Purcell, Händel, Britten – kein Halten. Wie bei – ich werde, für ihn einzustehen, nicht müde – >>>> Pettersson. – Muß noch die morgige Veranstaltung annoncieren.

18.35 Uhr:
[ICE 695 Berlin-Braunschweig.]
So. Ich habe sogar einen Platz für den Laptop. Die Augen etwas schließen, die Kopfhörer in den Ohren: Manon, CD 2. Ist der Akt und damit die Oper herum, werde ich lesen – wobei ich bereits in einer Stunde und fünfzehn Minuten ankommen werde. Vom Bahnhof gleich zur Stadthalle hinüber, dort ins Restaurant. Aus dem Hotel, nachts, werde ich noch einmal schreiben.
Mir ist weich im Innern wie seit langem nicht mehr. Muß mich richtig ein bißchen (hätte meine Mutter das ausgedrückt) zusammenreißen (; prompt fällt mir der letzte Satz wieder ein, den sie jemals zu mir gesagt hat: „Warum wollen die Menschen nur immer berühren und berührt werden? Mir ist das sowas von unangenehm!“; das sagte sie schon auf der Schwelle hinüber).

17.53 Uhr:
[Berlin Südkreuz.]

„Ich wiederhole noch einmal: der vor uns liegengebliebene Intercity hat etwas überfahren. Es muß erst einmal geprüft werden, was er überfahren hat. Erst dann kann er seine Fahrt fortsetzen. Ich kann Ihnen deshalb noch nicht sagen, wie es mit unserem ICE weitergehen wird.“Und ich dirigiere verstohlen die Manon mit. Ich habe genügend Musik bei mir, um auch eine ganze Nacht am Südkreuz oder sonstwo auf der Strecke zu verbringen.

36 thoughts on “Oh mein Braunschweig, – der Erinnerung. Das Arbeits-, Familien- und Reisejournal des Sonnabends, dem 10. Dezember 2011. Berlin und Braunschweig-vor-dem-Böhmer. Mit einer Überfahrung am späten Nachmittag. (Braunschweig 1).

  1. Ja, wo ist das alles? Her damit! Ist das ein Judoanzug? Ihr Junge sieht ihnen ähnlich, hübscher Junge da auf dem Bild;-), wirkt gar nicht wie wer, der immer kämpft, eher verspielt und zart, schön.

    1. @diadorim zu “meinem” Jungen. – Hübscher Einfall. Nein nein, das war einmal der junge ANH – als es den noch nicht gab. Der andre Junge, der mit dem Hut, das war einmal mein Bruder. Und wenn er schon gestorben ist, dann lebt er heute nicht mehr.

    2. Können sie den jungen ANH nicht ein bisschen öfter reaktivieren? Ich glaub, der hätte meinen Hang zur Melancholie nicht so unangespitzt in den Boden gestampft. Mit solchen Jungs saß man doch früher immer wo rum und wusste auch nicht so recht weiter und der Augenblick sagte zu beiden, ihr seid so schön;-). Verklärung hin oder her, das gabs ja alles auch wirklich mal.

    3. Leider, diadorim, saß man mit solchen Jungs früher nicht herum, sondern belustigte sich über sie, wenn man ein Mädchen war oder ein Lehrer; und die andern Jungs verkloppten diese Art Jungs alle zwei Tage, und zwar nach Strich und Faden, bis sie sich zu wehren lernten, endlich – was wirklich gar nicht leicht gewesen ist.

    4. Ärsche. Ärsche lassen einen nie sein, der man ist, Ärsche zwingen einen immer, sich Respekt verschaffen zu müssen und sich so ein Stück ihrer Arschlochstrategien anzueignen und dann gegen sie zu kehren, weil Ärsche eben nur sich selbst verstehen, alles, was anders ist, platt machen, druffhauen. Blöd, es hätte auch völlig anders laufen können, und jetzt läuft es ja auch anders.

  2. Daß ich mich Bruno nenne, verdanke ich tatsächlich Braunschweig: Brunonis vicus. Ohne dort aufgewachsen zu sein indes. Es waren der Liebe Wege für einige Zeit. Quer durch die DDR per Anhalter oder im Zug. Das führte mich tatsächlich einmal in das erwähnte Antiquariat, wo es einen Band über Braunschweigs braune Vergangenheit gab (in Benjamins Haschisch-Buch die Assoziation “Braunschwein” oder so ähnlich), aus dem ich erfuhr, Hitler sei dort an dem Tag Deutscher geworden, an dem meine Mutter geboren. Bruchstraße: auch daran habe ich Erinnerungen: so diese Schnapsideen in der 50-60 Kilometer entfernten Dorfkneipe. Und man saß dann hosendrall im Er&Sie.

    1. Auf keinen Fall, wir stehen eher auf Schweiger, es heißt, sie sollen so enorm klug sein, allein, der Beweis wurde nie erbracht, sie hinterließen so wenig Zeugnis ihrer Klugheit.

    2. Der Haufen der Zufälligkeiten. Als nichts Anderes wird mir derzeit Geschichte definiert, sei’s von Benn oder von Wollschläger qua Schopenhauer, demzufolge die Ironie der ihr angemessene Stil. Und immer die Nase in die eigenen Zufälligkeiten gestoßen (Becketts Kuhfladen), die aller Beliebigkeit abhold, da sie zugefallen, nicht aber zugeordnet. Blind. Aber dennoch sehend. Die Braille-Schrift der eigenen Vernetzung. Da wird des Anderen Vernetzung unwichtig als Ganzes und nur im Einzelnen vernetzenswert.

    3. Der Haufen der Zufälligkeiten ist eben konstitutiv.
      Geschichte so zu definieren ist klug.

      So ist das eben. Aber warum sollte Ironie deswegen der angemessenere Stil sein?
      Ironie ist kein Weg, erst recht kein Stil. Sondern einfach eine implementierte Betrachtungsform; mit entsprechendenden Ergebnissen.

    4. ironisch war doch echt nur oscar wilde.
      humoristisch twain oder kästner.
      lustig kafka.

      wird hier über was anderes verhandelt ?

      joyce ?

    5. Warum Ironie kein Weg sein soll, verstehe ich nicht (Schopenhauer fragen!). Zynismus ist auch ein Weg. Oder Stoizismus. Oder Vattelapesca. Ein und Kein vermählt sich nie. Mit entsprechenden Ergebnissen. Und wer “echt” ist, den hauen die Banken auf den Kopp. Mit entsprechenden Ergebnissen. Kafka ist luftig. Zumindest im Kübelreiter.

    6. Joyce ist natürlich großartig.
      Aber nur, weil er die ironische Betrachtung schon in sich trägt, schon voraus trägt. Er bietet sich sozusagen an: Als intellektueller Spinner.

      That’s Joyce. Ich frage mich manchmal, ob ANH nicht ähnlich ist.
      Vielleicht steckt hinter ANH eine Art Schreiberkollektiv, das – nach Jerry-Cotton-Manier – diesen Charakter einfach konstuktiert. Das wäre genial.

      Geschwätzt, Schwätzer

    7. Ironist ist man – oder eben nicht.
      Wie man eben Philosoph ist (Schopenhauer) – oder eben nicht (Habermas).
      Kafka ist übrigens DER Höchstkomiker!

      Liebe Grüße, Schwätzer

    8. Sicher. Leider aber immer im Rahmen des “Ist”.
      (Ich sehe das übrigens überhaupt nicht pessimistisch, lieber Lampe, sondern als Chance.)

    9. joyce wolle einen tag lang die gesamte sprache seiner zeit verewigt haben.
      ( ulysses )
      da durfte ironie sicherlich nicht ausgespart bleiben.
      eine art metadeskiption.
      als verfolgter spleen akzeptuabel.

    10. Joyce wollte vieles, z.B.: „Ich möchte ein Abbild von Dublin erschaffen, so vollständig, daß, wenn die Stadt eines Tages plötzlich vom Erdboden verschwände, sie aus meinem Buch heraus vollständig wieder aufgebaut werden könnte.“

      Aber auch:
      „Ich habe so viele Rätsel und Geheimnisse hineingesteckt, dass es die Professoren Jahrhunderte lang in Streit darüber halten wird, was ich wohl gemeint habe, und nur so sichert man sich seine Unsterblichkeit.“

      Wer kann da den Überblick behalten? Und was soll das bringen?
      Objektivität sucks.

    11. scheiss vertipper ( korr. metadeskription / akzeptabel jew. )

      @ schwätzer : da ist nyx zu enthebeln und schon gar nicht zu vergleichen, oder.
      ” in einer art tradition stehend, einer systematik sich verpfichtet fühlend”

    12. @ gelb Wolle er ihm einen solchen Tag gönnen, der ihn ausspart und als spleen akzeptuabel verewigt, ihn definitiv an den Strand und zu allen Gerties verdammend, die da wesen. Als akzeptabel es zu bezeichnen ist Ihre Instanz. Nicht meine. Laxes Urteil aus der eigenen Befindlichkeit heraus.

    13. ‘Beides gilt’ ist praktikabel.
      So wie es für Kant die Welt der Kausalität und anderseits die des freien Willens gab – alles armselige Konstrukte beschränkter Wesen.
      Aber eben taugliche Arbeitshypothesen!

      Schlafen Sie gut, Lampe

    14. meines erachtens stellte sich anh dieser ulysses/joyce aufgabe nicht – wieso auch ?
      er stellte sich vielleicht auch nicht der aufgabe zu psychologisieren und charactere in deren psycholologischen feinstruktur zu erfassen, was ihn aufmerksamkeit kostete.
      er wollte eben so eine art rockstar sein (wie zappa ) –
      naja und da war es mit der rockstarexistenz aka zappa halt schon vorbei.

    15. die deutschen tiuschen gerne, sie täuschen gerne und schulen sich an der täuschung – andere bleiben am täuschen kleben und halten das dann für immerwährende wahrheit.

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