[Geschrieben für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Dort erschienen am 8. Oktober 2011 in Bilder & Zeiten.
Hier in der ursprünglichen, für den 18. September
vorgesehenen Fassung.]
Dort erschienen am 8. Oktober 2011 in Bilder & Zeiten.
Hier in der ursprünglichen, für den 18. September
vorgesehenen Fassung.]
Wenn man den persönlichen Schrecken überwunden
und Kunst daraus gemacht hat,
dann wird es Botschaft.
Allan Pettersson.
Wie man plötzlich mitsingen kann, ja muß… wie uns die Unabdingbarkeit – eine, die nicht nur mit den Ohren und im Geist, sondern vom gesamten Leib gespürt wird – erst mittreibt, mitreißt, und dann halten wir ganz plötzlich ein, erschauernd, und weinen; wie wir umstrickt, umflossen werden von einer Musik, die zum höchsten Ausdruck gehört, dem wir jemals begegnet, die aber dennoch fremd bleibt, weil sie sich niemals gemein macht, auch mit uns nicht, sich aber auch nicht vor uns verschließt, sondern deren Glühen jeden, der sich hingibt, rauschend wie rauschhaft ergreift, gerade weil, spüren wir, hier einer war, der sich nicht beirren ließ, sondern aussang, was da singen wollte, egal, ob vornehm oder zeitgemäß oder ob er die Macht besaß, es durchzusetzen, da mochte ihn die Polyarthritis noch so sehr, bis ins fast völlige Starrsein, verkrüppelt haben, den schließlich alten Mann, da mochte er noch so gemieden sein, der insistierende Querkopf, schroff nach wie vor zu keinem Kompromiß bereit, sondern in dem unglaublich schönen Gesang der Geige im zweiten Violinkonzert, einem der bewegendsten, den das letzte Jahrhundert überhaupt hörte, bis in den letzten Takt seiner Sinfonien der Tonalität verschrieben wie Schostakowitsch, nur daß sie nicht die Rechtfertigung durch Stalinzwänge hatten, sondern allein Entscheidung eines unbequemen Sonderlings, wie Hölderlin, waren, gegen die Moden und Betriebe, das Klangmaterial ganz Spätromantik, doch in den harschen Mitteln der Moderne bis in die Auflösung – und Überführung, einer moralischen – mancher Modernen hinein, was einem keine Freunde macht und kein soziales Netz mächtiger Kumpel bereitet, sondern auf nichts als intensivsten Ausdruck bedacht und diesem Ausdruck verfallen und gegen manche Schlammwerferei selbst auch, und ungerechte, Batzen geworfen, untheoretisch, ohne Ideologie, die man teilte, wenn in den Anfängen zwar, der zweiten Sinfonie, Fernklangsanklänge der nachgelassenen Zehnten – Mahlers nämlich, in dessen Todesjahr er zur Welt kam – erinnerungsfern zu hören sind und immer wieder, bis zur späten Sechzehnten, die sogerühmten „Inseln” eines harmonischen Ausruhns wagnerscher unendlicher Melodien, eines Komponierens, hätte Nietzsche auch ihn gerügt, in Akkorden, viel mehr aber Geste, doch Gesten wie Themen behandelt mit einem schweren Akzent auf der Durchführung, ein ganz eigener Raum, der bei allem Vorwärtspreschen schmerzhaft nicht vom Fleck kommt, einem Kinde gleich, das wütend aufstampft mit dem Fuß, wieder und wieder, wie immer es ihm auch ums Ohr höhnt, und nach jeder Sinfonie nahm er den Strom wieder auf, den ewigen, der keinen Pragmatismus kennt, ein von seinem Tod erst unterbrochenes, ein abgebrochenes work in progress, wie des Paulus Böhmers Kaddish ist, eines ihm ähnlichen, indes noch lebenden Berserkers, bitter vor erlittenem Unrecht, aber eben nicht, wie wohlfeil selbst der einige Zeit lang begeisterte Manfred Trojahn dann meinte, der eine große Aufnahme der Sechsten des Mannes in die Welt gebracht hat, „des Selbstmitleids voll“, wie wenn zudem, wer so sehr mit Krankheit geschlagen, ein Selbstmitleid nicht haben dürfe, sondern man habe sich, je mehr gequält, um so weiser zu befrieden, als wäre das Leiden ein Makel, über das die Deckchen des Abstrakten zu hängen seien oder des Absurden, anstelle ihm strahlende Kraft ins Konkrete zu geben, in ein überindividuiertes aber, wie diese riesige Musik tut und wehrt nicht ab mit erklügelten Formen, sondern, der erschreckten Herkunft verpflichtet, dieser Armseligkeit unterm brutalen Zugriff eines saufenden Vaters, hält am Anblick des Kummers fest, der preisgegebenen Mutter, der es nicht zu helfen weiß, das Kind, wie auch den Elenden nicht all der Stockholmer andren aus den kalten und klammen Quartieren, nicht da und nicht später, und dennoch sieht es nicht weg, nicht das Kind, die Musik nicht und nicht der Mann, nein, er beruhigt sich nicht, aber träumt, manchmal, von einem Frieden, der sich dodekaphonisch nicht ausdrücken ließe, nicht der Geist über Wassern, darum ist die Klangwelt Schönbergs tabu, darum auch Webern und das Verstummen und sind es Leibowitzens Lehren, seines Lehrers in Paris, darum die seriellen Schulen, die sich ent-erden in der fleischlosen Vergötzung ihrer Mathematik und der gegenseitigen Zuschustereien von Auftrag und Preislied im selbstgewissen Wissen, was „progressiv” sei mitsamt der Denunziation des Gefühls als sentimental oder, wenn es noch schlimmer kommt, als Kitsch, doch ehrt man die Beatles ob ihres Erfolgs und um nicht den Zug zu verpassen, wenngleich er doch lange schon weg ist, und gesteht dem U, es genießend, zu, was man dem E versagt: genießen zu lassen, der kathartischen Umstände so peinsam eingedenk wie hart in der Haltung selbsternannter Eliten gegen die Hörer, die akzeptiert sind einzig als Jünger, nicht aber als Begeisterte, Beseelte, so daß er schon nicht unrecht hatte, als er die Neue Musik inhuman nannte, was seine Akzeptanz endgültig demontierte und den schwerkranken Mann weiter isolierte, ohne daß er doch zum Verstummen gebracht worden wäre, nur die Inseln der Ruhe gingen zunehmend unter, gegen die Deiche schlug das wütige Meer seiner Neunten, um dem Land das Geschenk einer Siebten wieder wegzuentreißen, deren himmlische Höhen schon daran gewesen, ihn erfahren zu lassen, was ihm, derart ungehört das Rufen, versagt blieb bis ans Ende, den wirklichen, den kanonisierenden Erfolg in der Liebe eines Publikums, das endlich weiß, wer er ist, und ihn rühmt wie am Ende Palestrinas diesen das Volk auf der Gasse, so daß er hätte melancholisch leise, doch friedlich zu einem Sohn, hätt er denn einen gehabt, sagen können: „So spring, mein Junge, freue dich” und „Spring dich wacker aus” – um wirklich einen Frieden zu machen mit sich und der Welt, als er hinüberging vor nunmehr einunddreißig Jahren: Gustav Allan Pettersson. Morgen, am Montag, wäre er einhundert Jahre alt geworden. Am 19. September 1911 in der schwedischen Församling Västra Ryd wurde er geboren, in Stockholms Ärmstenviertel Södermalm wuchs er auf und blieb er, bei den Armen, leben. Er hinterließ uns neben Liedern und ein wenig Kammermusik siebzehn Sinfonien, die ihres gleichen Klangs nicht eine einzge zweite haben, drei Streicher- und zwei Geigenkonzerte, sowie ein Konzert für die Bratsche, die sein eigenes Instrument gewesen, und aus der heraus, wie mitten aus dem Orchester, er seine Musik schrieb – nämlich nicht am Klavier. Nein, guter Dinge war er nicht und war kein letzter Stein an einem Deiner tausend Ringe, sondern er rang bis auf das Totenbett. Es wird Zeit, ihm posthum zu erstatten, was ihm verweigert worden ist: Achtung und Ergriffensein. Dies für das Werk. Und Liebe. Die für den Menschen ist in seiner Not. Zeit ist’s für irgend eines neuen Karajans, Bernsteins oder Kleibers exemplarischen Zyklus, um ihn aus der Provinz herauszuheben und seine Sinfonien den großen Podien unsrer Welt auf immer einzuschreiben.
Empfehlungen:
>>>> Allan Pettersson, Sinfonien Nr. 1 & 2, Norrköping SO, Christian Lindberg
>>>> Allan Pettersson, Violinkonzert Nr. 2, Ida Handel, Schwedisches RSO, Herbert Blomstedt
>>>> Allan Pettersson, Sinfonie Nr. 6, DSO Berlin, Manfred Trojahn
Endlich … der Pettersson-Text! Und ich höre schon wieder. Seien Sie bedankt.
Allerdings ist es letztlich natürlich auch ein reichlich prekärer Befund, den Sie da am Ende formulieren. Denn wenn es wirklich eines “neuen Karajans …” etc. bedarf, dann ist der Hoffnung wohl aller Boden entzogen. Obwohl, Hoffnung ist ja recht eigentlich, wenn jeder Boden längst entschwunden ist.
PS: Mir fällt gerade auf, wie überraschend genau die 1. Sinfonie zum gegenwärtig vor meinem Fenster stattfindenden Herbst passt.
@PGH: Das Notwendige und das Hinreichende. Thielemann würde vollkommen reichen.
(Gemeint ist, daß ein Dirigent vom Ruhm Leonard Bernsteins sich dieser Musik annehmen müsse, damit sie durchgesetzt werden kann; nicht anders kam Gustav Mahler endlich ins allgemeine Bewußtsein, eben mit und durch Bernstein. Es geht dabei weniger um Qualität als um Marktwert, also Durchsetzungskraft bei vielen; Qualität ist selbstverständlich die Bedingung. Sie ist notwendig, nur eben nicht – hinreichend. Da liegt, wie bei vielem anderen, die Problematik.)
Wie bei vielem anderen Ja, selbstverständlich. Ich hatte Sie schon verstanden. Inzwischen kenne ich aber auch den Betrieb so weit, dass ich weiß, dass es vermutlich niemals geschehen wird.
Und das ist nicht nur in der Musik so. Ich kenne z.B. eine Autorin, die ganz großartige Geschichten schreibt, von einem erzählerischen Format, das man sonst nur bei Erzählern wie der Alice Munro findet. Ich habe ihr jahrelang gesagt, dass sie unbedingt weitermachen muss, dass sich Qualität früher oder später immer durchsetzt, dass man nur Geduld braucht und es irgendwann begriffen wird, was sie da macht und was der ganzen wohlfeilen Wünsche mehr sind. Aber es ist nicht wahr. Gar nichts wird gesehen. Da ist niemand, der überhaupt etwas sehen will. Und in Deutschland schon mal erst recht nicht. Ach, schweig stille, mein Herz!
@PHG Da hat ANH natürlich recht, die Qualität der eigenen Arbeit ist immer die Bedingung, um überhaupt selbst vermittelbar zu sein und auch dafür, selbst als Vermittler tätig werden zu können. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, Glück haben zu können, und das sehen Sie ja, lieber PHG, sicher ebenso. Das von Ihnen angesprochene Schicksal der Autorin droht somit auch nur den wirklich Guten (weil es sonst kein Schicksal ist, sondern Bestrafung für schlechte Arbeit), denn auf dem (großen) Markt kommt es nicht immer auf Qualität an, sondern eben auf Verwertbarkeit und Kompatibilität mit dem Geldbeutel der Verbraucher. Man sehe sich nur die Klassik-CDs an, da werden Coverbilder kreiert, wie sie dazumal eher den Playboy zierten. Das alles bestimmt der Markt, allein die grundlegende Qualität unserer Arbeit können wir selbst bestimmen, indem wir sie uns erkämpfen, bis zur Erschöpfung (selbstverständlich). Aber das wissen Sie ja alles, ich wollte es nur mal gesagt haben.
@PGH zu Munro. Also, erstens, s e t z t sich Qualität in aller Regel durch; wir wissen nur nicht, wann und ob wir’s selbst noch erleben werden. Und zweitens, wegen Frau Munro, so völlig unbeachtet >>>> scheint sie nicht zu sein.
@Schlinkert Völlig richtig. Und Dank, dass Sie es trotzdem gesagt haben.
Mich hat nur das Jahr etwas müde gemacht. Wie hat Rühmkorf mal geschrieben? “Ich würde es mit dem Beil abtrennen, ginge es nicht von allein.”
So sehr ich diesen Text – als poetischen – bewundere, so unmöglich nähme er sich doch im Feuilleton – und sei es dem bedeutendsten – einer großen Tageszeitung aus. Dort hätte man dem Autor, berechtigterweise und rein textfunktional, wohl nur zurufen mögen: “Mach doch mal nen Punkt!”. Nein, Sie können sich glücklich schätzen, dass das hier an besagter Stelle überhaupt gedruckt worden ist.
@H. Rottweiler zum literarischen Stil in der Zeitung. Ihr Konjunktiv irrt sich: der Text i s t, wie ich oben auch angebe, in der FAZ erschienen, nämlich auf der Schallplatten- und Medienseite, und zwar in der hier dokumentierten Interpunktion. Die Änderungen, von denen ich schreibe, bezogen sich auf das Ende. Dadurch, daß diese Geburtstagsnote nicht “rechtzeitig” erschien, sondern erst zwei Wochen später, war hinten ein bißchen was zu ändern, das sonst schlicht nicht gestimmt hätte. In der Tat aber wurde Ihr Argument auch laut. Ich halte es für keines von Berechtigung. Literarische Texte dieser Art hat es in großen Tageszeitungen, seit es große Tageszeitungen gibt, immer wieder gegeben, ja sie haben einen besonderen Reiz gehabt – zugegebenermaßen eher im romanischen und englischsprachigen Raum, sehr viel weniger im deutschen. Was aber nicht für den deutschen spricht.
Die Reaktionen, die ich unterdessen für diese FAZ-Veröffentlichung bekommen habe, sprechen übrigens ebenfalls eine andere Sprache: Man wünsche sich, hörte ich, öfter so etwas. Insofern muß nicht ich mich, sondern die Zeitung sollte sich “glücklich schätzen”, so etwas bekommen zu haben.
(Ich habe den Text >>>> hier oben eingestellt, weil er bei bei FAZ.net nicht zu erhalten ist.)