Das Wunder von San Michele. (5).

Sehr geehrte Frau Dr. Girgensone,
Ihr Kollege Elin Sleipnis sandte mir Ihre emal-Adresse zur weiteren kleinen Planung. Er wird Ihnen erzählt haben, daß ich für den Deutschlandfunk Köln ein poetisches Hörstück von etwa 50 Minuten Dauer über die Villa San Michele sowohl verfassen als auch inszenieren werde. Das Stück – wie alle meine Funkarbeiten eine komponierte Mischung aus Feature, Hörspiel sowie Originalton- und Musikcollage, worin sich Fantasie, Beobachtung und Fakten eng miteinander verbinden – wird im vierten Quartal dieses Jahres ausgestrahlt werden. Selbstverständlich werde ich Ihnen eine CD-Kopie von dem Kunst-Stück ziehen und nach Anacapri hinübersenden.
Meiner Planung nach werde ich am Montag, dem 25. Juli, auf Capri anreisen und bis zum nächsten Tag abends bleiben. An diesem Montag und dem Dienstag darauf will ich Tonaufnahmen insgesamt auf Capri, aber eben auch in der Villa S. Michele machen, was niemandem auffallen wird, da ich über Kunstkopf-Mikrophone verfüge, die in den Ohren getragen werden. Die Aufnahmen lassen sich also realisieren, ohne daß ein anderer Besucher davon etwas merkt. Das ist mir wichtig, um den authentischen Eindruck nicht zu verschmieren. Worauf es mir aber, eine Art Herzenswunsch, ankäme, das ist: Bei Nacht von der kleinen Sitznische gleich hinter der Sphinx aufzunehmen, vielleicht eine Flasche Wein vor mir, die Taschenlampe, das Manuskriptbuch oder vielleicht auch den Laptop. Ich würde gern die ersten Seiten des Hörstücks direkt vor Ort und eben nachts skizzieren. Dabei sollen die Aufnahmen weiterlaufen: ferne Geräusche aus dem Ort, Wind in den Pflanzungen, ferne Töne vom Hafen so tief darunter, frühe Vögel usw. – Ich weiß, daß dies ein wahrscheinlich versicherungstechnisches Problem ist, aber vielleicht läßt sich das ja mit einem italienisch zugedrückten Auge lösen.
Zur Geschichte der Villa S.Michele fehlen mir noch ein paar Daten, die weder aus Munthes Buch hervorgehen, noch hatte ich bei der Recherche im Internet Glück: etwa, an wen die Villa von Munthe verkauft wurde, wie sie schließlich in schwedisches Eigentum gelangte usw. Und natürlich bin ich für jede Anekdote und Legende dankbar, die sich um die Villa S. Michele auch n a c h Munthes Tod gerankt haben mag (etwa der Einsturz des Berges, der die kleine Kirche darunter zerschmetterte, die Villa selbst aber wie ehrfurchtsvoll schützte).
Wenn Sie also, sagen wir, der Sphinx und mir diese eine Nacht vom 25. auf den 26. Juli gönnten, wäre das sehr schön. Ich werde mit meiner Freundin und meinem fünfjährigen Sohn unterwegs sein, tags zuvor im Solfatara-Krater zelten, m i t den beiden am 25. in Capri ankommen und sie am 25. abends zur Marina bringen, damit sie mit dem Wagen von Neapel nach Solfatara zurückfahren können. So daß ich über Nacht allein auf Capri bleiben und den beiden erst am nächsten Tag nachreisen werde. Es sei denn, es findet sich ein preiswertes Hotel auf der Insel; mein Salär ist recht knapp.
Dieses alles zu Ihrer Information, auch was meine künstlerische Absicht anbelangt. Leider sind meine Bücher und Hörstücke nicht ins Italienische, auch nicht Schwedische übersetzt, sonst brächte ich ihnen selbstverständlich davon als Dank etwas mit.
Mit den besten Grüßen
unbekannterweise Ihres
ANH

P.S.: Diesen Brief übersetzt mein literarischer Freund Helmut Schulze, der seit Jahren bei Montecastrilli als Übersetzer in Umbrien lebt. Mein Italienisch hat seit meinem Jahr in der römischen Villa Massimo (1998) sehr gelitten; aktives Schrift-Italienisch beherrschte ich nie. Es langt indes, gerade im Süden, um mich zu verständigen und zu lesen. Ich habe ihn um diese Übersetzung gebeten, weil ich gerade, wenn es um ästhetische Belange geht, genau sein und eine Vorstellung davon geben möchte, was ich künstlerisch intendiere.

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