„das sind ja hübsch ziselierte Zungenbrecher… ;-)“

Die Ziselierung ist Genauigkeit. Ich habe an so etwas lange geübt. Mich vor einen Gegenstand oder vor einen Wald gesetzt und versucht, zu formulieren, was ich sehe, wobei es immer gerade das D e t a i l, die ineinander verschlungene Vielheit der Details ist, die das beschreibend-erzählende Problem ausmachen. Es ist natürlich viel leichter, einfach “Wald” zu schreiben und dreivier characterisierende Details azuzugeben; tatsächlich erschafft sich die Leserfantasie dann selbst eine Fülle. Das ist es aber nicht, was ich will; sondern ich möchte genau d i e s e n Wald beschreiben, also dann, wenn ich mir einen existierenden Ort vorgenommen habe. Wobei ich auch anderwärts, etwa im ARGO-Roman, eigentlich nie einen Ort formuliere, den es nicht gäbe: da setze ich getrenntes Reales zu einem imaginären Realen zusammen, sample sozusagen. Das Spannende daran ist, daß dann Leser (sofern sie sich darauf einlassen) noch im phantastischsten Raum Erfahrungen des Wiedererkennens machen, und zwar geschieht ihnen (und mir) gegenüber Orten, was Bloch einmal – für die antike Tragödie, in diesem Fall die WiederBegegnung Elektras mit Orest – für die Drehscheibe der Intensität hielt: ANAGNORISIS.

[Poetologie.]

3 thoughts on “„das sind ja hübsch ziselierte Zungenbrecher… ;-)“

  1. Nämlich dieses: Das Wunder von San Michele. (14).
    Der Duft nach Koniferen: wie ein Honig, in dem ein angebranntes Holz verschmaucht. Trockner Rosmarin ist darüber zerrieben. Bei Tag schimmert der Park in den Farben blauer Blütendolden wie von Cuppolen, die aus Topfstengeln wachsen. Und ein getupftes Rot, das sich seitlich des steinchengehämmerten Weges, den hohe schmale rindenrissige Zedern säumen, im dunklen Grün wiegt: Büsche, kleine Rabatten, überall stehen Terracottagefäße, und lange sanftfarbne Blütendämme mit immergrünen, öligen glattmatten Blättern ziehen sich nebenhin. (…) Bis in knochene Weiße ausgeblichene, doch leuchtende Mauerruinchen, stengelndes, aus der Placenta ihrer lappigen Blätter entlassenes mehrfach geteiltes Röhrchen-Orange.
    >>>> SAN MICHELE 15
    SAN MICHELE 13 <<<<

  2. gar nicht zum thema, doch das ist nun der vierte tag in folge, dass mir “ziselieren” unterkommt. am sonntag war’s in einer restaurant-kritik, am montag bei handke, gestern in einem mail zu fernfreundschaften und jetzt hier. vielleicht sollte ich mal damit beginnen.

    1. Das ist ein gutes Wort, wenn man seinen eigentlichen Sinn anschaut.
      ziselieren swV. erw. Fach. ‘Ornamente in Metall einarbeiten’ (<18. Jh.). Entlehnt aufs frz. ciseler, zu frz. ciseau ‘Meißel’, dieses über spätlateinische Zwischenstufen zu l. caedere (caesum) ‘schneiden, abhauen’.
      Kluge, Etymologisches Wörterbuch, 23. Auflage, Berlin/New York 1999

      ANH hat also, wie ein Skulpteur, ein Bild geschnitten – oder es zumindest versucht. Die Abwertung, die der hier diskutierte Begriff unterdessen erfahren hat, steht in einem Zusammenhang mit derjenigen für den Begiff ‚manieriert’. In beiden Fällen wird das Handwerk abgewertet zugunsten einer Aussage, die eineindeutig ist, mathematisch gesprochen. Eineindeutigkeit ist funktional, läßt sich also als Information auf einen Warenwert berechnen und dann handeln. Das Ziselierte und Manierierte hingegen besitzt immer einen unberechenbaren Anteil. Den nimmt, auf dem Umweg über sprachliche Denunziation, die Ökonomie auf ihr Korn.

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