Demut & Kunst.

Es wird im stillen vorausgesetzt, derjenige, der etwas – oder mehr als andere – k ö n n e, trete immer bescheiden auf. Sagt einer aber, was er i s t – er braucht dabei nicht einmal zu übertreiben -, dann wird ihm das Können von den Gefühlen der andren bestritten. Denn es wird der Unterschied als schmerzhaft, wenn nicht demütigend erlebt. Deshalb, letztlich, erwartet man Demut von ihm.
Sie kann vom Künstler mit vollem Recht erwartet werden, wird seiner Arbeit eine angemessene Achtung gezollt; dann in der Tat hat er allen Grund, sich freundlich sehr zurückzuhalten. Fehlt diese Achtung indes, d a r f er die Demut gar nicht zeigen; zeigte er sie, er würde vergessen und seine ganze Gegenwart aus der Welt gedrängt. Zu verschwinden wie Pynchon kann sich immer nur ein Künstler leisten, der schon berühmt ist. Der nicht-berühmte Künstler verschwände einfach, und damit h ä t t e es sich dann. Man wäre ihn, indem er verschwindet, einfach los.

(CCCLXXI).

[Eintrag vom 11.2.2006, 12.03 Uhr
In eine Gegenwart verschoben,
die kurz vergangen ist
So vieles bleibt konstant

(ANH, zehn Jahre später)
Hierzu paßt auch
>>>> dies.]


22 thoughts on “Demut & Kunst.

  1. und wenn man auf die empfindlichkeiten der bürgergesellschaft – ein wenig – rücksicht nähme? vielleicht würden sie einem dann mehr achtung zollen … ist es nicht ein teufelskreis?

    1. Aber wie sollte es IM WERK eine Rücksichtnahme geben? Wie soll sich einer, der Kunst absondert (und es ist ja ein Prozess der Absonderung) zurücknehmen, wie soll er auf Befindlichkeiten eingehen, ohne damit zugleich ein ungenießbares Sekret aus Larmoyanz und falscher Duldsamkeit auszuscheiden?

      Zu ANH: Beachtung allerdings hat Kunst per se verdient. Es ist die Aufgabe des Künstlers, fürdie Beachtung seines Schaffens zu streiten. Wie gut, dass es Künstler wie Dich gibt, die schreiben, was zu schreiben ihnen notwendig erscheint, ohne dabei auf Befindlichkeiten von irgendwem Rücksicht zu nehmen. Ob der erreichten Beachtung nun Demut entgegenbracht werden sollte, oder nicht, scheint mir aber eher in der Personlichkeit des Künstlers begründet zu sein. Ich halte nicht viel von Bescheidenheit, weil mir das zu nahe an Koketterie ist. Andererseits halte ich auch nichts von Aufschneidertum. In der Regel sind es die, die schrubbeln, wenn sie produzieren, welche sich – nicht das Werk – im Übermaße wichtig nehmen. Du scheinst mir übrigens keinen Grund zu Demut zu haben; zwischen all den Büchern, die voll mit einer verkümmerten Sprache sind, ragen gerade Deine sprachgewaltig und wohlkomponiert hervor. Aber ich vermute, Du wirst den Begriff der Demut in einem anderen Sinne gebrauchen, als ich es täte. Wer der Welt Bücher geschenkt hat von so hoher Qualität, hat ein Recht auf ruhige Zurückhaltung und ein Quäntchen Selbstzufriedenheit.

    2. Dennoch ist das mit dem Teufeskreis tatsächlich richtig. Aber es ist ein e c h t e r, was bedeutet: die Situation ist nicht rekursiv. Rücknahme & Demut (im Sinne öffentlicher Bescheidenheit) brächten mir sich, vergessen zu werden, jedenfalls zu Lebzeiten und in meiner Situation. Wiederum n i c h t diese Demut zu zeigen (von “zu wenig Demutsgesten gegenüber dem Betrieb” sprach Hintermeier in der FAZ), bedeutet, daß sich die Fronten immer weiter verschärfen. Nun kommt es darauf an, was einem wichtiger ist: das Werk oder der soziale Friede. Ich habe – vor lebensgeschichtlich langer Zeit – meine Wahl getroffen. Nur darum wird das Werk noch immer und sogar zunehmend diskutiert. (Hierbei spielen Germanistik, Literatur- und neuerdings auch Medienwissenschaften eine für mich bedeutsame Rolle. Selbstverständlich bin ich mir des Umstands bewußt, daß es in diesen Wissenschaften ebenso heikel wäre, hätte ich eine universitäre Position, die an Macht und damit Einkünfte geknüpft ist. Die habe ich dort aber nicht, und also kann die Wissenschaft mein Werk neutral betrachten. Da der Literaturbetrieb machtpolitisch zu einem gar nicht kleinen Teil auch aus solchen Schriftstellern besteht, die von ihm mit Nachdruck gehypt* wurden, wird man sich hüten, sich einen Rebellen wie mich ins Bett zu legen.)

      [*): gehypt, so lese ich gerade, wurde als neues Wort am 21. September 2001 der deutschen Sprache offiziell integriert.]

    3. „Es kann keinen anderen neben mir geben.“ Woher nehmen Sie das? Ich habe auf solche anderen – neben und weit über mir – vielfach hingewiesen, in m e i n e m Bereich, aber auch in anderen Bereichen. Ich kann, wenn ich Gelegenheit habe, stundenlang über solche anderen schwärmen; es kommt ja nicht von ungefähr, daß ein großer Teil meiner Radioarbeiten gerade anderen, die ich bewundere, g i l t. Und Ihre Frage, woher ich wissen wolle, wer mir da gegenübergesessen habe, kann ich leicht beantworten: aus dem aktiven Ressentiment der Wortbeträge… nicht aller, auch das schrieb ich, aber einiger. Leute, die wissen, wovon und worüber sie sprechen, h a b e n kein Ressentiment. Das ist sehr einfach.
      Aber Ihr Beispiel Beuys… wissen Sie, der Mann hatte eine Professur, und als er da hinausflog, war sein ökonomisches Leben gesichert. Aus solcher gesellschaftlichen Sicherheit l ä ß t es sich humorig reagieren. Nicht viel gegen Beuys, es gibt grandiose Arbeiten von ihm, gegen die manche andere verblaßt, aber es gibt auch viel Scharlatanerie. Die mag man auf die Humorseite buchen.
      Im übrigen gibt es auch andere Lesungen, die ich bestritt; aber ich werde mich ganz sicher nie in einen “sozialen” Rahmen fügen, weil nämlich meine Erfahrung mir sagt: der ist immer, und zwar grundsätzlich, korrupt… jedenfalls, wenn mehr als sagen wir zehn Leute beisammen sind, in denen sie auf sich selbst gestellt sind. Die menschliche Art ist von einer ganz unerträglichen Gruppigkeit; ich mag das nicht, sie hat einen perfiden Kuhstallgeruch. Irgendwie ruft sie in der Gruppe immer “Kopf ab!”. Deshalb treffe ich mich auch privat mit nie mehr als etwa zehn Leuten; was darüber hinausgeht, ist, wenn niemand die Leute organisiert, von Übel – und ich rechne mich da durchaus mit ein; das geht auch an meine eigene Adresse. Auch ich gehöre dieser Art a n; und weil ich weiß, ich bin nicht frei davon, halte ich mich fern. Aber, wie geschrieben, an diesem Abend war es der T e x t, nicht ich, der dasaß.
      Die ganze Angelegenheit ist prinzipiell heikel; einerseits will man – als Künstler – gehört werden, andererseits weiß man genau: hören einen zu viele, dann stimmt etwas nicht. Wohlgemerkt: in der Annahme durch eine Gruppe. In ihr reagieren nämlich andere, reagieren Massengesetze, die jedes persönliche, private und darum riskante Bedenken unterlaufen. Die Annahme durch viele einzelne, die, addiert man sie, ebenfalls eine Gruppe ergeben, ist etwas anderes. Das ist der Sinn von Alban Bergs Wort nach der erfolgreichen Uraufführung seiner Lyrischen Suite: “Ich habe offenbar etwas falsch gemacht.”

  2. Anders. Meine Herren, Sie tun ja grade so als sei Demut ein Mäntelchen oder Jäckchen, das man heute anziehe und morgen eben nicht, weils Sönnchen scheint. Oder eine Maske für ein venezianisches Vergnügen zum Karneval. Ich will gar nicht großartig thematisieren, worum es sich dabei tatsächlich handelt – keineswegs jedoch um Kriecherei und der, der vom “gemeinen Haufen” demütig genannt wird, ist es oft nicht einmal. Für mich stellt sich die Sache viel simpler dar: Man ist demütig – oder man ist es eben nicht.

    “Die Natur des großen Menschen
    gleicht der eines kleinen Kindleins.
    Schlangen und Tiger beißen es nicht
    wilde Tiere reißen es nicht.
    Der Tiger findet nicht, worein die Klaue zu schlagen“.

    (Lao tse)

  3. Doch. Wilde Tiere r e i ß e n es. Menschen f o l t e r n es. Und das Naturgesetz zerreißt es. Da mag es demütig sein, wie es will. Etwas anderes zu sagen, ist Glaube wider die offensichtliche Realität. Oder um es säkular zu sagen: Es ist Esoterik. Und kunsttheoretisch gesprochen: Es ist Kitsch.

    1. Tatsächlich tun wilde Tiere es nicht. Menschen aber schon (wobei grade in Bezug auf Kinder der Begriff Mensch dann schon schwer in die Tastatur geht!) – wenn man ihnen eben diese Angriffsfläche liefert (Es ist dahingehend schon eine Frage der Wahl: Liefere ich sie u m den gewalttätigen Impuls im Anderen zu benennen oder vermeide ich die Konfrontation. Letzteres muss nicht zwingend Feigheit sein. Es ist immer und ausschließlich situationsbedingt). Dabei ist es irrelevant, ob man Ressentiments gegenüber Esoterik oder Kitsch hat *schmunzelt. Es mag Esoterik sein oder nicht, es mag Kitsch sein oder nicht – es funktioniert. Ich möchte gar nicht auf den Pfad gehen, Menschen zu benennen, die dafür stehen, es bewiesen haben. Die Frage ist eine grundsätzliche. Dass das, was gemeinhin als Demut bezeichnet und somit auch eingefordert wird, selten Demut ist, hatte ich schon angemerkt.

    2. Es funktioniert n i c h t. Bei Insekten eh nicht, bei Viren sowieso nicht, und ebenso wenig funktioniert es beim Tiger, der, w e n n einmal auf Menschen aus, sehr gerne kleine Kinder reißt. Aber wenn Sie anderes glauben, möge der Glaube mit Ihnen sein. (Wer wäre ich, Ihnen solch eine Sicherheit nehmen zu dürfen?)

    3. Sie sprechen da etwas Wichtiges an, worum es m. E . nämlich geht: Eine bestimmte Entartung. Kein geistig gesunder Mensch verginge sich bspw. an einem Kind – dennoch geschieht es tagtäglich. Eine Konfrontation solcher Art zu vermeiden ist schlicht natürlich. Wenn ich einem Psychopathen gegenüberstehe, reize ich ihn nicht. Der Grat in Bezug auf Kunst ist ein sehr schmaler. Es ist definitiv kein Einfordern von Demut, wenn von Kunst verlangt wird, dass sie sich beugt. Das ist vollkommen unstrittig. Ich bleibe aber dabei, dass es Situationen gibt, in denen Demut nicht nur angebracht sondern unabdingbar ist, um weiterzukommen.

    4. Hier treffen wir uns. Als ich K. O. Apel begegnete (dem nachkantianischen Moralphilsophen, der um die Letztbegründungsproblematik einer allgemein verbindlichen Moral kämpfte), schwieg ich. Das ist mir übrigens auch bei dem alten Manfred Hausmann so geschehen. Und eine ähnliche Demut empfand ich – lachen Sie jetzt nicht -, als ich Alice Schwarzer auf einem Podium diskutieren hörte. Ja, bisweilen ist Demut angebracht. Aber man f ü h l t sie. Sie wird dann, meiner Erfahrung nach, nie als Forderung gestellt. Ich bin mir sehr sicher, es wäre mir auch bei Hannah Ahrend so gegangen.

    5. Sie haben schon recht. Stimmt. Ich bin halt Choleriker und hab dann immer damit zu tun, meine Wallungen runterzudrücken. Diese Anstrengung, es i s t eine, merkt man mir wahrscheinlich an.
      Was die Performance betrifft, so find ich sie eine prima Idee. Alles inszeniert: Publikumsmurren, mein Wutausbruch, die à la Kinski in den Hörsaal geschleuderten Stühle, eine Schlägerei, schließlich mein Tod. Krankenwagen, Polizei usw. Riesiger Presserummel nächstentags, dabei sitz ich längst im Flugzeug und leb dann quietschvergnügt in Palolem. So für ein Jahr. Danach auferstehe ich wieder. D’Annunzio fiel als junger Dichter tödlich vom Pferd; als ihn die Nachrufe so richtig berühmt gemacht hatten, hob er den Finger und sagte “Guckguck!” Der von mir als Liedermacher geschätzte André Heller wurde dadurch bekannt, daß er, von dem noch kein Aas sprach, für den ORF einen Film drehte und austrahlen ließ, der DAS WAR ANDRÉ HELLER hieß.
      Ich kann mich ja mal ans Treatment begeben.

    6. Performance Schöner Gedanke. Aber leider bei Schlingensief schon komplett ausgereizt, inklusive gestellter Schlägerei (vgl.: Projekte “TALK 2000” et al.)

    7. witzig, wie hier manche ein esoterik-problem haben bzw. wegen einiger weniger zeilen lao-tse gleich wissen, wo es lang geht. wenn einem die unschuld verloren geht, hat der tiger schon die krallen im fleisch; und lao-tse will ja die unschuld (die hat was mit der echten “demut” zu tun..) wiedererlangen. wieso ist das esoterik-geschwätz? (oder, wer sich ernsthaft mit dem i ging auseinandersetzt, würde so einen käse – @pätzold – niemals verzapfen)
      heller hatte übrigens einiges an geld geerbt, das er in diesen seinen film investierte – ohne das geerbte geld gäbe es den bemerkenswerten film nicht, denn der orf hätte ihn niemals gemacht.

    8. Ohne den Mäzen R. Hätte es auch den WOLPERTINGER nie gegeben. Manchmal gehen diese ‘Dinge’ so.

      Ich übrigens habe das I Ging n i c h t Esoterik-Geschwätz genannt; dazu kenne ich es ja viel zu wenig. Doch auch Herr Pätzold hat das nicht. Das, was Sie nun Geschwätz nennen, ergibt sich vielmehr aus einer korreespondenten Assoziation. Gleichviel.
      ABER: Unschuld ist etwas, das Schuld voraussetzt. Ich halte diesen Begriff für so wenig erkenntnisfördernd wie ‘wahr’, auch wenn ich immer wieder – um mit ihm umzugehen, da er ja d a ist, und es nützt nichts, das zu verleugnen – um etwas herumdenke, das in der Zeit meiner Psychoanalyse folgende sprachliche Form fand: schuldlose Schuld. Diese kann ich verstehen; sie ist dem klassischen (antiken) Begriff der Tragik nahe.

    9. Je grösser das Werk, je grösser die Last auf den Schultern des immer bescheidener gewordenen.

      Demut ist nonsense.

      * Gruppe mit Masse gleichsetzen = Vollquatsch, wenn nicht schon Verblenderei.

  4. Mir scheint, Sie waren ja doch einmal im ganzen Miles- and More-Programm des Betriebs gut drin. Stipendien, die üblichen Stadtschreiberaufenthalte, Massimo. Und dann haben Sie vielleicht Höhe bekommen und dachten, Sie wären vielleicht doch noch größer als die 1000 anderen im Betrieb, und aus dieser Höhe dann sind sie gefallen.

    1. @Anuk. Ja, “gefallen”: mit dem Andersweltprojekt und danach mit Meere. Und “aufgestiegen”, vorher, allein wegen einer einzigen Kritik, zum Wolpertinger, in der FAZ.
      Es geht nicht um “Größe”; bekanntere Autor:inn:en sind nicht unbedingt ästhetisch größere. Es geht um Anpassungsleistung, um die geforderte “Demutshaltung” halt – bzw. um “Main”stromlinienbereitschaft, auch um Politik, nicht zuletzt sogar. Um Marktmechanismen und ihre Affirmationsformen.
      Ist nix Neues, kennen wir aus der Literaturgeschichte zur Genüge.

    2. was meinst du was sie tat.
      sommerfrühlingwinter.

      ich will auf schloss gripsholm nicht mehr logieren.
      es müssen definitiv mehr dabei sein, wenn schon denn schon.

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