Weiters zum Öffentlichen Tagebuch. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (64).

Der Stachel ist nicht so sehr, daß ausgesprochen wird, was sich verschweigen soll. Das ist a u c h eine Seite, sicher, die Licht auf anthropologisches Anderssein einer ganzen Art werfen kann – oder auf’s eben-d o c h-so-Sein, wie man annahm, und zwar in der ganzen Banalität und der ganzen Glut. Sondern es mit Klarnamen zu tun, so daß der Leser den Bekenner auf der Straße trifft, ihn anschaut und sagt (meistens wird er’s nur denken): „Ach, der Arme!“ oder „Dieses Arschloch!“ – d a r i n liegt die Provokation. Daß sie F o r m hat, sonst wäre das Weblog nicht literarisch, löckt dabei ganz besonders wider den geregelten Anstand. Dann stehenzubleiben und stolz zurückzuschauen, vielleicht zu lachen und zu sagen: „Je nun, so ist’s“ und sich nicht weiter drum zu bekümmern, schließt Freiheitsräume auf. Man braucht die Heimlichkeit nicht mehr und macht die Erfahrung: Da ist ja gar keiner, der „Ach, der Arme“ ruft. Sondern die Leute schaun einen an und sind irritiert, weil sie mit soviel Klarheit nicht klarkommen können. Aber selbst das ist es eigentlich nicht, sondern: daß das Geheimnis b l e i b t, und das Bekenntnis hat ihm rein nichts genommen. Im Gegenteil, zur sich öffnenden Person ist Geheimnis noch hinzugekommen. Allein, weil sie dasteht. Als Person u n d als Text. Da i s t dann niemand, der sagte: „Der ist ja gänzlich ausgehungert und gibt’s auch noch zu!“ Sondern der Leser ist sprachlos gegen so viel offene, vitale Realität. In diesem Moment gehen Literatur und körperliche Wirklichkeit einen Bund miteinander ein, und eines hebt das andere. Kunst wird Welt – Weltt e i l, wohlgemerkt.

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3 thoughts on “Weiters zum Öffentlichen Tagebuch. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (64).

  1. ICH brauche die Heimlichkeiten, damit ich überhaupt ein Gesicht habe. So schauts aus, würde man hier – in Südkärnten, beim Baško jezero, mit Blick auf den Mittagskogel, das heißt, dort, wo die Ortstafeln täglich wanken, ja, dort wo die Kara-wanken… – sagen! Ich hab kein Problem mit der Physis (in diesem Zusammenhang), ich seh mich ganz leiblich im Moment, nicht als Text. Leiblich, nicht als Mega-Gummi-Entlein für Ihre Zwecke, sondern als autonome Hormon-Heldin, ganz die Meinige, ganz dschända – Sie wissen, was ich jetzt denke (es reimt sich), was Sie jetzt denken! Lustig sind natürlich die offenen Geheimnisse der sich öffnenden Person. Was sie nicht tut. Sie bleibt verschlossen wie ein Gesicht,eben ein Sprach-Rohr! Vital, präsent und – im (fremden) Alias gefangen, ich dumme Provinz-Nerdine, ich!

    1. Weshalb brauchen Sie für ein Gesicht die Heimlichkeit? Mit ist das sehr schwer nachvollziehbar. Heimlichkeit bedeutet gesellschaftlich doch auch, daß jemand da sein muß, sie zu schützen: eine Instanz, etwa ein Gesetzgeber, dem man sich dann unterwirft – und zwar auf die Gefahr hin, daß er weitere Gesetze erläßt, die einem weniger schmecken. Man wird abhängig, man akzeptiert Autoritäten, die Autorität lediglich ihrer versammelten Macht wegen h a b e n und nicht etwa s i n d. Es sind fomale Autoritäten, zumal mit Waffen ausgestattet, denen man sich dann unterwirft.Und überhaupt: W e s h a l b sich jemandem unterwerfen? Hieße Gesicht zu haben nicht gerade: s t o l z zu stehen und stolz zu zeigen, wer man ist?: weil es eben daran keinerlei Schuld gibt? Und sich eine Schuld auch gar nicht erst suggerieren zu lassen?
      Freier Stolz läßt Autorität nur dann zu und ruft sie auch dann nur an, wenn er sie seelisch bei jemandem spürt. Instanzen indes haben keine Seele, es sind – Apparate.

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