Man erinnere sich, daß Goethe irgendwo notiert, das Poetenalter, an neuen Ideen arm, schaue nach den Notizen der Jugend und führe die dann aus – mit einem Geschick, für das der erwachsene Poet oft keine Zeit habe – zu sehr drängten die Arbeiten, an denen er da sitze, und fesselten all seine Aufmerksamkeit; in der Jugend hingegen habe der Poet noch nicht Formkraft genug: er sei da seinen eigenen Ideen formal oft gar nicht gewachsen; um es zu werden, müsse er erst noch gehörig, um es mit Karl May auszudrücken, durch >>>> die Geisterschmiede von Kulub hindurch („Der Schmerz beginnt sein Werk, der Schmied, der Meister“). – nämlich durch das bis ins Alter entstehende Werk. Erschöpfe sich endlich der Reichtum der Ideen, vielleicht auch: docke eine Müdigkeit an, ein Verlust an Wille, vielleicht auch ein mit Distanz verbundenes Desinteresse, das bereits das Ende in den Blick nehme, dann werde es Zeit, nach den alten jugendlichen Notizen zu schauen. Dann erst könne in Angriff genommen werden, was so viel früher skizziert worden ist. Gleichwohl werde die Aufgabe in der Jugend g e s t e l l t, sie habe nicht nur r e c h t, sondern sie bewahre dem Alter das Feuer, das in solchen jugendlichen Ideen glimmt. Und sei nun (aber ich erinner mich nur; Erinnerungen sind, wohlgemerkt, aus Geschehenem und Weitergedachtem, sich weiter-Denkendem Weitergeträumtem, gemischt) endlich bereit zu brennen. Vielleicht lächelnd, vielleicht grimmig entfacht der Alte das Feuer nun, schürt es, bewacht es. Dies schafft dann, denk ich mir, den speziellen Klang eines Alterswerks (Beethoven, späte Streichquartette, Mahler, Das Lied von der Erde, Nabokov, >>>> Ada or Ada – einer der größten Romane, die je geschrieben wurden, Lolita wird ganz blaß dagegen): wenn die Verpflichtung, die die Jugend gab, sich in der Technik, dem Handwerk, des Alters erfüllt: da kommen dann Glut und Wissen zusammen. Der Character eines Alterswerks ist der einer leuchtenden Ambivalenz, einer Unmöglichkeit auch: was sich die meisten Menschen als Abgeklärtheit kultivieren, hinter der sich doch oft nur schale Resignation verbirgt, wird energetisch.
Das Literarische Weblog nun sammelt ebenfalls solche Ideen: man kann, liest man es von Zeit zu Zeit stichprobenartig durch, Hunderte von Ideen finden, die skizziert sind, die vielleicht auszuführen schon begonnen wurden, die dann aber abbrechen und scheinbar brach liegenbleiben. Das wirkt nach mangelnder Konzentration, nach Arbeitsschwäche, nach Unentschiedenheit. Sofern aber zugleich andere Werke entstehen (hier ist es ARGO, hier sind es die Hörstücke, hier ist es der Erzählband usw.), kann der Leser finden, wie sich die Konzentration g e r a d e konzentriert und dennoch nicht davon abläßt, immer wieder Neues zu beschreiben zu skizzieren und ihm auf kürzere Zeit je zu folgen, bis doch die eigentliche Arbeit wieder aufgenommen wird. Liest der Dichter im späteren Alter sein Literarisches Weblog dann selbst, drängt sich ihm nicht nur das Zurückgelassene mit alter Kraft auf, sondern auch sein Zusammenhang, etwa durch die Form eines parallel geführten Tagebuchs – und er wird, so müde er dann auch sein mag und der Rücken tut schon so weh, abermals aus dem Vollen schöpfen können. Der Unterschied zu konventionellen, überkommenen „Notaten für später“ liegt in der Einbettung in seinerzeit wirkende Umstände. Das Alter neigt neben der Verbitterung zur Verklärung: Beidem schiebt das Literarische Weblog mehrere Riegel vor. Es verpflichtet den alten Dichter sehr viel mehr zur Wahrhaftigkeit, als irgend ein goethesches Jugendnotat das vermöchte.
So etwas, wenn man es frühzeitig sieht, will organisiert sein: Deshalb empfiehlt sich die Verwendung von Kategorien (>>>> „Projekte“, >>>> „Poetologie“, >>>> „Frauen und Männer“ usw.), nach denen der Alte später einmal wird suchen können. Er wird dann, sein bisheriges Werk überschauend, finden, wo noch etwas fehlt und welches Mosaikstück in das Gesamtbild noch eingefügt werden muß. Oder wo sich etwas aus unbewußten Gründen vergaß. Einfügungen, wie etwa >>>> EA Richter, sind dabei prinzipielle Handwerksaspekte, die sich in den, sagen wir, „reifen“ Jahren erlernen.
[Das Literarische Weblog ist, s o gesehen, ein Handwerkszeug, das, wie die Arbeit am Computer, dem ä u ß e r l i c h e n Material einen niederen Rang zuweist und sich aufs Innen, die Inhalte und ihre Gestaltung, ganz besonders fokussieren läßt. Sämtliches „Wo habe ich das nur notiert?“ entfällt, denn vermittels eines primitiven Suchbegriffs läßt sich das Verlorene jederzeit wiederfinden: Die >>>> Konkordanz, ein literarwissenschaftliches Instrument, wird zum leichtgängigen Element der Dichtung selbst. Auch das zeichnet die Kategorie der „Selbstreferentialität“ sowohl in der Postmoderne als auch in Der Dschungel aus.]