Arbeitsjournal. Sonntag, 16. Juli 2006.

9.26 Uhr:
[Berlin, Kinderwohnung Küchentisch.]
Nun liegen die weiteren 226 Typoskriptseiten des vierten ARGO-Teils vor; noch sind sie nicht ausgedruckt. Und ich bin ein wenig verwirrt, wegen meiner persönlichen, heiklen Situation zudem. Es hat etwas von einer gefüllten Leere um mich herum. Dabei bin ich, von gelegentlichen Verzweiflungsanfällen, ausgesprochen beherrscht, sogar ruhig fast; man könnte sagen: in mir gebunden. Ich schmecke Erinnerungen, Erinnerungen an diese vierte ARGO-Arbeit, die ich am 23. Januar nach einer kleinen Pause vom Dritten Teil, begonnen und in der Rohfassung am 24. Juni abgeschlossen habe. Die erste Überarbeitung brauchte mithin knapp drei Wochen. Nun ist diese Erste Fassung (EF) des Vierten Teils auf dem Papier zu korrigieren; gleichzeitig werden die Freunde mitlesen und mir dann i h r e Korrekturen/Mäkeleien/Kritiken schicken. Habe ich das alles eingearbeitet, müssen die 315 Fußnoten und 411 Arbeits-Notate eingebaut/abgearbeitet, in den Gesamttext (also in alle vier Teile) eingefügt werden; ebenso wird jetzt >>>> EA Richter von vorne her angelegt: das heißt, es kommt ein Erzählungsstrang hinzu. Steht alledies und ist das ausgedruckt, dann liegt die Zweite Fassung (ZF) vor. Allerdings dient der August einer Unterbrechung, nämlich einer neuen Arbeit für den Hörfunk: Da will ich mein >>>> Allan-Pettersson-Requiem schreiben, das der Hessische Rundfunk in Auftrag gab und das im Oktober produziert werden muß. Also ARGO-Arbeit dann erst wieder ab September. Da ist der (kurze, aber knifflige) Fünfte Teil zu schreiben: reiner Hexameter, stell ich mir vor, aber in Prosa aufgelöst, nur spürbar, nicht sichtbar. Der letzte Satz wird ein Pentameter sein, fallende Betonung, Abschluß. Für den Text (dem ich rhythmisch die ‚übriggebliebenen’ Achilleis-Seiten des >>>> Goethefragments zugrundelege) rechne ich einen Monat. Dann läge auch dieses Ding im Oktober vor. Daran wird, wegen des gebundenen Rhythmus’, inhaltlich weniger zu feilen sein als an den anderen Teilen. So daß ich von dann an mit der Überarbeitung zur ZF werde beginnen können. Dafür rechne ich ein halbes Jahr; also wird die ZF im März 2007 vorliegen. Das bedeutet, ab März muß der Text gekürzt werden, werden die >>>> hängenden Motive herausgelöst werden usw. Soweit ich die Lage jetzt überschaue, werde ich mindestens ein Fünftel des Romans streichen, bzw. Gestrichenes für mögliche andere Arbeiten archivieren.
Meine Rechnung derzeit:

Bei einem zwar recht kleinen, aber noch angenehmen (Taschenbuch)-Satzspiegel von 59 Zeichen x 39 Zeilen = 2231 Zeichen pro Seite ergeben die jetzigen 871 TS-Seiten à 2656 Zeichen überschlägig 1086 Buchseiten. Wird der Satzspiegel etwas ausgewogener gesetzt, kann ich von 1200 Buchseiten ARGO ausgehen. Davon ein Fünftel weggenommen (sofern ich das hinbekomme), bin ich dann immer noch bei 960 Seiten – das ist so ziemlich die einem derzeitigen Leser noch zumutbare Oberkante.

Soweit ARGO. (Ausdrucken werd ich erst morgen, da ich zuvor Papier kaufen muß).

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Außerdem der Gedicht-Bändleins-Plan. >>>> Dielmann sieht das Frühjahr 2007 vor, einen fadengehefteten 32-seiter, nicht mehr, zweisprachig, /?p=10959“target=”_blank”>>>>> Prunier übersetzt quasi simultan ins Französische mit. Welche Gedichte schließlich publiziert werden, ist schon deshalb noch nicht ganz heraus, weil ich laufend neue schreibe. Einige kann ich aus persönlichen Gründen nicht in Die Dschungel stellen, andere >>>> können Sie bereits nachlesen.

Und ich muß mich auf die Veranstaltung mit >>>> Menninghaus vorbereiten: Öffentliches Gespräch über SCHÖNHEIT im Rahmen des Frankfurtmainer Literaturfestes 2006 am 22. September. Sowie es im Netz darüber etwas gibt, leg ich für Sie einen Link.

[Zu viel werd ich heute nicht mehr kommen, da es gleich mit dem Jungen ins Schwimmbad geht. Immerhin werd ich dort >>>> Renz’ Buch „Schönheit“ weiterlesen. Nachmittags wollen wir uns >>>> die Berliner Ägypten-Ausstellung ansehen.]

10.40 Uhr:
Eine Eingebung folgend eine Mail an >>>> Wolf Singer geschrieben, den ich als Freund von Lydia und >>>> Paulus Böhmer kennengelernt habe und bisweilen locker sah: ob er Lust habe, mit mir über Freiheit und Autonomie zu korrespondieren. Ich stelle meinen Brief (noch) nicht in Die Dschungel, da ich erst seine Reaktion abwarten möchte. Schweigt er oder sagt er ab, lasse ich das Vorhaben auf sich beruhen; dann hat der Brief hier auch nichts zu suchen.
Und jetzt ab ins Panow-Bad.

22.31 Uhr:
[Berlin, Kinderwohnung Küchentisch.]
Die >>>> Ägyptenausstellung angesehen, sprachlos vor einer >>>> Schönheit gestanden. Die Sphingen beeindruckten sehr viel weniger. Aber die Stelen beeindruckten sehr, die Säulen – und ein Raum, der an Beuys’ Europa-Installation erinnert. Ich nahm ein Bild davon auf.Sofort bekam ich Ärger mit einem Museumswärter, der den Autoritären herauskehrte und auf meine Frage, weshalb man nicht fotografieren dürfe (ohne Blitz selbstverständlich), mir ein „Sicherheitsvorschrift“ entgegenzischte. Ich: „Welche Sicherheit wird denn gefährdet?“ Er: „Das geht Sie nichts an.“ Ich: „Aber ich möchte es gerne wissen.“ Er: „Wenn ich Ihnen sage, daß es verboten ist, dann haben Sie sich dran zu halten.“ Usw. Er stand dann kurz davor, mich hinauszuwerfen. Ich hätte es drauf ankommen lassen, aber wollte Rücksicht nehmen. Es war ja auch egal, schließlich h a t t e ich meine Bilder. (Zwar wollte der Typ, daß ich sie löschte, ich klickte aber einfach irgendwo auf dem Kamerachen rum, grinste den Kapo an und sagte: „Und wie wollnSe das jetzt kontrollieren?“ Dann setzte ich noch nach: „Das erinnert hier verdammt an die Beuys-Installation im Hamburger Bahnhof. Deshalb hab ich das aufgenommen. Kennen Sie Beuys?“ Er war sichtlich überfordert und kochte vor Wut. So ließ ich ihn stehen.)

Später eine >>>> Diskussion über politische Filme. Was mich dabei beschäftigt, ist, daß an der Gegenposition etwas dran ist, das wie ein Stachel in aller Kunst steckt. Man kann das gar nicht scharf genug fassen: daß Kunst wahrscheinlich keinen Beitrag zu einer objektiven (realen) Verbesserung leistet. Sie gestaltet Unheil, bannt es vielleicht, das ja, macht es aushaltbar – damit der Mensch, der es sich ständig vergegenwärtigt, nicht verrückt daran wird. Insofern ist Kunst immer eine Form von Beschwörung. Daher ihre Nähe zum Sakralen.

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