Das hängende Motiv. Argo. Anderswelt. (204).

Daß es Absprachen Phersons mit Ungefugger gegeben hatte, damals, einige Zeit vor Nullgrund, beim Golfspiel, wußte der alte Gegner nicht, und Pherson selbst, selbstverständlich, verschwieg es ihm; Konkurrenten bleiben Konkurrenten, auch wenn sie fusionieren. Von solchen Abprachen hatte aber auch Goltz nichts gewußt, nichts von der öfteren Anwesenheit des Emir Skamanders in Frank Phersons Stammgebäude, diesem Medienbau von der Gestalt eines kleinstadtgroßen Fernsehgeräts. Er hätte denn geahnt, G o l t z hätte geahnt, wie es an Nullgrund zu des zweiten Odysseus’ durchlaufender Nachrichtenzeile gekommen war; man hätte dann etwas Greifbares in der Hand gehabt, das nun nur Frank Pherson, aber umsonst, in der Hand hielt.
Ich unterscheide Hängende Motive von Abgeschlossenen Motiven, insofern sie zwar mit dem Gesamtgewebe verknüpft sind, aber an zwei oder meinethalben dreivier Stellen nur. Ein Abgeschlossenes Motiv hingegen zieht sich durch den Roman wie ein unablässig, wenn auch periodisch, neu und neu verknüpfter Erzählfaden; ein Abgeschlossenes Motiv ist vollendet. Das Hängende Motiv, deshalb meine Begriffsbildung, ‚hängt’ im Gewebe wie ein Kokon in einem Ensemble von Gräsern oder wie eine Ananas in der Astgabel sitzt. Hängende Motive haben meist etwas Schmarotzendes, oft sind sie aber, deshalb t r i f f t das Wort ‚Kokon’, Ausgangsgebilde für neue Erzählcluster und darin wiederum von losen Fäden unterschieden, die bei der ersten oder zweiten Überarbeitung, wenn einmal das Ganze vorliegt, herausgeschnitten werden müssen. In Hängenden Motive ‚hängen’ nicht selten die fürs Verständnis einer oder mehrerer Erzählstränge notwendigen Informationen; allerdings warten sie sozusagen darauf, daß auch sie noch ausgeführt werden. Bei großen, das heißt umfangreichen Romanen, die ohnedies mit sehr vielen Personen und Handlungssträngen operieren, w i l l sie der Autor möglicherweise nicht des längeren ausführen, rein aus Platzgründen oft; wer ein solches Hängendes Motiv erkennt, der kann sich seine Erklärungen selbst daraus ziehen, indem er sich vorstellt, was aus diesem Kokon schlüpft. Hängende Motive haben also eine Funktion, die freilich in kurzen Texten bis zu etwa 300 Seiten nichts als erzählerische Schwäche verrät.* Hängende Motive in langen Romanen hingegen sind begründet. Es dürfen aber niemals mehr als zwei oder drei sein. Und auch dann hinterlassen sie, findet man sie und überliest sie nicht, einen schlechten Geschmack. Wobei sie gerade im Überlesenwerden ihre Funktion erfüllen: unbewußt bekommt nämlich der nicht-analytische Leser die Erklärung m i t; nur der analytische ist es, dem sie sauer aufstößt.
Ich bin mit solchen Hängenden Motiven – etwa dem oben zitierten – immer höchst unzufrieden und suche dann nach einer Lösung, das Insekt d o c h noch schlüpfen zu lassen, o h n e explizit werden zu müssen. Bei diesem Unternehmen entsteht dann stets die D r i t t e Fassung eines LangRomans.

[Poetologie.]

[*) (Eine Seitenangabe ist eigentlich nichtssagend, ich weiß, seit nicht wenige Verlage dazu übergegangen sind, 50-Seiten-Typoskripte satztechnisch auf 200 Buchseiten aufzublähen.]

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3 thoughts on “Das hängende Motiv. Argo. Anderswelt. (204).

  1. Bescheidene… …formale Anmerkung zu: “von der ÖFTEREN Anwesenheit”. Ich glaube, “öfter” kann man nicht biegen (oder hieß das beugen?), weil es ein Adverb ist. Aber es kann sich natürlich um eine beabsichtigte Regelübertretung handeln, dann will ich meine Grammatikerinnerungen wieder einfalten.

    1. Sie haben völlig recht. Aber ich schreib sowas manchmal ganz gerne und streite mich dann später mit dem Lektor. Meistens setzt er sich dabei durch.
      (Zu einer meiner anderen “Spezialitäten” gehört, den Artikel vor “paar” wegzulassen, also: “Da standen paar Bäume” oder “er sah paar Tonnen und spuckte aus”. In so gut wie keinem meiner Bücher steht das mehr drin, aber mit jedem Typoskript versuch ich’s aufs neue. Lacht.)

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