Arbeitsjournal. Dienstag, der 29. August 2006.

8.23 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Starke Kopfschmerzen. Hab bis spät in die Nacht im Messenger noch mit >>>> june gesprochen und dabei offenbar schlechten Wein getrunken. Fast jedes Gespräch mit June legt meine persönlichen inneren Konflikte bloß, ich habe keine Ahnung, wie sie das macht. Aber sie bringt mich dazu, Ängste auszudrücken, die ich meiner Haltung und der neuen Verantwortung wegen momentan an einem sehr straffen Zügel halte. Bei June gehen sie durch, ich fluche, schimpfe, schlage verbal um mich. Sie bleibt dabei völlig ruhig, bilanziert, und mit so etwas schloß sie nachts um halb zwei: ich bin todmüde und habe morgen wieder einen langen tag, aber was sie erzählen ist zwar (verständlicherweise) getränkt von ihren zweifeln, klingt aber dennoch “rund”. da liegt so vieles in der zukunft wunderbar offen. (…) da steckt viel kraft drinnen! (…) ab und zu müssen auch sie sich mal ausruhen und warten, bis wächst, was sie angezettelt haben. dass das für sie das schwerste überhaupt ist, ist mir bewusst, aber das ist eben die herausforderung, die das leben IHNEN stellt.Von morgens um fünf wälzte ich mich dann bis sieben hin und her, in einem verbissenen Kampf mit dem alle acht Minute auftrumpfenden Wecker. Dann gab ich auf und stellte den Wecker auf halb acht. Der Kopfschmerz ging aber nicht weg. Stattdessen träumten mir ausgesprochen bildhafte Dschungelkommentare, die ich las, auf die ich reagierte, die ich wiederlas. Für >>>> den einen habe ich eben extra ein contributor-Profil angelegt; der Einwand des von mir Traumkritiker genannten Nachtmars hat für mich bis jetzt etwas Erschreckendes behalten.
Dieses Steuerzeug ist jedes Jahr von großer Qual, in diesem Jahr geb ich sie mir häppchenweise. Wäre die Buchhaltung wenigstens mit der Konfrontation ökonomischen Erfolges kombiniert! Aber sie erweist auf Posten für Posten ja eben das genaue Gegenteil. Wo ich normalerweise fliehe und einfach meine Arbeit weitertu, kann ich das hier nicht, sondern muß mich dem ganzen Finanzelend geradezu ein zweites Mal aussetzen und es auch noch berechnen. Wahrscheinlich ist das der Hauptgrund meiner inneren, in ihrer emotionalen Heftigkeit irrationalen Sperren. Der Traumkritiker hat auf seine Weise genau da hineingepult; wegen dieser Genauigkeit nehme ich ihn, auch wenn er nur ein Innenbild ist, eher ernst als etwa >>>> andantes ulkigen Plagiatsvorwurf, der einen nachgewiesenen Autounfall mit dem Nachweis widerlegen will, daß der schuldhafte Part nicht einen eigenen, sondern einen geliehenen Wagen gefahren habe, bzw. sind ja – allenfalls – die Stoßdämpfer geliehen gewesen.

15.13 Uhr:
Sitze über den Kontoauszügen. Und wie ich’s mir schon dachte, galt der Zustellbescheid, den ich gestern im Bamberger Briefkasten fand, einem Zahlungsbefehl. Stoisch nahm ich ihn bei der Post entgegen und radelte zurück. Im übrigen bin ich den Kopfschmerz jetzt erst los.
Wenig geschafft, außer der Steuer; immerhin hatte ich Lust auf >>>> ein weiteres Morrigain-Fragment. Daß ich mit den Bamberger Elegien pausiere, laß ich seelisch nicht an mich heran. Dabei kann solch eine Pause gefährlich sein und einen derartigen Energieschub insgesamt austreten. Für ARGO ist das nicht zu erwarten, dafür liegt zuviel da und hab ich zuviel drin gelebt. Doch dieses Unkämpferische, Ruhende, das die Elegien ausstrahlen und sie überhaupt erst ermöglicht, ist mir ja eigentlich nicht eigen, sondern ein vorübergehend-meditativer Zustand, von dem ich nicht weiß, ob ich ihn nicht binnen kürzestem rigoros wieder verlassen haben werde.
In jedem Fall hab ich, zur Selbst- und ArbeitsKonstuktion >>>> hier und >>>> hier je eine selbstmahnende Note hinterlassen.



Hingegen liegt, daß der Erzähler der Morrigain sich jetzt auf >>>> Reichenbach bezieht, ja wähnt, es könne dieser mit Melissa „etwas haben“, ganz auf meiner ästhetischen Linie. Und hab mich fast etwas geschauert vor Freude, daß sich ausgerechnet dann >>>> Salomé wieder eingeschaltet hat, die ich, kommt’s mir vor, Ewigkeiten nicht mehr gesehen habe. Vielleicht schreib ich ihr, schweizerisch ausgedrückt, ‚ein Mail’ und treff sie auch mal wieder. Wahnsinnsfrau. Zschorsch, der gestern abend von einer anderen, einer jungen baltischen Aristokratin, schwärmte, daß sich die Tische des Bürgerbräus bogen, käme von Sinnen, sähe er sie. (Ich hingegen bin einigermaßen gefeit, da mir dieser vampirische blasse Typus nicht liegt, auch wenn ihm die Verehrer wie eine symbolische Schleppe immer sechshundert Jahre persönlicher Geschichte hinterhertragen, in die er sich des nachts, stell ich mir vor, einwickeln kann: sich und seine – also i h r e – Liebhaber. Es gibt zwischen Salomé und der Morrigan übrigens einige Ähnlichkeit; tatsächlich sind beide keltischer Abkunft. Sie dürfen sich, Leser, nicht täuschen! Salomé heißt in Wirklichkeit anders, als ich sie hier nenne; da ist nicht der Faden eines Nahosts in ihr, sondern alles ist irgendwie >>>> spalteneruptiv.)

22.01 Uhr:
Ob ich wegen >>>> Salomé etwas bereue? Sicher nicht. Ich hab doch jetzt, was ich mir am allermeisten ersehnte. Es geht nicht mehr um die Suche, sondern um die Gestaltung von Ankunft; und das ist schwer genug. (Ich schreib dies im Bewußtsein, daß Salomé mitliest, wie ich seit heute morgen weiß. Einen Moment lang war ich versucht, eines ihrer Bilder einzustellen, Nacktbilder, ja, auf denen sie aussieht wie >>>> Colliers Godiva, aber ich ließ das besser bleiben; zum einen hätte ich sie um Erlaubnis fragen müssen zuvor (na ja, man erkennt ihr Gesicht eigentlich nicht, weil die Cam es halb verdeckt), zum anderen… nun, Sie wissen schon. Aber ich werde ihr jetzt tatsächlich eine Rolle in einer Erzählung geben, irgendwann, nicht heute, nicht morgen. Vielleicht in einem Jahr, vielleicht in zweien. Aus der >>>> Morrigain halt ich sie wohlweislich heraus – z w e i solche Frauen in einem einzigen Text wären zuviel. Zumal, wenn man gerade dabei ist, seine familiäre Zukunft in liebende Ordnung und Sicherheit zu bringen.
Hab die Liste aus den Kontoauszügen fertig, wenigstens das. Literarisch ist Vierteldampf angesagt. Nächste Woche aber stampfe ich voll in den Pettersson und werde einen Monat lang wahrscheinlich nur noch Allan Pettersson schreiben und vor allem hören hören hören. Bis ich jeden Takt auswendig weiß. Und jetzt schau ich mir mal wieder >>>> einen Cronenberg an (>>>> “A History of Violence“), denn um zu lesen, bin ich zu müde.

[„O Haupt voll Blut und Wunden“, Matthäus-Passion, dazu wollte sie sich immer am liebsten lieben lassen; mindestens anderthalb Jahre liegt unsere letzte Begegnung, die sie dann floh, zurück.]

4 thoughts on “Arbeitsjournal. Dienstag, der 29. August 2006.

  1. Soso, Sie entsinnen sich meiner. Wie schön und wie vergeblich! Ausserdem ist ‘spalteneruptiv’ ein so feiner Ausdruck, dass ich ihn sofort als Kompliment aufgefasst habe.

    1. Vergeblich ist, für mich, ein falsches Wort. Denn ich wählte. Und stehe zu meiner Frau. Der ersehnten. Dafür dürfen Sie nun sein, was Sie immer w o l l t e n: eine mythische Erzählung. Das möchten Sie ‚vergeblich’ nennen?

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