Paul Reichenbachs Donnerstag, der 1. März 2007. Salomé tanzt.

>> Karen, er nannte sie so, ihr wirklicher Name verändert die Sachlage nicht, war Bibliothekarin. Sie hat Fülle, ohne dick zu sein, dachte Paul jedes Mal, wenn er sie sah und den Blick von ihren Brüsten, die sich in einem schlabbrigen Pullover verbargen, nicht lassen konnte. Ihre grauen Augen wirkten durch die starke Brille, die sie trug, übergroß. Klug und verschleiert.Verschwommene Eulenaugen im Glas. Ein Widerspruch, der ihm erst spät aufgehen sollte. Leichter Lavendelduft umgab sie und erinnerte an seinen russischen Freund, einen Lyriker, der hier vor Ort seinen Wehrdienst versehen musste. Die Worte klangen rauchig, als Karen, Röte übergoss ihr Gesicht, ihn eines Tages zu sich einlud. Obwohl eine innere Stimme ihn warnte, besuchte er sie.

Die Augen gehen ihn über, als er die Wohnung betritt. An den Wänden Regale mit Büchern: Bloch, De Sade, Nin, Henry Miller, und, und, und. Er kann sich nicht satt sehen, greift nach diesem jenem, blättert vorsichtig Seiten um und liest sich da und dort fest. Karen kocht Tee. Sie trägt ein langes Kleid, das ihr bis an die Fesseln reicht. Auf dem Plattenspieler tastet der Saphir Rille für Rille ab. Richard Strauss „Salomé“, der Tanz der sieben Schleier, ist zu hören als sie ihm Tee einschenkt…

Drei Stunden später sitzt er in der Straßenbahn, auf seinen Knien Rudolf Bahro „Die Alternative“(in Papier eingewickelt, versteht sich!), und ist froh seiner Lust auf Karen, ihrem Versprechen, nicht nachgegeben zu haben. Mit reinem Gewissen kann er seiner Frau und dem Kind entgegen treten. Drei Tage später wird Paul verhaftet. Die Geheimpolizei beschlagnahmt wäschekörbeweise Bücher. Nach jedem Buch, seiner Herkunft und wem er es geliehen habe, wird er die folgenden Monate befragt werden. Bahros Alternative ist nicht darunter, obwohl das Buch im Hausdurchsuchungsprotokoll, einer langen Liste, wie man sich vorstellen kann, aufgeführt gewesen ist.

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