Die Dialektik der Kälte. Notizen. 8.Mai. 2007. montgelas.

Dichtung ist Mitteilung, sie wendet sich an das Menschenherz,
wenn möglich an das aller Menschen.

Vincente Alexeindre

Das böse Kind als alter Mann.

Er hat noch immer diesen Blick
er will noch immer töten
der aus dem Anbeginn der Föten
dem ungeschiedenen Schlick

sich zäh und bös herausgelöst
der langsam, durstig, niemals satt
sich aus dem Ich gerichtet hat
und uns entblößt.

So frei der alte Mann und so allein
so stolz und so erbarmungslos
blieb er erbarmungslos gemieden

und will noch immer keinen Frieden
steht an der Pforte, würgt den Raucherkloß
laut raus. Und rotzt ihn auf den Stein.

An wen wendet sich ein Gedicht, wo das lesende Auge vor Schreck sich schließt
und ein schlagendes, warmes Herz beginnt zu erfrieren? Die kalte Persona, ihr sezierender Blick auf das Ungeheuer, die Figurenperspektive, vom bösen Kind hin zum alten Mann, verstört. Eine aktuelle Auseinandersetzung als gespenstische Allegorie. Klar ist: Nicht nur ein Köhler hat es heutzutage schwer zu glauben. Der Beruf, wo Glaube einfach war, der Volksmund spricht vom „Köhlerglauben“, stirbt aus. Die Meiler, kalt wie das Herz des bösen Kindes, das den Lesern als rotzender Greis entgegentritt, der auf Grabsteine spuckt, sind Realität und Projektion. Es ist die Profession des Reporters sein eigenes, warmes Blut im Bericht zu vergessen, Distanz zu wahren. Die negative Dialektik der Frankfurter Schule, in enge lyrische Strophen gefasst, liegt grauenvoll sachlich in Alban Nikolai Herbst Sonett im Schlick unserer Tage. Die Ausweglosigkeit, Grundmustern zu entfliehen, lässt an Wolf Singer denken, dem hier, in diesen Versen, der Berichterstatter vielleicht seine Stimme leiht. Das Herz der Finsternis als einzig Gegebenes statt durch fehlgeleitete Sozialität Erworbenes hinzunehmen, will Protest. Denn der Mensch ist ein ζώον πολιτικόν, ein gesellschaftliches Wesen. Sein gut – bzw. schlecht’ Teil generiert sich, neben der Biologie, auch durch Gesellschaft. Der Hass auf ihre Unvollkommenheit verzerrt die Züge, kann man bei Brecht lesen. Und mit Goya sehen wir, dass der Schlaf der Vernunft Ungeheuer gebiert. Aggression, im Menschen angelegt (Wir kommen vom Tier!), ein guter und zugleich schlimmer Motor, der überleben hilft, kann sich im sozialen Raum fruchtbar in produktive Kreativität verwandeln. Dies aber verlangt ein soziales Klima, in dem den durchaus nicht falschen Gedanken von Thomas Hobbes, der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, im Sinne Hölderlins energisch widersprochen werden darf.
“Wo der Widerspruch aufhört, hört das Leben auf, der Tod tritt ein”, meint Engels im „Antidühring“. Und hat recht damit. Alban Nikolai Herbst Gedicht, formvollendet und von raffinierter Einfachheit, ruft genau diesen Widerspruch hervor. Der Gestalt des bösen Kindes, des mordlustigen Alten, wir wissen, dass es sie gibt, stellte Hölderlin seinen Gegenentwurf, seine Utopie vom Menschen entgegen. Komm ins Offene Freund…. Denn wir sind nicht nur aus Bösem, sondern auch aus Liebe gemacht. Da kommen wir her, da gehn wir hin. Hölderlin, später unser Bruder Scardanelli, ob er ein böses Kind als alten Mann kannte, ich weiß es nicht, schreibt:

HÄLFTE DES LEBENS

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

Hoffnung auf Änderung und Trauer, ob im Hyperion und Empedokles oder Gedichten wie diesen, Trauer über defizitäre gesellschaftliche Zustände, das Manko an Menschenliebe, beklagen Hölderlins Verse, und einige davon verweisen träumerisch ins Utopische. Er öffnet uns sanft, – man meint manchmal, er wolle es gar nicht – den Blick für soziale und biologische Determinanten, die dem Bösen im Kind, in der Frau und im Mann Raum geben. Aber das Humane steckt in jeder und jedem von uns und hält sich, oft nur aus Angst vor Blöße, versteckt; seien wir nun Mörder, Dichter, harmlose angepasste Bürger, Zimmermänner oder eiserne Herren eisiger Meiler. Wir lügen es uns bequem in die Tasche, wenn wir vom Gegebenen ausgehen, ohne das Erworbene zu bedenken, das veränderbar ist. Lügner sind wir und zu feige zur Humanität. Und machen lieber die Biologie zur Herrin, statt ihr Herr zu werden. Sind Amboss, der sich in seltenen, wahren Stunden selbst verachtet, weil er das Geschlagenwerden liebt und Lust nur noch im Schmerz empfindet; und fürchten uns, wie der Teufel vorm Weihwasser, Hammer zu sein.

Herbst Verse bewegen sich im Inhumanen, im Realen. Ihre hölderlinsche Menschlichkeit, das Gegenbild zum bösen Kind, ist nur kathartisch zu gewinnen.


Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

3 thoughts on “Die Dialektik der Kälte. Notizen. 8.Mai. 2007. montgelas.

  1. (Ich erlaube mir an dieser Stelle noch einmal aufzutauchen mit diesem HINWEIS)

    Was mich bei Ihrer Interpretation irritiert hat, war zunächst alleine die Tatsache, dass ich eben für diese ‘Irritation’ keine Ursache finden konnte…
    Jetzt glaube ich sie zwar gefunden zu haben, aber mir mangelt es nun an einer schlüssigen Begründung:
    Kurzum: Es ist der Begriff der ‘Dialektik’, an dem ich mich – im Hinblick auf das Gedicht ANHs stoße…
    Ist es nicht gerade so, dass das Gedicht seinen Schrecken aus der vollständigen Abwesenheit einer dialektischen Struktur bezieht…?

    Da haben die ‘Gesänge’ Benns – rein stofflich in der Nähe – ja beinahe etwas Versöhnliches an sich:

    O daß wir unsere Ururahnen wären.
    Ein Klümpchen Schleim im warmen Moor.
    Leben und Tod. Befruchten und Gebären
    glitte aus unseren stummen Säften hervor.

    Ein Algenblatt oder ein Dünenhügel,
    vom Wind Geformtes und nach unten schwer.
    Schon ein Libellenkopf, ein Möwenflügel
    wäre zu weit und litte schon zu sehr.

    Wohin, besser auf was ‘rotzt’ aber diese alterslose,mythische Gestalt des Gedichts…? Ich fürchte, sie spuckt ausgerechnet auf die DIALEKTIK!

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