Arbeitsjournal. Dienstag, der 15. Mai 2007.

5.07 Uhr:
[Arbeitswohnung. „All our Children“: Kinderlieder.]
War früh genug im Bett, um tatsächlich pünktlich hochzukommen: ich saß spontan aufrecht, als der Wecker des Mobilchens mich rief. Neben mir mein Junge, der nachts zu mir gekrochen war, schlief tief weiter, und keiner bekam mit, wie ich Wohnung, Familie, Skinke verließ und hierherradelte. Jetzt ist der latte macchiato bereits bereitet, und es kann losgehen. Wobei ich beruhigt bin, weil die zweite >>>> dem Buch beigelegte CD die Kinderlieder in der Volksliedform einigermaßen beläßt und nicht, wie die erste, mit Synthesizer und auch mit mainstreamigen Eingriffen in die musikalische Struktur zu Pop und Schnulze umarrangiert. Dazu aber später mehr, wenn ich das Buch besprechen werde. Auf dem Weg hierher kam mir der Einfall, eventuell für Rezensionen ein eigenes Weblog anzulegen, aber das ist natürlich Unfug, da die Besprechungen auch so jederzeit leicht auffindbar bleiben werden, allein über die Search-Funktion. Schön wäre es freilich, ließe sich eine neue Rubrik „Besprechungen“ nochmals in weitere Rubriken unterteilen; s o werde ich von den Besprechungen pdf’s anfertigen und sie dann zusätzlich bei >>>> Herbst & Deters Fiktionäre einfügen. Die Wirkung eines anderen, eines „Rezensions-Webogs“ wäre auch eine unvergleichlich geringere für das jeweils Besprochene, als es aufgrund der weiter- und weitersteigenden Besucherzahlen in Der Dschungel der Fall ist.

Nun aber weiter an >>>> AMNION. Nicht zu vergessen ist dabei, daß die Hexametrisierung der >>>> BAMBERGER ELEGIEN fortzusetzen und dann auch wieder an ARGO.ANDERSWELT zu gehen ist, nunmehr an die vor dem Lektorat letzte Überarbeitung der ZF zu einer DF. Das Wissen, daß der spezielle ästhetische Ansatz des Romans definitiv nicht gewollt ist, wird mich eigentlich nur noch bestärken können – wenn man einmal die Frustration abgeschüttelt hat wie das brackige Wasser, das die Reaktion des Betriebs tatsächlich i s t. Auch hier läßt sich an Döblin denken: da es den Nachkriegsliteraturbetrieblern nicht recht war, daß Döblin katholisch wurde, grenzten sie ihn rücksichtslos aus, und da ist es völlig wurscht gewesen, welchen Ruhm ihm „Berlin, Alexanderplatz“ eingebracht hatte.

7.45 Uhr:
[Berio, Erstes Streichquartett „Notturno“.]
Seit fast zwei Stunden surfe ich durchs Internet, um die Namen endemischer und nicht-endemischer Pflanzen Strombolis zu recherchieren – um, was ich sah, vor allem roch, auch benennen und aus der Benennung poetischen Duft ziehen zu können: d.h., er muß sowohl klanglicher wie semantischer Natur sein. Und wenn ich was gefunden und mit meinen eigenen Fotografien verglichen habe, ist meist der lateinische Gattungsname, wiederum übers Netz, einem deutschen zuzuordnen, der möglichst nah an der Alltagssprache liegt, bzw., selten, den strombolianischen/nordsizilianischen Dialekt anzitiert. Diese Art Arbeit ist mir vertraut, aber von der Prosa; für lyrische Arbeiten habe ich sie nicht erwartet. Immerhin: was früher die Besuche spezialfachlicher Bibliotheken erforderte, ist durch das Netz wundervoll-direkt möglich geworden, das immer mehr die Qualität eines in wirklichem Sinn Volkswissens bekommt – ein enormes und bereites Reservoir der menschlichen Kenntnis und Erfahrung.

Zweiter latte macchiato dieses Morgens. >>>> Der Berio ist toll. Daß er ein Schüler des von mir so geliebten Dallapiccolas war, weiß ich erst seit eben.

17.33 Uhr:
An eine Leserin:Doch ich hab mich bereits erholt und arbeite wieder – sogar, das ist ziemlich irre, inspirierter als die drei Wochen vorher. Es scheint so zu s e i n, daß ich solche Anwürfe b r a u c h e, um in Hochform zu gelangen. Jedem sein Pervers’chen.Tatsächlich bin ich auf >>>> das heutige Segment der Stromboli-Dichtung auf eine Weise stolz, die etwas mit Glücklichsein zu tun hat. Danach war sich ein wenig um die Kinder zu kümmern, so daß ich erst gerade eben in die Arbeitswohnung zurückkehren konnte und nun Konstantin Wecker höre, der mich mit Mut regelrecht a u f l a d e n kann. Für sich genommen sind die Texte oft ein wenig schlicht, doch im Zusammenhang mit der ebenfalls bisweilen nicht arg so komplexen Musik und vor allem Weckers Vortrag stellt sich große große Nähe her. Deshalb zitiere ich:>>>>
Das sag ich euch: So möcht ich nicht begraben sein,
daß eine liebe Mutter meine Erde pflegt.
Nicht unter Rosen liegen, nicht unter einem Marmorstein,
will, daß man nichts auf meinen Körper legt.

Ich will so offen liegen, daß mich meine Hunde kriegen
und meine Lippen weiß sind wie die Luft.
Will wie ein Bock auf meiner Erde liegen.
Was soll ich unfrei sein in einer engen Gruft?

Will liegen, wie ich falle. Ich verzichte
auf diesen letzten Beistand eurer Heuchelei.
Gestattet, daß ich dies Geschäft allein verrichte.
Kein Nachgesang. Ich war einmal und bin vorbei.

Ich bin getilgt. Ihr habt euch um mein Leben
doch keinen Furz gekümmert. Warum dann um meinen Tod
Ihr müßt euch keinen letzten weißen Anstrich geben.
Der Körper steift sich, und das Blut ist nicht mehr rot.

Die Augen werden aus den Höhlen treten.
Und meine Füße werden etwas kühl.
Ich hab euch früher mal um eure Hand gebeten.
Das ist vorbei. Es stirbt auch das Gefühl.

So möcht ich neben jedem Nichtsnutz liegen,
dem ich die krumme Faust und das Gesicht entgegenstrecke.
So werd ich euch ein letztes Mal noch lieben,
in dem Moment, in dem ich dann verrecke.
(…)

Wecker, So möcht ich nicht begraben sein.<<<<

>>>> H ö r e n Sie einfach das Lied.

Vielleicht bekomm ich m i t dem Gesang noch zweidrei Strombolizeilen hin. Dann geht’s zurück zur Familie und am späten Abend werd ich den Profi treffen.

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