Reise(vorbereitungs)journal. Arbeitsjournal (2). Konzerthaus Berlin, 7. Februar 2008.

9.34 Uhr:
[>>>> Konzerthaus Berlin, Großer Saal. Schubert.]Pünktlich um 9. 30 Uhr hebt der Maestro den Taktstock zur letzten Probe, und ich sitze allein in diesem Großen Saal, den Laptop auf dem Lap, möglichst leise mittippend.
“Takt 84/85, das stimmt einfach noch nicht. Das müßt ihr besser machen, unbedingt.”
Nur die Flöten. “Und bitte halten.”“Es ist ein gefährliches Stück, und es ist >>>> das erste am Abend.”

10.10 Uhr:
“Sò, letzter Satz… ohne Wiederholung.” Und mit Temperament hinein. (Ich sollte mein UnVerhältnis zu Schuberts Sinfonik überdenken).

“… und jetzt bitte Haydn… das Cellokonzert…” Kleine Auflösung, Diskussion mit zwei Musikern vorn am Dirigentenpult, Geschiebe… Herumgestühle… Tonbögen schweben, die Hörner setzen ein… genau d i e Form harmonischer Kakaphonie, aus der ich immer mal ein Hörstück bauen wollte… schade, daß Sie nicht mithören können.

[:10.28 Uhr.
10.51 Uhr:]


Tanja Tetzlaff, halb in der Hüfte herumgedreht, zu den ersten Geigen: “Das ist übrigens ganz wunderbar, wenn Sie da noch Linien in die Melodie hineinbauen.”

PAUSE.
[Durchs publikumsleere Haus gehen. Überall tönt und schallt es, das Haus ist voller Musik, als wenn die Zuhörer dasind. Es atmet, atmet Musik ein, atmet Musik aus. Etwas von einer Kirche ist daran, in der die Bilder in die Leere schauen und eben das Leben erzeugt.
Hübsch, Tetzlaff: “Wie lange proben wir? Wegen der Babies, sie halten so lange Stillpausen nicht aus.” Zagrosek wiederum ist mit der Haydn-Vorbereitung unzufrieden. “Das ist doch jetzt die letzte Probe.” Anspannung ist, vorsichtig, bei allen zu merken. Ich selber versinke in eine Art inneren Zen,

denn

kann ja doch nichts tun. (Mir geht, immerhin, seit heute früh ein Sterbegedicht für meine Mutter nicht aus dem Sinn: “Fremd bin ich eingezogen.”.]

11.11 Uhr:
“So bitte schön: zweiter Satz.” – Und im dritten gibt die Tetzlaff ein solches Tempo vor, daß auf allen Gesichtern ein unverwischbares Lächeln erscheint. Man m u ß einfach grinsen, so viel zugleich melancholischen Witz hat das. Und: “Bei den 3/8n… ich fände das sehr schön”, sagt Tetzlaff zum Abschluß, “wenn Sie da”, sie spielt’s kurz an, “immer eine Betonung mit hineingäben, damit das nicht s o”, sie spielt’s abermals, aber wie sie’s nicht möchte, “klingt.”
Teztlaff ab. 11.32 Uhr:Das Podium b i r s t nun. – Bruckner. Zagrosek: “Zweiter Satz.” Mächtig, klar: Aber das rollt so enorm l a n g s a m an. “Nicht langsamer werden, auf keinen Fall langsamer werden, sondern im Tempo bleiben. Und das da unbedingt als Melodie spielen, nicht als Figuration…”[Der Akku schwächelt langsam. Deshalb: Später hier einen Hinweis auf Nietzsches Vorwurf an Wagner, mit Akkorden statt mit Melodien zu komponieren. Zagroseks interpretatives Vorhaben hebt genau diesen Vorwurf auf.]

Um 12.01 Uhr die Mittagspause. (Weiteres zu heute siehe >>>> hier.]

>>>> ERSTER TAG.

7 thoughts on “Reise(vorbereitungs)journal. Arbeitsjournal (2). Konzerthaus Berlin, 7. Februar 2008.

  1. ohren das mit der kakophonie stimmt mich schon wieder etwas versöhnlicher.
    ein edles vorhaben des dirigenten wagner mit nietzsche zu versöhnen ?
    naja der versuch ist das entscheidende so absurd er ist.
    ( absolut seriös gemeitn )
    sa sie ja demnächst aufberchen : eine schöne reise !
    meinen gerade formulierte abschlussbetrachtung hebe ich auf und stelle sie an eine stelle,
    wo es mal wieder um das thema perversion geht.
    kathartisches kann.
    von aussen.
    nochmal gute reise.
    dhu

    1. die schwierigkeit liegt darin, es im vorab bewusst herstellen zu können.
      ( das war dann der moralische anspruch )
      eine echt in jeder beziehung schöne reise !
      dhu

    2. also die masse ( akkorde ) mit der leitebene ( endlosmelodie bei wagner zumeist )
      zusammenzuführen und eine metaebene vorzudenken / vorzufühlen.
      das schwierige bei dem alten material.
      die masse ist aber bei wagner wahrscheinlich eh angepasst.
      also sie etwas an lautstärke verlieren zu lassen, ist dann auch nicht das problem.
      man muss dann aufpassen, dass das melodiematerial nicht überhand gewinnt.
      es kann kontrafaktisch werden aber letztendlich wird sich die katze in den schwanz beissen.

    3. man sollte sich dazu vielleicht einmal etwas zur “normativen kraft des kontrafaktischen”
      anschauen.
      bazon brock wickelt dieses theorem gerade aus.
      er hat eine eigene page.

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