Mutterns Hände. 16.05.2008. Paul Reichenbach liest Tucholsky

Mutterns Hände

Hast uns Stulln jeschnitten
un Kaffe jekocht
un de Töppe rübajeschohm –
un jewischt und jenäht
un jemacht und jedreht …
alles mit deine Hände.

Hast de Milch zujedeckt,
uns Bobongs zujesteckt
un Zeitungen ausjetragen –
hast die Hemden jezählt
und Kartoffeln jeschält …
alles mit deine Hände.

Hast uns manches Mal
bei jroßen Schkandal
auch ‘n Katzenkopp jejeben.
Hast uns hochjebracht.
Wir wahn Sticker acht,
sechse sind noch am Leben …
Alles mit deine Hände.

Heiß warn se un kalt.
Nu sind se alt.
Nu bist du bald am Ende.
Da stehn wa nu hier,
und denn komm wir bei dir
und streicheln deine Hände.

Kein magister ludi wird mich heute davon befreien mit meiner >>>>Mutter ihren 85. Geburtstag feiern zu müssen, und doch werde ich den sorgenden Sohn spielen. Denn eigentlich ist sie ohne Schuld, was mich betrifft. Gab sie sich doch alle Mühe, nach ihrem Verständnis, mich auf- und großzuziehen. Ihr Verständnis für mich, ob als Kind oder später als Teenager und selbst heute noch orientierte sich in der Regel an ihren Bedürfnissen, die auch meine zu sein hatten. Schwamm drüber, jetzt ist sie hilflos und alt, aber noch immer nicht ohne Biss und Häme, was ihre Umgebung, d.h. mich oft in Wut geraten lässt. Mutterns Hände von Tucholsky passt überhaupt nicht zu meiner Mutter, deren Fingernägel sorgsam rotlackiert sind. Schon als kleiner Junge habe ich mir die Stullen selbst gemacht und Kartoffeln geschält, alles mit meinen Händen. Proletarischsein, wie bei Tucholsky, obwohl sozial dazu angelegt, ging es bei ihr nicht zu. Die “foinen Leute”, die Damen mit den abgespreizten Zeigefinger waren ihr Vorbild. Nun, ja .. der Tag geht auch vorbei…

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