Arbeitsjournal. Donnerstag, der 28. August 2008.

5.22 Uhr:
[Arbeitswohnung. Laurie Anderson, Health & Efficiency.]
Ich bieg in die Küche um den Kühlschrank ein, um den Zwillingen die Morgenmilch zu bereiten – und was erwartet mich? Voilà!Da wären auch Sie zusammengefahren morgens um fünf nach halb fünf.
Und komisch: Mein alter, längst gestorbener Freund Axel Rucker (opus 111 am Palmengarten, Frankfurt am Main, vorher die Hegellektüren, Philosophikum, die Adorno-Arbeitsgruppe, alles in den Achtzigern) hatte mir seinerzeit seine Laurie-Anderson-LPs auf Cassette überspielt; nun ist von den Cassetten, die ich im Rahmen meines neuen Privatprojektes „Alle Cassetten abhören, die du hast“ durchhöre, bei den Anderson-Cassetten immer nur eine Seite bespielt, und ich frage mich, welche Absicht Rucker damit verbunden haben oder mit welchen technischen Widrigkeiten er gekämpft haben mag, denn Geld hatten wir beide nie so dicke, daß man aus Bequemlichkeit Bandmaterial ungenutzt ließ. Hübsch ist aber, wie man auf jedem der Anderson-Cassetten den Tonabnehmer auf die LP aufsetzen hört. Die Musiken sind teils etwas gestanzt, teils aber hochspannend (auf den mit O-Tönen collagierten Strecken), aber unterm Strich nichts für mich, was daran liegt, daß ich für durchlaufende Beats überhaupt nicht empfänglich bin und den E-Gitarren-Sound schon immer als widermusikalisch empfunden habe: als Sound eben, was – für mich – etwas prinzipiell anderes ist als Klang..
Latte macchiato. Weiter geht’s mit den Vorbereitungen und Korrespondenzen zu dem >>>>horen-Band. Jetzt geht es auch noch um Anzeigen meiner Verlage wegen der in diesem Jahr erscheinenden/erschienenen Bücher. Und es geht um einen griffigen Titel; ich habe eine Art Einspruchsrecht, das ich gar nicht habe, geltend gemacht. Aber bis spätestens nach diesem Wochenende muß alles stehen. In meiner Situation kann man nicht anders als zumindest in einer gemäßigten Form sein eigener Selbstvermarkter zu sein. Es bleibt einem nichts anderes übrig.

Gestern nach halb zehn abends noch mit Katanga im Pratergarten gewesen, nach langer Zeit wieder einmal. Drei Bier getrunken, weiterhin nicht geraucht; das macht mir fast überhaupt nichts aus. Ein bißchen erstaunt bin ich darüber selbst. Nur daß ich nach wie vor immer mal wieder eine halbe Stunde Schlaf zwischen die Arbeits- und Cellophasen schieben muß und dann auch tatsächlich immer tief wegschlafe, allerdings nach der halben Stunde dann kaum benommen aufwache, sondern hellgeists weiterarbeiten kann.

14.44 Uhr:
[Bach, Wohltemperiertes Klavier, Gulda (Cass-„Projekt“ ff..).]
Nach Erlebnisse wie eben verwirft man den Gedanken wieder, in seiner Bibliothek mal „aufzuräumen“, also auszusortieren und wegzugeben, wenn nicht -zuwerfen. Ich lange, als ich den Dante zurückstelle, zu einem Buch, das ich, glaube ich, seit ich 15 oder 16 bin, mit mir herumschleppe und das ich vermutlich allein seines Titels wegen aus der großmütterlichen Bibliothek entwendet hatte: „Raubmenschen“. Geschrieben von einem Max Dauthendey und von mir im ständigen Verdacht, es handele sich um eine NS-„Größe“ wie Grimm, nie angefaßt, aber dennoch eben immer mitgeschleppt… und nun ziehe ich das Buch heraus und beginne mit großer Spannung zu lesen, sofort eingenommen, sofort voll des entworfenen Bildes: „Den Atlantischen Ozean sah ich zum erstenmal von dem kleinen Betragnedorf Pouldu“, beginnt der Roman,

…moment…. den Mittags-Espresso durch die PAVONI drücken…

von dessen, der Romanes, Helden Dauthendey >>>> dieses schreibt, was mich abermals einnimmt. Jetzt sehe ich nach. >>>> Max Dauthendey. Man lese das Urteil Stefan Georges und stelle sich vor, was es bedeutet, daß einer wie Dauthendey mit einer Auflage des 61. bis 70. Tausends, die ich soeben zu lesen begonnen habe, und von dem George solches sagte, derart vergessen ist… daß aber eines Tages jemand wie ich, von völlig anderer Prägung, einer Eingebung folgend eines seiner Bücher aus dem Regal zieht und 90 Jahre nach dem Tod dieses völlig vergessenen Dichters dessen Sätze wieder in sich spürt… Das ist ein großes und zugleich sehr feines, aristokratisch-volles Gefühl von Glück; “aristokratisch”, weil es sich der Abfolge höchst bewußt ist, des Stroms von Zeit, in dem man steht und zu dem man gehört als zu einer Familie, zu Clan und tribe.

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