Arbeitsjournal. Mittwoch, der 3. September 2008.

7.02 Uhr:
[Arbeitsjournal. Flammer, Mephisto klopft an (Cass.- „Projekt“ Nr. 23).]
Verschlafen. Ärgerlich. Dann bleibe ich noch an den Kabeln hängen, die lose vom Verstärker über den Boden (quer vorm Kücheneingang) zur externen Soundcard am Laptop geführt sind, hebe noch den Fuß extra an und ziehe quasi kräftig hüpfend das Bein weg, aber das Kabel hat sich an irgendetwas an der Hose festgefangen, so daß ich 1) mit den Zehen voll gegen die Türschwelle ramme, 2) der Zug dabei aber so fest ist, daß das Kabel die Soundcard vom Schreibtisch zieht und diese eine Parfumflasche, zweidrei Behälter für Bürokleinskram und alles das seinerseits nich die Manuskripte mit sich hinabzerrt, die auf der Arbeitsablage vor dem Schreibtisch geordnet sind und die nunmehr die dort ebenfalls geordneten, noch zu überspielenden DAT-Bänder hinabfegen. So viel zum Slapstick des Morgens. Schwarze Zehen krieg ich aber offenbar nicht.

Latte macchiato. Ich sollte auch, sagte ich mir, an die Bereinigung und Beordnung der Küche gehen, die wie eine Abstellkammer wirkt und halt auch so genutzt wird. Auf diese Arbeitsbeschaffungsmaßnahme komme ich aber wohl nur, weil ich mich vor den Stundungsanträgen drücken will, die, etwa ans Bundesverwaltungsamt wegen der BAFÖG-Rückzahlung, geschrieben werden müssen. Außerdem..: >>>> Etta Scollo. Ja ja. Darum drücke ich mich, weil ich nicht ganz so jubeln kann, wie ich gern jubeln würde. Zwar gefällt mir das Projekt ausnehmend gut, prinzipiell, und oft ist auch die Ausführung sehr schön, aber immer wieder gibt es solche Pop-Stanzen in der Arrangements, von denen ich einfach nicht begreife, was sie – außer Kitsch – bringen sollen. Man hätte das einfach weglassen können, man m u ß nicht jede Lücke eines musikalischen Gewebes zustopfen; im Gegenteil. Egal, ich will meine Munition nicht schon hier verschießen, wo ich’s doch eigentlich g a r nicht verschießen wollte.

Übrigens eine hochinteressante Cassette, diese Nr. 23 meiner Sammlung; da hab ich mal Wichtiges zusammen mitgeschnitten: Flammers 4. Streichquartett, Flammers Oktett „Mephistzo klopft an“, Voss’ens Concertino für Orgel, Streichorchester und Pauken, Martins 4. Prélude, sowie Jürg Baurs Streicherkonzert und sein zweites Violinkonzert unter Zagrosek (ff auf, sehe ich gerade, Nr. 24).

15.19 Uhr:
[György Kurtág, Botschaften einer Verstorbenen (Cass.- „Projekt“ Nr. 24).]Etta-Scollo-Pause, um zu duschen, um etwas Abstand zu bekommen. Vorher zweieinhalbmal – eineinhalbmal im walkman auf dem Weg zum Cellounterricht und zurück -, einmal hier am Schreibtisch, laut und mitlesend >>>> Il fiore splendente angehört, dabei und dazu meine Notizen gekritzelt. Man muß aber nach zuviel tonaler Seligkeit, auch wenn sie unselig-wahr ist, seine Ohren mit Neuer Musik reinigen, um sie nicht verkleben zu lassen. Das ist auch ein Gebot der Gerechtigkeit, denn Kitschtonales findet man ja auch bei Piazzolla, und auch da ist es am Platz, man watet in dem gut ungut Sentimentalen aus Sehnsucht und Vermissung, die man zugleich feiert, muß aber aufpassen, daß man nicht einsinkt wie jene Russen, auf deren Buchmessenfest ich vor Jahren einmal war; gut, bei der Scollo ist zuviel meditarran/spanisch/nordafrikanische Haltung, um sowas befürchten zu lassen, allein: s i e ist gefeit, nicht der nordeuropäische Hörer, der verdächtig nah an einem n i c h t-südlichen Osten wohnt (ganz im Norden ist man ja nicht besser; an die Schweden zu denken, die sich in Deutschland und Polen derart zusaufen, daß sie auf die Fähre zurück nur noch kriechend über die Gangway kommen). Na gut.
Die arabisch/sizilische Lyrik ist oft berauschend, vor allem auch dort, wo ins Sizilianische, nicht etwa Italienische übersetzt worden ist und der italienisch/sizilische Gesang von arabischem unterlegt ist:Ddà u me sangu, ddà ‘a me linfa / ddà ‘a me vita – e ddà curri la menti / comu cùrrunu i lupi a la muntagna. (Là il mio sangue, là la mia linfa / là la mia vita -e là corre la mente / come i lupi corrono alla montagna// Dort ist mein Blut, dort meine Lymphe, dort ist mein Leben – und dorthin rennen meine Gedanken, so wie die Wölfe ins Gebirge eilen)Das werde ich für die Rezension einzeln aufschlüsseln und dann irgendwie zusammenfassen müssen; aber die Sonntagszeitung hat mir mit zwischen 6000 und 7000 Zeichen erstaunlich viel Platz gegeben. Da kann ich einiges zeigen.

Beim Cellounterricht gab es ein erstes Mal wirklich Lob: „Das fängt ja jetzt zu klingen an.“ Da radelte ich dann wieder von dann(en) und kaufte für den heutigen Abend, an dem ich mit den Kindern allein sein werde, für den Großen Fischfilet und für mich selber Muscheln… unbeherrscht, wie immer bei Meeresfrüchten, Frauen und Fisch: fast anderthalb Kilo – aber ich kann ja über den Abend und morgen tagsüber einfach weiterfuttern. Ich muß heute bereits um 17 Uhr am Terrarrium sein, weil K. mit Freunden unterwegs ist und der leibliche Vater der Zwillinge die beiden kurz vor halb sechs zurückbringen soll und will. Dann werd ich sie füttern und nachtfertig machen, dann für ‘uns Männer’ kochen und unter Männern Cello üben, dann essen, dem Jungen vorlesen und dann noch einmal die Scollo durchhören, um morgen in aller Frühe meine Rezension zu schreiben.

2 thoughts on “Arbeitsjournal. Mittwoch, der 3. September 2008.

  1. buster in my mind es ist natürlich völliger unsinn, sie beim verheddern im füllstoff des alltags zu kommentieren. verzeihung. nur eine idee. eine kontingenz. es liegt am slapstick, also, gestern im bordbistro fragte ich, sag, weißt du nicht einen guten slapstickliteraten, ich denke darüber nach, ist das überhaupt als text rettbar, busterbelletristik? jemand schlug mir genazino vor, x sagte, nein, eher kafka. ja, kafka kommt hin, slapstick zeichnet sich durch ein widerfahrniss und eine sehr krude wirkmächtigkeit aus, sprich, es fehlt die einsicht des protagonisten in das geschehen. er kann sich keine handbreit reflektierend über den zufall der ereignisse, die sich an ihm austoben, erheben, selbst, wenn er sie unwissend mit anstößt. der slapstick ist ein kennzeichen der moderne denke ich. ja, kafka, beckett, und amazon empfiehlt mir kurt vonnegut: slapstick oder nie wieder einsam.
    ich muss darüber nachdenken, und, wo sie es sagen, die stundungsfrist der rückstellung nachschauen.

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