Neujahrsjournal. Donnerstag, der 1. Januar 2009. Mit Rückschau. Mit Vorschau.

10.19 Uhr:
[Arbeitswohnung. Stille. Die Dächer glänzen, wie wenn es wärmer und also naß geworden ist.]
Seit halb zehn wach. Erst. Es wird immer doller. Egal. Neujahr.
Bin gestern abendnacht immer zwischen der Lichtwohnung – der Wohnung der Freundin meines Buben – und Am Tarrarium hin und her, hab nach dem Rechten gesehen, bzw. dem, was ich dafür halte; um zwölf gab es Anstoßen Am Terrarrium, dann wurde unten vor dem Haus aufs Tollste geballert. Wieder zur Lichtwohnung rüber, ich trinke mit dem Freundinsvater noch ein halbes Glas Sekt, da steht mein Junge vor mir, guckt mich an und sagt, er würde jetzt so gerne mit in die Arbeitswohnung hinüber, um dort auf seinem quasi-Vulkanlager zu schlafen. Ich war ein wenig verwundert, aber selbstverständlich machten wir es so. Er schläft jetzt noch immer, auf der Bergsteiger-Isomatte und drei Decken und in ein dickes Doppelbettzeug eingemummt; das Fenster steht weit auf, es ist halbdämmrig, nur der Screen leuchtet und leuchtet, und das gestern angefangene Gedicht leuchtet, und Skype leuchtet mal auf und sagt was, ich hab eine Paracetamol geschluckt gegen den leichten Kopfschmerz von ungutem Sekt. Noch liegt >>>> der Shakespeare offen neben mir. Diadorim schrieb etwas so sehr für den Abschluß eines alten Jahres und den Beginn eines Neuen Passendes, daß ich >>>> ihren schönen Tagebucheintrag eben auf die Hauptsite geschoben habe. Mir selbst w a r nicht so nach Abschlüssen, deshalb schrieb ich gestern auch meinen Rückblick nicht mehr – auf ein Jahr, das mit dem Tod meiner Mutter begann und eine ganze (Folge- [?], nee das wäre zuviel der magischen Interpretation) Kette von Unglücksfällen gleichsam mechanisch abspulen ließ, Freunde erkrankten, starben, kamen ins Krankenhaus…, nahe Freunde dabei. Dazu diese Trennung, von der ich jetzt aber nicht mehr völlig weiß, ob es tatsächlich eine i s t, auch wenn sie so genannt wird.
Andererseits erschienen 2008

  • MEERE bei >>>> dielmann in der revidierten Fassung;
  • AEOLIA/STROMBOLI – sicher mein bisher schönstes Buch – in der >>>> edition Jesse;
  • KYBERNETISCHER REALISMUS: meine Heidelberger Vorlesungen bei >>>> manutius;
  • PANORAMEN DER ANDERSWELT: der >>>> horen-Band Nr. 231 ü b e r mein Werk (mit einigen Erstveröffentlichungen eigener Texte darin); sowie
    (aber ich bin mir unsicher, ob davon momentan mehr als 50 Exemplare existieren):
  • DER ENGEL ORDNUNGEN, wieder bei dielmann.

Das sind, zählt man den hauptsächlich literaturwissenschaftlichen horen-Band hinzu, fünf Bücher in einem Jahr. Sowas schaffte ich bislang noch nie (es ist aber auch nicht ganz heraus, ob das eigentlich gut ist). Dazu eine meiner schönsten Rundfunkproduktionen:

Dann noch eine Vertonung, die ich sehr schön finde, durch Katja Tchemberdji: >>>> Kindergedicht für K. Gleich dreimal aufgeführt in einem Jahr, darunter an der Deutschen Oper Berlin.

Ansonsten war es ein Jahr, wie schon das Vorjahr, der Lyrik; theoretische Texte, wiederum, schrieb ich keine, so wenig wie Prosa. Allerdings bringe ich indirekt >>>> das Melusine-Walser-Projekt voran, das fraglos wieder das eines Romanes ist. Die Kehre in meinem Leben scheint diesem Roman Futter geben zu wollen, aber es ist in keiner Weise abzusehen, wann ich mich an die tatsächliche Niederschrift setzen werde, ja ob überhaupt. Es zu forcieren, bedeutete, mein Vatersein zu relativieren, das vorgeht. Es werden im übrigen Frauen sein, die es bestimmen, bzw. leiten; ich selbst will nur her- und herankommen lassen. Des Weiteren geht die Arbeit an Der Dschungel weiter: d a sind zum einen dann doch zahlreiche Segmente entstanden, die ich zusammenfassen könnte, und es wäre flugs ein nächstes Buch da. Ich denke an die massiven >>>> Paralipomena, die ich mit einigen >>>> Notaten, vielleicht auch einigem aus den anderen Rubriken kombinieren möchte und dann, als Buch, NEUE FRÖHLICHE WISSENSCHAFT nennen will. Welcher Verlag da infrage kommt, ist offen.
Und für das vergangene Jahr nicht zu vergessen: es stand im Zeichen des Cellos, das zu erlernen ich im Februar begann. Es füllt mich und füllt mich.

Insgesamt, bei allem Schmerz, war 2008 sehr reich. Ich habe nicht für die Spur von meiner wilden Lebensliebe verloren, es ist Trauer, aber kein Pessimismus darin. Ich bin jetzt 53, werde im Februar 54; ich bin nicht bitter und sublimiere das auch nicht in Ab- und Verklärung. Fragte man mich, ob ich, dürfte ich wählen, alles noch einmal so erleben wolle, antwortete ich sofort mit Ja.

Für 2009:

  • MEERE: Sonderausgabe aller drei bisherigen Publikationen im Klappschuber bei >>>> marebuch. Die Originalausgabe dabei, aber überklebt an den revidierten Stellen. März 2009, Buchmesse Leipzig.
  • BAMBERGER ELEGIEN. Projeziertes Erscheinungsdatum ist das der Buchmesse in Frankfurtmain, also Oktober 2009. >>>> Dielmann.
  • SCHÖNE LITERATUR MUSS GRAUSAM SEIN: Der Band war bereits für 2008 unter Vertrag und lektoratsfertig. Dann ging der Verlag (>>>> tisch7) in die Knie… Ich will darüber mit >>>> Manutius sprechen.

Das sind die angestrebten Publikationen. Zu bearbeiten, neben der Walser und Der Dschungel, ist, wenn die Elegien fertig sind, unbedingt wieder >>>> ARGO. ANDERSWELT. Das Buch ist nahezu fertig, es fehlen noch die rund dreißig Seiten des Epilogs; dann müssen die derzeit rund 1400 Buchseiten, die hier in drei fetten Heftern auf dem dritten Arbeitstisch liegen, lektoratsfertig gemacht und dann lektoriert werden. Ein Erscheinen vor 2010 sehe ich nicht, eher wird es 2011 werden. Auch der Verlag ist, weil dielmann so unsicher ist, unsicher.
Ach ja, es steht noch das Angebot eines kleinen Schweizer Verlages im Raum, daß ich die bisherigen Segmente der >>>> Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens zusammenfasse und dort als Buch herausbringe. Ich bin mir aber unsicher, ob eine solche Publikation breits rund genug wäre, um zu halten; andererseits bedeutet „Zusammenfassung“ bei mir immer zugleich Neubearbeitung, und dann würden sich möglicherweise fehlende Stücke durch einfaches Fort- und Weiterdenken hinzuschreiben.

Abgebrochen, sozusagen brach liegen seit einiger Zeit:

DIE LIEBE IN DEN ZEITEN DES INTERNETS. Roman. Es existieren dafür bereits rund 400 Buchseiten, die teils auch ausgearbeitet, teils aber reine Skizze geblieben sind, teils auch aus heruntergeladenen Chat-Gesprächen bestehende Rohmaterialien.
DIE ANDERE SEITE DES MONDES. Roman. Das sollte eine Auftragsarbeit werden, bei der der Auftraggeber schon das Exposé nicht mochte, so daß der Schwung ganz zum Erliegen kam. Sehr wahrscheinlich werde ich Idee und Skizzen in einen anderen Roman integrieren.

Dies alles aber in einer Zeit, in der ich weniger denn je an eine romanbelletistische Zukunft, sondern in der ich glaube, daß poetische Zukunft allein noch die Lyrik haben wird; das liegt einfach daran, daß es keine angemessene Übertragungsform für Lyrik in andere (Neue) Medien gibt, während dem Roman längst vom Spielfilm (den objektiven Bildern nämlich) der Rang abgelaufen wurde; auch Zeit spielt hierbei eine hervorstechende Rolle: Zeitmanagement. Man kann das beklagen, ja, doch gilt Hegel: Im Zweifel für die Tatsachen. Ich weiß, daß ich Widerspruch ernten werde: Nur zu.

Weitere offene Projekte:

  • Die Oper mit der Musik von >>>> Robert HP Platz; vierteilig; drei Teile sind bereits als Text und Komposition da, teils auch schon uraufgeführt.
  • Eine Hörarbeit über Stromboli auf der Grundlage meiner AEOLIA-Dichtung; auch hier ist bereits das Tonmaterial fast vollständig beisammen.
  • Eine kleine Hörarbeit über den jungen Dichter >>>> Christian Filips, quasi vom WDR schon in Auftrag gegeben.
  • Eine Hörarbeit über >>> Julio Cortázar.
  • Ein poetisches „Feldforschung“sbuch für >>>> marebuch nach einer (geplanten) zweiwöchigen Expedition auf ein Riesengelände des Hamburger Hafens, wo ich die Zeit zeltend mit dem Feldstecher und allerlei geologischen und anthropologischen Untersuchungen verbringen will.

Dann noch, sowieso und immer weiter, neue Gedichte. Ich denke mal, es werden erst wieder in zwei Jahren genügend beisammen sein, um einen nächsten Gedichtband veröffentlichen zu können. Deshalb: soweit gut mit meiner diesjährigen Neujahrsreflektion.
Haben Sie bitte alle ein tiefes 2009 bzw. 1429, neun Tage vor محرم , indes das tatsächlich christliche Neujahr bereits einen Monat zurückliegt.

17.06 Uhr:

[Füße wärmen.]

Jetzt wollte ich hinab, um Kohlen zu holen und eben d o c h meinen an sich geliebten Kachelofen anzuheizen; die klamme Kälte ist einfach schlecht fürs Cellospiel. Aber da funktioniert das Vorhängeschloß nicht mehr; ein bißchen sehnsüchtig blicke ich durch die Gitter und sehe die Feuerungsinstrumente und das bißchen Kohl, das noch da ist, und komme nicht heran. Ich werde einen Bolzenschneider besorgen müssen. Das Vorhängeschloß hat deutlich Kratzerspuren, jemand hat sich offenbar daran zu schaffen gemacht – und gab schließlich auf; aber auch ich habe eben aufgeben müssen.
Also das Cello jetzt, mit klammen Händen weiterhin; die hätte ich aber eh gehabt, weil der Ofen die Wohnung nicht vor Ablauf von zwölf Stunden warmbekommt. Ansonsten: ein >>>> Ardbeg.

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