Orpheus’ Kuckuck. Arbeitsjournal. Mitwoch, der 4. Februar 2009.

5.37 Uhr:
[In der Muschel. Küchentisch.]
Immer wenn ich aus dem Parkett über die kleine Notbrücke auf die Bühne steigen mußte, um etwas mit George zu besprechen, sah ich unvermeidlich auf meinem Weg zurück Tränen über Kokoschkas Gesicht fließen. Ich wunderte mich, denn ich wußte nicht, daß Orpheus Kokoschka selbst war, Eurydike Alma, Psyche ihre Tochter Anna und Pluto Mahler: Wenn ich am Montag das Gespräch mit >>>> Zagrosek führe, werde ich ihn fragen, ob schon heraus ist, wer das Stück inszenieren wird; falls das nicht heraus ist, werde ich sagen: „Das täte i c h gern.“ Schon eigenartig, w i e sehr es „meines“ ist, auch wenn mir Kokoschkas brodelnde, ätzende Eifersucht fernliegt, die Konstellation-selber erlebe ich als ein Muster, eine sich abermals realisierende Allegorie, und zwar, je tiefer ich in Kreneks Oper hinabsteige. Die Frage bleibt allerdings, wer sich weshalb nicht umdrehen soll: ich drehte mich um, u m zu fragen, d.h. um genau das zu erreichen, was bei Kokoschka vermieden werden soll:: daß sich Eurydike erinnert. Denn wenn das Moment der Eifersucht entfällt, verändert sich die Dynamik nicht nur des Stückes von Kokoschka und also des Librettos, sondern das Muster selbst verändert sich. Es wäre eine Art, die Allegorie auszuhebeln, bzw. sie – feingriffiger – zu modifizieren. Mir ist bewußt, wie nahe ich mit dieser Idee wieder bei Freud bin (Freud, nicht Winnicott oder Klein, weil Freud in die Zeit dieser Oper gehört).

Hoch um Viertel nach fünf; es war ein schwerer Tag gestern über Skype und Abend im Realen: kein Streit, aber eine lauernde Unstimmigkeit wegen einer offenbaren Unsensibilität meinerseits gegenüber Αναδυομένη, die davon verletzt wurde: „Du kannst nicht deine radikale Unbedingtheit von anderen fordern, du mußt vorsichtig mit den Menschen sein. Weißt du eigentlich, was du tust?“ Mich zog das sehr runter, weil es die immergleichen Argumente sind, die zu den immergleichen Vorwürfen werden und in einem „ich habe Angst vor dir“/„alle Leute haben Angst vor dir“ ihren für mich schlimmsten Ausdruck finden.
Ansonsten lerne ich viel über Kuckucke, für die ich am Freitag vor laufender Kamera interviewt werden werde; gut, daß es den Grimm gibt. Seltsam vermischt sich der Kuckuck in meinem Hirn mit Kokoschka, auch angeschnibbelt symbolisch: die Zwillingskindlein, die nicht von mir sind; dabei kann man von „Kuckuckskindern“ ja nicht eigentlich sprechen. Dennoch ergibt sich ein Hof der allegorischen Ähnlichkeiten: ungefährer, flirrender Netze, zu der Kreneks Musik, soweit mein halbzerstörtes Aufnahmeband das hören läßt, höchst fiebrig paßt (eine andere Einspielung gibt es nicht, sagt >>>> die Krenek-Stiftung).

Konnte meine Cellostunde von gestern auf heute verlegen: um 11 werd ich, das Cello geschultert, in Charlottenburg sein und diese neuen, lauten Saiten „vorführen“, die vor allem im A so sehr scharf klingen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .