Arbeitsjournal. Sonntag, der 17. Mai 2009. Mit Alias.

9.06 Uhr:
[Arbeitswohnung. Latte macchiato.]
W i e d e r spät aufgestanden, w i e d e r nichts richtiges hinbekommen, statt dessen weiter >>>> Alias geguckt, keine Ahnung, was das noch mit mir anstellen wird: ich träume unterdessen schon davon, fülle meinen Kopf und fast meinen Bauch auch mit dieser anderen, einer irrsinnig gewalttätigen Welt an, von der ich zugleich meine, daß sie ein Spiegel der Realität ist. Es wird hier etwas vorgeführt in all diesen „verdeckten Einheiten“ und ihren Gegen„spielern“, meist Terroristen, das mir eine sehr viel größere Plausibilität zu haben scheint als alles, was wir in Zeitungen darüber lesen, wie Politik gemacht und durchgesetzt werde; besonders interessant ist dabei, daß es letztlich keinen Unterschied mehr gibt zwischen Nationen meist der sog. Dritten Welt, die ihre Interessen gewaltsam durchzusetzen versuchen, und den Interessen einiger großer Firmen – angesiedelt ist das bei diesen Fimen zudem in den Bereichen der Kybernetik und der Chemie; entsprechend sind biologische und kybernetische Waffen im Focus, und Folter ist fast die gängige, auf jeden Fall durchgängig gezeigte, Methode, Gegner zu verhören – und zwar auf allen Seiten. Man kann direkt spüren, wie eng hier >>>> Interessen der politischen Repräsentanz und der Spielfilm, in diesem Fall das Fernsehen, miteinander verzahnt sind und aufeinander reagieren; spannend ist a u c h, wo sich ein Widerstand zeigt, der von den produzierenden Beteiligten dennoch versucht wird: es ist wie in mittelalterlich-christlicher Malerei, die nur religiöse Sujets zeigen durfte und deshalb das, was die Künstler wirklich interessierte, im Hintergrund malte: dies, um der Zensur zu entgehen. Ich halte, was Alias vorführt, für realistisch, und zwar auch wahrnehmungsrealistisch: wie Dan Browns Romane, die jetzt auch verfilmt vorliegen, wird in den Rambaldi-Strängen der Serienerzählung zugleich ein Bedürfnis nach Geheimnis befriedigt oder zu befriedigen versucht, das sich in den Menschen gegen alle pragmatische Marktnüchternheit erhalten hat. Sloan formuliert das an einer Stelle expressis verbis: „Hast du da nicht a u c h das Göttliche gespürt?“ Seine Bereitschaft, dem Göttlichen auch das geliebtest Nahste zu opfern, begründet er konsequenterweise mit 1 Mose 22.

Aber nicht das hat mich vollkommen unruhig gemacht, sondern etwas, das gestern nacht in Der Dschungel geschah und zu dem ich einen eigenen Text schreiben m u ß. Ich kann das nicht als pure Trollerei oder bloß hämische Attacke für sich beruhen lassen, auch wenn die „Sache“ schließlich zurückgenommen wurde; sie ist damit allenfalls juristisch aus der Welt, nicht aber aus mir.

14.49 Uhr:
Brief einer Leserin wegen >>>> dieser Diskussion. Ich:Ich guck jetzt mal meine Alias-Serie weiter, um mich zu beruhigen. Ich hab nicht mal Lust aufs Cello. Schon irre, wie t i e f dieses Netzprojekt in die Psyche geht… Auch das gehört eigentlich in >>>> die kleine Theorie des Literarischen Bloggens. Die aber unterdessen rein der Seitenzahlen nach etwas ziemlich Riesiges wird. Seit gestern überlege ich ernstlich, ob ich sie als Buch publiziere. Wofür es ein sehr bedenkenswertes Angebot gibt.

19.20 Uhr:
Mein Bub kommt heim, und es geht Dir nicht gut. Seist den ganzen Tag in der Sonne gewesen, „Papa, was ist ein Sonnenstich?“ Deutsch (Diktat üben) kriegen wir noch hin, das Cello nicht mehr. Du legst Dich auf die Couch, sehr langsam in den Bewegungen, Dein Kopf tut weh, Du blätterst in einem Buch. „Vielleicht versuche ich es trotzdem mit dem Cello?“ „Möchtest Du vielleicht erst essen?“ (Wörtlich:) „Das fände ich eine gute Idee.“ – Also gekocht, dann gegessen, Du ißt viel, mehr als sonst am Abend. „Wann hast du denn zuletzt was gegessen?“ „Als ich mit T. und S. Zurückgefahren bin…“ „Und was?“ „Einen Schokoriegel…“ „Und was morgens? Wann seid ihr aufgestanden?“ Er schaufelt ein Kasslerkotelett, eine Riesenprotion Mais, fast ein halbes Pfund Katoffelpürree in sich rein. Dann legst Du den Kopf neben den Teller auf den Tisch. „Möchtest du dich lieber hinlegen?“ „Ja, Papa, besser vielleicht.“ „Wird das mit dem Cello noch was? Eher nicht, oder?“ „Eher nicht, Papa.“ Ich decke ihn zu auf der Couch, seine weißen Socken sind ganz schwarz und knorklig an den Sohlen. Unmittelbar schläfst Du ein. Wenn Du das Essen hältst über Nacht, wirst Du morgen früh wieder auf dem Damm sein. Fieber hast Du keines.

20.03 Uhr:
>>>> An G.F.:Ich habe Sie anonymisiert, weil ich die Erfahrung gemacht habe, daß Leute, die mit mir in “nachweislichem”, zumal freundschaftlichem Kontakt stehen, vom Betrieb in Sippenhaft genommen werden

Weiterer Briefwechsel, >>>> Verletzungsgier:„Die ist ein Phänomen, nicht mal ein uninteressantes“: ja. Es z e i g t sehr vieles, decouvriert es. Daran hängt auch, für wen man denn eigentlich schreibt/malt/musiziert; wiederum darf man nicht den Fehler machen, von den Schlammwerfern auf alle anderen zu schließen. Es sind ja weitaus mehr Leser als Kommentatoren in Der Dschungel; ich bekomme „hintenrum“, mündlich und auch brieflich, Reaktionen von Leuten, die manches völlig anders sehen, aber eben nicht schreiben wollen usw. Alles das tut a u c h etwas, und nicht wenig, zur Sache. Manche lesen Die Dschungel, wie man sich von einem Buch nicht wegreißen kann (…). Ich beharre auf Der Dschungel aber auch deshalb, weil der Betrieb sie nicht “regulieren” kann, anders als meine Bücher, die mehr oder minder hilflos dem Wohl- oder Böswollen der Literaturvermittler ausgeliefert waren und sind, selbsternannten und machtgierigen „Königsmachern“, wie sie sich dann wohl selbst sehen. O-Ton eines Kritkers zu ***, Klagenfurt 199*, wann, weiß ich nicht mehr genau: „Glauben Sie etwa, es kommt auf solche wie Sie an? Es kommt auf u n s an.“
Und es geht noch immer weiter: >>>> sämtliche Aasgeier fliegen gierig auf ein Aas, das ihnen, hoffen sie, ein anderer schlägt, ihre Kreise. Ich kann Ihnen, Leser, gar nicht sagen, welch eine Menschenverachtung das macht.

Dieser Tag ist ein s c h l i m m e r Tag gewesen.

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