Kindesmißbrauch. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (114).

[In eine Theorie des literarischen Bloggens gehört dies,
weil es F r a g e n stellt: Fragen an das Medium.
Die Theorie ist nicht vorgängig, sondern entsteht: im Prozeß.]


Keine Grenze des Geschmacks, ja der Zufügung psychischer Schmerzen scheint es zu geben, die n i c h t von Kommentatoren übertreten wird; es wird sogar und bewußt das Risiko inkauf genommen, gänzlich unbeteiligten und wehrlosen Personen einen Schaden zuzufügen, in diesem Fall einem Kind. Insofern spiegelt das offene Weblog, das seinen Lesern und möglichen Kommentatoren den möglichsten Freiraum gewährt, die Verfaßtheit einer Gesellschaft, die die Einschränkung w i l l: Gängelung, rules and regulations, Zensur usw. Der Autor eines offenen Weblogs soll gezwungen werden, die Offenheit aufzugeben und sich dem >>>> Diktum des Privaten – was privat zu sein habe und was nicht – zu unterwerfen. Der Angriff geht, ob bewußt oder nicht, gegen den Skandal des sich Öffnens. Man soll sich nicht zugeben. Wenn i c h mich verdränge und zusammenkneife, habe das auch jeder andre zu tun. Die Deformation der Person durch den Markt zementiert sich als Norm.

Es gab gestern nacht in Der Dschungel einen Vorfall. Aufgrund eines Eintrages, worin ich von meinem Sohn und mir erzählte und von Werten, die ich zu vermitteln suche, warf mir ein Ungenannter öffentlich Sadismus vor und daß mein Sadismus auch an meinem Kind ausgetragen werde; er sprach dezidiert von Kindesmißbrauch. Ich reagierte sofort, nachdem ich das las, und forderte den Kommentator, der seinen Text bezeichnenderweise anonym eingestellt hatte und ihn deshalb nicht mehr löschen konnte, dezidiert zu einer Entschuldigung auf, andernfalls ich Strafanzeige stellen würde. Tatsächlich wäre ich morgen (Montag, 18.5.) zur Staatsanwaltschaft geradelt und hätte einen Strafantrag gestellt. Die IP des Kommentators hätte sich, zumal ich den gesamten Vorgang gescannt hatte, mit Sicherheit recherchieren lassen. Ich m u ß t e in diesem Fall so hart reagieren, weil gar nicht absehbar war und ist, welche Leserkreise der Kommentar schon erreicht hatte und noch erreicht hätte, – Leserkreise, die möglicherweise direkten Zugang zu meinem Sohn haben und ihn auf die eine und/oder andere Weise mit dem Vorwurf konfrontieren würden, sein Vater sei ein Kindesmißbraucher. Hier sind die Grenzen der Offenheit eines Literarischen Weblogs deutlich gezogen; auf diesem Weg läßt sich Offenheit de facto zerstören. Eine staatsanwaltliche Untersuchung hätte notwendigerweise zur Folge gehabt, daß das Weblog wenigstens vorübergehend eingefroren hätte werden müssen. Der persönliche Schaden wäre sowohl des Kindes wie des Weblog-Autors a l s Autor nicht abzusehen gewesen, abermals wäre Literatur zur Realität geworden, und zwar zu einer ihrer restriktivsten Formen.
Der Autor des Kommentars, der querschießenden Folgen seines Eintrags bewußt geworden, entschuldigte sich dann, seinen Worten nach: bereits b e v o r ich meine Drohung unter den Kommentar schrieb. Dies ist glaubhaft, zeigt aber zugleich, daß das Netz ganz offenbar das Bewußtsein von Verantwortlichkeit bei einigen users zumindest zeitweise außer Kraft setzt. Es wäre ja etwa denkbar gewesen, meine Erzählung auf eine ganz andere Art mit den in diesem Fall – sehr wahrscheinlich wirklich – gefühlten Bedenken zu kommentieren, o h n e eine Begrifflichkeit zu benutzen, die derzeit >>>> moralhysterischer Modebegriff geworden ist und es sich in einem Bedeutungsfeld bequem gemacht hat, das ein wirkliches, „freies“ Nachdenken nicht mehr erlaubt.
Hiermit einher geht Schamlosigkeit: von dem Einzeldatum einer Erzählung über Erziehung wird eine generell-„sadistische“ Haltung ihres Autors abgezogen und ihm, der sich namentlich kenntlich macht, als unbedingte Wahrheit über sich selbst vorgehalten: er sei ein Krimineller. Um sich vor so etwas zu schützen, bleibt die Notwendigkeit eines Anonyms in Kraft, gegen das wiederum die Blog-Gesetzgebung durch Impressum-Vorschrift vorzugehen versucht, die freilich den Kommentator ausnimmt und schließlich eine in diesem Wechselspiel „freie“ Äußerung unmöglich macht. Wer hiergegen auf dem Wechselspiel beharrt, soll in die Knie gezwungen werden. Das geschieht strukturell, nämlich weitgehend unabhängig von der tatsächlichen Intention des entsprechenden Kommentators: ob er das w i l l oder es einfach nicht mitbedacht hat, spielt keine Rolle.

In die gleiche Richtung weisen sämtliche „Vorschläge“, auf die Möglichkeit anonymer Kommentare zu verzichten, bzw. sie einzuschränken. Das Feld selbst soll normhaft durchreguliert, das Subjekt Funktion sein, anstelle daß weiterhin Selbstverantwortlichkeit – Bewußtsein wie Gefühl von Eigenverantwortung – eingefordert wird. An deren Stelle >>>> tritt am Schluß des Prozesses die Netzpolizei. Homo homini lupus.

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5 thoughts on “Kindesmißbrauch. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (114).

  1. Sehr geehrter Herr Herbst Nun machen Sie hier ihre Privatangelegenheiten teilöffentltich oder heben hier von mir aus die klassische Grenzziehung auf. Was Diskussionen betrifft, ist das lustig. Nicht lustig finde ich die Frage, ob Ihr Bub in einem Alter ist, in dem er selbst schon überblicken kann, also vollverantwortlich entscheidungsfähig ist in der Frage, in wie weit er Teil haben möchte an einer theoretischen oder künstlerischen, auch praktischen, vor allem aber öffentlichen Mitgestaltung ihres Lebenswerks.
    So viel ich weiß, ist er nicht in diesem Alter.
    Der Vorwurf, dass sie ihren Bub nicht im Sinne des Jugendschutzes und damit gesetzeswidrig behandeln, kann ihnen hier nicht gemacht werden. Dass müsste in der Tat ein Gericht entscheiden.
    Aber es darf ihnen hier als Vater die Frage gestellt werden, ob sie , käme es zu einer juristischen Verhandlung dieser Frage, unabhängig von ihrem Ausgang, hier also bereits ihren Sohn, dem Risiko aussetzen, mit seiner verletzlichen Kindheit, im Eventualfall womöglich Gegenstand einer juristischen Auseinandersetzung zu werden, auch wenn diese Auseinandersetzung womöglich zu ihren Gunsten entschieden würde, womöglich mit einem „künstlerisch interessanten“ Präzedenzurteil.
    Also nur eine höflich besorgte Frage, ob sie meinen, das Recht zu haben, ihren Sohn, auch nur dieser Eventualität einer eventuell zunächst mal für sie stressigen aber auch für ihren Sohn stressigen Angelegenheit hineinzuziehen. Ganz höflich gefragt.
    Und ob sie nicht meinen, darüber wenigstens ganz unjuristisch nachdenken zu dürfen, ob es vielleicht etwas gäbe, was sie ihrem Bub, einfach so, weil sie ein netter Mensch sind, ersparen könnten.

    1. @HölderLine. Sie rühren an ein Kernproblem meines Konzepts des literarischen Bloggens. Es ist zweierlei dazu zu sagen.
      1) Es ist bereits ein Problem der Widmung.
      2) Mein Sohn ist für mich eine der Grundlagen a u c h meines künstlerischen Selbstverständnisses geworden, d.h. er ist von meiner Produktionswirklichkeit nicht zu trennen. Ich bin ohne meine Vaterschaft nicht (mehr) als Autor zu denken, umgekehrt bin ich für meinen Sohn als Vater auch nicht als Nicht-Autor zu denken. Da mich nun künstlerische Produktionsverhältnisse interessieren, ja sie für mich in die Arbeit selbst mit hineingehören und längst Teil der letzten Romane selbst sind, zwänge mich eine Rücksichtnahme, wie Sie sie vollkommen nachvollziehbar einfordern, dazu, meine Arbeit aufzugeben. Kurz, ich ließe mich meiner Familienverhältnisse wegen korrumpieren. Zugleich kann man aber von keinem meiner Beiträge, die sich in Teilen auf meinen Sohn beziehen, sagen, daß sie in irgend einer anderen Weise mißbräuchlich seien, als wenn man schon die Publikation-selber als Mißbrauch versteht. Dem folge ich nicht. Zum einen, weil ich es ernst meine mit dem „Das Private ist das Politische“, zum anderen, weil Die Dschungel auch als Vermächtnis an meinen Sohn gedacht sind; deshalb die Wdmung: er wird, wenn er mag, über seinen Vater mehr erfahren können, als je ein Kind von seinem Vater erfuhr; dazu gehören a u c h die Auseinandersetzungen, Zweifel, Nöte usw., die eine künstlerische Position, wie ich sie vertrete, mit sich bringen. Insgesamt gehört das in >>>> diesen Komplex. Daß ich immer mal wieder von ihm erzähle, verschweige ich ihm dabei nicht. Ich bin o h n e Vater aufgewachsen, ich wußte von ihm n i c h t s und weiß noch heute sehr wenig. Er entzog sich auch, als wir uns endlich kennenlernten, dem Gespräch und der Erzählung.

      Was den >>>> gestrigen Vorgang anbelangt, so war da allerdings eine Grenze übertreten; diese Übertretung zielt aber direkt ins Herz meines poetischen Unternehmens, damit meiner ganzen Existenz. Dies wiederum berührt die Interessen meines Sohnes so oder so. Es war also zu handeln. Kinder werden i m m e r von den Handlungen ihrer Eltern oder deren Schicksal mitbestimmt; in Berufen, die „unauffälliger“ und geduckter oder gar aufs Sichducken aus sind, mag das allenfalls weniger deutlich zu Buche schlagen. Ganz sicher hätte ich eine solche Anzeige höchst ungern erstattet, aber ich h ä t t e es getan und lange, sehr lange mit meinem Jungen darüber gesprochen. Auch Kinder von politischen Widerstandskämpfern bekommen Sanktionen und Restriktionen m i t ab; weshalb soll das bei ästhetischen Widerstandskämpfern anders sein? Unterm Strich ist es ein Dilemma. Da gebe ich Ihnen recht.

    2. Keuschnings Aussage, nennen wir sie Vermutung, Hypothese, Annahme, er selbst spricht wohl vom Glauben, gleichwie, seine Aussage auf den Skandal beziehend und zu Ende gedacht. Daß Sie mich „gleichsam besetzen“, den Verdacht habe ich schon lange. Wenn es so wäre, ich hätte damit das geringste Problem. Was aber, wenn Sie den von Ihnen „inkriminierten“ Beitrag selbst …, nur um – in Kombination mit den aufmerksamkeitsproduzierenden Schlüsselwörtern Kindesmißbrauch und Vergewaltigung – Traffics zu generieren? Unterm Strich ist es ein Dilemma und belegt die Grenzen, wenn nicht sogar die Unbrauchbarkeit Ihres Konzepts.

    3. „wenn Sie den von Ihnen „inkriminierten“ Beitrag selbst …“ „nur um Traffic zu generieren“…. diese zutiefst unmoralische Unterstellung, die zudem den Mißbrauch wiederholt, indem sie mir abermals den Mißbrauch an meinem Kind vorwirft, disqualifiziert Sie, HölderLine, ein- für allemal. Ich werde nunmehr j e d e n Ihrer weiteren Beiträge löschen.

  2. @ANH ja, es soll zerstört werden, aber es will auch verletzen. dieser mißbrauchsvorwurf hat sich in die köpfe der leute reingelesen, da ist es ganz egal, ob sich der/diejenige bei ihnen entschuldigt, oder nicht, die leute haben es gelesen. man greift sie ja noch nicht einmal deswegen an, weil man erkennt, daß sie ihren sohn schützen wollen und auch müssen, sondern allein nur auf grund der tatsache, daß man s o denkt, w i e man denkt.

    würde ein kind mit einer solchen thematik konfrontiert, ginge es zum vater: „stimmt das, was die leute da sagen?“ auch wie im falle der einladend gekleideten frauen muß der vater seine unschuld beweisen. es ist oft genug vorgekommen, daß nur auf grund der interpretationsfähigkiet von kita-mitarbeitern die jeweiligen väter mit dem vorwurf belastet wurden, was letztendlich immer dazu führt, daß das leben dieses vaters auf seine ganze zeit ruiniert ist, und er mit einem stempel auf der stirn herumläuft. es ist gut, und sehr richtig, und für ihren sohn sehr wichtig, daß sie so reagieren.

    das, was hölderline (anonym) da eben um 14.09 uhr schrieb, wundert mich nicht. was ich selber denk und tu, trau ich andern zu. es ist immer die eigene schlechtigkeit, die man anderen unterstellt, die man auch wahrnimmt, aber verleugnet, und deshalb bewusst verletzen will, und zwar immer dann, wenn sich jemand traut, „die ungeheuer zu zeigen“ (danke diadorim… oder r.)

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