Arbeitsjournal. Dienstag, der 15. Dezember 2009.

7.07 Uhr:
[Serengeti. Alfvén, En Skärgardssägen.]
Manchmal – zugegeben: nicht oft – frage ich mich, für wen ich dieses Arbeitsjournal eigentlich schreibe, also das geht über >>>> d i e s e Fragestellung hinaus, die auf das literarische Arbeiten abgezielt hatte und weiter abzielt. Aber die persönlichen Mitteilungen… w e m teile ich sie mit? Daß ich dabeibin, eines der umfassendsten literarischen Tagebücher zu verfassen, die es – so jedenfalls: so zeitdirekt, zeitnah, so ungeschützt und gleichsam hautoffen – wahrscheinlich jemals gegeben hat, ist sicher das eine; nur: wer soll das dann, über einen ganz gut abschätzbaren Kreis Interessierter hinaus, eines Tages wiederlesen? Das alles hat auch etwas von einem Gespräch, wobei „Gespräch” aus der dichterischen Einsamkeitsklause meines Kopfes heraus, die ich mal besser ironisch begreifen will, auch wenn mir Ironie wenig liegt… also wobei „Gespräch” ja doch täuscht, weil es einseitig ist; „unterhalte” ich mich hier ganz ebenso mit „d e m” imaginären Leser, wie ich für ihn, letztlich, meine Bücher schreibe und meine Hörstücke inszeniere – in einen leeren Tonraum hinein, der dann doch immer von m e i n e n Ohren begrenzt wird?
Ein ausführliches Gespräch mit der Löwin geht voran: was Künstler heute seien, die meisten, jene, die Erfolg haben: „Es sind mehr Designer, es sind Vermarkter, es sind Leute, die den Markt zu spielen wissen und wissen, welche Aufträge man wie ausführt; sie sind geschickt und perfekt eingefügt.” Wiederum voran ging ein Telefonat mit meiner WDR-Redakteurin, deren Reaktion auf >>>> mein Danz-Hörstück g a r nicht begeistert war. Begeisterung erwartete ich aber; ich erhoffte sie nicht nur, nein ging von ihr a u s, nachdem alle anderen, die es gehört hatten, sie gezeigt hatten; ich selbst bin ja begeistert, beglückt, glücklich über das Stück… da traf mich dann der nüchterne Vorbehalt ziemlich unerwartet und auch tief; es überschattete gestern mittag meine Stmmung doch sehr, hielt bis in den frühen Abend so sehr an, daß ich bereits um 23 Uhr schlafen ging. Wenn ich etwas psychisch abwehre, werde ich schnell müde; es ist auch das Arbeit, man kann sich darüber gar nicht täuschen. Andererseits, ich ziehe mir zwar abwertende Urteile immer schnell an, und das wirkt lange nach – ganz unabhängig von ihren Gründen und Qualitäten -, bleibe aber überzeugt; hier, in diesem Hörstücks„fall”, sowieso. Nur daß der Vorbehalt der Redakteurin von jemandem stammt, die ich hoch schätze. Wiederum andererseits – genau so rast das von Kopf durch Herz hin und her – war ja vor allem auch >>>> Eigner begeistert und war UF begeistert… Vielleicht trifft man manchmal nur einfach nicht den persönlichen Ton von jemandem oder trifft auf etwas, das in ihm abwehrend-sowieso auf bestimmt Konstellationen reagiert. Und und und. (Jetzt bin ich gespannt, was die Technikerin sagt, der ich das fertige Stück ebenfalls rübergereicht habe; sie kennt ja nur die Sprachaufnahmen aus dem Studio). Jedenfalls hatte ich gestern, nach dem Telefonat mit der Redakteurin, sofort das Bedürfnis, n o c h einmal selber zu hören… ließ das dann aber bleiben.
Und abermals: für wen schreibe ich über dies? Das ist in der Tat die Frage nach „dem” Leser. Nach „meinem” Leser. Ich setze voraus, vielleicht setzt jeder Künstler das voraus, daß er die feinsten Stimmungsbewegungen und Motivationen und Ideen-Konstellationen ebenso unmittelbar empfindet wie man selbst. „Der” Leser ist nicht Zielgruppe, auf die man mehr oder minder eben doch pädagogisch zuschreibt, sondern er ist. Wie „die Mutter”? So, wie Säugling und Kleinkind mit ihr Identität spüren? In jedem Fall ist er eine Imago unbedingter Nähe. „Liebes Tagebuch, ich muß Dir heute etwas erzählen, das nur Du verstehst”, als wäre das Tagebuch denkende, fühlende, atmende Person. „Liebes Arbeitsjournal, es hat mich gestern sehr verletzt, nicht angenommen, nicht in die Arme genommen worden zu sein.” Das Arbeitsjournal als etwas, das wirklich kindlich meint, Trennungen könnten unterlaufen werden… nein, es gebe sie gar nicht.

Allerdings, d a s sagte sie ja a u c h noch, aber ich will unmittelbare Wirkung: „Es kann aber auch an meiner persönlichen Verfassung liegen, ich habe heute keinen guten Tag.” Und spontan, jetzt (also n i c h t spontan, sondern vom Unbewußten hergesucht), fallen mir die vielen Komponisten ein, deren heute berühmten Werke am Tag ihrer Uraufführung durchgefallen waren – und wie sie das, um es sanft, aber in der Ringelbewegung sehr treffend zu sagen: ge„wurmt” haben muß; etwas, das sich als Schmerz weiter- und immer weiterringelte. Indes, nüchtern betrachtet: wenn man seine Arbeit nach wie vor richtig findet, ist es ein pures Psychoding des Narzissmus’.

Aber, noch einmal: Wem schreibe ich das eigentlich alles?

18 thoughts on “Arbeitsjournal. Dienstag, der 15. Dezember 2009.

  1. Banale Antwort: Für sich selbst.

    Ihre “Zahlen” müssten Sie doch kennen; man kann ja sogar ablesen, wie oft der Beitrag angeklickt wurde – ob er dann auch gelesen wird? Bis zum Ende? Ich glaube, das Exotische des “bloggenden Dichters” ist verflogen. Und im allgemeinen: Gerade bei Lektüre des Bernhard-Unseld-Briefwechsels wieder einmal erfahren, dass einem sowas nur interessiert, wenn man das Werk auch kennt.

    1. @Keuschnig. “Für sich selbst”. Ja. Und eben nein. Es geht dies ja weit über ein Selbstgespräch hinaus. (Und, siehe Unseld-Bernhard, möglicherweise werden andere Fragen, anderer Fragen daran gestellt werden, “eines Tages” oder bereits jetzt. Das ist selbstverständlich nicht werk-unabhängig. Es gibt da eine seltsame Verschiebung: Das Persönliche, das doch eigentlich vorgängig ist, wird nachgängig, und zum “Eigentlichen” wird das Werk. Einmal vorausgesetzt, “Werk” habe überhaupt noch eine Bedeutung oder habe es jemals, außerhalb von Vermarktungszusammenhängen, gehabt. Jedenfalls führt die Fragestellung mich mehr als sechs Jahre nach Beginn dieses Weblogs zu der bereits oben verlinkten >>>> Eingangsfrage zurück. Unterdessen hat sie sich um die Frage erweitert, inwieweit nun auch Die Dschungel tatsächlich – fast materiales – Teil dieses Werkes sind. Wäre ich mir hierbei sicher, erweiterte ich sie in >>>> die Kleine Blogtheorie, die im Herbst nun auch als Buch und als ebook erscheinen wird. Was etwas nicht ganz angenehm Abschließendes hat.
      {Ich bin mir aber nicht sicher.})

    2. Ich habe grundsätzlich immer Probleme, wenn das Persönliche so stark in ein Werk eingreift, dass ich es als Kriterium für die Werk heranziehen muss bzw. mich dazu genötigt fühle. Will ich wissen, wie Sie Ihren Kaffee trinken? Eigentlich nicht. Aber indem ich es erfahre (fast beiläufig), wird jedes Kaffeetrinken in Ihrem fiktiven Werk im Verhältnis zur “Realität” gesetzt. Das interessiert mich als Leser eigentlich nicht (ich bin ja kein Germanist – Gott bewahre! – oder Philologe). Und doch kann ich nicht anders, als dann immer diese Leben-Werk-Relation errichten.

      Natürlich ist “Die Dschungel” inzwischen längst Teil des Werkes geworden und auch hier dürfte es massive fiktionale Elemente geben, eben im Bewußtsein um den Werkstatus (wie beim Briefwechsel, von dem beide irgendwann wissen: Das wird später einmal veröffentlicht).

      Mir ist am liebsten, ich weiss vom Autor wenig oder nichts. Aber ich bin da die Ausnahme.

  2. Die Frage lautet nicht: “für wen…? sondern warum!! Die Veranlagung zu Exhibitionimus spielt eine Rolle (Sie geben sich Preis), aber auch die Möglichkeit, beim Schreiben weiterzukommen, zu verarbeiten. Ich denke, also schreibe ich.
    Mal abgesehen davon: in diesem Beitrag sind Sie endlich mal schwach; weich, berührt, zurückgeworfen. Dieses Tempo mit dem sonst immer alles nach vorne geht, ist erschreckend.
    Sie sollten sich öfter “Fragen” stellen – unter Umständen gewinnen Sie dadurch Zeit, Zwänge gehen zurück, Leichtigkeit stellt sich ein …

    1. Und außerdem ist es eben doch a u c h ein Tagebuch.
      Man lernt am Arbeitsjournal “den Herbst” zu lesen, im Sinne von verstehen, aber nur dann, wenn man/frau auch die reale Person dazu kennt. Kennenlernen durfte.
      Einiges ist jedoch erschütternt offen, öffenltich, ja! hautoffen ist ein gutes Wort. Wer auch immer mit dem Herbst zu tun hat, kann im Arbeitsjournal seine eigene Bedeutung ablesen, wenn man/frau das denn so sehen will. Es ist ein zutiefst subjektives “Ding”. Man bekommt nur das ganze Herbst-Paket, man kann sich die Einzelteile nicht aussuchen, er aber, der Herbst, er sucht sich schon aus was gerade rein passt und so kann man dann für sich selber noch deutlicher lesen was eigentlich los ist.
      Es ist schonungslos. Er ist schonungslos, an sich und an den anderen.

    2. Und außerdem frönt es dem Geniekult. In den Siebzigern waren wir weiter. Da haben wir den Schriftsteller als Wortarbeiter verstanden, als einen Arbeitnehmer, was er in Wirklichkeit auch ist. Abhängig von der Industrie und deshalb weit mehr auf Solidarität von Kollegen angewiesen als auf Inspiration, die sowieso immer Faselei gewesen ist, oder sogar Werk-Autonomie. Herbst überschattet diesen gesellschaftlichen Zusammenhang mit einer Künstlervorstellung, die unzeitgemäß ist. Er ist genau so abhängig von dem Arbeitsmarkt wie jeder andere und seine Arbeit hat auch nur Wert in Bezug auf diesen , bzw. auf die wirklichen Bedürfnisse von Menschen. Herbst scheint das alles nicht zu interessieren, jedenfalls tut er so und führt uns das “Vorbild” eines Künstlers vor, der sich aufgrund seines Werkes nicht beugen darf und muss. Er muß sich aber selbstverständlich beugen und anpassen wie jeder andere Arbeitnehmer auch, oder er verliert ganz einfach seinen Job. Wenn Herbsts Hörspiel der Redakteurin nicht gefällt und es deshalb auch nicht gesendet wird, dann hat es auch in Wirklichkeit keinen Wert. Da hat die Redakteurin völlig recht. Der Sender ist der Arbeitgeber, Herbst ist der Arbeitnehmer und hat als solcher zu befolgen, was der Sender verlangt. Denn der Sender bezahlt ihn. Eine eigene Vorstellung, was gesendet werden soll und was nicht, kann man gegenüber dem Arbeitgeber nur dann durchsetzen, wenn man als Arbeitnehmer die Mehrheit der anderen Arbeitnehmer hinter sich hat und wenn man dann gemeinsam etwas unternimmt. Es ist aber deutlich, dass Herbst nicht mal eine Minderheit der Arbeitnehmer hinter sich hat. Seine Angriffe auf die Popmusik sprechen da Bände. Herbst ist einfach out, da hilft kein Herumzappeln. Wenn er sich an das anpassen würde, was uns der Pop an Befreiung gebracht hat, erst dann könnte das anders werden. So aber steht Herbst bloß einsam da, weil er nicht versteht, dass Demokratie bedeutet, dass die Mehrheit recht hat. Er ist aber viel zu reaktionär, um das zu begreifen.

    3. @Wortarbeiter. Ich kann Ihnen nur recht geben. Wer gegen den Pop ist, wird mit Vereinsamung bestraft: Rauswurf aus der Herde. – Seltsam aber, zu was das böllsche “Ende der Bescheidenheit” unter Ihrer Hand wird. Gewerkschaften als Stabilisatoren des hm… stimmt eigentlich nicht mehr als Begriff… – dennoch: “Systems”.

    4. @Wortarbeiter

      Ihr „Wortarbeiter“ war kein Arbeitnehmer, ist er nie gewesen, er war und ist, um in Ihrem Jargon zu bleiben, ein „Arbeitgeber“.

      Und dann noch etwas, wenn eine Mehrheit recht hat, bedeutet das vielleicht Demokratie. Mir graut vor Mehrheiten, die Ihren Massenorgasmus im Heben und Senken des Daumens erleben. Ob deren Urteil nachhaltig sein wird, steht in den Sternen. Qualität ist selten mehrheitsrelevant.

      Pop: Ich habe nix gegen Pop. Er ist mir schnurz. Seine “befreiende” Wirkung entfaltet er als Droge. Er lenkt jeden ernsten Emanzipationsversuch in seine Känale, wo dann “Befreiung” – zur Ware verkommen, – stirbt.

      Als in Lisboa in den 70 iger Jahren “Grândola, Vila Morena” einsam in die Nacht gesendet wurde, hatte das Lied Wirkung. Heute, längst Ladenhüter der Popfolklore, interessiert das leider “Ihre Mehrheit” nicht mehr.

    5. @Wortarbeiter Erschreckend, Ihre Vision (ich nehme sie als Vison): Wer sich anpasst, bleibt “in”; die anderen sind “out”. Die Menschheit hat jedoch meistens nur von Außenseitern profitiert, wobei diese Außenseiter allerdings nie “gewollte” Außenseiter waren (denn dann wären sie ja in ihrer Ablehnung wieder nur angepasste Meinungspüppchen gewesen). Das gilt natürlich primär für das Gebiet der Kultur und der Wissenschaft.

      Wer glaubt, Kunst sei nach “demokratischen” Maßstäben zu organisieren, zu beurteilen und zu bewerten, hat den Begriff von Kunst gar nicht verstanden. Er hat aber auch den Begriff der Demokratie nicht verstanden, da dieser mitnichten mit reiner Mehrheitsentscheidung gleichzusetzen ist. Beides ist – mit Verlaub – Unsinn.

  3. @ANH

    An der „Öffentlichkeit“ scheitern, gleich ob es sich dabei um Verlage oder Redaktionen handelt, gehört zwingend zum Beruf. Das halten Sie aus.
    Künstlerinnen und Künstler in jeder Sparte sind glücklich, unglückliche Berufene, deren einzige Aufgabe es ist ihr Werk, im Wissen darum es nicht vollendet vollenden zu können, unabhängig vom Mainstream zu tun.

    1. @ montgelas Pathos pur, »montgelas« – passen Sie auf, dass der Herbst nicht den Sockel zertritt, auf den Sie ihn stellen wollen. Er schreibt sein Arbeitsjournal für mich. Ohne das Arbeitsjournal verkämen die Dschungel zum Aufenthaltsort einer herrenlosen Affenhorde. Herbst ist sozusagen der »Silberrücken«, hinter dem sich die anderen Schreiber getrauen, ihre Nüsse zu werfen.

      Seit Cellini die Dschungel verlassen hat, lese ich nur noch Herbst.

      Weblogs von Autoren sind die finanziell günstigste Methode der Selbstinszenierung, nicht nur für den Autor, sondern auch für die Leser. Ohne Watt und ohne Ohm gibt’s keinen Strom – Ein Hoch auf die Elektrizität, die auch die Dschungel beherrscht.

  4. @ANH

    Wenns nach der Mehrheit ginge, brauchte es keine Fleißer, keinen Doderer . Soviel zur Qualitätsicherung in der Demokratie.

    Einzelne müssen aufstehen, die Verfemung am eigenen Leib erfahren und mit ihrer schmalen Person den fortschreitenden Weg ins Dickicht der vorgefassten Meinungen stampfen. Frieda Geier, eine Protagonistin aus Marie Luise Fleißers Roman “Mehlreisende Frieda Geier“ vertritt diese Meinung, die der Haltung ANH’s in den Dschungeln nicht ganz unähnlich scheint.” Marie Luise Fließer zitierte ich einmal im >>>>im TB
    Dem ist nichts hinzu zu fügen.

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