Arbeitsjournal. Donnerstag, der 17. Dezember 2009.

10.49 Uhr:
[ICE Frankfurtmain-Berlin. „Hinter” Kassel.]
Hat Freude gemacht, das reale >>>> virtuelle Seminar gestern; danach wieder beim Heidelberger Betongriechen, zu dessen Gräue gestern abend eine sensationelle Muffeligkeit hinzukam, die sich über den Abend aber legte. „Heiliger” nannte er mich diesmal. Die anderen hießen für ihn „die Verlobte”, „der Professor Doktor Doktor”, „der Student”. Mit einem süßen, teil schneebezuckerten Umweg nebst Verfahren Richtung Frankreich kehrten Reichenbach und ich dann zu ihm zurück, kehrten wir bei ihm ein und hörten >>>> mein Danz-Hörstück. Bei ihm die gleiche Reaktion wie bei allen anderen, die es bisher gehört haben: das sei wunderbar, er könne gar nicht verstehen, weshalb die Redakteurin… – morgens dann, diesmal e r muffelig: „Ich habe noch mal nachgedacht. Viele Leute im Westen haben Schwierigkeiten mit ihren Gefühlen. Dein Stück spricht aber direkt die Gefühle an.” Während wir frühstückten, kam mir dann ein Gedanke – nur für mich, ich sprach ihn noch nicht aus, will später etwas Eigenes darüber schreiben: Vielleicht liegt der Erfolg des Pops genau darin, daß er den Menschen zu fühle e r l a u b t… große Gefühle zu haben, während die Kunst, Neue Kunst, die Gefühle entweder nur ironisiert oder gar nicht zuläßt. Das ist bei meiner Arbeit entschieden anders, das ist aber auch etwas, das die „Betriebsverantwortlichen” an meiner Arbeit eben ablehnen.

Ich muß darüber weiter nachdenken; mir scheint das sehr wichtig zu sein. Der von mir geschätzte Lyriker >>>> Jan Volker Röhnert hat mal bei meinen Gedichten eingewandet, er finde, daß solch starke Gefühle auch etwas Lächerliches hätten; zugleich hat er aber gar kein Problem, sie sich vom Pop „machen” zu lassen. Seit heute früh, seit Reichenbachs Bemerkung, wird mir diese Zusammenhangs-Antinomie ziemlich deutlich. Zumindest ist es eine Spur
Hm.

Gegen Viertel vor 14 Uhr werde ich wieder in Berlin sein, Prenzlauer Allee, dann gleich in die Abeitswohnung flanieren, um dort um halb drei meinen Jungen zu empfangen. Auf den ich mich sehr freue. Reichenbach wiederum ist nach Dresden davon, sein ICE fuhr vom Gleis gegenüber; wir rauchten noch eine zwischen beiden eingefahrenen Zügen.

14.32 Uhr:
[Arbeitswohnung. Jukka Tiensuu, nemo für Ensemble, Sampler & Live-Elektronik.]
Zurück. Schon die Eierpfannkuchen angesetzt. Denn bevor ich mich jetzt dem hiesigen (Rechnungs-)Chaos stelle und überhaupt sichte, was als nächstes ansteht, kommt erst einmal mein Sohn. Auf den ich mich irre freue.

(Wegen >>>> Werner Söllner rief mich Eva Demski im Zug an; wir werden heute nachmittag telefonieren.)

7 thoughts on “Arbeitsjournal. Donnerstag, der 17. Dezember 2009.

  1. Treffer – versenkt “Vielleicht liegt der Erfolg des Pops genau darin, daß er den Menschen zu fühle e r l a u b t… große Gefühle zu haben, während die Kunst, Neue Kunst, die Gefühle entweder nur ironisiert oder gar nicht zuläßt.”

    Warum wird Ihnen das erst jetzt klar? Ich weiß Sie schauen Hollywood….

    1. man muss nicht unbedingt gleich ein zementhai sein, um der kurzen widerrede ( replik ) ihrerseits eine gewisse leicht / lind abgemilderte form von sympathieverlust dermassen ableiten zu können, dass es mir eigentlich irgendwie gruselig ( fröstelnd ja durchaus ) werden könnte.
      ich selbst habe schon von sekunde auf monate und von dekaden hin zu gravierenden aufmerksamkeitsschüben in schwelgende höhenbereiche hinauf mit hollywoodesken pseudomanirismen zu schaffen, welche einen ausgereiften gang nachschwanenwerder mehr als nur angebracht einem redlichen ansinnen triftig erscheinen liessen so dass mich eine doch deutlich herausragende o.b. – existenz nur folgerichtig ( wenngleich subsidiär anmutend ) an gestaltbare prozesualitäten nicht nur klammheimlich erinnern könnten, was wohl etwas lautstark daherkam.
      dem gilt es entschieden ( und demnach entschärfend ) nachzubessern.
      man müsste schwanenwerder ganz einfach versenken.
      ohne baggereien wird das wohl kaum umzusetzen sein bis letztendlich freitzeiterboote an diesbezüglicher stelle gefahrlos und munter zu manövrieren
      in der lage wären.

  2. Pop und Gefühl Herr Herbst,

    Ihre Gedanken über Gefühl und Pop hab’ ich mit ins Bett genommen und es sind da einige Überlegungen entstanden, von denen manche zwar sicherlich als redundant betrachtet werden können, die ich in ihrer Gesamtheit aber trotzdem kurz anführen möchte und sei es nur der entfernten Möglichkeit wegen, es könnte zu neueren Einsichten führen.

    Mir scheint das konnotative Feld um Gefühl hat sehr stark mit den westlichen Modernisierungsprozessen zu tun, die auf der einen Seite Gefühl und Vernunft im Bewusstsein des westlichen Menschen in ein dichotomes Verhältnis zueinander brachten und auf der anderen Seite dazu führten, dass man Vernunft heute sehr viel größer zu schreiben pflegt als seinen Counterpart. In vielen Diskursen hat das zu einer beeindruckenden Zentralstellung des Wertes Vernunft und u.a. eben auch dazu geführt, dass “Viele Leute im Westen [..] Schwierigkeiten mit ihren Gefühlen” zu haben scheinen.
    Dem Gefühl wird, allen voran in elitären, wissenschaftlichen und intellektuellen Diskursfelder etwas Negatives beigemessen. Vielleicht lässt sich der Erfolg des Pop, wie Sie ihn nennen, auch damit erklären, dass er, nach langer Zeit, das Gefühl wieder in einem eher positiven Licht erscheinen lässt?

    Betrachten Sie sich doch bitte als freundlich gegrüßt!

    (Die Formulierungen im Post sind zu entschuldigen. Ich versuche hier wohl empfundene Distanzen zu überbrücken. :-))

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .