Abermals ein Anschalttag. Arbeitsjournal. Freitag, der 9. April 2010. Und Polyamorie. Schneeweiß die Demut (1).

5.47 Uhr:
[Am Terrarium.]
Eine Amsel, mit dem Lichtaufgang überm Hof, singt aber sowas von nachdrücklich! Hier ist das Fenster leicht offen neben dem Bett, die Zwillingskindlein kamen gegen halb fünf zu mir herüber, Köpfchen auf die linke Brust (Mädel), Köpfchen auf die rechte (Bubel), so schliefen sie wieder ein. Eine halbe Stunde später, knapp, hörte ich die Wohnungstür sich öffnen; ich schlief nicht mehr – … Moment, der Kaffee… -, ich döste nur noch, aber es legte sich niemand hinzu; mag sein, man mochte das Schlafen der Kleinen nicht stören (außerdem behauptet eine Legende – sie hält sich hartnäckig und schweift, seit ich zweiundzwanzig bin, von Frau durch Frau zu Frau -, ich schnarchte). Also. Um etwa eins zu Bett, um halb fünf auf, das ist das übliche Schlafensmaß wieder, dazu die eine Stunde zu mittag.
Gestern nacht löschte ich >>>> darunter wieder, an sich war kein Grund, die Argumente waren diesmal schlüssig; nur geb ich den Trollen nur noch die Hand, wenn ich Lust hab. Ich rate ihnen deshalb, doch, wenn mal n i c h t getrollt, sondern ernsthaft gesprochen werden soll, sich ein anderes Anonym zu wählen, für die, sagen wir, seriöse Abspaltung ihrer sonst feixenden Iche; ansonsten gilt: erkannt und abgeschossen. Das ist nicht meine Formulierung, sondern sie stammt von Daniello, der mir frühnachts einen Haufen Emails weitergeleitet hat; man muß die Partizipialkonjunktion in seinem Wienerisch hören, dann entfaltet sie ihren ganzen sadistischen Glanz. Auch eine Art der Lebensfreude. Nicht unter diesen Emails, sondern >>>> bei Facebook schrieb eine Künstlerin, die ich schätze:Ihre letzte Antwort an Melusine B. fand ich richtig Hammer, fast schon weise, ich hätte Lust, was dazu zu sagen, da fallen mir viele Sachen ein. Aber ich geniesse es, dort in Ruhe zu lesen 🙂was ich nun wieder übertrieben finde, also das mit der Weisheit; daß etwas „richtig Hammer” sei… so empfunden werde, das allerdings finde ich prima. Ich sagte Ihnen auch gern, wer diese Künstlerin i s t; aber da sie es vorzog, im Gesichtsbuch zu schreiben und das Gesicht nicht hier zu zeigen, bleibe ich diskret.
Anschalttag. >>>> Letztes Mal ging das ja gründlich schief. Ich muß pünktlich vor acht Uhr in der Arbeitswohnung sein, damit ich die nötigen Zugänge gewähre; ich muß pünktlich um sechzehn Uhr wieder fort, um die Kleinen von Barenboim wieder abzuholen; लक ist eines Vorstellungsgespräches wegen verhindert. >>>> Aléa rief an, weil sie die Einladung zu einer Lesung bekommen hat, aber ungern persönlich auftreten will; „was soll ich jetzt tun?”, worauf ich: „Laß m i c h doch hingehen und deinen Romanauszug vorlesen.” Sie: „Um Gotteswillen! Du bist nun echt das Gegenteil einer Frau.” „Woher weißt du das?” „Ich erinnere mich. Und die da” sie meinte die Veranstalter „wollen n u r Frauen.” „Dann schick Olga.” „Das würde man merken bei dem Akzent.” Undsoweiter. Sie blieb ratlos. Mal sehn, wie sie entscheidet. Wir wollen eventuell abends ins Soupanova, vielleicht auch noch mal in die Arbeitswohnung, weil sie gern auch noch mein >>>> Hörstück über Christian Filips hören möchte.

So, jetzt mal das Stückchen Berlintext ansehen, das ich gestern schrieb. Ich kam ja nicht weit. Aber immerhinque, wie ich mit siebzehn sagte, es reicht, um den Entwurf des Anfangs nachher einzustellen. Wichtiger ist, mit Vattenfall zu telefonieren. Da ist was gründlich schiefgelaufen. Strom b r a u c h e ich in der Arbeitswohnung. Meine Hörstücke zu Aragon und Lezama Lima müssen kopiert und an den WDR geschickt werden; eigentlich, falls DSL nachher „steht”, könnte ich mp3’s rüberschicken; ich telefoniere mit meiner Redakteurin eh nachher.

7 Uhr:
Bis auf meinen Sohn sind nun alle wach, der Kakao ist bereitet, ich richte mich aus, zur Arbeitswohnung hinüberzufahren. Es ist mir bewußt, daß ich hier eine Sitcom schreibe, seit Jahren unterdessen, nur daß ich sie, wie es Literaten ansteht, mit Fiktionen fülle; insofern ist diese Sitcom de facto ein Roman. Ich bin mir des weiteren bewußt, daß Die Dschungel Pop zu werden beginnt. Wie ich ich dazu stelle, weiß ich noch nicht. Ich habe einen Text begonnen, der ein paar Sätze zur Polyamorie formulieren will und darin eine wiederneue Geschichte erzählt.

7.34 Uhr:
[Obwohl mir nach ihr wäre: ohne Musik.]
Ich hör nämlich sonst die Klingel nicht.
Arbeitsposition eingenommen, die Pavoni heizt für den Latte macchiato. Der Flur ist leerzuräumen für die Techniker der Telekom, die für Vodafone tätig sein müssen. Was der Telekom stinkt. So daß jede Gelegenheit genutzt wird, der Vodafone zu sagen: Niemand war da. Latte macchiato. Morgencigarillo. Ich brauche Zigarren fürs Landschloß. Alles, wirklich alles wird mir zu Gedichten, wenigstens zu Geschichten. Gedichte sind gut, um auf die großen Projekte zu warten. Einzelne Sätze haben die Macht von Ohrwürmer, vor allem, wenn sie sich rythmisieren (ich tu das anfangs nie bewußt, sondern es wird; erst danach setzt der Prozeß der Formung ein. Manchmal komme ich mit den Einfällen nicht mit, sie rasen zu schnell durch mich durch, einiges verstrahlt unergriffen, dann denke ich nach, seh ich dem nach und erkenne aber schon nichts mehr. Anderes hab ich, wie Schuldbürger Licht, in mein inneres Rathaus getragen. >>>> Schneeweiß die Devotion, so wird die Begegnung doch immerhin Poesie:

Schneeweiß die Demut sah mich an
und sie versagte vor Jugend

Dann sind da noch immer diese >>>> Ekelpaketchen, die bei mir rumlästerchenen und, was mich so schwer beeindruckt, daß ich verstumme, Cognac zu 84 Euro trinken, ohne freilich zu sagen, ob pro Glaserl oder pro Flasche; ich nehme mal „pro Glaserl” an, um nicht zu Unrecht beeindruckt zu sein. Dafür, in einer privaten Nachricht, MelusineB über Schröder: „Wir sprechen nur von der Russenmafia”, ach, armes Sizilien! standest Du Patin für jederlei Mißbrauch eines alten Widerstands. Der ging gegen die Großgrundbesitzer. Es ist nicht falsch, Federico (Secondo), die Geschichte zu sehen. Ich bin Friedrich. Das steht schon mal. Es ist so laut in meinem Kopf, redet so durcheinander, was gehört werden will, daß ich befürchte, auch ohne Musik nicht die Klingel zu hören. Das ahnte Vodafone vielleicht und schickt soeben eine SMS:Guten Tag. Zur Erinnerung: Heute kommt der Telekom-Techniker zu Ihnen. Ihr Vodafone-TeamSowas muß man Service nennen. Vodafone versteht was von Dichtern. Dennoch werde ich die Löwin jetzt wecken.

10.15 Uhr:
Bislang war noch kein Techniker da. – Ah!!!! Es klingelt. Das i s t er!

11.24 Uhr:
ICH HABE DSL! (Und – nach einem kurzen Problemchen – es f u n k t i o n i e r t! Hui und wie schnell das ist…) Nebenbei auch noch locker die Vattenfall-Sache… nun ja, nicht „gelöst”, aber erfolgsämlich (nicht –ärmlich) angegangen und gehemmt.

13.35 Uhr:
Sò, >>>> steht drin. HYMNOS B soll das Ding heißen. Jetzt schlaf ich ’ne Stunde. (Brauche einen Anrufbeantworter im Netz. Außerdem muß ich jetzt, da ich VoIP habe, mein Mobilchen-Tarif zu einem Tarifchen runterfahren. Mach ich nachher.)

15.22 Uhr:
Espresso nach dem Schlaf & Duschen. Sehr schöner Auftrag, sehr spannender Auftrag vom >>>> FREITAG, völlig unerwartet, und für die erste Seite…. Worüber, darüber hier keinen Ton. Sie solln die Zeitung dann ja kaufen.
Alles eilig jetzt, in vierzig Minuten muß ich zu Barenboim los. Das Cello bring ich vorher noch Ans Terrarium, um da dann nachher zu üben. (Das Netz „läuft” vorzüglich.)

18.04 Uhr:
[Am Terrarium.]
Die Zwillingskindlein sind abgeholt, wir warten jetzt auf लक. Während der Ubahn-Fahrt zu Barenboims Musikkindergarten las ich den FAZ-Text, auf den ich für den FREITAG entgegnen soll. Abgesehen davon, daß vor Selbstgefälligkeit der einen Bedeutung enorm geschwätzig ist, lassen sich die allenfalls drei Argumente und drei ziemlich bekannt eingefärbten Behauptungen derart locker widerlegen, daß ich mich gleich mal daranmache. Dann werde ich bereits am Montag früh auf der Fahrt Richtung Heidelberg abgeben können.

21.07 Uhr:
[Arbeitswohnung. Othmar Schoeck, Lieder op. 24a.]
Ich beginne zu strukturieren. Das Ding nehme ich aber sowas von auseinander!
Gegen 22 Uhr wird >>>> Aléa Torik noch einmal herkommen. Was ich für Sie vorhabe, scheint zu funktionieren; gab ein längeres Telefonat heute. Vor allem aber muß ich jetzt schnell zwei Hörstücke kopieren, damit sie, morgen weggeschickt, am Montag in Köln sind. (Gut, dieses KeinZigarettenMehrRauchen: das ganze „mal eben schnell” entfällt; nix wird „überbrückt”. Verlegenheitshalber und weil man nicht weiß, wohin mit den Händen. Zigarren sind anders, die Pfeifen eh.)

6 thoughts on “Abermals ein Anschalttag. Arbeitsjournal. Freitag, der 9. April 2010. Und Polyamorie. Schneeweiß die Demut (1).

  1. tz…tz…tz… Eine Sitcom schreiben Sie nicht… eine Sitcom beinhaltet immer Situationskomik, also die humorvolle Aus:ein:ander:setzung einer Szene innerhalb der Dramaturgie dieser… und die Dschungel ist inzwischen auch nicht Pop. Pop erfährt keinen Widerspruch, den aber bekommen Sie jede Menge. Wie kommen Sie nur auf diesen Gedanken??? *am Kopf kratz*

    1. @Cellini. Nun ja, wie man >>>> nicht nur hier lesen kann, finden einige Die Dschungel d u r c h a u s amüsant; für solche Leser h a t sie etwas von Sitcom. Das mag ich den Lesern auch gar nicht nehmen. Und daß “der” Pop keinen Widerspruch erfahre, ist schlichtweg nicht wahr: es gibt immerhin m i c h. Es gibt auch noch andere, die widerstehen, zum Beispiel Pierre Boulez, dessen Äußerungen zum Pop keine Frage offen lassen (“Wie primitiv!”); auch einige mir bekannte Redakteure lehnen den Pop scharf ab und müssen dafür täglich einen Zement kauen, der von oben in sie gestopft wird. Wahr ist, daß Widerstand gegen den Pop mit – in der Demokratie freilich “zivilen” – mächtigsten Mittel niedergeschlagen und verdrängt wird. Die GEMA ist dafür ein gutes, weil beängstigendes Beispiel. Das Hauptproblem sind aber alledie an sich klugen, gebildeten, auch sehr toleranten Menschen, die vom Pop innerlich durchfressen wurden, wie ich das gestern schrieb: von Schlupfwespenlarven. Diese Menschen Opfer: Opfer von Intrudoren, sie glauben von ihrem Unheil, daß es ein Heil sei. Es sind Millionen.

  2. Lieber Alban, ich hätte wissen müssen, dass ich, sowie ich auflege, in dein Arbeitsjournal wandere. Intimität und Öffentlichkeit haben bei dir ein anderes Verhältnis als bei mir. Aber ich finde das sehr interessant, weil es mich wieder zwingt, zu zwingen scheint, darauf zu reagieren (anders als dieser Jaybe, der mir irgendwas von „wochenlangem sinnlosen Geschlechtsverkehr“ erzählt und dem ich nicht antworten will, weil es mich nicht reizt, nicht juckt, geschweige, dass es mich erregt. Immerhin bringt mich die Wahl des Adjektivs zum Lachen).

    Ich hatte nicht Olga vorgeschlagen, sondern Marie, aber es ist klar, dass du Olga (und Model und Männer) hörst. Du könntest das mit Olga zusammen machen, Arm in Arm. Und dann schreibe ich euch beiden eine richtig deftige Liebesszene, die ihr dann szenisch vorführt. So, nehme ich an, hast du dir das vorgestellt, oder? Aber Olga kann das nicht. Lesen, meine ich. Liebesszenen kann sie wahrscheinlich ziemlich gut. Olga hat auch einen deutlichen Akzent, den ich nicht habe. Das wäre einfach nicht authentisch. Marie könnte das gut, sie ist Schauspielerin. Wenn ich bei Marie Angst habe, dann lediglich, dass sie es besser könnte als ich. Und das ich von da an, bei öffentlichen und privaten Auftritten, wie Marie sein muss, um ich selbst zu sein.

    Ich kann das, wie gesagt, auch. Aber ich fürchte derzeit ein bisschen die Öffentlichkeit. Nicht umsonst habe ich eine Karnevalsmaske bei Facebook statt meines Gesichts. Ich misstraue der Öffentlichkeit. Weil ich Angst vor Erwartungen habe? Vielleicht. Weil ich Angst habe, denen nicht zu genügen? Vielleicht auch das. Ich will noch ein bisschen warten. Ich will erst einmal ein bisschen Erfolg spüren. Vielleicht brauche ich diese Sicherheit, um mich gegen solche Kommentare zu wehren, wie sie nach unserem ersten Treffen gekommen sind, „Du Nutte“.

    Die Erwartungen der Leute, das ist nichts, was einfach so an dir abprallt. Wir haben über Durs Grünbein gesprochen und den sehr frühen Erfolg. Jetzt weiß man nicht mehr, was man mit ihm machen soll.

    Ich will erst mal sehen, dass ich etwas kann, bevor mir andere sagen, dass es so ist. Oder das es nicht so ist, sagt

    die Königin der neuen deutschen Literatur (siehst du, die Projektionen funktionieren!)

    Aléa

    1. Liebe Aléa, ich bin versucht, auf Deine linke Achselhöhle ein Gedicht zu schreiben. Da Du weißt, daß ich imgrunde Olga meine, die ich noch immer nicht sah (sie ist verreist, ich weiß), dürfte ich das, ohne daß auch nur die Spur einer Indiskretion daran zu schnuppern wäre. – “Du Nutte” ist allerdings stark.

      A.

  3. Friedrich Auch ich, ja, darf mal Unsinn schreiben. Sie haben ja Recht. Diesmal. Sonst nicht (immer).
    Friedrich – von Pettorano? Sein Vater, der m i t Vögeln jagte? Sind Sie?

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .