Ordnung schaffen (3): Das Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 27. Oktober 2010, das anfangs von Kühlschränken berichtet, unter denen vermeintlich die Weltherrschaft lebt. Aber vormittags schon Rapport über erste Ergebnisse der biologischen Kriegführung.

5.24 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Auf seit zehn nach fünf. Heut also >>>> die Nummer mit dem Kühlschrank, darin, wenn ich den alten wegschieben werde, Begegnungen der dritten Art. Eine so stehende Idee, daß sie schon wieder etwas Beruhigendes hatte, lag der häufigen Bemerkung meiner Großmutter zugrunde, daß die Weltherrschaft (!: so tief saß die Idee-davor den Menschen ein: als wäre Weltherrschaft überhaupt zu erstreben) nach dem kommenden Atomkrieg von den Insekten übernommen würde. Meine Großmutter spezialisierte das auch: von Ameisen und Kakerlaken. Sie meinte das nicht abfällig, sondern mit einer Form erschauernder Achtung. Es waren die sechziger Jahre. Meine Großmutter hatte das Waisenhaus überlebt, hatte Hitler überlebt und den Krieg überlebt, gehörte zu den >>>> Trümmerfrauen, überlebte schließlich ihren Mann und über fast drei Jahrzehnte hin den Krebs an ihrem Hals. Sie ging nicht zum Arzt; der Krebs brachte sie um, als sie 93 war, da war der nach außen gewachsene Tumor bereits von Faustgröße. Sie trug jahrelang Schals, damit das keiner sah. Weltherrschaft als vermeintlicher Garant, sicher zu sein: sowas wird das gewesen sein. Ein guter Grund für ein Gedicht: die Weltherrschaft unter meinem Kühlschrank. Um acht Uhr rücke ich ihn weg. Putzmittel stehen bereit und Biowaffen in Plastikflaschen, um eventuelle Weltherrschaften zu enden. Dann müssen die Regale im Flur geleert und abgebaut werden, damit der Kühlschrank überhaupt durchpaßt; ebenso im Türbereich der Küche. Wenn ich von dieser Großmutter schreibe, so von der mütterlichen Linie, nicht der väterlichen; deren Großmutter meinerseits saß bis zum Zusammenbruch des Hitlerreichs im Lager; sehr wahrscheinlich hat ihr Mann sie denunziert, um die volle Verfügungskraft über meinen Vater zu bekommen, die er dann auf eine Napola delegierte. Während der, mein Vater, zum Jungnazi so elitisiert wie entleert wurde, hockte mein Großvater vor Stalingrad, danach im sibirischen Lager. Aus dem er floh und sich bis nach Deutschland zurück durch die Weiten schlug. Schließlich wurde er ein Meisterhändler des Schwarzmarkts. Ich habe, glaube ich, schon mehrfach von ihm erzählt. Mein Großvater väterlicherseits entkam der Entnazifizierung und kämpfte bis ins hohe Alter um die „Freiheit” Südtirols. Er habe, berichtete unser Familenchronist, in einer Art Apsis seines Hauses einen Altar stehen gehabt, auf dem statt des Abbildes Christi ein Abbild des Linzer Antichrists stand. Von seinen Frauen ist, außer von seiner ersten, die ins Konzentrationslager kam, nichts anderes bekannt, als daß es elf gewesen sind: in, wohlgemerkt, von ihm geführten Ehen. Beide Großeltern väterlicherseits habe ich nie gesehen, nur immer von ihnen gehört. Ich wuchs in einem Milieu auf, das man kleinbürgerlich nennen muß; als meine Mutter endlich die „Hohe Gesellschaft” betrat, war ich schon nicht mehr zuhaus und hatte ja sowieso mehr bei meiner Großmutter gelebt, der mit den Schals überm Krebs und der Rede von der Weltherrschaft der Insekten. Ströme in den Ozean der Erzählungen.

Latte macchiato, Esportazione. Bis ich mit der Räumerei beginnen werde, schreib ich an der ZurBuchÜberarbeitung der >>>> Fenster von Sainte Chapelle weiter. Vorher noch das >>>> DTs.

8.21 Uhr:
Bis Typoskriptseite 82 gekommen. Die Löwin geweckt und dazu durchs Telefon gesäuselt. Jetzt die Ärmel hochkrempeln. Was hör ich dazu? Hm. Moment.

9.59 Uhr:
[>>>> Kimmo Hakola, Klavierkonzert (1996).]
Meinen geneigten Lesern, insoweit sie bis hierher m i t mir gebangt haben sollten, darf ich nunmehr die Kunde überbringen, daß es mit einer Welt-, ja nicht einmal Regionalherrschaft uns überlegner Kreaturen nicht arg weit her ist; eigentlich waren überhaupt keine kenntlich, nachdem der alte Kühlschrank verrückt war. Vorsichtig, sozusagen die Augäpfel auf Zehenspitzen, lugte ich hinter das Getüm. Nichts. Keinerlei Gerühre. Allerdings gibt es, wenn so ein Ding mindestens fünfzehn Jahre lang nicht bewegt worden ist, das zudem direkt neben dem Gasherd steht, eine Art Schmutz, die auf achtungheischende Weise phänomenal ist; wer mir böswill, darf von flächendeckender Verkrustung sprechen. Leider fiel kein Sonnenlicht ein, sonst wären, da bin ich mir sicher, Farben zu sehen gewesen, von denen man sich, bevor man ihrer ansichtig wurde, einen genauso geringen, ja nicht: bescheidenen, sondern nicht einmal devoten Begriff macht. Ein Vorstoß, erst einmal, war also nötig. Ich schickte als Vorhut mehrere Liter Scheuerpulver auf alles und gab, zwecks einweichender Demoralisierung der feindlichen Truppe, einigen heißen Regen hinzu. Dann zog ich mich phasenhaft zurück, um die Erweichung des Feindes aus sicherer Distanz zu observieren.
Offenbar war er sogleich in Versumpfung gefallen, denn nichts rührte sich. So daß ich nach Verstreichen der Sicherheitszeiten mit einem stahlharten Handschrubber wieder anrücken ließ. Mich aber gleich wieder, nach nochmaligen Scheuerpulvergaben, verschanzte, denen – es war halt ein ABC-Waffengang – drei Weingläser voller Domestos den Rücken deckten. Als Kollateralschaden dessen ist zu registrieren blätternde Haut auf meiner Hand; vor allem die Oberseiten der Finger, seltsamerweise, sind betroffen. Da mußte man jetzt durch. Abermals der Handschrubber. So immer hin und her, etwa eine halbe Stunde lang. Mehrmals den Treibstoff im Wassereimer nachgefüllt. Dann noch einmal Schrubber, dann, was eine fantastische Waffe ist, ein AkkuPads für angesetzte Töpfe. Und ein Schwamm. Schließlich, jetzt, ein letzter DenFeindAusweichungsGang, der einer, dessen bin ich mir bewußt, Belagerung gleichkommt, die kein Feind lange durchstehen kann. Aber noch muß ich etwas abwarten, fürchte ich.

19.44 Uhr:
[Beim >>>> Talisker. Das ist und bleibt m e i n Malt.)
Sò, nun ist (beinahe) alles fertig (nur der Boden des Arbeitszimmers muß noch gewischt und vorher ein zweites Mal drin staubgesaugt werden). Der neue Kühlschrank steht da, mannshoch, sofern ich ein Mann bin, silbergrau, fast zu edel für diese Höhle. Die Küche ist gewischt, die Arbeitsflächen sind gesäubert (nur auf den Mixer, außen, hatte ich keine Lust mehr), alles ist abgewaschen und abgetrocknet, und das Abendessen erwärmt sich. Das Toilettenräumchen und das Bad würden strahlen, hätten sie ein Fenster; jetzt riechen sie nur, nämlich stark: nach einem OP-Saal der Charité. Zwischendurch hab ich sogar noch, aus lauter Verzweiflung, >>>> im Schauerfeld was geschrieben (der direkte Link führt >>>> d a hin); es wurde sogar diskutiert. Ansonsten aber lag die Arbeit brach. Nur daß meine Redakteurin vom WDR bis Freitag früh einen Pressetext für das neue Poetische Feature braucht; da muß ich morgen nachmittag dran; vorher geht’s nicht, weil ich morgens mit der Klasse meines Jungen im Konzerthaus bin, als Begleitperson mit „Aufpaß”funktion: das finden Sie sicher so heiter wie ich. Und >>>> Diadorim diskutierte den Hettche weiter. Volltext hat sich gemeldet: meine neue Rezension soll bis zum 15.11. fertigsein, was an sich leicht zu schaffen ist, denn >>>> das Buch ist nur schmal. Dann rief noch >>>> Schlinkert an, dem ich morgen meine alte Ausgabe von Zettel’s Traum leihen werde; ich hab ja nun die neue, und Vergleiche betreiben will ich weder, noch habe ich, vor allem, Zeit dafür. Ich finde, Schlinkert soll einen Zettel haben, >>>> wenn er schon so intensiv mitdiskutiert; ich selbst hätte mir das Buch auch nicht leisten können, schon gar nicht jetzt, nach K&K, was „nach dem Kühlschrank und den Kohlen” bedeutet.
So, ich hoffe, die Kartoffeln (K&K&K) sind ga:’. Nach dem Essen radle ich zur Bar. Gut anziehn werden, ‚tu’ ich mich aber erst morgen.

8 thoughts on “Ordnung schaffen (3): Das Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 27. Oktober 2010, das anfangs von Kühlschränken berichtet, unter denen vermeintlich die Weltherrschaft lebt. Aber vormittags schon Rapport über erste Ergebnisse der biologischen Kriegführung.

  1. schwäbische Hausfrau S.g. A.N.H,
    Es gibt für derartige Arbeiten Handschuhe!! Möglichst auch Mundschutz verwenden wegen der Domestos-Dämpfe.
    Reinigen im Haushalt wenn irgend möglich nur mit Wasser und Seife!! Höchstens Pril o.ähnl.
    Empfehlenswertes Buch: Frag Mutti

    Freundliche Grüße
    M. K.

    1. Liebe Frau Koepf, ich verwende ja nicht mal – nie – Präservative, meine Ratio nun hin und die gefragte Mutti her. Da wär es völlig inkonsequent, mit ein Gummi über die Finger zu ziehen. Alles will ich immer spüren.

      Sowie: “wenn irgend möglich”… – Ja. Eben.

    2. Auch auf die Gefahr hin, jetzt noch den anderen Arm abgebissen zu kriegen, aber dieser kleine Dialog zeigt es mal wieder recht deutlich wie die Albani Herbsti so generell funktionieren, und warum ich hier aufhören musste zu kommentieren, weil ich mich nämlich sonst schrecklich alt fühle.
      Was hätte Ihre Oma wohl dazu gesagt? Sie hätte gesagt, Herbst, Unsinn, jeder Schwangeren wird empfohlen, nur mit Handschuhen zu spülen, noch ein Kühlschrankwechsel und die Spermien sind dermaßen degeneriert, dass künftig nur noch Ameisen gezeugt werden könnten, der Weltherrschaft wegen und sowieso. Und Ihr Sohn, der guckte aber ganz schön bescheiden, wenn er die dann seine Brüder und Schwestern nennen sollte und alles nur, weil dem Papa irgendwie die Oma fehlt für die Leviten zu lesen in Sachen Selbstschonung. Denn es scheint ja einer Oma zu bedürfen, um sich mal gegenüber Frauen und ihren meist gar nicht so dummen Ratschlägen nicht wie der ewige Stenz benehmen zu müssen. Ich wüsste nen kleinen Trick, stellen Sie sich hier einfach alle weiblichen Kommentatorinnen doch einfach ein bisschen schabrackig vor, man hat ja auch manchmal unwürdige Fans, die man sich lieber von der Backe halten wollte, andererseits spricht dagegen Ihre Erfahrung (natürlich), Ihr Ego (sowieso) und Ihr Wunschdenken (geht in Ordnung), dass jemand wie Sie natürlich keine Schabracken anlockt, stimmt aber nicht, ich bin ja auch hier gelandet. So, und jetzt der Arm. Und, psst, im Unterschied zu Ihnen, bitte vorher betäuben, ich will das nicht spüren, und, hoch lebe der Narkosearzt, die Erfindung der Betäubungsspritze und der Gummihandschuh. Aber dit wissen ja nu auch schon alle und hinlänglich und darum muss man raus aus den Loops, weil man sich da immer nach den gleichen Mustern verhält, kriegt man nur Drehwurm bei. Aber ist natürlich hochgradig Unsinn, wenn da die eine mit Drehwurm dem anderen mit Drehwurm sagen will, wo es geradeaus geht. Bei Ihnen fällt mir der Widerspruch so leicht, vielleicht ist es das, was lockt.
      Der Kühlschrank ist sicher super, Foto? Bin schon weg….

    3. @Sowieso zum Kühlschrank. Eigens für Sie:

      Was aber nun den abgebissenen Arm anbetrifft, so kann ich mich seiner gar nicht erinnern; ich hoffe, daß Sie das nicht uncharmant finden. Weshalb ich jetzt sofort zu suchen beginne, um ihn Ihnen, wenn Sie mögen, mitsamt einem Glas Weine zurückzuapplizieren.
      Wegen der Gummihandschuhe: Es gibt auch einen realistischen Grund. Ich habe eine solche Aversion gegen Latex und Gummi, daß ich tatsächlich Ausschlag bekomme, wenn ich solche Handschuhe überstreife; und Atemnot bekomme ich von den Dingern noch zusätzlich, – nicht Asthma, sondern Luft-Beklemmung. Weiß nicht, ob Sie sowas kennen.

    4. Danke.
      So, und ich sag Sie mal was, ich hab die Scheißdinger auch 3 Wochen beim Spülen getragen, aus purer Rücksichtnahme und mir sind 1000 Teller dabei zu Bruch gegangen, alles mir aus den Händen geglitscht und traurig war das, so traurig, wies hier auch nicht mehr werden sollte und mich regt es einfach tierisch auf, wenn andere sich immer auf ihre Allergien rausreden und denken, sie könnten das alles so machen, wie sie wollen, so.
      Hammerteil, verlangt nach Bedichtung und Befüllung und Magneten!

    5. Ich kenne auch Atemnot, ja, sehr gut sogar. Zur Zeit, wenn ich einen Blog aufrufe, (nicht diesen) vor dem ich wegrennen will, weil er mir Angst macht und darin so gnadenlos und gut ist, wie es Dracula für mich mit elf war. Und genau wie mit elf schaff ich nicht, Dracula einfach nicht mehr zu gucken, und genau wie mit elf denke ich, vielleicht ist dieses Wissen nützlich und muss weiter gucken, und ich habe Angst, dieses Wissen ist mir so nützlich, wie es Dracula nie mehr werden wird.

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