Messejournal. 6. bis 10. Oktober 2010: Ein Mittwochs- bis Sonntags-Boulevard. Bereits vier Tage, der letzte halb im Kommentar. Sowie ein Aufbruch in den fünften, aber auch im Kommentar. Verwirrung und Zerfall: alles nur noch Kommentar. Dann aber: Salvatore Quasimodo.

BUCHMESSE FRANKFURT AM MAIN 2010

FR 6. 10.

7.09 Uhr:
[Arbeitswohnung, Berlin.]
Latte macchiato. – Verschlafen, Mist. Aber aus einem mysteriösen Grund: Mein Ifönchen zeigt nämlich soeben 15.45 als Uhrzeit an; da k a n n das Weckerchen um 4.30 Uhr nicht geklingelt haben. Seltsam daran ist, daß völlig korrekt „automatisch einstellen” eingestellt war; ich mußte Uhrzeit und Datum, das überdies den 1. Januar 1969 (!) anzeigte, jetzt manuell umprogrammieren. Möglicherweise ist >>>> bei der kleinen Reparatur gestern mit diesen Angaben etwas falschgelaufen; bzw. könnten die Werkeinstellungen wiederhergestellt worden sein. Aber 1969 gab es noch gar keine Iphones… – Das meine ich mit „mysteriös”.
Also ich nehme nun nicht den obwohl ebenfalls direkten, dennoch preiswerteren Zug über Leipzig um 5.17 Uhr, sondern den teureren über Fulda; möglicherweise werde ich zuzahlen müssen. Aber ich will nicht a l l z u spät auf der Buchmesse sein. Statt 10.41 Uhr wird es nun 12.44 Uhr werden. Für die Fahrzeit selbst ist’s mir wurscht; da wird gearbeitet. Für das ab nunmehr wie bei den entsprechenden Journalen der Vorjahre, wieder am Stück entstehende Messejournal werde ich ich die meisten Schilderungen nicht im OpenOffice vorformulieren, sonderrn direkt in den Laptop schreiben. Sehen Sie mir dabei etwaige der Eile verschuldete Tippfehler bitte nach, allein schon, weil des Zustand meiner Tastatur nicht mehr verläßlich ist („hängende” u und n usw.).
In einer halben Stunde geht’s los; ich will noch >>>> das DTs korrigieren und einstellen und >>>> das neue Buch fix in der rechten Seitenspalte annoncieren.

14.03 Uhr: Mit Thomas Hettches Die Liebe der Väter.
[Messe FFM, Halle 4, D171.]
Angekommen, gleich losgespurtet in die 3.1, um >>>> das neue Buch abzuholen. Aber es war noch nicht da. Schon ein Anruf >>>> Stang, sie sitze auf der Dachterrasse des Pessezentrums Halle 6.1 draußen; ob ich nicht eben hinzukommen könne. Also ging es gleich weiter; so wird das bis zum Abend wohl auch bleiben. Jetzt am >>>> BuchMarkt, das erste Alt des Tages nehmen und Ihnen diesen ersten Eintrag direkt von der Messe schreiben.
Ich war während der Zugfahrt noch etwas zu diffus, um wirklich gut zu arbeiten; immerhin, zwei weitere Seiten Der Fenster von Sainte Chapelle „geschafft”. ABER: >>>> Den neuen Hettche zu lesen angefangen, bis S. 47 gekommen, und bei allen Sträußen, die ich mit ihm auszufechten habe oder er mit mir: d a s läßt sich sagen, daß das eine große Sprache ist, die er hat. Ein fesselndes Buch und ein in seiner Genauigkeit auch der Sicht auf die Personen überaus schönes.

Stang plaudert mit dem Juniorchef von BuchMarkt; sowie ich dies hier eingestellt haben werden, ziehen wir weiter zu den >>>> horen

… wo wir dann

nachmittags:
(dies nachgetragen am Morgen des folgenden Tages,
der heute nun schon heute ist, nämlich das Tattoo des 7.10.
im Nacken trägt, dessen Gegen- und Zupart, das Gesicht,
Sie weiter unten anlächeln wird
)

…wo wir dann, unterdessen um >>>> Ulrich Faure erweitert, den ersten Grappa des Tages nahmen, nach ein wenig dezentem Hallo bei Johann P. Tammen und Peter K. Kirchhoff; auch >>>> der Braunschweiger Dichter Cott saß da und lächelte in seiner stets vornehmen Art eines wissend-distanzierten, neugierigen Spotts. Zweidrei Projekte mit Tammen durchgesprochen, indes Stang bereits zu dem Verlag aufbrechen muß, um letzte Details für den Kinderbuchvertrag einzuklopfen. Wir verkehren den restlichen Tag immer so: Sie schickt eine SMS, ich antworte telefonisch-direkt, sie schickt wieder eine SMS usw. So kam dann auch eine halbe Stunde eine SMS des Inhalts, wir sollten uns um 15.40 Uhr am Stand des BuchMarkts treffen. Was wir dann taten. Die von mir ausgesprochen geschätzte >>>> Dorothea Dieckmann, die mich bereits morgens im ICE angerufen hatte, kam dazu… was heißt: sie war früher da als Stang, so daß wir fast ein halbes Stündchen sprechen konnten, bei Sekt diesmal. Da war ich aber schon bei der Arno-Schmidt-Stiftung gewesen und hatte Rauschenbach die Pranke geschüttelt, doch im Vorübereilen zu dem neuen Buch. Das dann wirklich auch da war. Ich schnappte mir sieben Stück und zog weiter; die >>>> Kulturmaschinen-Verleger kämen ja erst nächstentags (also heute: nachher). Saß dann also am BuchMarkt, wir hechelten Neu- und Alterscheinungen durch, „so angepaßt alles”, so Dieckmann, ich den neuen Hettche empfohlen, nein: ihr ans Herz gelegt; sie war noch von >>>> Arbogast enttäuscht: Reißbrettbuch, auf den Bestseller hin geschrieben, was schließlich ja auch funktioniert hat, Hettche Geld brachte, Ansehen, Macht; ich: „aber das hier ist etwas anderes, jede Zeile hat Wahrheit, virbriert, leuchtet, ja: Wahrheit ist das richtige Wort:: poetische Wahrheit, selbstveständlich”. „Selbstverständlich.” „Wir schreiben aus dem Leben.” Dann setzte sich Stang zu uns, die parallel >>>> mit dem Buchhändler sprach, bei dem ich am Sonnabend lesen werde, der wiederum Flyer zu meiner Lesung dabeihatte, ein Filou übrigens, wie man hört;er reichte mir die Hand, Dieckmann und Stang reichten einander die Hand, man reicht sie auf der Messe Hunderten, das ist rigoros inflationär. Stang zu mir: „Können wir vielleicht einen Moment allein..?” Ich zu Dieckmann. – Dieckmann zu mir. – „Also, ich habe”, S t a n g hatte also, „folgendes ausgemacht: -” Ich werd den Teufel tun und Ihnen meine Konditionen sagen. „Ein Zwei-Buch-Vertrag erstmal, danach sieht man weiter.” Feine Konditionen. „Wir treffen uns um 17.45 Uhr am Stand zum Sekt mit dem Verleger und dem Lektor. Schaffen Sie das?” Klar schaffte ich das. Abgabe des ersten Buches: März 2011, Abgabe des zweiten: September 2011, je ein halbes Jahr vor dem Erscheinen.
Nun könnte ich jetzt ja die Katze aus dem Säckerl lassen. Tu ich aber nicht. Und zwar, weil die Bücher unter einem so witzigen Autorennamen erscheinen werden, daß es zu schad wär, den Vorhang zu lüpfen. „Das ist klar zwischen uns, oder?: Du bleibst in den Dschungeln bei deinen Andeutungen.” „A u c h das ist klar zwischen uns.” „Wolln doch mal sehen, ob wir damit nicht a u c h einen Renner hinbekommen.” Ich dann gleich wegen THETIS weitergefragt, weil ich damit eine Idee hatte… immerhin: ein riesiges Haus, da wär dann ja ebenfalls, und diesmal ein großer, Vorschuß drin und viel Macht daran, ANDERSWELT unter die Massen zu bringen. Andererseits, nun, ich zog vorher zu >>>> Elfenbein weiter, dessen Verleger grad >>>> Ulrich Holbein auf der Buchpreis-Hotlist hatte und im Frühjahr die >>>> BAMBERGER ELEGIEN herausbringt. „Ich bin aber gerade ganz woanders, ich bin sowas von in-Thetis-drin!” Abermals die Idee besprochen, daß die Kulturmaschinen Anderswelt I-III als Paperback im Schuber herausbringen könnten und er verlegt parallel nur den Band III, >>>> ARGO, in gebundenem Leinen. „Das m u ß man machen”, sagte er. Also liest er jetzt erstmal Band II, dann bekommt er das Typoskript von Band III und ist sowieso schon mal in dieser Welt d r i n. Hat jetzt aber nicht viel Zeit, weil anderweitig im Termin. „Wir haben ja unser Treffen am Sonnabend.” „Ich bringe dann Barbara Stang mit.”
Unterdessen ist von schräg gegenüber Würker, der Verleger von >>>> Manutius, wo >>>> die Heidelberger Vorlesungen als Buch erschienen sind, zu uns getreten und reicht mir die Siewissenschon. Er und der Elfenbein-Verleger kennen sich noch aus dessen Heidelberger Zeiten; als ich weiterziehe, winkt mich im Gang >>>> Roland Reuß zu sich, der zwischen drei hübschen Studentinnen und zwei Studenten steht, über deren Schön- und Hübschheit ich unfähig bin, Ihnen angemessen Rede zu stehen. Ich hab sie einfach nicht angeguckt.„Wann bist du wieder in Heidelberg? Wollen wir einen Kaffee trinken gehen?” Schnelles Winken, dahinskizzierte Verabredung… – : sowas ist Messe vor allem andern a u c h.
„Gehn Sie zu Rowohlt heute abend?” fragt Dieckmann. Wir sind, meine Leser, zurück am BuchMarktstand Halle 4.1. D 171. Sascha Anderson war kurz da, >>>> sein kleiner Gutleut-Verlag macht wunderschöne Bücher. „Schaust du nachher vorbei?” „Nein, zu Rowohlt geh ich nicht”, sag ich dann Dieckmann. „Sehn Sie, nachdem Delf Schmidt Rowohlt verlassen hatte und Jelinek und ich mitgegangen waren und die Verlagsleitung gewechselt hatte, selbst Krausser ging ja weg, da war das noch irgendwie sportlich, sich Einladungen für das Fest zu beschaffen und dann die langen Gesichter zu sehen… aber dazu bin ich unterdessen zu alt, der Reiz ist schal. Ich mag einfach nicht mehr sein, wo ich nicht auch gewollt bin.” „Ist ’ne Haltung”, sagt Dieckmann. „Ja”, sag ich. „Aber”, sagt sie, „man trifft dort eben alle.” „Mich nicht”, sag ich, „von alle kann keine Rede sein.” Sie nimmt >>>> AZREDS BUCH mit auf den Weg.
Wir sind derweil bei


1 Altbier (0,5 ltr)
3 Sekt
4 Grappa
1 Wasser


angekommen. Das ist wichtig, daß man sich sowas merkt. Sonst verliert man die Übersicht auf der Messe.
Jedenfalls ist es plötzlich 17.40 Uhr. Ich hatte noch mit >>>> Niko Gelpke von Mare dagestanden; das ist schon insofern ein Erlebnis, weil er ein Schiff betakeln kann, ohne sich sonderlich strecken zu müssen; man hat also den Kopf immer ganz im Nacken, wenn man ihm in die Augen blickt. „Ich fahre morgen schon wieder.” „Ah schade…” „Kommst du mal nach Hamburg?” „Eigentlich nicht, aber ich würd s c h o n gerne mal wieder… – weißt du was, ich setz mich einfach mal in den Zug, fahr zu euch rüber, dann trinken wir einen Abend was und erzählen.” Handschlag. Jetzt sollte ich’s aber auch tun. „Sizilien”, sag ich, „ich würde gern mal wieder was zu Sizilien schreiben, ist ja ’ne Inseln, paßt ja zum Meer.” – Aber es ist 17.40 Uhr, um 17.45 Uhr soll ich bei dem Kinderbuchverlag sein. Halle 3, ganz woanders, quer übern Messecampus also. Stang ist schon da. Telefonat mit meinem Jungen, ob er das und das haben möchte. Der Verleger ist auch da, nur der Lektor fehlt. Der ist bei den litarary agents hängengeblieben, Lizenzverträge werden auf der Messe abgeschlossen, eigentlich ist d a s Frankfurter Messe. Nicht selten bekommen Lektoren abends fremdsprachige Typoskripte ausgehändigt, die sie die Nacht über lesen, weil sie am nächsten Morgen bereits die Gebote abgeben müssen. Hochdruck. Das mit dem Familientreffen, das die Messe zudem ist, ist letztlich Garnierung. Das Geschäft findet jenseits des Publikums statt, findet auch nachts im >>>> Frankfurter Hof statt, wo der Malt (2 cl) 45 Euro kostet. Da geht es überhaupt erst um Mitternacht los.
Endlich ist der Lektor da, die Flasche Sekt wird geöffnet, plötzlich steht eine ganze Platte Schnittchen vor uns, von deren Canapés Barbara Stang und ich wechselweise die Himbeeren aus der Sahne picken, mit der der Käse garniert ist. Ich erzähle noch von einer Idee, aber keiner für ein Kinderbuch. Der Verleger sieht mich an. „Schreibst du das für uns?” „Das ist nichts für euch.” „Darüber sprechen wir noch.” Zu Stang: „Haben Sie das im Kopf.” Stang: „Ich notiere alles.” Aber es soll eine Novelle werden, denke ich, die muß ganz woanders erscheinen, die gehört zu HanserSuhrkampDumontOderJaOder… ich weiß es eigentlich auch nicht. Und wann soll ich’s schreiben? Auch das noch schreiben? „Das m u ß man machen”, hatte der Elfenbein-Verleger zu ARGO gesagt.
Als wir die Halle verlassen, ruft nicht, nein brüllt >>>> Sascha Lobo, der bei dtv seinen Hof hält, quer über zwanzig Meter herüber: „A L B A N !” Ich also nochmal d a hin, Hand geschüttelt, bei ihm schüttelts den roten Irokesenkamm, bei mir halt nur die Hand, mangelnder Frisurkraft wegen. Stang grinst, als ich zurückkomm, weil das Bild wohl wirklich ziemlich komisch war: „Wo hast du diesen Anzug her?” fragte der geniale Buchgestalter >>>> Friedrich Forssmann, als ich nachmittags wieder zu Arno Schmidt zurückgekehrt war. „Neapel”, sag ich. Schon sind wir im Thema. Der Mezzogiorno. Dann wieder Arno Schmidt. Zettels Traum ist endlich in der gesetzten Version erschienen; für mich liegt eh ein Band bei Suhrkamp bereit, weil nun auch ich an Guido Grafs neuem Webprojekt, >>>> Schauerfeld, teilnehmen werde. J a h r e hat diese Ausgabe gebraucht, die es ohne Forssmann nie gegeben hätte. Die in Pyprus gebundene Version ist rundweg Fetisch; dazu gibt es die „Studienausgabe” im Schuber. Eine halbe Stunde lang plauderten wir.
Aber ich bin ja schon, mit Stang, und auch Faure hat sich dazugesellt, aus der Halle hinaus; und wir streben dem Ausgang zu. „Ich muß noch ins Hotel”, sag ich, „meinen Rucksack abgeben.” Der steht vorne in einer der Garderoben. Mit ihm dann per U-Bahn – wer ein Taxi nimmt, ist Masochist; die Schlange am Taxistand ist etwa einen halben Kilometer lang – ins Nizza, wo auch Stang wohnt; danach zur Friedberger Warte. Der Rest ist privat.

*******

Do 7.10.
7.30 Uhr:
[Hotel Nizza.]
Ich werde mal die Löwin wecken. Nach unten in den Frühstücksraum und Latte macchiato besorgen dazu. Den gibt es nämlich hier. Gegen halb zehn werden wir zur Messe losziehn. Guten Morgen, Leser, erst einmal.

11.14 Uhr:
[Halle 3.1 Volltext.]

Schön plaziert, mein soeben in >>>> Volltext erschienener Text über Niebelschütz – und mit einer bösen Überschrift versehen:

Adel, der aufrecht blutet
Momentlang zog ich die Luft zwischen die Zähne. – Ich war zuerst, nachdem ich auf die Messe kam, zu den >>>> horen, um Guten Morgen zu sagen, dann weiter zu Elfenbein, wo Ulrich Holbein stand, aber so im Gespräch daß wir nur die Siewissenschon shakten; gleich dann weiter zu Volltext, weil ich meinen Text sehen wollte. Da stand dann Norbert Wehr, der Gründer und Betreiber des berühmten >>>> Schreibhefts; wie immer brauchen wir etwas Anlauf, um ins Gespräch zu kommen. Dann aber planen wir für den Herbst 2011 einen längeren Auszug aus >>>> ARGO. Wie aber das kombinieren, mit was? Da fällt uns Christoph Schlingensieff ein. Das wäre doch wunderbar, gäbe es in seinem Nachlaß – ich bin überzeugt davon, daß das so ist – noch unveröffentlichte Skizzen, die sich für den Band einer Zeitschrift sehr wohl, nicht aber für ein eigenes Buch eignen. Und dazu, diese Idee kommt jetzt von mir, Niebelschütz’ kleinen herrlichen >>>> Aufsatz über die Provence, der seit den Fünfzigern nirgendwo mehr publiziert worden ist. Wir vereinbaren, daß ich Wehr das Buch, bzw. eine Kopie davon, zuschicke.
Und jetzt sprech ich mit Thomas Keul, dem Volltext-Redakter. Danach geht es zu S. Fischer, wo ich mit Ricarda Junge verabredet bin. Macht übrigens Spaß, immer mal wieder zu gucken, ob sich am Stand nebenan, der ZEIT, Iris Radisch sehen läßt.

12.44 Uhr:
[Halle 4.1 F137. Die Horen.]
Dann auf dem Weg Susanne Schleyer bei KiWi getroffen, und M.. Mit dem schnell eine Zigarette auf der Terrasse rauchen. Tipps für den diesjährigen Nobelpreis, der in, von nun an gerechnet, fünfzehn Minuten bekanntgegeben wird, also nicht er, sondern sein diesjähriger Träger. Ihn selber kennen wir schließlich sei Jahren, mit mehr und/oder minderer Begeisterung. – Ich sitz jetzt bei den Horen, >>>> Phyllis Kiehl ist aufgetaucht und war sofort von Tammen in Beschlag genommen, der den phänomenalen Satz aussprach:

Ich kann nämlich auch aufrecht giften.

Das sind die Hohen Momente der Messe, wenn jemand aus den Tiefen seines Bauches spricht. Lange genießen kann ich das aber nicht, weil ich um 13 Uhr bereits wieder Stang treffe. Also dies hier ist nur ein Miniaturboulevard, um Ihre Mittagspause aufzuheitern. – Ah, >>>> Hartmut Abendschein! Jetzt ist auch >>>> litblogs.net leiblich geworden. Nicht ganz so, aber doch fast wie Phyllis Kiehl. Und immerhin, ihr Betriebsler, es gibt uns.

*****

(Abermals nachgetragen, am Morgen eines folgenden Tages:)
Doch nicht nur saß hier >>>> Frau Kiehl herum und >>>> Abendschein schüttelte eine Idee nach der anderen auf ihren Kostümrock, die sie eine nach der anderen abklaubte und ins Licht hielt, wovon ihr Gesicht heller und immer noch heller davon, sondern paar Stände weiter, komplementär ganz dunkel zu Anfang, hatte ich meinen Lektor Delf Schmidt entdeckt, um den Grüblerisches herumstrich, ja der lange Arm des Melancholierens – davon hat es nur einen – hatte sich um seine Schultern gelegt, und eine mir anfangs nicht bestimmbare Spielart von Zorn auf seinen Kopf. Ich mußte näher heran, um dem auf den Grund zu gehen und solchen Influentien, falls es geboten, schließlich zu wehren. „Delf”, sagte ich, das war meine Begrüßung. Dann sagte ich: „Ich möchte dich einem Grappa und einer schönen Frau vorstellen.” Die Dativobjekte nannte ich freilich, meiner Zuneigung halber, in genau vertauschter Reihenfolge. Er aber, Delf Schmidt, sprang bereits auf, nachdem das erste Objekt genannt worden war. Wir gingen also hinüber.
Geschehen war folgendes: Sein Verlag hatte kurzfristig einige Star-Autors unterbringen müssen und dies auf Kosten der Belegschaft getan, die umziehen mußte, nicht komplett, dazu ist der Verlag zu groß, sondern personalunion durch eben Delf Schmidt. Der durfte seither die Erfahrung zu kurz geratener Bettstatten machen und jedenfalls hatte, wenn er einschlafen wollte, die Füße auf der Hausbar liegen. Es gebe ansonsten in ganz EfEfEm keine freien Zimmer mehr.
„Ich reise ab.”
„Erstmal trinkst du Grappa.”
Sein Gedunkel hellte sich allerdings auf, als er ins Strahlens Frau Kiehlens geriet. Wir stießen an, dann flüsterten wir miteinander, während Frau Kiehl uns beobachtete und Fotos von uns machte und von Frau Stang, die auch schon wieder da war und mit Tammen flüsterte. Abendschein notierte derweil Ideen. Ich kenne keinen anderen Mann, der auch nur ungefähr, geschweige unentwegt ebenso Ideen hat. Zwei davon wollen wir realisieren. Die dritte war meine. Über die spreche ich nicht, auch ihm hab ich sie nicht gesagt, aber man könnte davon seine erste Million verdienen. Nein, keinen Ton! Warten Sie ab.
Schmidt und ich sprachen über Frauen. Das gehört sich so, wenn wir öffentlich beieinandersitzen und gesehen werden können. Über Literatur unterhalten wir uns immer nur hinter geschlossenen Türen: dann ist es uns nicht peinlich. Dann flüstern wir auch nicht. Es ging um das Aufnehmen pheromonaler Duftstoffe, die halt von den einen Frauen versendet würden, in anderen aber, den meisten, seien sie erstaubt. Das Gespräch war so wenig moralisch, daß Tammen, der gar nichts mitbekam, sich dreimal räuspern mußte. „Hier entsteht grad ein neues Projekt”, rügte Stang überdies, „da können Sie beide doch bitte ein bißchen ehrfürchtig sein.” Abendschein sah mardrig auf und fragte im Ideen-Springen: „Ein Projekt?” Da kam Ulrich Faure vom BuchMarkt, und alles verstummte. Nur Phyllis Kiehl ließ ein blitzendes Lachen von hinter ihren Zähnen los. „Noch einen Grappa?” fragte Kirchhoff, der deutlich darum besorgt war, nach der Messe nicht all die Flaschen wieder einladen zu müssen und dem Tammen mit auf den Rückweg nach Bremerhaven zu geben. Es gibt ja ein neues Gesetz, das nicht nur das Trinken im Auto verbietet – generell, nicht nur das von alkoholischen Getränken, denn allen anderen könnte Alkohol ja beigemischt sein -, sondern auch das Mitführen von solchen. So besorgt ist unser Staat um die Gesundheit seiner Bürger. Weshalb ich mir eine Zigarette ansteckte. „Du weißt, daß man in den Hallen nicht rauchen darf?” „Nein, das ist mir neu. Seit wann?” „Oh, seit einigen Jahren”, erklärte mir die schöne horen-Hostess, „und zwar in allen öffentlichen Räumen.” Sie stellte einen Aschenbecher vor mich hin. „Auch in Restaurants und Kneipen nicht”, stellte sie dem Aschenbecher noch hinzu. „Nein!” rief ich aus. „Doch!” rief sie aus. Ich fragte besorgt nach, wollte sichergehen: „Seit einigen Jahren schon?” Sie machte den Eindruck, als wenn ihr Tränen kämen, der Lidschatten rötete sich. „Und das haben die Autoren mit sich machen lassen?” fragte ich. „Ja,” schniefte sie, „fast alle.” „Das kann ich gar nicht glauben. Ich kenne fast alle meine Kollegen als selbstbewußte Menschen.” „Bei Katja Lange-Müller stimmt das”, stimmte die schöne Hostess mir zu. Ich wandte mich an die anderen: „Habt ihr das auch gehört, daß man in öffentlichen Räumen nicht rauchen darf?” Delf: „Wie bitte? Seit wann das denn?” Er ist allerdings Nichtraucher, man darf seiner Kenntnis diesbezüglich nicht trauen. Doch auch Abendschein rief: „Das glaube ich nicht, das ist eine Ente. Hast du mal Feuer?” Usw. Barbara Stang quietschvergnügte mit Frau Kiehl, Kirchhoff machte sich an der nächsten Grappapalette zu schaffen und wuchtete zwei der Kartons vom Stoß. Ricarda Junge rief an. „Würdest du mich heute abend zu dem Verlagsessen begleiten?” „Du bist dir sicher, daß du unbeliebt machen willst?” „Ja, bin ich.” „Ich komm dann gleich mal zu Fischer hoch.” Ich hatte nämlich Denis Scheck ausgemacht, der durch den Gang kam. Er hat für einen Menschen einige Bruttoregistertonnen Verdrängung als andere mehr; das wirkte bei mir so sofort, daß ich spontan nach meinem Panier des schnellsten greifbaren Hasen faßte und auf diesem Besen davonritt. Auf halbem Flug rief Junge abermals an. „Du, ich muß schon los, höre ich gerade. Ich simse dir Name und Adresse des Lokals. Einverstanden?” So daß ich zwischenlandete, ich weiß nicht mehr, wo.
Als ich an den horen-Stand zurückkam, waren >>>> die Kulturmaschinen eingetroffen und hatten nächste Bücher bei sich. Auch Bettina Hesse kam, meine voriger Verlegerin, die >>>> Die Niedertracht der Musik herausgebracht hat. Wir schwiegen drüber, aber das Buch war an dem Mißstand wenigstens mitschuld, der den Verlag zur Auflösung brachte. Ich bin mir dessen gewiß. Zumal Bettina klagte, es sei sogar teuer, den Herbst zu makulieren. „Dann sollten Sie das nicht tun”, sagte Abendschein. „Auch ich”, sagte Frau Kiehl, „halte das für einen Fehler.” „Aber was soll ich denn tun?” fragte Bettina. Sie war der Verzweiflung sehe nahe. Worauf Delf Schmid sie in den Arm nahm und erzählte, man habe noch in den Dreißigerjahren den Goethe in Cottas Originalausgaben billig kaufen können. „Das dürfen Sie”, sagte er, „dem Alban nicht ersparen.” Allgemeine Zustimmung fand sein Einwand. „Einen Grappa, Bettina?” fragte ich. Wir kamen überein. Die Idee stammte von Ulrich Faure, der ebenfalls wieder erschienen war. Auch Iris Radisch war erschienen, mit ihm, sie stellte jetzt ihre Garage zur Disposition. Da sollen die Bücher gelagert werden bis, sagen wir, 2132, die Bücher Cottas von Goethen beerbend. Bettina erstrahlte im Arm Delf Schmidts. „Wunderbar!” rief sie. Aber die Radisch war schon zerploppt. Ich hatte sie mir eingebildet, glaube ich jetzt. Immerhin war ihre Garage geblieben, da kommen die Bücher nun wirklich hin. „Aber du mußt die Speditionskosten tragen.” „Wieviel macht das?” „Zweihundertfuffzich.” „Die Wette gilt.” „Wir nehmen sie mit >>>> in den Webshop”, sagte die KulturmaschinIn da. „Und du”, sagte Faure, „solltest sie in Der Dschungel anbieten.” „Auf jeder Lesung Exemplare dabeihaben”, sagte Abendschein, „aber da wir schon dabeisind: ich würde nach der Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens auch gern deine >>>> Paralipomena verlegen.” „Neue fröhliche Wissenschaft”, sagte ich. „Geht nicht”, sagte er, „das gibt es schon bei Matthes & Seitz.” „Das wußte ich nicht”, sagte ich. „Das”, sagte Delf Schmidt, „heißt da anders, ist eine Reihe, kein Buch, und heißt n u r Fröhliche Wissenschaft.” „Ich finde das ungehörig”, sagte ich, „Nietzsche zu reihen und glieden.”Bettina Hesse enteilte. Bettina Hesse kam wieder. „Alban, ich mache ja bisweilen für >>>> Ricco Bilger das Lektorat, und…” „Du?” Wir blickten aber a l l e auf: Kirchhoff, Stang, Schmidt, Kiehl, Abendschein, die schöne Hostess und ich auch. „Na ja, eigentlich lektoriert da Christian Döring.” „Wie?” „Was?” „Ehrlich?” – „Sapperlot!” rief Tammen. „So ist er”, sagte Faure, „der Christian.” Er ist einer der wichtigsten Lektoren, auch der kenntnisreichsten, Deutschlands. „Na ja, seit er Herausgeber der Anderen Bibliothek geworden ist, hat er nicht mehr so viel Zeit”, erkläre Bettina. „Aber deswegen bin ich nicht hier.” „Ich lektoriere auch nicht”, sagte ich, „ich würde nur Fehler in die Sätze machen. Nein, Bettina, ich bin keine Empfehlung.” „Nie”, rief sie aus, „wäre ich auch nur auf den Gedanken gekommen!” Man sah Delf Schmidt förmlich sich besänften. „Grappa”, sagte er, als Bettina sagte: „Aber da gibt es so ein Buch bei Ricco… das mußt d u rezensieren. Das k a n n s t nur du rezensieren. ‚Das ist gute Literatur’, hat eine Schweizer Kritikerin geschrieben. Und dann hat sie geschrieben, gleich darunter: ‚Das ist Pornographie’. In Deutschland traut sich aber keiner da dran.” „Die Schweiz”, sagte ich, „ist halt ein freies Land.” „Ich fände das echt klasse, wenn du…” Undsoweiter schleppte sie mich zu Bilger ab, den ich noch aus Zeiten kenne, da er das Leukerbader Literaturfestival gegründet hat. Einmal las ich bei ihm als Ehrengast nachts ganz oben auf einem Gipfel. Es schneite. Es stürmte. Die Heizung ging nicht. Aber es waren fünfhundert Leute da und hörten zu, wie Europa unterging, nachdem er bereits vor mir wienerisch verbessert worden war, wenn auch nur in der Mitte. Jedenfalls umarmten wir uns, und er begann umgehend, von diesem Buch zu schwärmen. Er hörte gar nicht mehr auf. Das hatte was Ansteckendes. Da konnte man sich nicht wehren. Da wurde man verführt. Also ohne es schon gelesen zu haben, doch nahm ich es mit, empfehle ich es hier:

Roland Heer
>>>> Fucking Friends <<<<
Roman
Bilgerverlag
Zürich 2010

Lektorat: Christian Döring

Ich bin sowieso dafür, immer die Lektoren der Bücher in den Büchern zu nennen. Wie das unterdessen bei Übersetzern mit Recht gehalten wird, endlich, ist dazuzusagen. Denn nicht selten übersetzen Lektoren die Bücher weit mehr als die Übersetzer zu Büchern. Ich meine das im Ernst. Auch Delf meint das im Ernst, will aber nicht genannt werden.
Als ich zu den horen zurückkam, war der Stand bis auf Kichhoff um alle anderen geleert. „Was ist denn passiert?” fragte ich. Er sagte: „Die Bundeskanzlerin.” „Bitte?” „Die Bundeskanzlerin”: Das sagte er so deutlich schärfer, daß ich mich zurechtgewiesen fühlte und verstummte.
Was sollte ich jetzt tun? Daß die Bundeskanzlerin eine Argument ist, ließ sich nicht bezweifeln.
„Meine Güte, Alban! Schnittchen!”
Ich beschloß, bei der Berlin University Press vorbeizuschauen, um mal zu sehen, ob >>>> Mariam Kühsel-Hussaini anwesend war, von der mir irgendwann danach >>>> Klaus Siblewski vorgeschwärmt hatte: eine derart schöne Frau, daß einem der Atem stocke, wenn man Mann sei, zu dem er mahnend das Fähnchen fügte: „Aber erst zweiundzwanzig, Alban.” Ich habe ja beschlossen, und er weiß das, daß nichts unter fünfundzwanzig für mich mehr infrage kommt. Im Gegenzug hatte ich vor Jahren Ricarda Junge in die Hand versprechen müssen, niemals älter als 43 zu werden. Was ich gehalten habe. Und wer das eine hält, darf auch beim andern nicht schwächeln. Frau v. Lovenberg hat die schöne Afghanin in die erste ihrer Seiten bei der FAZ gegossen. Hörte ich. Ich schreibe zwar für Zeitungen, aber ich lese sie doch nicht. Es gibt einfach Grenzen. Doch laß ich mir erzählen. Denn glauben muß man sowieso, was in der Zeitung steht –

aber, Leser, es ist

FR 8. 10.

und ich muß mich rasieren, dann duschen, dann zur Messe hinüber. Mein erster Termin ruft “Punkt zehn Uhr!” – Ich werde nachher weitererzählen. Unbedingt. Von dem Abend bei Fischer. Und vielerlei anderem mehr. Zum Beispiel von dem Dreh, bei dem ich Ariane Fink wiedertraf, die aus New York geflohen ist und auf dem Laufband Unterschlupf suchte, aber dabei in meine Arme lief.

10.40 Uhr:
[Halle 4.1. D an der T-Kreuzung.]
Ich kam bei >>>> André Thiele zu spät, er saß bereits im nächsten Termin. “Können Sie in zwanzig Minuten wiederkommen?” “Aber ja, dann schreib ich noch etwas.”

Was ich jetzt tue.

Also. Nachmittags der Drehtermin für >>>> FAUST Kultur, bei dem mir, weil wir auf den Laufbändern drehten, Arina Fink in die Arme lief, die ich seit bestimmt drei Jahren nicht mehr gesehen hatte. Sie war in meiner kleinen New Yorker Zeit wie eine Schutzgöttin für mich, weil vertraut mit nahezu allem und jedem. Jetzt fällt es mir schwer, sie mir ohne NYC vorstellen zu müssen; aber sie sei die Stadt geflohen, sagte sie; sie habe sie nicht mehr ausgehalten. So umarmt standen wir da auf dem Laufband, ich hatte den Dreh unterbrochen, das Laufwand trug uns hin, das andre wieder her, und dieses wieder hin – bis der Regisseur dann doch weitermachen wollte. “Frankfurter Hof? Nachts?” Ich überschlug meine Barschaft. Zu den Agents ‘n Scouts kann ich nur dann, wenn mich wer einlädt. Das sagte ich ihr aber nicht.
Die Fragen für den Podcast: Welches Werk Goethes ist Ihnen am nahsten? Ich hätte sagen können: “Moby Dick”, aber das wäre dann aufgefallen, daß man mir niemals glauben darf. So entschied ich mich für Faust II, weil ich, aber sagen Sie’s nicht weiter, in Helena verliebt bin. Zweite Frage: Wen würden Sie in einem Spielfilm lieber spielen, Faust oder Mefistofele. Ich: Kaptän Ahab. Die Interviewerin: Bitte? Ich: Kapitän Ahab. Da wußten Sie denn, mit wem sie es zu tun hatten. So daß mein bitterernster Vorschlag, Renate Chotjewitz posthum die nächste Goethe-Plakette zu verleihen, wenige Chancen hat, für eine Mehrheitenmeinung zu stehen. Schade eigentlich. Für meine zweite Wahl habe ich Thomas Steinfeld vorgeschlagen, “also”, sagte ich, “wenn es sowas wie eine Förderplakette gibt.” Die Interviewerin ließ sich den Namen buchstabieren, dreimal setzte sie neu an. Der Kameramann schnitt das mit. Ob ich Pudel möge? war ebenfalls eine Frage. Und wie ich es mit dem Lieben Gott halte. Dies kam so direkt an die Pudelfrage, daß ich erschrocken meinte, einen Zusammenhang zu erkennen. Sie wissen schon: das Ebenbild.
Das ging so bis halb sechs. Dann war Zeit bis halb sieben zu überbrücken; ich wollte ja nicht stundenlang vorm Italiener auf- und abgehn. Aber es traf sich sehr gut, daß bei >>>> Mare, ebenfalls in Halle 4, Ricarda Junges Lektorin stand, wo sie Wein trank. Erinnern Sie sich? Wir sind vor zweieinhalb Jahren deftig aneinandergeraten; sie hat mich damals, weil ich auf korrekten Konjunktiven bestand, >>>> einen Sprachfaschisten gennant. Das fand ich damals stark. Heute denke ich zwar immer noch, daß das stark gewesen sei, aber nunmehr: daß es stimmt. Also dachte ich, wenn wir im Krach sind, aber Ricarda nimmt mich als ihre Begleitperson mit, dann ist das für sie nicht schön. Weshalb ich auf die Lektorin zuging, lächelte (ich kann das) und fragte, ob wie das Beil nicht untern Messeteppich kehren wollten, sie mit dem linken ihrer wunderschönen Pumps (zu dem die Knöchel sehr paßten), ich mit meiner rechten Asics. Sie lachte. “Ja”, sagte sie, “gut”. So scharrten wir beide, wobei wir versuchten anzustoßen. Mit Sekt, der über die Glasränder perlte. Wir lachten wieder. “Ich finde, Ricarda soll sich wohlfühln.” Das sah die Lektorin auch ein. Seither lächeln wir uns zu, wenn wir uns sehen; zwar, sie immer mit spürbarem Vorbehalt, aber auch da hat sie recht, den Unhold in mr zu wittern und irgend eine Falle zu ahnen, einen Teufelsfuß, der mich auf Goethe zurückbringt. Dazu aber später. Jetzt geh ich zum Termin.

*****

17.40 Uhr:
Und so blieb’s dann erstmal auch, Termin um Termin, wobei “Termin” nicht ganz richtig ist; es waren vor allem Gespräche ohne hintergründige oder wenigstens ohne zielgerichtete Intention. Eine Zeit lang mit Klaus Siblewski geplaudert, der den Einfall der neuen Medien in den Buchmarkt ähnlich einschätzt wie ich, indes Michael Hohmann, Leiter der Frankfurtmainer Romanfabrik, g a r keine “Gefährdung” sieht, sondern fest der Meinung ist, das Buch werde dasjenige Leitmodium bleiben, das es schon längst nicht mehr ist. “Man kann nicht auf einem Ipod lesen, man kann nicht am Bildschirm lesen, keine langen Texte, sondern dazu braucht man den Geruch eines Buches, das Anfühlen eines Buches, überhaupt das Buch.” Daß dies eine reine Frage der Sozialisation sei, ließ er nicht gelten. Das Buch sei, kann man ihn interpretieren, eine geradezu ontologische Größe. Mir fällt dazu immer nur Wilhelm II ein: “Ich glaube an die Zukunft des Pferdes. Das Automobil hat keine Chance.” Was mich dabei prinzipiell nicht nur erstaunt, sondern nervt, ist der Umstand, wie wenig an die Jungen gedacht wird, wie wenig bedacht wird, wie sehr diese sind ändern und längst schon geändert haben. Ich finde, daß das ein Zeichen von Altern ist, von Altgewordensein. Für Fünfzigjährige ist das zu früh. Auch Honnefelder habe gesagt, das Ebook spiele keine Rolle und werde niemals eine spielen. So schlägt sich die Buchindustrie selber auf die Schulter.

Aber ich wollte doch von S. Fischer erzählen, von gestern abend. Nur holt mich gegen 18 Uhr meine Löwin ab; wir ziehen dann hinüber zum traditionellen Empfang von C.H. Beck. Danach Party der sog. Independents, der kleinen unabhängigen Verlage also, in der Diamentenbörse. Ich habe eine starke Tendenz, das zu schwänzen und statt dessen mit der Löwin essen zu gehen. Morgen abend ist eh wieder Party. Hm. Gut, ich lade mal Fotos hoch –

à propos: So raucht man, wenn man sich ans Rauchverbot hält, jedenfalls in der 4.1:

Aber meine alte Freundin A. hab ich wiedergetroffen. Wir sprachen fast zwei Stunden, dann flanierten wir Hand in Arm durch den Gang. Und bei Marebuch trank ich Wein. Sowie Alissa Walser war da, glücklich, wie Sie sehen:Ich muß los. Mehr, wenn Sie mögen, lesen Sie später. In Der Dschungel. Wo denn sonst?

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SA 9. 10. Mit Amartya Sen, nämlich anfangs vom Vortag

5.40 Uhr:
[Hotel Nizza.]Was denn war gestern noch? Der Reihenfolge nach? Tatsächlich mit dem Fest bei S. Fischer beginnen? Oder, >>>> worum Teresa bittet, erst einmal von den Argentiniern erzählen? Die gar nicht recht auffallen auf dieser Messe, welche doch sie zum Thema hat? In der „Edel”- und also Sonderhalle bin ich bislang so wenig gewesen wie bei den Kunstbuchverlagen. Sie dürfen nicht vergessen, daß eine Buchmesse für mich kein Sightseeing ist, sondern es dient, wovon ich hier mehr oder minder launig (nicht zu verwechseln mit „launisch”) erzähle, einem zielgerichteten Vorankommen durchaus; sprich: es ist eine Serie von Berufsveranstaltungen, zu denen das allerdings an allen Ufern oft zum kommunikativen Delta ausgespülte Gerede als, sagen wir, Stapelfahrt eines Bootes sehr wohl gehört, dessen Hornblower recht wohl das Meer, auf das es zugehen soll, in Blick und Kurs behält. Behalten m u ß, eben, s o muß das heißen. Dazu gehörte denn auch, nicht das Segel ins Korn zu werfen, weil es die eigene Müdigkeit für eine Flinte hält, und eben d o c h, n a c h dem Messetag, zu dem Empfang bei C.H.Beck zu gehen. Wollte ich sowieso. Aber die Löwin rief an, daß sie keine Lust darauf habe; sie wolle endlich, endlich malen, stehe sowieso mit beiden Füßen bis zu den Waden in der Farbe. Sie merke überhaupt jetzt erst, wie dieses Wien – ja, sie betonte den Städtenamen kursiv – sie von ihrer wirklichen Arbeit abgehalten habe usw. Ich solle mich aber nicht beeinflussen lassen, sondern meiner Wege weitergehen und mich danach, auch wenn’s dann bereits Nacht sei, von einem Taxi zu ihr fahren lassen. Frankfurt, Leser, ist zwar >>>> ein Her Turtur, aber das Atelier der Löwin befindet sich in Offenbach, was dann d o c h ein Stück Weges ist, den man nachts nicht gern zu Fuß geht, zumal ganz sicher: angetrunken. Und mir ein Fahrrad zu besorgen, hab ich nicht mehr geschafft. So weit, so blöd, es hat keinen Sinn, einen Künstler umstimmen zu wollen, den es gepackt hat, und Künstlerinnen schon gar nicht. Ich knirschte also ins Ifönchen, aber charmant (Sie müßten mich mal knirschen hören)… – charknirschte also von Verständnis manches und einiges von Achwieschade!, dann suchte ich nach abendgemäßem Ersatz… worin mich Delf Schmidt abhielt, der eng mit Isolde Ohlbaum beim Verlag saß, und auch sie hielt mich ab. War aber nicht der Ersatz den ich brauchte. Schon weil es Ersatz für die Löwin nicht gibt. Aber auch >>>> Phyllis Kiehl saß dort, ich kenne meinen Delf. Mit dabei, beim Berlin Verlag, saß ein neuer Lektor, von dem ich allen Eindruck gewann, daß Schmidt ihn als seinen Dauphin sieht. Das Wort paßt in wenigstens zweifacher, nicht nur jener Hinsicht, daß wir nach 1349 leben. Sagen wir’s mal so: der Rebell Schmidt dauphinierte den jungen Mann gestern abend. Ob dem das selber klarwar, weiß ich nicht. Aber wir hatten viel zu lachen. Jedenfalls fragte ich, während Schmidt von mir auf eine Weise sprach – von meiner Arbeit, will das sagen -, die nicht nur ehrenhaft, sondern auch –rührig war… fragte ich Kiehl, ob sie mich nicht zu Beck begleiten möge. Sie trug ein Kleid, das fand ich passend. Ich wolle sie Martin Hielscher vorstellen, der ganz gewiß dort sein werde; wichtiger Mann für neue, n i c h t gelöfflerte Literaturen: von ihrem, Kiehls, Weblog her weiß ich, daß sie ja nicht nur zeichnet, sondern etwa auch >>>> L.’s hochliterarische Briefe verfaßt, das könnte für Hielscher was sein. Und wie’s nun die Gelegenheit wollte… kurz: sie kam mit.
Weniger kurz, daß ich bei Schmidt & Ohlbaum erst einmal noch hängenblieb. „Ich fahr doch morgen wieder.” Da hatte er schon die Flasche Sekt entploppt. Alles das in Feindesland, also für mich, seit ich mit Conradi, dem Verlagsleiter ehmals, in Streit und Trennung geraten. Ich hatte ihn einen Verlagsspekulanten genannt. Das war, als er noch Naumanns Nachfolger als Minister für Kultur werden wollte; unter Schröder, erinnern Sie sich Schröders noch? Jaja, ich meine den Putin-Kumpan. Schon d i e s e Verbindung war mir nur schwer erträglich gewesen. Daß er, nicht Schröder, sondern Conradi, aber jener sicher auch, meinen Arbeiten Margret Atwoods vorzog, hingegen, hatte ich noch verzeihlich gefunden. Knapp nacherzählt: das ging nicht mit uns (doch mit Atwood wäre es gegangen). So kam ich zu tisch7, den es nun auch schon nicht mehr gibt. Man kann sagen, daß das Buch, dessen der Makulierung entzogene Exemplare nunmehr in Iris Radischs Garage gehen, eine Publikation des Berlin Verlages ist, die sogar schon gut bevorschußt war. Aber da war halt Gerhard Schröder. Man sage nicht, ich sei kein politischer Mann!
Darauf tranken wir fünf, nicht nur einen: Schmidt, Ohlbaum, Kiehl, der Dauphin und ich; hätten wir wir nur einen darauf getrunken, hätt das zu sehr nach einem Joint ausgesehen, den man herumreicht. Hab ich erzählt, daß ich nachmittags noch mit Ricarda Junge unterwegs war? Wir sprachen über Männer. Sehn Sie, auch dazu bin ich in der Lage. Seit ihrer Trennung will sie dauernd wer verkuppeln. Das nehme schon bizarre Formen an, sei unterm Strich aber lustig. Sie verbrenne, sagte sie, Männer, also d i e verbrennten; sie selber halte sich zurück. Sowieso. Der Tag kommt, in ihm die Stunde… eine Straßenecke, ein Zugabteil, vielleicht auch ein kleiner Autounfall, nein, nix Bedeutsames, aber doch so, daß der Fahrer des schuldhaft verunfallten Wagens aussteigen müsse, um sich bei der noch ganz schockierten Lenkerin des gegnerischen Fahrzeugs wenigstens zu entschuldigen. Er hat schon seinen Ausweis in der Hand, lächelt sehr, weil’s ihm so leidtut. Es regnet furchtbar, eigentlich kann man erst gar nichts sehen, das Wasser trieft ihm nur so aus dem Haar. Das Töchterchen auf der Rückbank, das auch schon immer frage, Mama, gefällt dir nicht der oder der oder der? Das sind dann Sparkassenangestellte oder auch schon mal ein Briefträger, was nicht so wirklich, sagt Junge, in ihre Präferenzen fällt, allein, sagt sie, genetisch gesehen: das Töchterchen möcht doch so gern ein Geschwister. Ich habe bei sowas sofort Geschichten im Kopf. Jedenfalls lächelt der die Angelächelte vergeunfallte Mann so…ja, wie soll ich sagen? so… Man kann da als Frau aus dem Blick nicht mehr raus, und wir haben, müssen Sie bedenken, keine Zeiten mehr, in denen die Frau ihn dann senkt. Wir achten auch nicht mehr auf Stand und Benehmen, man hält auch nicht eigentlich mehr um die Hand an, bevor es geschieht. Wir haben ja alles verloren, was eine Frau sonst geschützt hat vor sich, dem Begehren und ergo ihm –
Unterdessen hatten wir schon zehne drauf getrunken. Es war wirklich Zeit für den Abschied und für den Hessischen Hof.Das ist ein mythischer Ort, und zwar, weil man ihm das von außen nicht ansieht. Man sieht ihm von außen den Nachkrieg an, und zwar den von der nüchternsten Funktional-Hotellerie. Aber dann! Man tritt ein, muß seine Einladung zeigen, dann in den Keller. Es glänzt der marmorne gelbliche Stein, in dem man sich auch spiegeln könnte, gäb es nicht dafür Toilettenräume. Läufer sind ausgelegt. Links geht’s in die berühmte Jimmie’s Bar, dahinter >>>> Friedas Laise Laube, über die ich einmal schrieb. Auch die eben genannten Toiletten sind da. Daran vorbei. Noch tiefer. Dann ein horizontaler Gang. Dann wieder aufwärts… eine Flügeltür… ein w e i t e r Gang dahinter, doch vorne schon steht der alte vornehme Herr Beck und begrüßt jeden Gast mit Handschlag… es kommen Hunderte Gäste… gut, nicht alle bekommen seine Hand, schon deshalb, sehr einfach, weil er gar nicht weiß, wen alles seine Adjutantur eingeladen hat, kann er nicht wissen; und vollzöge sich die Begrüßung auf sagen wir höfische Weise, sie dauerte Stunden. Doch Iring Fetscher, unterdessen sehr alt geworden und vorgebeugt, ich hab noch bei ihm in den Seminaren gesessen, selbstverständlich mein unterdessen ebenfalls alter Lektor Hansjörg Graf, der ein Nestor ist der deutschen Literaturgeschichte – wir treffen uns auf jeder Messe, und diesmal duzte er mich, lächelte dann, sagte: „Dabei bleiben wir jetzt” – da war ich stolz, ganz, glauben Sie mir, uneitel stolz -, wiederum Klaus Reichert selbstverständlich – also diese alle b e k a m e n die Hand. Überhaupt war, was sich gestern abend im Hessischen Hof versammelte, wie noch-einmal-die-Woge einer untergehenden großen Kultur, einer humanistischen im tiefsten Sinn; da ist noch nicht die glatte betriebsschicke Replikanz, sondern wer hier denkt, der dachte auch. Ich sah die Wiggershausens, ich sah mancherlei mehr der entschwundenen Frankfurter Schule.
Grund der Versammlung war >>>> Amartya Sen. Und, liebe Leser, da mag ich nicht mehr scherzen. Da möchte ich, daß aus dem Boulevard doch wenigstens ein Feuilleton werde, eines im alten Stil, geschliffen essayistisch.Das paßt hier aber nicht hin. Weshalb ich beide Bücher Sens, die bei C.H.Beck erschienen, in einem getrennten Beitrag besprechen werde. Es sind politische Bücher, es sind humanistische Bücher, es sind die Bücher eines Wirtschaftsphilosophen. Das Gespräch mit Sen führte >>>> Christoph Möllers vielleicht um eine Spur zu lässig-eloquent, vielleicht um eine Spur zu kühl in seiner geschliffenen Freundlichkeit. Da war die Begrüßungsrede des alte Verlegers, eines Herren, von andrem Kaliber: „I beg yor pardon for my English, but it’s qiete another thing to understand a langage than to speak it.” Das hatte nun Grandezza. Man muß nicht vorführen, daß man im Ausland studiert hat, King’s College & Co, und seine Muttersprache formflexibel verleugnen. „Und selbstverständlich”, sagte Beck, „liegt es mir am Herzen, die deutsche Übersetzung Ihnen vorzustellen, von der wir meinen, sie sei sehr gelungen. Ich danke Christa Krüger dafür.” Ich habe ein Gefühl für Autoritäten, die das auch sind. Da werde ich still und höre zu, weil sich so merken läßt, welch ein Unterschied es ist, ob einer Autorität hat oder bloß Macht. Nur selten kommt beides zueinander.

***

Nach Rede und Gespräch wurde zum Empfang gebeten. Vor den Gobelins an den Wänden. Vor Fresken, die islamische Kämpfer zeigen. Auf Teppichen. Die Kellnerinnen und Kellner, ganz jung noch, ausgesucht, formvollendet. „Das ist wohl die härtest Schule, durch die man gehen kann in der Gastronomie”, sagte >>>> Frau Döring, mit der ich zusammenstand, nachdem ich
1) Frau Kiehl mit Martin Hielscher in Kontakt gebracht und
2) Monika Eden entdeckt hatte, die Leiterin des Oldenburger Literaturbüros, welche wiederum mit jener beisammenstand, und wir uns, also diese und ich,
3) umarmt hatten.
Darf man das in diesem Rahmen sagen: es habe „die Chemie gestimmt”? Auf jeden Fall mochten wir uns, Frau Döring und ich, sofort. Rede zur Bildung, was Bildung s e i. Da ist etwas angenehm Konservatives – im gemeinten Sinn des Wortes: etwas, das bewahren und nicht gleich anheimgeben will, weil was die glatten Durchläufe stört, nämlich die Bilanzen. Keine Merkelismus, der die Tradition der deutschen Universitäten an – englisch auszusprechen: – international standards hinwegegalisieren will; „international” selbstverständlich US-amerikanisch und nicht etwa französisch gemeint, imgrunde auch nicht englisch. Egal. Wir wußten schon, wovon wir sprachen.
Frau Kiehl kam herüber, verabschiedete sich; Hielscher werde sie nachhause fahren, sagte sie. Ich grinste ihn an. Schwerenöter. Aber so ist Hielscher nicht. Hielscher ist, so jung er ist, alte Schule, er kann das und paßt deshalb besser zu Beck als seinerzeit zu KiWi. Ich blieb bei der Professorin stehen und Monika Eden; jene kennt Kühlmann gut, aus seinen Publikationen. Sie hatte denn doch lächeln müssen, als ich gefragt hatte: Philologin oder Germanistin? Kiehl und Hielscher gingen: hübsch, diese beide „ie”s in den Namen. Das wird was, ich bin mir völlig sicher. Auch wenn die >>>> Kulturmaschinen das betrübt. Ich mag das, wenn ich Leute, die ich schätze, an Häuser vermitteln kann, die ihnen etwas geben können, das mir selber versagt bleibt. Es kommt auch nicht drauf an. „Vielleicht”, hatte nachmittags Klaus Siblewski gesagt, mit dem ich auf den Luchterhandkissen bei Random House saß, „ist das sogar sehr gut mit den kleinen Verlage für dich. Denn was du alles machst, das können große Häuser, deren Organisation gleichermaßen straff wie unflexibel sind und das auch sein müssen, nicht leisten: du würdest alles stören, jeden Ablauf, jede Planung, jede Präsentation. Kleine Verlage leisten das aber, die sind allein terminlich nicht im Korsett.” Daß ich alles stören würde, hatte mir meine Anne schon gesagt, die unterdessen im ältesten Verlagshaus Europas arbeitet; so viel ich weiß, ist Schwabe sogar… ja, >>>> es stimmt: der älteste Verlag der Welt. „Du erwartest Sonderbehandlung, überall. Du hältst dich an nichts. Du entscheidest spontan allein nach deinem eigenen Kopf. Das ist der reine Horror für Verlage, die geregelte Abläufe brauchen. Stell dir doch bitte vor, was passiert, wenn das alle Autoren verlangen oder doch einige. Und das ist so. Man kann dich auch nicht bändigen, nicht mal zivilisieren. Da wird man als normaler Mitarbeiter verrückt, wenn nicht genervt. Und will einfach nicht mehr.” „Außerdem”, sagte Siblewski, „was du da allein an Masse ausstößt, das läßt sich von einem großen Verlag gar nicht bewältigen. Von mehreren kleinen Verlagen aber sehr wohl. Das ist die Chance der kleinen Verlage, und sie nutzen sie. Deshalb erscheint in ihnen so viele wirklich gute Literatur.” „Aber”, wandte ich ein, „weißt du… das Geld.” „Ja”, sagte er, „ich weiß. Aber so ist die Konsequenz.”

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Wir sprachen auch über Verachtung, Anne und ich. „Du bist letztlich nicht menschlich”, sagte sie. „Du mißt die Menschen an dir. Und berücksichtigst ihre Ängste nicht.” „Angst ist dazu da, daß man sie überwindet”, sagte ich. Und sie: „Eben, Alban, eben. Schon wieder. Merkst du da denn gar nicht?” Da lag, zusammengetreten und blutend, verkrümmt, ein Adolf Hitlerchen in der Ecke des Standes des ältesten Verlages der Welt. „Wie, Alban, hältst du es mit dem Mitleid?” Und sie fügte hinzu, als ich mir eine Zigarette drehte: „Bitte nicht hier. Niemand würde etwas sagen, keiner sich trauen, dich zurechtzuweisen. Aber nachher, wenn du wegbist, bekommen wir das ab.” Dabei legte sie ihre linke Hand auf meine rechte.

***

Die Löwin, übrigens, hält mir nicht vor, nein, falsche Formulierung… aber sanft, zumal für eine solche Raubkatze, gibt sie mir immer wieder ganz Ähnliches zu bedenken. Wobei auch dieses Wort unrichtig ist. „Du solltest lernen, es zu fühlen.”
Bei allem Spott: Man kann auch auf Buchmessen sich herzenszubilden lernen. Sogar, ja, hier.

***

7.27 Uhr:
Also meine Termine heute. Vor allem um 10 das Gespräch mit >>>> Stefanie Klein bei Langen Müller. Mein Aufnahmegerät ist geschärft. Danach Fototermin. Wiederum danach, mittags, Treffen bei >>>> Elfenbein, zusammen mit Barbara Stang. Ich möchte auch gern die Kulturmaschinen mit Elfenbein zusammenbringen. Da wird es dann, skizziert, um ARGO gehen. Zwischendurch Treffen mit >>>> Guido Rohm. Und abends dann meine erste Lesung aus AZREDS BUCH:

Alban Nikolai Herbst

liest

Azreds Buch.

Buchhandlung Camp
Bücher & Espresso
Eckenheimer Landstraße 352
Frankfurt am Main

um 19 Uhr, davor:
>>>> Markus Michalek
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Wir laden Sie ein. Kostet auch nichts. Danach dann, wir alle zusammen, >>>> ins Literaturhaus.

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<>9.55 Uhr:
[Halle 3.1 D, LangenMüller.]Bin bereits etwas früher hier; gleich geht es los. Auch Stefanie Zweig ist schon da, aber ich halte mich noch im Hintergrund, bis Barbara Stang hiersein wird.

Anders als an den Tagen zuvor, während der ich den Eindruck hatte, die Messe sei doch erstaunlich wenig besucht, knüllte es sich schon vorm Haupteingang, und eine Lautsprecherstimme machte bekannt, es werde hie und da Personenkontrollen geben. Nun hatte ich keine sonderlich Lust darauf, meinen Arbeitsrucksack zu entleeren, wiewohl die entsprechenden Maßnahmen einsichtig sind; jedenfalls nahm ich einen der Nebeneingänge, durch die nur Aussteller, Presseleute und dergleichen kommen. Aber auch da: Kontrollen. Irrerweise winkte man mich durch und schnappte sich den Menschen, der gleich nach mir kam. Jetzt weiß ich nicht, ob ich beleidigt oder froh sein soll: Seh ich derartig harmlos aus seit neustem? Denn sonst, an jeder Grenze, bin immer ich es, der sich ausziehen muß. Hm. Seltsame Ambivalenz. Aber nun gut. So war ich sehr schnell hier.

Wo bleibt Stang?

15.18 Uhr:
Dann kam sie, zwei Minuten und acht Sekunden zu spät; ich bin halt, was Termine angeht, Zwängler. Vorstellung mit Frau Zweig, zwischendurch erscheint ein Fotograf der dpa, um Fotos von mir zu machen, also noch mal unterbrechen, aber wir hatten eh noch Zeit bis halb elf. Ich nutze die Fotopause, um zu rauchen, dann wieder hinein, das Aufnahmegerät scharfgemacht ( n i c h t: “scharf gemacht”!!!) und das Gespräch geführt, im Kabinchen. Schönes, freundliches Plaudern, Erzählen aus der Werkstatt, Hintergründe, das tatsächliche Leben 1947. Hiernach zu Elfenbein hoch, wo Ulrich Holbein im Gespräch mit dem Verleger stand; wir beide ein wenig kabbelnd, schließlich checkt er über meinen Laptop seine Post. Jörg Sundermeier vom >>>> Verbrecher Verlag erscheint, sieht uns, ruft: “Zwei Götter an einem Stand: Welch ein Faustschlag in das Gesicht von Rowohlt.” Daraufhin wird er, selbstverständlich, von uns beiden nicht nur freundlichst begrüßt, nein hofiert. Wir sind so, so daß Holbein ohne aufzusehen seine Mails weitercheckt und ich in meinem Erzählband lese. Bis mich Holbein darin stört und eröffnet, Dr. Goldmann werde der ETA-Hoffmann-Preis erhalten. “Ja-wofür-das-denn?” “Dafür, daß er die Villa Concordia geleitet hat und dafür auch ein Gehalt erhielt.” “Stimmt, das ist ein Grund.” “Aber keiner, der dich berechtigt, Döblin zu plagiieren.” “Ähm?” “Ich hab nur bis S. 20 gelesen, daher weiß ich das. Ich hab das auch damals geschrieben in der ZEIT.” “So’chen, so’chen.” “Du solltest meine Hörspiele hören. Ich weiß, du kannst davon lernen.” Usw. Das ist so, wenn zwei im selben Verlag verlegen. Zumal ich die ersten elf Fehler in Azreds Buch gefunden habe…”

—- Moment, es kommt gerade Besuch. Von der Argentinien-Halle erzähle ich gleich.

>>>>> Fortsetzung dieser Buchmessen-Erzählung d o r t..

42 thoughts on “Messejournal. 6. bis 10. Oktober 2010: Ein Mittwochs- bis Sonntags-Boulevard. Bereits vier Tage, der letzte halb im Kommentar. Sowie ein Aufbruch in den fünften, aber auch im Kommentar. Verwirrung und Zerfall: alles nur noch Kommentar. Dann aber: Salvatore Quasimodo.

    1. Frankfurt braucht keine neue Bereitheit. Es ist Großschriftstellerei, und auch meine, seit langem gewöhnt; das weiß die Stadt zu empfangen. Vor allem: Frankfurt erkennt sie. Man muß nur den Großlyriker Robert Gernhard nennen. Derart offenbar ist das.

  1. singen (2. fassung) endlich springt der großschriftsteller aus dem/
    zug die schaulustigen unter ihnen viele klein/
    schriftsteller weichen zurück in einer ersten/
    improvisierten ansprache verspricht alban herbst/
    den pop komplett abzuschaffen um deutschlands/
    untergang abzuwenden ich muß nichts anerkennen/
    das nur den viervierteltakt hervorbringt und den/
    konjunktiv zwo für einen tiefbaukonzern hält die/
    oberbürgermeisterin petra roth küsst ihn dafür/
    auf beide wangen die zeremonie endet unter den/
    klängen des sinfonieorchesters des hessischen/
    rundfunks unter der leitung von alfred harth/
    kein schöner land in dieser zeit/
    bald sind wir vom pop befreit/
    als bruno lampe dabei grimassen schneidet /
    wird barbara stang sehr wütend das ist ein/
    anständiges lied das kann man anständig

    1. Schissbilderredseel MeeresJungFrauen (s)trapsEnd (m)ess/
      Topor’s Fun(t)Asien, deCollagiert mitGelesen/
      aus Betties Beatnix Bus in/
      Singen am Bodensee suedlich von/
      B.anal im Sauerlandquartett synkopIsch schLeudernd/
      in fear(teer) verFassung, duenn

  2. Ausgestorben Wie ausgestorben liegen sie da, die Prenzlauer Berge. Ein sanfter Wind streicht über unberührte, naturbelassene Stadtoasen, kaum einmal, daß das Grunzen eines Wildschweins oder das Blöken eines Schäfchens zu hören ist. Zugvögel ziehen gen Süden, traurig blicken die wenigen Daheimgebliebenen ihnen nach. Sicher wollen auch sie, die hoch droben kaum noch zu erkennen sind, zur Frankfurter Buchmesse, wo das Leben tobt, wo Autoren und Verleger und Agenten und Rechteinhaber und Zeitungsmenschen und Fernsehmenschen und Radiomenschen sich tummeln, sich die Hände schütteln, Ansteckungsgefahr hin oder her, das ist ein anderes Thema und bringt zur Zeit kein Geld, wo gegessen und getrunken und verhandelt wird, wo die Nächte kurz und die Tage lang sind, tja, man weiß nicht recht, wo es denn schöner ist. Der Wind lebt auf in den Prenzlauer Bergen, die Bäume schütteln sich, Kastanien knallen auf Köpfe und erzeugen ein Geräusch, hier und da huscht ein Tier über verwaiste Wege, und bald schon wird es regnen. Hier ist wenigstens kein Dach über der Welt. Ist ja auch was!

    1. Wildschweine@Schlinkert. Ich komme erst jetzt, lieber >>>> Herr Schlinkert, dazu, >>>> derweil ich die Messereste verwerte, die Kommentare durchzusehen und auf solche auch zu antworten, die das – wie ganz besonders der Ihre – verlangen. Ich gehöre ja zur >>>> Fraktion derer, die es nicht nur mit Frischlingen halten, obwohl mir sowas, wenn sie weiblich sind, ungerechterweise nachgesagt wird; allein, auch Sauen sind mir in ihrer animalen Gestalt seltenst am Helmholtzplatz geschweige am Rocksaum der Käthe Kollwitz begegnet; in anderer aber sehr wohl. Nur greifen da weder, zur Klage der Mütter, die exekutiv Begeisterten, zumindest Beauftragten ein, noch hörte ich jemals Klagen aus Richtung des Berliner Zoos, obwohl der doch der älteste Tiergarten Deutschlands ist und man sowas deshalb verlangen muß. Zwar, >>>> der Berliner Senat ist bemüht, alleine: was hilft’s? Insofern allerdings Sie von “kaum einmal” schreiben, was doch einmal ganz unbedingt, und wenigstens einmal, impliziert, ergreift mich momentane Sehnsucht nach der Heimat; wie gerne nämlich hörte auch ich die erdigen Laute des Schwarzwilds, wenn schon nicht am Helmholtzplatz, so doch an der Dunckerstraße. Ich wär’s ja selbst mit der Marienburger zufrieden.
      Bitte, wenn Sie solch ein Getier zu Gesicht bekommen, richten Sie ihm aus, es möge auf mich warten.

    2. Die Vertreibung der Wildschweine war nur der Anfang Wildschweine gibt’s hier, lieber Herr Herbst, momentan an jeder Ecke, ich höre sie deutlich, allein zu Messezeiten fehlt eben der sonst so zuverlässig sich zeigende gemeine écrivain, ganz zu schweigen vom ebenfalls gemeinen écrivant. Zugegeben, diese vermeintlich feinsinnige Unterscheidung, Schriftsteller auf der einen, Schreiber auf der anderen Seite, habe ich Alain Finkielkraut geklaut, doch es ist wahr. Und vor Jahren, als noch die Danziger die nördliche Reviergrenze anzeigte, heute ist das ohne Zweifel die Wisbyer, ging regelmäßig eine Punkerin mit ihrem angeleinten Wildschwein am Helmholtzplatz mit diesem Gassi, aber dann sind die Beiden ohne Zweifel von den anrückenden Schriftstellern verdrängt worden. Heutigentags kennt ein jeder Punk den dazugehörigen Begriff, Gentrifizierung nämlich, und die Prenzlauer Berge wären nicht die Prenzlauer Berge, stimmte dies nicht, nämlich die Vertreibung der Schweine durch die anrückenden Schriftsteller. Und jetzt die Krux: die Schweine tauchen nur dann wieder auf, wenn die Schriftsteller fort sind, eben zu Frankfurter und Leipziger Messezeiten, und selbst ich habe sie ja nur gehört, nicht aber gesehen. Das ist ein gutes Zeichen, jedenfalls für mich. Ob allerdings die ein oder andere Sau, sozusagen als Sau im Schafspelz, hier von mir unerkannt herumscharwenzelt, kann ich nicht sagen, ich sitze in meinem Burgfried und schreibe und schreibe und schreibe, am liebsten von der Welt da draußen, in der die unerhörtesten Dinge geschehen, selbst in Messehallen.

    3. “in der die unerhörtesten Dinge geschehen, selbst in Messehallen”: – das stimmt, selbst ich bin immer wieder erstaunt, nein: perplex.
      Aber was Sie über die Wildschweine schreiben, betrübt mich so sehr, daß ich beginne, über einen Berufswechsel nachzudenken. Ist Ihnen klar, was Sie mir damit antun? Andererseits würd ich die Sauen und Keiler doch wirklich gern einmal keilsauen sehn… das ist mir bislang nur am Döllnsee gelungen, der, jedenfalls bisher, sich jeder Berliner Eingemeindung mit Erfolg hat entzogen. Weshalb halb Spandau sauer auf ihn ist und, wußten Sie das?, nachts ebenjene Punks, von denen Sie schreiben, zwecks Nordhäuser Vergiftung, zu der sich eine durch Jägermeistereien addiert, zum Baden in ihn schickt.

    4. Vorsicht vor dem Bockshorn Berufswechsel nur wegen ein paar Schweinen? Nein, nein, Sie sollten sich nicht ins Bockshorn jagen lassen und bei ihrem Leisten bleiben. Und hatte sich Marcel Reich-Ranicki, war der überhaupt auf der Buchmesse?, nicht letztens noch beschwert, kaum schalte man die Glotze an, sehe man immer nur Tiere, Tiere, Tiere, naturgemäß (dieses nicht im Thomas-Bernhardschen-Sinne) alles mögliche treibend, was dann wiederum nicht nur aber auch an pynchonsche gegen den Tag gerichtete Freikörpergymnastik erinnert. Die Folgen der durch Tierfilme gesetzten Reize zeigen sich in den Prenzlauer Bergen übrigens deutlich, müssen doch die vielen dauerbespaßten Kinder immer öfter anstehen, nur um einmal die Rutsche oder die Schaukel benutzen zu dürfen, während Mütter oder Väter waidwund auf Sandkastenumrandungen vor sich hin dösen und nicht mal rauchen dürfen.
      Ich habe übrigens Ihren Begriff des Keilsauens einmal im weltweiten Netz überprüfen lassen, und es dürfte Sie freuen zu erfahren, daß der einzige wirkliche Fund sich in “Anchora sacra studiosorum” (1696) von Johann G. Drechsler, S.70, findet. Dort heißt es: “Mache mich zu heilsamen Gefäß deiner Gnade, …”, und da Google im Frakturschriftlesen nicht besonders gut ist, liest es eben “Mache mich zum Keilsau’.nl Gesäß deiner Gnade”, wobei Gesäß ja wieder sehr gut zum Thema paßt. Der Teufel steckt eben im Detail, und wer weiß, wo sonst noch.

    5. “Verachtet mir die Schweine nicht!” ruft Hans Sachs am Ende des Dritten Aufzugs >>>> Meistersinger aus, und er meint das, sogar in Nürnberg und ganz wie ich, e r n s t. Wobei, Herr Schlinkert, das mit dem keilsauenden Gesäß, würden meine Gegner sagen, besser zu mir passe als jedes Gnadengefäß – es sei denn, man faßt dieses auf, wie ich das gerne tue. Hingegen finde ich den Tierfilm harmlos, da selbst m e i n e Kinder an der freien Luft noch keinen solchen zu sehen bekamen, und die Waidwunden schleppen sich und ihre Flaschen Pils ja eher doch erst nach Abend, wenn sie Waid und Weide schon nicht mehr unterscheiden.

    6. Vor allem die Wildschweine nicht! Immerhin riechen diese würzig nach Maggi, was aber vielleicht nicht jedermanns Sache ist. Doch hatte nicht der Majestix einer gewissen Volkspartei vor nicht langer Zeit verkündet, man müsse dahin gehen, wo es stinkt, worauf die deutsche Kanzlerin nicht etwa in den Wald ging, sondern in die Umkleidekabine der siegreichen deutschen Fußballnationalmannschaft. Nach dem Spiel, wohlgemerkt! Meisterhaft, die Frau versteht ihr Geschäft! Warum allerdings der Bundespräsident, dem der Seibt, wenn ich mich richtig entsinne, in der Süddeutschen Zeitung bescheinigt hatte, nicht einmal sprechen zu können, seine 16-jährige Tochter zu verschwitzten, halbnackten Millionären schleppt, muß wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Nun ja, vielleicht treffen sich ja alle mal zum gepflegten Wildschweinessen, was ich bedauern würde, denn ich wünschen jedem Schwein das Beste.

    7. natürlich muß es heißen: was ich bedauern würde, denn ich wünsche jedem Schwein das Beste.
      Da muß ich mir peinlicherweise glatt mal selber antworten – kommt davon, wenn man schwupps zur Staatsbibliothek will, was ich jetzt wieder verschieben muß, denn jeder Tippfehler läßt mich anlaufen wie eine Tomate, und wie sieht das denn aus! Auf meiner eigenen Seite kann ich da wenigstens noch eingreifen, aber in so einem Blog ist ja alles wie in Marmor gemeißelt! Dabei kann ich Waid und Weide noch ganz gut unterscheiden.

    8. Herrn Schlinkert von außen in Wittgensteins Schachtel gesprochen. Das kleine Problem löst sich sofort, wenn Sie sich das Müh’chen machen wollen, Ihren Namen zu registrieren, statt als Gast zu schreiben. Registrierte Teilnehmer behalten den Zugriff auf ihre Beiträge, können sie also jederzeit korrigieren, umschreiben, sogar löschen. Für letzteres bitte ich aber vorher darum, einen solchen Entschluß sehr abzuwägen. Ist nämlich auf einen Kommentar geantwortet worden, wirft sich eine Bifurkation aus: wird der oberste Beitrag gelöscht, dann jeder direkte Kommentar auf ihn ebenfalls.

    9. Schachteln, Kisten und Kästen In meinem ersten Buch habe ich einleitend etwas über Wittgenstein geschrieben, weil ich böse darüber war, daß im “Tractatus logico-philosophicus” geschrieben steht: “Der Sinn der Welt muß außerhalb ihrer liegen.” (6.41.) Natürlich muß man immer in Erwägung ziehen, daß man da etwas miß-, falsch- oder gar überhaupt nicht verstanden hat, doch ich denke, daß die Welt kein Außen hat, weil die Sprache kein Außen hat, was nicht ausschließt, daß sich Wittgenstein in einer Schachtel befindet, wenn auch allein. Jedenfalls habe ich mich jetzt registriert. Ansonsten mag ich Schachteln, Kisten und Kästen sehr (ohne drinstecken zu wollen).
      By the way: Natürlich muß ich den Begriff Bifurkation erst nachschlagen, eine bestimmte Form der Zustandsänderung, aber ob dies das richtige Wort ist für Alles-ist-futsch, das kann ich auch nicht beantworten.

    10. @Spielende Männer Und es zeigt sich: Wenn Männer spielen, spielen sie die “ernsten Spiele des Wettbewerbs” (Pierre Bourdieu). Deshalb hat auch kein M e n s c h Lust mitzuspielen, wenn Männer spielen.

    11. Wettbewerb@MelusineB. M a n c h e Menschen nicht. Andere schon. Manche Männer, zum Beispiel. Sicher ist, daß es ohne den Wettbewerb keine Form von Leben gäbe, nicht pflanzliches, nicht tierisches. Und selbst, wenn man annehmen wollte, daß der Mensch zum letztren nicht gehöre, sondern über es erhoben sei (was ich bekanntlich n i c h t meine), stürbe diese Art Mensch an Nahrungsmangel aus. Es sind F r a u e n, übrigens, die das am allerbesten wissen, und deshalb schon ihrer Kinder wegen sich auf den Wettbewerb auf das schärfste verstehn: da sind die Spiele der Männer fast harmlos – sofern man ihnen nicht zu viel Macht gibt; gibt man die aber Frauen, unterscheiden sie sich nicht.

    12. @Spielfeld Die Frauen sind im Krabbenkorb, wissen Sie. Das ist auch scheußlich.

      Es geht bei den Männerspielen, die ich hier meinte (und, selbstverständlich, ironisch) um die Spiele, die Männer untereinander spielen und n u r untereinander. Die “ernsten Spiele” klären die Hierarchie. Am Ende gibt´s in jeder Gruppe diese “Männlichkeiten”: den hegemonialen Typ (das Alpha-Tier), den Kumpel (lacht über die Witze von Ersterem, streicht die patriarchale Dividende ein, ohne selbst um die Plätze zu kämpfen), den Untergeordneten (macht die Drecksarbeit), den Protestler (kann in zwei Richtungen gehen: Travestie der hegemonialen Männlichkeiten oder deren groteske Übertreibung) und den Marginalisierten (vom Ausschluss bedroht, kaum wahrgenommen). Das Ganze ist natürlich immer in Bewegung (deshalb finden ja die Spiele statt), jede Position muss dauernd neu bestätigt werden. Aussteiger gibt´s auch. Selten.

      (Wenn Sie mal an einer männlich dominierten Sitzung in einem Unternehmen teilgenommen haben, aber auch im Literaturbetrieb, nehme ich an, können Sie diesen Positionskampf wiedererkennen, variierend, aber, finde ich, das Muster stimmt).

      Und Frauen untereinander, wie gesagt, spielen anders: eben Krabbenkorb. Viel Unterstützung, wenn man sich selbst klein macht: “Ach, stimmt doch gar nicht. Deine Beine sind gar nicht zu dick. Du bist gar nicht zu dumm. Das schaffst du schon.”, aber sofortiges Zurückziehen, wenn eine rausklettern will (aus dem Selbstbestätigungsbeschränkungs-Korb). Sagt eine Frau in einer (größeren) Frauenrunde: “Ich bin klug. Ich kann das. Ich nehme mir das…” Da sollten Sie mal sehen, wie die übereinander herfallen. Frauengruppen bestätigen sich gegenseitig dadurch, dass sie einander ihre Mängel beichten. Das ist auch Mist. (Nur mal so am Rande.) Auch hier gibt´s Aussteigerinnen. Und Freundinnen, die sich gegenseitig groß machen. Ein Glück für die, die eine hat.

      (Das mit den M e n s c h e n war nur ein Witz. Weil doch sonst immer die Männlichkeit die menschlichen Standards setzt, kulturhistorisch gesehen.)

    13. @Melusines Krabbenkorb. Der muß weg, finde ich. Frauen im Korb haben nur für Männer einen Reiz, die u n t e r m Alpha stehen; wobei ich, α-bezüglich, allerdings immer nur vor jenen Achtung hatte (und habe), die selber die Dreckarbeit machen – und zwar eben, weil sie α s i n d. Zumindest müssen sie es können und auch wollen; daß andres sie abhält bisweilen davon, steht auf getrennten Blättern. Ich hab noch keinen ernstgenommen, der nicht in Erde faßt.

      Immerhin. Krabben schmecken vorzüglich, aber auch hier gilt: sie schmecken um so besser, als man sie zu pulen weiß.

    14. Korb Weg kriegen Sie ihn nicht, den Korb. Er hat seine Funktion, wie die “ernsten Spiele des Wettbewerbs”. Das System (des Patriachats) wird von Männern u n d Frauen durch diese Spiele aufrecht erhalten.

      Aber :viel witziger, finde ich Ihre Reaktion. Sie zeigt nämlich e i n e n Grund, warum Sie, lieber Herr Herbst (und das ist ja irgendwie auch sympathisch), in diesem Spiel gar nicht wirklich mitspielen (und eben keine Hegemonialmacht entfalten): Sie können sich überhaupt nicht auf die “ernsten Spiele” konzentrieren. Gleich sind Sie schon wieder beim Korb (und mit der Hand drin).

    15. @Melusine: Stimmt. Ich kann “ernste Spiele” nie wirklich ernstnehmen. Eine zeitlang immer schon, aber dann legt sich jedesmal ein Schalter um, und ich muß lachen. Man muß sich sich ja nur selbst dabei vorstellen, welch eine absurde Figur man drin macht. Ich muß immer denken, wie sehr wir alle doch hauptsächlich Stoffwechsel sind, und dann denke ich: wie groß, wenn etwas jenseits davon eben daraus w i r d. Wenn ein Roman wird oder mehr noch: Musik. Wenn eine Sinfonie wird. Was solln mir da die “ernsten” Machtspiele sein? Und auch für mich selbst: wenn ich dann eines Tages daliegen werde, und die letzte Tür öffnet sich – es ist egal, ob dahinter nur Leere ist, das Nichts, oder ein nächstes Etwas. Worauf kommt es dann an? Darauf, daß etwas bleibt, das seinerseits Leben gibt, das das Leben fortsetzt, ja, das ist mir wichtig. Das ist mir sogar das wichtigste. Aber ob ich “bedeutend” war zur Lebzeit, nämlich: so angesehen? So viel Eitelkeit geht gar nicht, nicht mal bei mir, daß das noch wichtig wäre. Also es kommt, unterm Strich, darauf an, daß unsere Kinder recht geraten und stolz und voll Lebensfreude sind und daß wir in unsern Möglichkeiten dafür etwas taten; und auf das andere, das wir, wenn wir die Begabung hatten, hinterlassen; das ist doch sehr privilegiert und, also, verpflichtet, und daß wir selbst in unseren Irrtümern gerade waren und ungebeugt, daß wir das nicht, weder für Geld noch sonstige Wohlfahrt, verrieten. Denn das, Melusine, geben wir ebenfalls weiter. In diesem Verstand, und sei es n u r in dem, bleiben wir.

      Pietà, ch’io non sia
      senza voci e figure
      nella memoria un giorno.

      Salvatore Quasimodo, Airone morto.
      Übrigens hat Phyllis Kiehl >>>> auf Ihren Korb, bei Tainted Talents, reagiert. Klug, finde ich. Einfühlsam. Und nicht ohne Haken.

  3. Die Liebe der Väter Herr Herbst,
    weiterhin interessante Begegnungen wünsche ich Ihnen in Frankfurt.
    Zu Hettche merke ich an , dass jede Wahrheit zwei Seiten hat. Allerdings wurde es Zeit, das Mal aus des Vaters Sicht berichtet wird.

    1. @garconette zur Liebe der Väter. (Welch entzückender, hätte >>>> der Kammerherr ausgerufen, Nick!)

      Die Wahrheit hat m e h r Seiten als nur zwei. Im “Falle Hettche” kenne ich zweidrei davon. Aber so soll man Romane nicht lesen, auch wenn einen der lockende VorSatz, weil er so falsch ist, dazu verführt:

      Doch erzählt es weder ihre Geschichte noch
      meine. Literatur beginnt jenseits dessen, was ist.

      Ich weiß, >>>> wovon ich spreche. Und nicht nur, weil ich Vater bin. Hettche nämlich weiß das a u c h.

  4. Das Unwichtige vom Wichtigen trennen Ja, das kommt mir jetzt vor wie 60er/70er Jahre. Als jeder Schriftsteller sich noch auf der Wichtigkeitsleiter befand. Auf der Karrierebahn zum Großschriftsteller. Zum – womöglich – Klassiker mit Gesamtausgabe. Als der Schriftsteller noch kraft Personae bedeutungsvoll war. Als die Wichtigkeit noch wichtig war. Diese Eitelkeit hat doch gerade Raddatz letzgültig per Porträts und Selbstporträt dargestellt.
    Ich finde, das geht nicht mehr. Das ist alt.
    Ich finde, nichts dekouvriert die Eingeschränktheit der Intelligenzfunktionen von Schrifstellern mehr als diese eklatanten Aussetzer in der Reflexion.
    Immerhin geht es hier um eigenes Erleben bei Ihnen – aber Reflexion und Beobachtung und “Schauen” erreicht ein Nullniveau wie beim Jahrestreffen der Friseurinnung. Ich frage mich: Wenn Autoren so wenig imstande sind, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen – auch backe, was soll denn da Gutes herauskommen?! Außer diese vielen, vielen mit Schaumstoff gefüllten Bücher.

    1. Tut mir leid, heute, ungefähr vor zwei Stunden, wollte ich hüllenlos, mit rosa Perückchen und einem gechartertem weißen Pferd in den Innenhof des Messegeländes hineinreiten. Es kommt aber immer anders und als man denkt.
      Ha! Im Nicht-Hinein kann man den Mund immer voll nehmen.

      @ANH
      Grüßen Sie mir den Heidelberger Verleger Mr. W. (Käseverteiler), Frau Kiehl, den “Sagomasochisten”, sollte er da sein, auch den Rothaarnietzsche Aik, d.h. meinen Tagungsreisenden Lektor, sollte er doch noch vorbeischauen. Sauer wär ich dann aber schon. Melusine natürlich!
      Ach ja, und wenn Sie da ist, das schlagfertige Fräulein mit den Sommersprossen im Gesicht, die die immer kräftig ausschenkt am Horenstand wenn keiner hinguckt. Hat Sie überhaupt Sommersprossen?

      Und ganz wichtig: Sollten Sie den Gegenleser dort treffen, drücken Sie ihn ganz fest von mir und bestellen ihm liebe Grüße.

      Ich wünsche allen dort eine gute Zeit.

    2. @ read An: Mich trifft, obschon den unvermögendsten,
      Am meisten der Verdacht des krausen Wortes,
      Dass Zeit und Ort ich wider dich verkehrt’.

      – no fair for me, fair lady, only a mess’.

      @ ANH:

      angesichts DIESES statements passt es doch recht gut, dass heute der stiefmutterlobende autor nobellitiert wurde, nein?

      bester gruß aus dem grauen land, das jüngst undine noch benetzte…

    3. ” Gloria, if I lost you, I’d lose everything!” said Egbert, breathlessly. ” Oh, c’mon, Eg, don’t be batty. Hell, mostly you’d just lose my meat loaf, which you’ve been too lazy to learn how to make yourself.” Realizing she was right, Egbert walked out the door, down the street, and onto the interstate highway ramp. He stuck out his thumb and caught a ride. The car radio was playing Bat Out of Hell by Meat Loaf.

  5. @ANH Wie schön, dass Sie so vielschichtig von der Buchmesse berichten, lieber ANH. Vielleicht kamen oder kommen Sie bei den Argentiniern noch vorbei und können ein wenig darüber berichten?!?
    Ich habe es leider doch nicht zur Buchmesse geschafft, hatte es fest vor, jedoch der “Weinberg” machte mir einen Strich durch die Rechnung, was jedoch nicht wirklich mit der aktuellen Weinlese zu tun hat. (Die ich auch hier mehr metaphorisch gebrauche).
    Mehr demnächst 😉
    Herzlich
    Teresa

    1. @ ovid Wir haben mitgezählt: es waren keine glorreichen Siebe(/). Warum schreiben Sie hier eigentlich nicht gleich ganz direkt und unverblümt: „Ich verachte Sie, hören Sie auf mit diesem Quatsch!“? Why? Djunglefreaks jibt es also, bemerkte der bemerkenswerte Schriftsteller Alfred „Teddie-Strunk“ Harth…

      Ihre Ihnen innewohnenden divinen Anteile sind als Avatare (an & für sich & für uns) abgespalten. Denken Si mal drüber nach! Wie hiess noch der italienische Käswein, Paul? Etwa Mirapur, so wie ein Industrieklebstoff?

      Alle Ihre car men sind verloopoend. Da mache ich mir langsam Sorgen, bei soviel dickem „fat“ Mobbing.
      Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand wegen dem Internkram Suicid beging.
      DAS /
      http://books.google.com/books?id=OdsEAAAAYAAJ&pg=PA112&lpg=PA112&dq=Verviel&source=bl&ots=BQq4nbJUmr&sig=yOFu5-eq4iCYLyDTBScP3AU-fvk&hl=de&ei=IN2vTJm_A4m8sQPxqNSyDA&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=3&ved=0CBoQ6AEwAjgK#v=onepage&q=Verviel&f=false /
      macht sie so amusant, ovidea !

  6. Die Fortsetzung des ViertenTages. Und der fünfte Tag. Buchmesse Frankfurt am Main 2010 ff.

    —- Moment, es kommt gerade Besuch. Von der Argentinien-Halle erzähle ich gleich.

    17.28 Uhr:
    Also zu den Argentiniern. Zwischendurch belauschte ich ein Gespräch zwischen Tammen und >>>> Wolfgang Schiffer, der mich prompt einen Spitzel nannte. Das bin ich aber nicht, denn mein Auftraggeber ist die Öffentlichkeit. Na gut, es handelt sich um GoA, bei dem die Juristen unter Ihnen wissen, was gemeint ist. Auftrag ist aber Auftrag. Also: die Nachfolge Michel Krügers, der Verlegers von >>>> Hanser. Er hatte, also Michel hatte nervös… nein, Konjunktiv, das ist jetzt wichtig: er h a b e seine Erbschaft betrachtet und sei in Sorge geraten. Da sei ihm in dieselbe, zu ihrer Be-, bzw. Beilegung, Thedel v. Wallmoden in dieselben geraten, worauf wiederum der >>>> Wallstein Verlag werde, heißt es (werde, Konjunktiv!), in Zukunft als Imprint geführt. Was dann wieder heißen könnte, daß Thedel v.W. (VW ??)… also der Mann war ja schon einmal als Nachfolger geführt, des verstorbenen Suhrkamp-Verlegers Unseld zu denken… Das hat damals, wir wissen’s, nicht hingehaun. Indes nun…. – Aber das sind Gerüchte. K e i n e s ist, daß sowohl Peter Handke als auch Ulrich Holbein, der bei Elfenbein verlegt ist, auf der Kandidatenliste zum diesjährigen Literatur-Nobelpreises standen; ich habe also vorhin mit einem fast-NPTräger gesprochen. Darauf befragt, erklärte er mir, in London hätten die Quoten (man wettet dort auch auf den NP) um einen Rang besser für ihn als für Handke gestanden. An Vargas Llosa hat da niemand gedacht. (Suhrkamp, der deutsche Verlag des neuen NPTs, hatte vier – in Zahlen: 4 – Bücher Vargas Llosas dabei. Übrigens und Klammer zu.) Auf dem Bild an der rechten Seite (übrigens II) sehen sie den >>>> Verbrecherverleger Sundermeier.

    Es funktioniert grad mit den Bildern nicht, und ich muß ohnedies abbrechen, weil es zur Lesung geht. Später, also, alles weitere, also, später.

    SO 10. 10.

    9.43 Uhr:
    Das ging jetzt mit Verwirrung aus; wir haben bereits den fünften, also letzten Tag der Messe; heute steht eigentlich nur noch an, Kinderbücher zu besorgen und Adé zu sagen – bis in einem halben Jahr. Ach, es wäre noch viel zu erzählen, aber twoday hat mich an die Grenzen gebracht, als gestern die Nachricht erschien, mehr als 64000 Zeichen seien für einen Beitrag nicht zulässig. So daß ich eine neue Form finden muß, aber gerade die Zeit nicht ist. Sehen Sie’s mir bitte nach. Außerdem habe ich verschlafen. Über die Lesung gestern abend berichte ich Ihnen sicher noch. Hier sag ich jetzt erst mal nur dieses:

    19.28 Uhr:
    [N i c h t mehr im Nizza (mein Zimmer war es
    sowieso nicht gewesen), sondern Mona ti Golan. Bei
    Latte macchiato und Giacomo Cuticchios Visione
    ed ecstase.]
    Nun ist es also vorüber. Ich bin bereits gegen 16 Uhr gegangen, einen Arm voll Bücher hatte ich zu schleppen, darunter >>>> die schlichte, doch edle Ausgabe der Gedichte Salvatore Quasimodos, wie die Dietrich’sche Verlagsbuchhandlung sie herausgegeben hat. An sich ist die Musik Cuticchios zu kitschig für Quasimodo, aber mir ist nach ihr, weshalb ich aus einem der Gedichte dennoch zitiere, bevor ich meine Messeerzählung fortsetzen und abschließen werde:

    Che lunga notte e luna rosa e verde
    al tuo grido tra zagare, se batti
    ad una porta come un re di Dio
    pungente di rugiade: “Apri, amore, apri!”

    Außer diesem Bändchen, von dem ich mir wünsche, daß ganz ähnlich die BAMBERGER ELEGIEN aussehen werden, wenn sie im Frühjahr 2011 bei Elfenbein erscheinen werden, nahm ich Emily Dickinsons Gedichte mit, mehr aber nicht für mich. Sondern der Buchmessensonntag, meine treuen Leserinnen wissen es, ist den Kinderbüchern vorbehalten, die ich meinen Kleinen und dem Großen jeweils mitbringen werde. Das ist in diesem Jahr ein reicher Fang. Es wird einige Schlepperei sein, all dies am Mittwoch mit nach Heidelberg zu nehmen und am Donnerstag mit nach Berlin. Ich werde dann auch keine Zeit haben, zwischendurch in Frankfurt wieder auszusteigen, so daß ich sie bei Freunden deponieren und dann abholen könnte; denn am Donnerstag abend findet ja bereits meine nächste Lesung aus dem Azred statt, und vorher muß ich für Sizilien packen: bereits am Freitag morgen geht der Flieger nach Neapel ab. Verzeihen Sie, wenn ich mich diesbezüglich wiederhole; ich weiß doch nie, welche Leserin ganz neu ihr Parfum meinen Geschichten hinzugibt und welcher Leser versucht, sie mir lächelnd wegzunehmen, bevor es noch zum Schlimmsten kam. Aber also dieses bringt mich in meine Erzählung zurück und damit zur Schilderung der ersten Lesung aus dem neuen Buch. Die eine Art, muß man sagen, Reinfall war. Aber auch wieder “nicht wirklich”. Es warn halt nur die Fans nicht da, die man sich als Mainstream-Autor, der ich ganz unbedingt doch bin, erhoffen muß.

    [Enescu, Erste Sonate für Violoncello und Klavier f-moll.]

    Ja, d i e s e Musik ist besser. Manchmal ist Kitsch ja ganz schön, aber wenn man ihn verläßt (oder er dich), werden die Ohren derart erlöst! Nur daß ich gestern nacht keine Erlösung fand, in keinerlei Fall eine musikalische; und heute, ja, Leser, da bin ich, deshalb vielleicht der plötzliche Kitsch, ein wenig traurig darüber, die Aufführung von Brittens The Turn of the Screw an der Frankfurter Oper für diesen Unfug von Lesung und Krawall von Fest einfach so drangegeben zu haben. Die Lesung in Dinu Popas neuer Buchhandlung war für den Po:ps, kann man sagen: Weit weit draußen für Frankfurtmainer Verhältnisse, an sich ein ganz hübscher Ort in seiner barackigen Nüchternheit des Ensembles, die sogar Reiz gehabt hätte, wäre denn Sonne wie in El Sur gewesen oder n o c h weiter südlich; ich denke an den arabischen Raum. Da hätte solch eine Architektur einiges für sich gehabt:So daß das das nicht das Eigentliche war, was schließlich störte, sondern es kam halt niemand. Was nicht stimmt. Es kamen vier Besucher, nein: fünf. Dann waren anwesend der Buchhändler mit seiner Frau, die beiden >>>> Kulturmaschinler, sowie >>>> Markus Michalek, den Popa als „Vorgroup” ankündigte. Was einerseits was hat, andererseits nicht ohne Unverschämtheit ist, zumindest nicht ohne mangelndes Feingefühl. Nun war meine Vorgroup halt stimmlich indisponiert, was sie während ihrer Lesung auch dreiviermal bemerkte und also nicht nur Laut werden ließ; sondern tapfer las sie dagegen an. Man kann sagen, daß die Vorgroup versucht hat, ihre Indisposition im ausgedehnten Marsch der poetischen Artillerie darniederzureiten, sprich:sie las glatt über sie hinweg, bis sie, die Indisposition, sozusagen ausgehungert war und sich unter dem Gewicht einer solchen Belagerung durch vorgetragenen Text gar nimmer rühren konnte. Infolgs dieses Kraftakts, der auch die Hörer mitnahm, gaben zwei ältere Herrschaften einfach auf; man muß das einen Kollateralschaden nennen. Die beiden hatten rein gerontisch nicht die Kraft, die Gewichte noch zu stemmen. Dabei waren Michaleks Texte durchaus inspiriert und hatten einigen drive (das ist hier das richtige Wort, auch wenn ich befürchte, „to drive a horse” werde als Idiom nicht anerkannt); jedenfalls: die Indisposition übertrug sich auf die Texte, da sie in ihnen ausgetragen werden mußte. Rein kampfesmoralisch betrachtet, war das Geschehen aber nicht uninteressant.
    „Möchten Sie eine Rauchpause?” fragte Popa, bevor er mir das Lesungswort erteilte. Wir waren alle zu entkräftet, um da noch Ja zu sagen. Also war ich sofort dran. So daß ich mich zum Entertainer machte. „Ich habe auch böse Texte”, sagte ich, obwohl das nicht stimmt, „aber ich möchte, daß Sie jetzt ein bißchen Freude haben.” Und ließ die Wiener Toten tanzen, zu Anfang, dann wurden mehrere Hundchen und ein Säugling aufgegessen, danach kam auch >>>> der Knotscher wieder mal ins Spiel und spielte mit dem Luxusburgchen, vielmehr tat dieses dies mit ihm. Was ihn ziemlich traurig machte, aber mich erregte. Zum Abschluß tranken wir alle in >>>> Friedas Laiser Laube einen Äpfelwein. Taten wir wirklich, aber nachher, nämlich nebenan. Das war eine Lokalität ohne elektrisches Licht und, horribile dictu ad feminam, Heizung; drei von uns wichen auf heißen Äbelwoi aus; dann heizten uns die Nahrungsmittel, und nachdem sie das geschafft hatten, suchten wir im Wortsinn das Weite, das Literaturhaus nämlich, auf, wo >>>> Stang und ich erhofften, seinem Leiter zu begegnen. Das war aber vor Masse und Lärmen völlig unmöglich. Überhaupt saß meine Repräsentantin ein wenig unglücklich schon vorher. Vor der Frankfurter Grünen Sauce. Sie lachte verzweifelt. Dann aber wurde sie erleuchtet.Die g a n z erhellte Dame auf dem Bild ist übrigens die KulturmaschinIn, ihre Verwandtschaft mit Engeln ist extrem offenbar. Das hielt aber nicht lange, weder die Verwandtschaft noch die Erleuchtng. Was den DJs angelastet werden muß, zum Teil, im Literaturhaus jetzt; zum anderen Teil indes, weil w i r uns in einen Rauchersalon zurückzogen, der entsprechend roch. Das war nicht höflich, denn Frau Stang raucht nicht. Indes blieb ihr die Flucht in andere Räume verwehrt; jedenfalls hätte sie sie nicht mit dem ihr eigenen Stil in die Wege leiten können. Aus dem Dancefloor schlugen einen, wenn man nur nahte, geradezu materielle Wellen aus Bässen meterweise zurück. Deshalb hielt ich mich an Bier. >>>> Phyllis Kiehl war mit ihrem Freund übrigens auch zu der Lesung gekommen, allerdings später; da war grad der dritte Besucher gegangen, und ich fing an. Der Mann, ich meine jetzt nicht den gegangenen Besucher, gefällt mir ausgesprochen gut. Schließlich ist er Künstler selbst, und zwar ein harscher, gerader; es ist ja immer so, daß sich solche Leute erkennen, die auf Gsellschaftsspielchen, mit denen die korrupte Lebensart sich gern bezeichnet, keinen – nächstes Idiom, das paßt – „Bock” haben. Schon gar erregte Böcke eignen sich fürs Kratzfüßeln nicht. Die treten lieber zu. Und stoßen mit den Hörnern. >>>> H i e r jedenfalls der Link auf einige seiner Bilder. Phyllis Kiehl jedenfalls hielt sich an Champagner, Erdelmeier an Vollmilch, ich faßte es nicht, in die er sich Blue Curaçao kippen und immer wieder nachkippen ließ; er nannte den Drink „Sueño de Klein”. Dann erschien >>>> Guido Rohm, den die Kulturmaschinen nun auch unter Vertrag genommen. Weshalb ich mich verabschieden konnte und durch die Nacht, zu Fuß, in Richtung Nizza spazierte, nicht ohne vorher noch mal am Schmuddelstrich vorbeiflaniert zu sein. Den es wirklich noch gibt. Da sitzen die Frauen sogar noch in den Schaufensterscheiben. Die Gegend ist nicht ungefährlich, in mehrerlei Hinsicht. Man tut also gut daran, sein Liebesgeld zu sparen. Überhaupt hab ich auf dieser Messe kaum was ausgegeben. Das Zimmerchen im Nizza bezahlt der (US-amerikanische!!) Verlag. Nein, ich sag nicht, welcher.
    Um zwei Uhr nachts fiel ich in Schlaf.(21.25 Uhr:
    Eine g u t gefüllte Hausbar hat mir Mona ti Golan zur Verfügung gestellt. Ich nehm mir mal zum zweiten Latte macchiato einen Calvados, in Zweifingerbreite eingeschenkt. Bevor ich weiterschreibe.)

    (Weitere Fortsetzung >>>> d o r t.)

    1. „Von der Argentinien-Halle erzähle ich gleich.” Frankfurter Buchmesse 2010, vielleicht die letzte Fortsetzung im Kommentar. Mit nunmehr Denis Scheck und Che Guevara.

      (So endete >>>> der Text im eigentlichen Beitrags-Fenster, als mich twoday wegen der Länge meiner Erzählung zurechtwies und ich >>>> auf einen ersten Kommentartrick ausweichen mußte. Dem laß ich nun, übersichtlichkeitshalber, den zweiten folgen. Ich will den Beitrag aber nicht splitten, damit dieser Buchmessen-Boulevard nicht allzu disparat wird. Es reicht völlig, daß ich unfähig bin, in chronologischer Reihenfolge zu erzählen. Das denken Sie sicherlich auch.)

      [Bach, Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen, BWV 244.]

      Was mich zuerst erschreckte, war Denis Scheck. Ich meine: Er bewegte mich. Nämlich im zur vergleichsweise miniaturen Argentinien-Ausstellung riesigen Foyer drang mir seine ungemeine Stimme sogleich auf Ambosse und beide Schnecken. Da war mir wenig Chance, mich davor zu verschließen. Weshalb auch? Denn was und wie! er’s uns empfahl, war nicht nur ernstlich intoniert, nein, sondern allerseriöst vor – ich meine das rundweg ontologisch – Seriosität und also derart ehrenhaft, wie solche Männer das halt sind. Das hatte ungemeinen, muß ich sagen, Sex. Dabei bin ich homphob! Ich war auch nicht der einzige, der den zu spüren bekam. Sondern auch Tolstoi, posthum. Ich bin mir völlig sicher. Der war im Grab so sehr erregt, daß man, wär das nicht inkorrekt gewesen, von nekrophiler Verführung sprechen müßte. Nein, Leserin, nicht der Tote selbst zwar, das ist zu unterstreichen, wurde zum Ausdrucksobjekt dieses gleichermaßen lettera- wie medialen Scheckbuchs, wohl aber Anna. – Wie? Anna? Karenina! – Also das war wirklich ein Schock. Alles erstarrte mit mir. Wie konnte der Scheck das nur wagen? Wir rechnen längst nicht mehr mit normalerweisem Mut. Denn in der Tat. Es kostet einiges, sich hinter solche Bücher zu stellen: so Zivilcourage und so Pioniertum, daß man so direkt von so Avantgardismus sprechen muß. Er wagte es sogar, ich bin da wirklich Zeuge, den Namen des Verlages zu nennen. Das ist viel für einen Öffentlich Rechtlichen Rundfunk, schon gar fürs Fernsehen. Man darf auf keinen Fall unterschäzen, welch ein Risiko mit so etwas verbunden ist. Tolstoi empfehlen… man glaubt nicht seinen Ohren. Der Denis aber nahm es wie ein Mann – das Risiko, mein ich. Mein Weg zu den Argentiniern war dadurch aber erst einmal verstellt, um nicht zu sagen: russisch vermint. Ich ging nur mit höchster Achtsamkeit weiter – überhaupt fallen mir bei Denis (er hat für marebuch >>>> MEERE lektoriert… na gut, hat es versucht… Sie wußten das noch gar nicht?- Jajajaja!), aber dann gab’s halt diesen Prozeß… also es fallen mir bei Denis Scheck nur Superlativste ein, wenn ich meinerseits versuche, meine Adjaktiva zu lektorieren… – Was wollte ich sagen?
      Moment, ich muß nachdenken.
      Es ist nicht leicht, in Gegenwart des Schecks noch eigene Gedanken zu haben. Man bekommt vor seiner Screenpräsenz das Zittern, zumal sie auf jeder zweiten Tüte, die die ARD an die Besucher verteilt, richtiggehend raschelt; jede erste Tüte zeigt ein Antiquariat. – Was wollte ich sagen?
      Ach, Frauen.
      Ich wollte sagen, Frauen, daß ich begann, die Tretminen der Siegreichen Armee zu fürchten. Doch kam ich völlig ungeschoren, ja sogar unbemerkt in den zweiten Stock. Vielleicht aber nur deshalb, weil, seit dem Buchprozeß, bei dem er niemals genannt worden ist, der Mann auch nachher nicht mehr gern mit mir in einem Satz bemerkt wird. So daß er jetzt, vor den knapp tausend Zuhörern, alles dazu tat, von meiner Erscheinung abzulenken. Was gelang. Sogar die Heckenschützen ließen mich unbeschossen durch. Und Argentinien öffnete die Arme. Vorn hing Cortázar von der Decke, hinten Borges. Das war schon labyrinthisch. Es gab sogar einen giganten Minotaurus:So viel klassische Bildung erhöhte mein Herz. Was mich aber wirklich berührte, war Che Guevaras Tagebuch. Man muß da die parallelen Zeitläufte im Auge haben, um das zu verstehen. Der Che hat es nämlich in einem deutschsprachigen Kalender geführt, den ihm vielleicht Gudrun Ensslin, dachte ich, geschenkt hat. Sie glauben das nicht? Ich lüge nie, sondern kann das seit gestern beweisen. So schaun Sie also denn: Eine halbe Stunde lang stand ich davor. Und meditierte vor der Reliquie. Dann erst ging ich wieder. Und blieb von Andrem lang noch unberührt.

      (wird fortgesetzt)

  7. Argentinien-Halle Sie spannen einen ganz schön auf die “Folter” oder sollte ich besser schreiben, halten einen hin 😉
    Vielleicht habe ich mich eben auch ver-klickt, Ihren Schreibspuren nach-folgend, vorbei an all den Buch-, Verleger-, Autoren-Menschen, die Sie trafen, lieber ANH. Jetzt habe ich mich, glaube ich, in den vielen Hallen irgendwo verlaufen, ahh, da vorne, ich sehe den Stand, wo es Latte Macchiato gibt. Vielleicht sollte ich mich mal ein wenig hinsetzen und verschnaufen… bevor ich Ihrer Fährte weiter folge… ich hoffe, irgendwann “in” Argentinien zu landen…

    1. Liebe Teresa, >>>> hier. Offenbar waren wir parallel unterwegs. Bei mir war die Gefahr, mich zu verlaufen, freilich nur deshalb gering, weil ich an den Hallen 3 und 4 geradezu erdschwer gehaftet blieb – mit Ausnahme dieser einen anderen Halle halt, vor die aber der Herrgott hatte seinen Scheck gesetzt.

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