Arbeitsjournal. Dienstag, der 26. Oktober 2010. Ordnung schaffen (2). Mit dem Quintal Brasileiros, Jarrett und Linn, sowie mit einer Diskussion über Thomas Hettches “Die Liebe der Väter (ff)”.

5.32 Uhr:
[Arbeitswohnung. Quintal Brasileiro, Abstrações.]
Seit Viertel nach fünf auf. Erster Latte macchiato. Ich will jetzt noch nicht rumgrumpeln, der Nachbarn wegen, und meiner Arbeit wegen: werde mich bis etwa acht wieder über >>>> Die Fenster von Sainte Chapelle beugen. Danach geht meine Räum- und Putzaktion weiter. Zwischen elf und eins werden die Kohlen geliefert werden. Der alte Kühlschrank läuft immer noch aus, und immer noch muß ich bisweilen das Wasser vom Küchenboden aufwischen. Morgencigarillo. Draußen scheint es wieder wärmer geworden zu sein; ich habe, wie immer, bei weit offenem Fenster geschlafen, dennoch ist’s nicht kalt. Allerdings ist der Kachelofen noch ziemlich bullrig: er hat von gestern nacht gut Glut gehalten. Was mir eine seltsame, fast heimelige Stimmung macht, trotz des Chaos um mich herum (aber die linke große Bücherwand sieht wirklich wieder fein aus, ebenfalls die Bücherwand gegenüber, auch wenn ich mir ein andermal die Zeit nehmen muß, die neuen Musiken zu archivieren und so einzuordnen, daß ich nicht immer Ewigkeiten nach CDs suchen muß; desgleichen die Programmhefte aus meinen Opern- und Konzertbesuchen; diejenigen bis vor etwa zwei Jahren s i n d geordnet, nach Komponistennamen, bzw. Haupt-Komponistennamen; an sich müßten auch sie Registraturnummern bekommen; immerhin liegen sie jetzt in zwei klaren Stößen auf den Geräten unterm Verstärker; ah ja: von meinem so klangschönen, aber ständig mit Defekten nervenden CD-Abspielgerät habe ich mich kurzerhand getrennt und statt dessen den CD-man angeschlossen; ich weiß selbst, daß das Klangeinbußen bedeutet; meist höre ich CDs aber ja sowieso über den Laptop ab [das Laptop, schreibt korrekterweise Hettche], weil ich dann leichter von CD auf Musikdatei wechseln und die Lautstärke dann regeln kann, ohne eigens dafür aufstehen zu müssen; wäre mehr Platz, ich baute mir noch ein Hardware-Mischpult in Griffnähe neben meinen Schreibtisch).
So, >>>> das DTs noch. Dann arbeiten.

Eine >>>> sehr schöne Musik, übrigens, für den Morgen.

8.59 Uhr:
Dann mal weiter mit dem Geräume und Geputz. Die Arbeit an den Fenstern von Sainte Chapelle lief ganz gut, gemessen daran, daß ich sie – wegen >>>> Sizilien – wieder hatte unterbrechen müssen; an sich hätte ich gern weiter dran gearbeitet jetzt. Aber das DTs will es anders, und ich bin bekanntlich ein fügsamer Mann. (Dazu gibt es eigenwilligen Jarrett zu hören: >>>> „Invocations” und „The Moth and the Flame” von 1981. Bei mir von Vinyl auf dem, selbstverständlich, >>>> Linn.)

Die Löwin geweckt; bei uns beiden wird es as Arbeitsgründen nun einige Zeit dauern, bis wie uns wiedersehen, jedenfalls körperlich-real. Wenigstens gibt’s Skype. Wozu mir noch etwas bezüglich >>>> Der Liebe der Väter einfällt, über eine Position Thomas Hettches, die in seinem Buch sehr deutlich herauskommt. Weshalb ich, abgesehen von >>>> dem dort, auf den unterm Strich sehr guten Roman noch einmal anderweitig eingehen will. Heute aber wohl nicht.

13.30 Uhr:
Immer noch sind die Kohlenleute nicht gekommen; ich aber bin mit der Räumerei so gut wie fertig; sämtliche Regale sind in Ordnung, wahnsinnig ausgemistet ist; jetzt muß noch ein zweites Mal staubgesaugt werden, was ich in der Mittagszeit nicht tun will, und morgen, wenn der neue Kühlschrank da und der alte weggebracht ist (der wurde seit 20 Jahren nicht von der Stelle gerührt; da warten sicher kleine Überraschungen auf mich), wird noch gewischt. Und Bad und Toilette müssen geputzt werden. Dann aber, DANN… ah, geht’s an die Arbeit (wobei ich bis zum 15.11, so ganz zwischendurch, auch noch die Steuererklärung abgegeben haben muß; dafür ist noch kein Handschnitz getan; ich will vorher auch die Erste Fassung fürs Buch der Fenster von Sainte Chapelle fertighaben).
Pause jetzt. In einer halben Stunde setz ich das Essen für meinen Jungen auf. Cigarillo. Für den Mittagsschlaf ist leider keine Zeit mehr.

… die Kohlenmänner haben geklingelt… bin schnell runter… ui, übel gelaunt: „Wo ist der Keller?” „Ich zeig’s Ihnen.” „Mach mal hinne!” „Gleich hier um die Ecke.” „Haste kein Licht?” „Seit Jahren nicht. Geht aber doch auch ohne. Und reicht der Platz?” „Mir reicht’s schon lange!” – Wobei ich diesen Job auch nicht gern hätte. Ich werd dem Burschen zur inneren Aufhellung `nen Zusatzfünfer in die Hand drücken. Sò. Schließlich will ich mit meiner guten Laune nicht alleinsein.

: 13.56 Uhr.

21.39 Uhr:
Die Bar hab ich ausfallen lassen; es ist so schön warm hier und so aufgeräumt, und ich bin ja außer zum Räumen gar nicht recht zu was andrem gekommen. So daß ich nun >>>> Cabrera Infante lese. 69 Seiten habe ich schon: weitab davon, die Kraft und Präsenz >>>> der hettcheschen Sätze zu haben, über die jetzt >>>> dort eine Diskussion mit Diadorim begonnen hat. Das führe ich so nebenher, ebenso, wie ich unbedingt >>>> auf Dr. No antworten wollte, der, nachdem er das >>>> schon beim Wolpertinger so getan, nun auch seine Niebelschütz-Lektüre sozusagen begleitend kommentiert.
Überdies war mein Junge bis fast 19 Uhr hier und machte seine Hausaufgaben, übte Cello, plauderte. Und ich öffne mir jetzt mal den Wein. Dann lese ich weiter.

19 thoughts on “Arbeitsjournal. Dienstag, der 26. Oktober 2010. Ordnung schaffen (2). Mit dem Quintal Brasileiros, Jarrett und Linn, sowie mit einer Diskussion über Thomas Hettches “Die Liebe der Väter (ff)”.

  1. der oder das Laptop? “[das Laptop, schreibt korrekterweise Hettche]”
    Das möchte ich vom Gefühl her auch eher schreiben. Der sächliche Artikel wird im (neusten) Duden aber erst an zweiter Stelle genannt.

    Laptop Computer heisst das ursprüngliche Wort, was so viel wie auf dem Schoss Computer bedeutet. Von daher eher der Laptop. Es heisst ja der Computer.

    Woher kommt das Empfinden, der sächliche Artikel sei korrekt?

    1. @Maria “zur” Laptop (was ein Sprachwitz-für-sich ist: “zu: der Laptop”. Ich kann Ihnen das nicht genau beantworten. In Hettches Roman hat der sächliche Artikel eine ausgesprochene Evidenz; aber überprüft habe ich es nicht. Hingegen spreche ich selbst immer von meinem Laptop, weil ich mein Schreibgerät als männlich empfinde: als einen Teil von mir. Aus dieser Empfindung läßt sich vielerlei spekulieren, fällt mir gerade auf, der ich nur mal eben von meiner Räum- und Putzwut für eine Esportazione abgelassen habe, in Die Dschungel schaute und Ihre Frage nebst grammatischer Erklärung fand. Des weiteren ist es mir völlig fremd, einem Schoß ein sächliches Geschlecht zuzuordnen; auch darüber ließe sich’s dann an dem Roman entlangmeditieren.

      Abgesehen von alledem vermittelt Hettches Roman den Eindruck präzisester Recherchen; schon von daher bin ich wohl geneigt, seine Geschlechtsbehauptung für korrekt zu halten. Nur würde und werde ich es, Korrektheit hin, Korrektheit her, bei meiner männlichen Zuordnung belassen.

      Gut aber, daß Sie fragen; ich hätte mir jetzt gar keine weiteren Gedanken mehr darüber gemacht. Ihr Frage führt zu einem Interpretationsansatz, der mir ohne Sie entgangen wäre. Danke.

    2. Aber gut recherchierte Romane, maaaa janzzz ääählisch, das sagt man doch, wie wenn man sagt, aber die Frau ist einfach irre doll nett und klug und so, um sie möglichst weit von sich weg zu loben und gleich mal klarzustellen, dass für einen persönlich die Laptopschnalle total und überhaupt und sowieso nienicht in Frage kommt. Und ein Autor, der mich alleweil mit ‘das Laptop’ nervte und mir dann noch seine ganze Leidensgeschichte verpasster Vaterschaft reinreicht, da eilen mir meine Ressentiments aber doch schon sowas von voraus, da hat doch das Buch so schon einen Bannkreis, als wenn H ganz oben bei Dussmann im Regal anzutreffen und Berlin leiterlose Stadt sei, in der die Kulturtechnik Räuberleiter dazu komplett vergessen wurde.
      Ich möchte stattdessen wirklich nochmal Herrndorfs tschick empfehlen und alle seinen anderen Bücher, ich meine, da wird immerhin Lada gefahren, und der zu Schrott, und als der schon zur Schrott gefahren wurde, wurd der einfach noch weiter gefahren, und das war bestimmt nicht ordentlich recherchiert für so einen Lada. Und ich bin mir fast sicher, an tschick hätten sie und hätte dazu noch ihr Sohn großen Spaß, ich finde, das spricht total für tschick, und Herrndorf natürlich. Bis sie sich dazu entschlossen haben, hat man sicher auch in Berlin wieder Leitern für bis ans H reichen aufgetrieben, wenn nicht, dann mach ich ihnen ne Raubkopie.

    3. Liebe Diadorieso, die Empfehlung nehme ich gerne an; dennoch bleibe ich bei meiner Aussage sehr entschieden, daß es sich bei Hettches neuem Roman nicht nur um einen guten, nicht nur um einen ausgezeichneten, sondern um einen von Weltformat handelt. Meine Einwände, die ich >>>> bereits, aber eben als persönliche, formuliert habe, werden davon nicht entkräftet; Einwände habe ich auch gegen den Tod in Vendig, gegen Die Kinder der Finsternis, gegen Johnsons Jahrestage, gegen vieles von Christa Wolf und und und. Gegen Hettches Roman “Die Liebe der Väter” können Sie getrost den gesamten Cotzee makulieren.

    4. Als Diadings reden wir doch nicht mehr miteinander und sowieso, selten dämlicher Nick, dieses Diadem, den hätten Sie mir aber so was von ausreden müssen, damals in Verdun, als sie mir einen Arm abbissen.
      Ich komm doch eh nie nach Kleinkleckersbad, und überhaupt. Ich hab mal vor Jahren gedacht, ok, vielleicht den Fall Arbogast, wegen der Fuchziger, als ich es noch mit den Fuchzigern hatte, aber dann neulich dieses Bekennerhafte ich blogge nicht, nie, nada, nunca, da hab ich doch wieder denken müssen, ach, Steglitz, komma Moabit, komma Paulo, komma bei Omma, wie jemand einfach so sträflich jedes Internetcafé zwischen Lima und Kreuzberg meiden kann, wo um alles nimmt der bloß seine Ideen vom Zigarettenschmuggel her, der fängt noch an, von sich als Nichtraucher zu erzählen, letztlich, und was ist mit den Nichtvätern, wie lieben die eigentlich so? Und vor allem, wen? Und weil ich den gar nicht lesen will, noch eine Frage, was ist denn die Liebe der Väter, worin zeichnet sie sich bei Hatschi aus, beim Titel dachte ich gleich, der klingt wie die Balzrituale der Dronte, hat schon auch was leicht kategorisch wie aber eben auch bereits ausgestorbenes, soll ja vielleicht auch, gibts ja vielleicht gar nicht mehr, so Väter, so richtig echte, weiß nicht, will der Roman vielleicht damit sagen und wird damit dann sicher mal abirelevant oder so. Man soll ja immer Respekt haben vor den Romanen der anderen, sagt die Witwe Bolte, sie hat aber nie gesagt, wie der auszusehen hat, so ein Respekt, und dass in so Kritik ja oftmals viel mehr und sowieso, aber, ich bin halt umgeben von Lears, die alle lieber dann doch ein bisschen lieber gelobt als kritisiert werden wollen, darum erb ich ja auch kein Königreich nicht, darf dafür aber noch lesen, was ich will, auch nicht verkehrt.

    5. @Sowieso zum freien Lesebuch, nämlich zu Hettche. … dann neulich dieses Bekennerhafte ich blogge nicht, nie, nada, nunca…Davon erzählt der Roman indirekt auch; ich will darauf an anderer Stelle gesondert eingehen. Hier nur, daß ich selten einen Roman gelesen habe, der so sehr aus der Perspektive eines medial Zurückbleibenden geschrieben wurde – womit ich Hettches ständige Klage (und sein Bewßtsein darüber, das allerdings) meine, daß seine Welt, also die Welt seines Protagonisten, die eine Welt der Bücher ist, vergeht: hängender Arme steht er da und macht es sich in der Melancholie seines Abschieds von der Buchkultur nicht unsüß. Anstatt die Ärmel hochzukrempeln und von der Literatur, die der Protagonist so liebt, hinüberzuretten, was zu retten wäre. Statt dessen >>>> schreibt sein Autor Pamphlete gegen das Internet. Interessant dabei, daß der Roman eine andere Diagnose trifft als der Autor. Auch dieses wäre, wie der sächliche Laptop, also der sächliche Schoß, einen Interpretationsansatz wert, nämlich der vertretenen Poetologie.

      Das nimmt dem Roman aber nichts. Lesen Sie einfach nur diese Sätze, diese innig-sinnlichen Beschreibungen von Wellen, von Sand, von Luft, von einem Zucken in einem Gesicht. Ich muß, um die Qualität einer Dichtung zu erkennen, durchaus nicht glauben, was der Dichter glaubt; ich kann sogar das Gegenteil glauben und zum Beispiel politisch sein entschiedenster Gegner sein. Es hilft eben nichts, mit Ironie daherzukommen („und was ist mit den Nichtvätern, wie lieben die eigentlich so?”), sondern es führt an den Fragen vorbei, es druckst sich vorbei. Betrifft auch den Titel, gegen den ich >>>> meine Einwände schon vorgebracht habe, durchaus pro domo, da ich ja nun, anders als der Protagonist des Romans, Vater willentlich b i n; das redet sich nicht auf Liebe bei gleichzeitiger Unverantwortlichkeit hinaus, sondern das erkämpft sich die Verantwortlichkeit, und zwar egal, wie die Rechtslage aussieht. W e n n ich deshalb gegen den Roman etwas einwende, dann, daß die Frau, also die Mutter der gemeinsamen Tochter, schließlich doch noch so sauschlecht wegkommt; niemals – was aber auch an der gewählten Perspektive liegt, die, zusammen mit dem realistischen Erzählkonzept, verengt sein m u ß, wenn auch der Protagonist eng ist – also: niemals bekommt sie ein Wort, nicht einmal durch die Tochter, der man die Perspektive der Mutter hätte geben können, bisweilen, aufschießend: die dramaturgisch für den Roman so entscheidende Ohrfeige wäre dann mehrfach rückgebunden gewesen: wie die Modulation eines Themas. Gäbe es das in dem Roman, er wäre poetisch sogar noch gerecht. Das ist er nicht. Muß er aber eben auch nicht – jedenfalls nicht, um gute Literatur zu sein.

      Was nun die Lears anbelangt, so ist auch das eine Verkürzung durch Erweiterung, indem Cordelia doch nicht etwa nicht erbt, weil sie den Vater kritisiert, sondern weil sie ihre Liebe zu ihm nicht zum verlautbarten Zweck macht. Abgesehen davon konnen Sie sich, sowieso, trösten: gäbe es v i e l e Lears, wär eh nicht vieles zu erben; solch eine Erbin träfe das Schicksal des Achtzehntelhofes, von dem selbst der Hund nicht mehr lebt.

    6. ch hab die Sätze mir mal auf dem Literaturport lesen lassen, hm, darüber werden wir keine Einigkeit erzielen, die Perspektive des ständig reflektierenden Vaters, der seine Tochter beobachtet, wie ein Tier unter Laborbedingungen, die nimmt nicht gerade für ihn ein, den Protagonisten, soll ja vielleicht auch gar nicht, auch dass die Mutter nicht zur Wort kommt, oder die Tochter, es ist ja die Perspektive eines Menschen, der ohne Unterlass alles kommentiert und beobachtet, ein Kontrollwahnsinniger, dem natürlich aber die Kontrolle über etwas ganz existenzielles seine Lebens entzogen ist, die somit sich ergebende leicht verzweifelte Perspektivwahl scheint mir ein absichtsvoller Griff, vielleicht zu absichtsvoll, mit einem prophetisch resignativem Ton, ‘immer wird das…’, und passiere dann sowieso. Ich hab ne leichte Phobie vor einer quasi allwissenden Personalperspektive, was ja rein logisch eh nicht geht, aber Spinner, Menschen mit Paranoia und Autoren generell, ich auch, ticken halt irgendwie schon mal so, die meisten wissen das ja auch, und die für meine Begriffe interessanteren, machen auch aus diesem Wissen was. Herrndorf einenMaik Klingenberg, der ist 14 und hat irgendwie keine Kontrolle über nix, wie das ja auch mit 14 so ist und eigentlich letztlich nie wirklich anders wird, in seinem Erzählungsband gibt es eine wunderbare Mutter Sohn Geschichte, die Mutter macht irgendein Fest, der Sohn tut eigentlich seit Wochen nix anderes als auf dem Zimmer onanieren, Pubertät halt, überall liegen Taschentücher rum, die Mutter ist einigermaßen überfragt und verschafft sie darüber Luft an dem Fest, gibt ja auch dem Himmel sei Dank nicht mehr den Hanekschen Zugriff auf leere Werte wie im weißen Band, und dann ist man aber trotzdem mal mit seinem Latein am Ende, wenn man mit Pubertierendem unter eine Dach lebt und ist man noch so aufgeklört, logan, wie sagte M mal einer pubertierenden Tochte, als wir einer sich zuspitzenden Familienkrise zusehen durften bei einem Essen, sag mal C, ist schon Mist, wenn die Eltern immer noch bei einem Zuhaus wohnen, tscha.
      Herrndorf schafft es immer wieder, trotz personaler Perspektiven die ganze Verweiflung nicht allein überhand nehmen zu lassen, so dass die Geschichten Raum haben. Das war manchmal vielleicht auch mein Problem mit Meere, von daher verstehe ich auch, dass Hettches Roman Ihnen gefallen muss. Ich glaube, es ist ganz oft wirklich überhaupt nicht die Frage danach, was da erzäht wird, sondern wie die Perspektiven aufgestellt sind, und es gibt Menschnen, die haben unterschiedliche Affinitäten zu unterschiedlichen Perspektiven, das macht man sich nur meist gar nicht so bewusst, was da wirklich stört oder begeistert.

      Und ironisch meinte ich das ganz und gar nicht mit den Nichtvätern.
      Und thematisch, ja natürlich ist mir jeder Vater lieber, der gerne einer ist, logan, der seine Kinder bekocht, mit ihnen Urlaub macht, ist doch super, andererseits, so solls ja auch sein, bestenfalls. Ob Hettche gerne ein solcher Vater wäre und was daran hindert, keine Ahnung, den Trailer fand ich gruselig und hab gedacht, unverschämt vom ZDF, aber, ich geh mal davon aus, ihm wars auch nicht ganz unrecht. Spielt aber auch für den Roman keine Rolle, zumindest keine die mich gesteigert interessierte, hat vielleicht an den Verkauszahlen was gedreht, sich da selbst noch mit ins Spiel zu bringen, aber viel sicher auch nicht. Mich treibt eher so eine Frage um wie sie Herrndorfsche Figuren verkörpern, wie sehr muss man eigentlich innerlich beteiligt sein, um als Figur zu taugen oder ein guter Schriftsteller zu sein, und wie drückte es neulich jemand aus, dem ich vertraue, dieses Gefühl, Gast im eigenen Leben zu sein, das ist mir einfach irgendwie näher.
      Ja, das Verlautbaren, schwierige Sache das, und Liebesschwüre und was sie wiegen, wenn überhaupt. Ich bin ja auch son Schreiberding, ich weiß ja, Worte sind dermaßen biegsam, geschmeidig und schön, aber was zählt ist manchmal eher ein ganz Stiller im Aufwachraum, der einem die Hand hält. Und der alte Holzmichl samt Hund, alle schon dahin? Schad. Es ging ja nicht ums erben dabei, aber so ein Reich ist dann ja eben auch zerschlage, ohne rechten Erbfolger. Und ich sollte mich nun wieder anderen Dingen zuwenden.

    7. @ANH wg. “Jahrestage” Sollten Sie in einer Gefechtspause einmal Zeit finden, so wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie Ihre “Einwände” gegen Johnsons “Jahrestage” wenigstens andeuten könnten. (Seien Sie aber behutsam, der Mecklenburger trägt für mich einen Heiligenschein.)

      Ihrem heutigen Arbeitsjournal-Eintrag gebürt ein angemessener Platz in der einschlägigen Kriegsliteratur. (Bin gespannt, ob der Feind noch mit Überraschungsattacken aufwartet; aber Sie scheinen ja gut ausgerüstet zu sein.)

    8. @MelsuineB. Sie müssen keine Sorgen haben: ich verehre meinerseits die Prosakunst Johnsons tief, wenngleich ich eben glaube, daß dieser Dichter die Größe der Mutmaßungen über Jakob kein zweites Mal mehr erreicht hat; bei Johnson habe ich alles immer daran gemessen. Der ästhetische-romantechnische Standard war so weit vorangetrieben, daß ich später den Eindruck hatte, er sei dahinter zurückgefallen. Es ist allerdings Jahre her, daß ich Johnson las. Mir ging sein Blick immer etwas zu sehr zurück, aber auch wieder nicht weit genug zurück, um utopisches Potential zu entwickeln. Dem entspricht auch, meinem Gefühl nach, sein persönlicher Rückzug.

      (Anm. für andere und spätere Leser: Wegen des “Kriegstagebuchs” bezieht sich Frau Melusine >>>> darauf.)

    9. @Sowieso zu Hettche (ff), wie nun auch – da angesprochen – zu Meere. die ganze Verweiflung nicht allein überhand nehmen zu lassen, so dass die Geschichten Raum habenIch verstehe den Satz vielleicht falsch. Was bedeutet er? Daß man Verzweiflung nicht überhand nehmen lassen könne, also sozusagen selbst Herr des Ausmaßes seiner Verzweiflungen sei? Dann würde ich das bestreiten und dagegenhalten, daß solch eine Verfügungsgewalt über Verzweiflung allein das Ergebnis einer scharfen Verdrängung sein könne. Mit den typischen Folgen ungeerdeter Depressionen etwa oder auch solchen von psychosomatischer Natur. Etwas anderes wäre das, wenn Sie die handwerkliche Verfügung eines Autors über seinen Stoff meinen. Da nun muß man nach der Form schauen, nicht nach den Inhalten. Daß ein Raum für Geschichten nicht sei, sehe ich weder bei Hettche, noch bei mir in dem von Ihnen angesprochenen Meere. Es ist eher im Gegenteil ein enormer Raum für Geschichten – freilich nicht für solche, die ein Leser von sich aus hieinprojezieren könnte; dazu nämlich sind die Maschen zu dicht.
      In Hinsicht auf die Perspektiven ist allerdings Hettches mit meinem Buch nicht vergleichbar; Meere ist – über die empathischen Anreden, aber auch im ständigen Gleiten zwischen Ich und Er – poliperspektivisch erzählt, Die Liebe der Väter bleibt bei dem Blick dieses einen Vaters, der in der Tat ein ständig Kontrollierender ist, also im Sinn des Beobachtens, nicht etwa des Handelns. Als Handelnder ist er schwach, im Gegensatz zu Fichte, der eigentlich i m m e r nur Handelnder war – bis zu seinem Zusammenbruch und zweijährigen Rückzug; danach nimmt er das Handeln wieder auf.

      Falls Hettche, wenn es stimmt, sich selbst mit für das Buch eingebracht haben sollte, und dann noch im Fernsehen, halte ich das in mehrerlei Hinsicht für einen radikalen Fehler; vor allem wäre das unmenschlich einer möglichen Tochter gegenüber, die möglicherweise auch noch so jung ist wie Annika. Ich mag das deshalb nicht glauben. Erwachsene können ihre Partner wählen, Kinder ihre Eltern nicht.

    10. http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1108396/Die-Liebe-der-Vaeter

      Das stieß mir auf, und ich tät mich auch nicht so vor den Karren irgendwelcher Urteilssprechungen spannen lassen.

      Ich meinte, Geschichten nicht allein durch den Tunnelblick einer personalen Perspektive aufbauen, wenngleich auch das Sinn machen kann, aber für meine Begriffe nur da, wo sie die totale Ohnmacht, die in einer solchen Perspektive liegt, ausweisen, und dazu bedarf es meist noch mehr als nur den Leser, der diese Perspektive vielleicht so empfindet, ja, wenngleich, natürlich, Autor sein, hieß das nicht irgendwie auch, sich des Wissen um die Unwägbarkeiten bewusst zu sein, des Schreibens, der Perspektive, der Rezeption, und darum vielleicht den Parcours nicht ganz allein festzulegen? Das sehr dichte kann ja auch genau das Problem sein, oder? Aber, genug gehettchet Schwester Ratchet, sag ich mir.

    11. “und darum vielleicht den Parcours nicht ganz allein festzulegen”. Aber das Bild male ich, nicht jemand anderes. Und auch das stimmt nicht ganz. E s malt sich. Nicht immer, aber sehr oft.

      (Den Fernsehbeitrag sehe ich mir nicht an. Verzeihen Sie, aber ich möchte mir den Roman nicht autobiografisieren lassen, jedenfalls nicht weitergehend, als er selbst das im Text tut.)

    12. Dreh und Angelpunkt eben der gesamten modernen Kunst, wer malt das Bild eigentlich? Der andere, der Ich ist, oder Duchamp, der nicht malt?

    13. Nicht nur Duchamp. War. Und auch “der gesamten modernen Kunst” scheint mir eine arge, und ideologische, Übertreibung zu sein; modern modernistisch, okay, aber mehr eben nicht. Die Frage an sich ist ohnedies älter: imgrunde ist sie religiös-christlich, ja katholisch, und als katholische Mittelalter. E i n Dreh- und Angelpunkt, denke ich, der Moderne ist vielmehr der Versuch, die Genese eines Kunstwerks in das Kunstwerk mit hineinzubekommen.
      Bei abstrakter Malerei und den Ableitungen aus ihr, etwa konzeptueller Art, ist die Ich-Frage ohnedies müßig. Schon bei Arnulf Rainer aber nicht mehr, ebenso wenig wie bei Kiefer und anderen. Spätestens, wenn ein S t i l erkannt wird – am deutlichsten für mich immer in der Musik -, ist das Ich wieder da.

    14. Dreh und Angelpunkt der modernen Kunst und auch einiger anderen klugen vormodernen, nachmodernen und künftig modernen Künste, die wir hin und wieder verehren und die uns darum dazu verleiten, sie fürs Ganze zu nehmen, weil wir ja ständig doch sagen wollen, von hier ab und eins ist mal klar, und wenn, dann eh nur so, weil man ja die Relativierung so satt hat und sich ständig zwischen a, b und c entscheiden soll und es doch einfach mal gut wäre, zu bestimmen, ich bin eben so und so eine und mag nur Erdbeerquark, dabei, irgendwann, nach 500 Jahren Klavierjazz geht auch tatsächlich mal Gitarrenjazz auf der Basis von Quark.
      Gebt mir einen Spiegel, ich besorg nen Gefecht auf DVD und verrück den Fernseher geschickt, ok?

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