Zu Hettches Liebe eines Vaters. Im Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 13. Oktober 2010. Frankfurt am Main, Heidelberg, Mannheim. Kein Roman über Väter. Nur ein wirklich großes Buch: ein Abtestat für das Versagen. Am dritten Tag vor Sizilien und dem zweiten vor Neapel. Zur solidarischen Denkeungsart.

5.39 Uhr:
[Mona ’ti Golan. Pergolesi, Stabat Mater.]
Der Einwand kam von M., da war es schon nachts: „Wieso im Plural? – Erzähle! Du siehst ganz mitgenommen aus.” Ich hatte seit kurz nach sieben Uhr abends nur gelesen; bis S. 154 von den 224 Seiten bin ich gekommen; knapp hundert Seiten also waren das. Ja, sie hatten mich mitgenommen.
Es ist >>>> kein umfangreiches Buch, aber intensiv. Was, für mich, sicher nicht nur an dieser sehr genauen, vor allem sehr bildkräftigen Sprache liegt, an der Kunst dieser Sprache: sie hat sie nicht, sondern ist sie. Wenn ich anfange, mir Formulierungen anzustreichen, wenn ich immer wieder Wörter oben auf den Buchrand abschreibe, wenn ich Ausrufezeichen an den Rand setze und fast nie etwas ankringele und gleichzeitig weiß, daß ich dieses Buch nicht mehr vergessen werde, dann ist es eines, das ich nicht nur mehr „gelungen” nennen kann, sondern dann habe ich angefangen zu bewundern. Wo las ich solche Beschreibungen von Wellen schon einmal, je? von Sturm? von Häusern? wo solche Details von Pflanzen und – Sand? Wer fällt mir ein? Daß Hettche für den Sturm die Wilde Jagd hernimmt, ist mir aus meiner Welt vertraut, >>>> WOLPERTINGER„geschichtlich”, kann man sagen, aber etwas anderes, ganz anderes wurde hier daraus und gehört ja zu Sylt auch hinzu, wo das Buch spielt. Ebenfalls vertraut ist mir, von >>>>MEERE, wie an entscheidenden dramatischen Stellen, ja vor ihnen warnend, Zeilen eines Gedichtes zum Träger der Handlung werden; aber da stehen wir beide, Hettche und ich, unter den Dichtern von Romanen gleichfalls nicht allein. Meine Mitgenommenheit hat auch damit nichts zu tun, daß es zwischen „Die Liebe der Väter” und „Meere” einige grundlegende Beziehung gibt, ein höchst Persönliches, Nahes, das zugleich zu jedem von uns Distanz hält; ein zumal Gerechtes im erzählenden Umgang mit den Personen, wenn man denn unbedingt will, daß da Realität vorangegangen sei und sei. Das schließt den Dichter ganz ein und ist doch völlig vage. Aber der Schmerz! Auch hier, auch bei Hettche, gibt es, wie in MEERE, einen Schlag mitten ins Gesicht eines geliebten Menschen. Auch hier ist der Schlag so heftig, daß der geliebte Mensch blutet. – „Du siehst ganz mitgenommen aus.”
Ich sah auf. Keine Musik lief. Ich schenkte ihr Wein ein.
„Solche Sätze”, sagte ich und blätterte. Zitierte:Dieser blaue Leinenband aber hat noch das richtige Gewicht, er öffnet sich von selbst, und die Finger gleiten widerstandslos über das feine Papier, gerade dünn genug, damit man, gegen das Licht, den Umriß des umseitigen Textes durchscheinen sieht. So muß es sein, das gibt dem Blick Halt. Meine vergehende Welt.„Das ist”, sage ich, „der Roman eines Mannes kurz vorm Altern. Er nimmt Abschied. Ich verstehe das nicht, es macht mich fruchtbar betroffen, ja beklemmt mich.”
„Warum?”
„Weil Hettche so viel jünger ist als ich. Weil ich mich erinnere, wie jung er war, als wir, in den Achtzigern, er und einige andere, sich fast ein Jahr lang jeden Mittwoch bei mir trafen, als ich in der Endphase des Wolpertingers steckte und, um mich zur Arbei zu zwingen, an jedem dieser Mittwoche das in der verstrichenen Woche jeweils neu entstandene Kapitel aus dem Roman vorlas. Weil es nicht richtig ist, daß ein junger Mann schneller altert als der ältere, der ihm eine zeitlang Mentor war. Aber hör bitte weiter:”Es geht darum, daß wir uns Dinge vorstellen können, die es nicht gibt, und uns ans Dinge erinnern, die waren, und daß wir im Gegensatz zu allen anderen Wesen einsam sind. Keinen Menschen gibt es zu wenig, nicht einen Gedanken, ein Blick, ein Gefühl gibt es zu viel für die Liebe, die uns fehlt. Wie man diese Leere nur aushalten soll, wenn man stirbt? Wie macht man das?„Oder die Kunst, Menschen zu typisieren:”Kathrin sieht sich überrascht nach mir um, und zum ersten Mal bemerke ich die maushafte Witterung, die m ihre Nase steht. Und wie sie beim Sprechen den Mund spitzt.„Und gleich hier, auf der Vorseite:”Kurz geht mein Blick hinaus aufs Meer. Die Schweißsäume der Gischt gleiten ohne Pause auf dem nackten Wasser heran, dessen schwarze ölige Haut sich hin und her wirft, als erwartete es noch viel von der Nacht.„Die Schweißsäume der Gischt: Mona, das ist groß! Oder wie Hettche ein Klischee kunstvollst benutzen kann, weil er es im Nachsatz sogleich durch Sinnlichkeit aufhebt:”Ihre langen Glieder waren die eines Fohlens, ihre Nase unter meinem linken Ohr.„Da kann niemand mehr zweifeln. Das ist einer der großen Schriftsteller, die wir in Deutschland derzeit haben. Oder daran zu denken, wie er eine Geistererzählung in seinen Roman hineinbaut, sich hineinerzählen läßt von einem Alten, so ungefähr und doch so fieberhaft geschärft, daß nicht nur der Erzähler des Romans ins unheimliche Beben kommt, gerade w e i l er abwehrt, abwehren muß. Dabei ist es die Tochter, die in sein Bewußtsein diese Luke erst geöffnet hat, die versperrte, wegrationalisierte.Wie oft hier, nebenbei, von vernünftigen Entscheidungen gesprochen wird, die Handlungen bestimmten, obwohl jeder Satz Hettches klarmacht, daß die g a r nichts bestimmen, und wenn, dann leiten sich Katastrophen ein.”
„Aber was hat dich so mitgenommen? Es gibt viele Romane, die groß sind.”
„Nicht viele, gemessen an der Zeit. Aber einige, ja.”
Meine Mitgenommenheit hat damit zu tun, daß auch ich ein Vater bin. Und daß ich deshalb nicht verstehe. Ich verstehe nicht, wie ein Vater zulassen kann, was der Vater in Hettches Roman zuließ. Ich verstehe nicht, wie man von seinem Kind weggehen kann. Ich verstehe nicht, wie man zulassen kann, daß man es nur an Wochenenden sieht, allen zweien oder noch seltener. Ich verstehe nicht, wie ein Vater, der ein Kind hat, in eine andere Stadt ziehen kann, anstatt bei seinem Kind zu bleiben – egal, welche berufliche Situation ihn angeblich zwingt. Ich verstehe schon nicht, wie man nach einer solchen Nacht zu dem Entschluß finden kann abzutreiben:Eines Morgens haben wir uns nicht geküßt, sondern nur angesehen, während wir uns liebten. Eigentlich haben wir uns immer angesehen dabei, doch an diesem Morgen war etwas anders als sonst. Wir wußten, wir machen ein Kind (…). Wir flüsterten die ganze Zeit miteinander. Ich komme, komm in mir, ja, ich auch.„Und es sagt bedrückend viel über den Erzähler, wenn er da gleich hintendransetzt:”In der Art.„In der Art, Mona!” Ich lese noch etwas vor:”Wir hatten uns schnell darauf geeinigt, doch lieber kein Kind zu wollen.„Was ist das für eine Gemütlosigkeit, für eine Funktionalität im Umgang mit einem ganz zweifellos mystischen Erleben während der Liebesvereinigung, was für eine Abwehr! Hettches Romankunst besteht unter anderem darin, daß dieses abgewehrte Mystische logischerweise wiederkehrt und sich wider den richtet, der abgewehrt hat. Das ist eine grandiose Konstruktion, aber eben auch furchtbar tragisch, weil es als Tochter wiederkehrt, a u s dem Mund der Tochter und in der Gestalt einer unversöhnlichen Entfremdung. Solche Gewalt wurde dem derart mystisch gezeugten Kind angetan. Was mich betroffen macht, ist die Kraft, mit der sich die Lebensschwäche einen wahren Roman schreibt. Und wie stumm dieser Vater immer ist, wie völlig versteift in sein zerrüttetes Verhältnis zur Mutter des Kindes und daß er nicht die Fingerspitze einer Grandezza besitzt, überhaupt keine innere Großzügigkeit, beide nicht, die Mutter u n d der Vater, für Belange ihres Kindes die eigenen Nöte und Begehren kleinsein zu lassen. Das ist aber ja kein dummer Mann, sondern ein hochgebildeter Mann, ein feinsinniger Mann, ein Mann, der Empathie haben müßte. Aber er ist ein Schwächling.”
„Du bist gegenüber der Schwäche ungerecht. Immer bist du ungerecht gegen Schwäche.”
Ich schüttelte den Kopf. „Ich bin gegen die Schwäche gerecht. Es geht um ein Kind.”
„Es ist ein Roman.”
„Ja. Selbstverständlich. Es ist ein Roman. Aber er hat die Kraft, daß die Fiktion in mir so wirklich wird, daß ich erschüttert bin und voller Verachtung.”
„Aber wieso kam das Kind dann dennoch zur Welt?”
„Für die Abtreibung, habe der Arzt gesagt, sei es noch zu früh, und die Pille danach habe er nicht verschrieben. So sei die Abtreibung, lese ich bisher, sozusagen verschleppt worden. Wie das gehen soll, weiß ich auch nicht. Aber ich bin eben auch erst auf Seite 154, mir fehlen noch etwa siebzig Seiten. Dennoch erzählt dieser Vater, die Mutter habe das Kind gegen seinen Willen auf die Welt gebracht. Mona! Er hat es nicht, wie die Vereinigungsszene erzählt, gegen seinen Willen gezeugt. Er hat es zeugen wollen. Wenn etwas so ist, dann gibt es kein GegenMeinenWillen mehr, sondern man hat dann dazusein – egal, was sonst noch wird, egal, ob man sich vom Partner entfernt. Wenn man ein Vater i s t.” Ich spürte, wie ich mich immer mehr erregte. M. versuchte zu schlichten, ich wurde wütend, goß Calvados nach, goß Wein nach, rauchte. Es war schon bald halb zwei Uhr nachts.
„Wieso im Plural?” fragte sie plötzlich.
„Bitte?”
„Du siehst ganz mitgenommen aus. Erzähle!”
„Es ist kein Buch über die Liebe der Väter. Es gibt andere Väter, viele, die auch dasind.”
„Dann ist es anmaßend”, sagte sie, „das Buch ‚Die Liebe d e r Väter’ zu nennen.”
„Es ist verlogen”, sagte ich, „das zu tun. Es entschuldigt sich damit, daß alle Väter so seien wie dieser Schwächling.”
„Das glaube ich nicht. Sondern dieser Titel… er guckt auf den Markt.”
„Um so widerlicher.”
„Du bist schon wieder ungerecht.”
„Da b i n ich ungerecht, ja! Und ich bin gerecht. Denn um die Väter geht es nicht, sondern um das Kind.”
Sie winkte ab. „Auch ich bin ungerecht, da ich das Buch nicht kenne, sondern nur dem zuhöre, was du darstellst. Ich hab’s ja nicht gelesen. Aber ich w e r d e es lesen.”
„Jeder sollte es lesen, der die Literatur liebt, die Romandichtung liebt. Es ist der bewundernswerte Roman einer Liebe von Vätern, die das nicht sein wollten und auch niemals wurden und deshalb zu schwach waren, dazusein für ihr Kind. Die eigentliche Größe dieses Buches aber, jenseits seiner enormen Kunst, besteht darin, daß es uns zeigt, wie solche Väter trotzdem lieben, ihre Kinder lieben, und zwar tief – aber je tiefer sie sie lieben, desto hilfloser sind sie. Ich wüßte keinen vor diesem Dichter Hettche, der so etwas schon einmal darzustellen gewagt hätte bis in die furchtbaste Selbstentblößung. Die großen Sätze, die sein Roman auf jeder Seite hat, entgelten das Versagen. Das ist, als kaufte dieses Buch sich mit Schönheit von der Schuld ab. Es ist geradezu ein Abtestat fürs Liebesversagen.”

[Pergolesi, Salve Regina.]

7.09 Uhr:
Da war es nun schon nach zwei Uhr nachts, und immer noch saßen wir beisammen, M. und ich. Und sprachen. Obwohl wir eigentlich hatten spielen wollen. Hettche hatte mich dafür zu weich gemacht. Ich war sein Erzähler und wollte nur noch meinen Kopf in eine Schulterbeuge legen. Eigentlich wollte ich weinen. Ich bin ein hartgesottener Leser. Wenn dem noch sowas passiert! Und es hält an. Noch um fünf, als ich aufstand, lag die Trauer schwer in mir. So daß ich mich, ohne schon, wie’s sich gehört, mein >>>> DTs zu formulieren, gleich an den Wohnzimmertisch setzte, um damit umzugehen, wie Hettches Buch in mir wühlt.

[Eine erste Diskussion zu dem Roman >>>> d o r t.
(Nachgetragen, 28.10.: ANH.)



Das steht jetzt hier. Wenn Sie wollen, mögen Sie es eine Vorkritik nennen. Das ist mir wurscht, wie Sie’s nennen und ob Sie meinen, ich hätte siebzig Seiten vor Schluß noch gar keine Berechtigung. Statt dessen beschäftigt mich >>>> Alfred 23 Harth, der heute nacht viele, vielleicht auch alle seiner Kommentare gelöscht hat, weil er sich irrerweise mit „Private Tierheim James” angesprochen und davon erniedrigt fühlte, obwohl diese Erfindung nüscht mit ihm zu tun hatte. Er schreibt mir nun in einer privaten Post:Ich glaube, ich habe Sie nur als Splitterwesen, diffus, kennengelernt. Splitter aus sich selbst, ihren löschenden Damen – von denen ich erst zuletzt erfuhr – aus Ihren Avataren und den Spielen damit. Hat viel Spaß gemacht und ich folgte auch brav Ihrer Einladung, Privates aufzudecken in die Dsch, was ich auch tat in Massen, soweit ich dies überschauen kann. Ihre Bemerkung „Privates Tierheim James“ machte mich zuletzt wieder stutzig und stieß mich dann ab.Da haben Sie was missverstanden, insofern dies auf mich bezogen sein sollte & wenn Sie das jetzt verneinen, haben Sie halt doch mal gelogen und ausserdem: Einmal hü einmal hot – was meinen Sie?Ich meine, ganz deutlich, daß mich Divenhaftigkeit nicht interessiert. Mir hat Harths Arbeit an und mit Der Dschungel gut gefallen, sehr gut sogar, aber ich bin nicht dazu da, ständig „Toll toll!” auszurufen. Sie merken, ich bin verärgert, denn mit den gelöschten Kommentaren sind andere Kommentare a u c h weggelöscht, notwendigerweise, so, wie die Kommentarbäume halt wachsen in Der Dschungel. Da kam nun die Motorsäge und krisch etwas vom Walde nieder… Genug davon. Ich bin nicht dazu da, Kommentatoren zu streicheln. Daß ich Harth nach wie vor für einen großen Sexophonisten halte, hat hiermit überhaupt nichts zu tun und wird davon in keiner Weise abgemildert, anders als er mir schreibt:Ich fühle mich jedenfalls während des Aufenthalts von einem „gigantischen Saxofonisten“ (Ihre Rede, >>>> so etwa im August in FB) zum Däumling upjegradet, Sir. Deswegen geh ich raus.Genug. Die Leute müssen allein zu gehen lernen: besonders die, die sich in Die Dschungel wagen. Denn das ist kein Betreutes Wohnen. >>>> Sir.

Ich will M. den Kaffee bereiten und ihn ihr ans Bett bringen. Morgens wird noch etwas gearbeitet, um 15.18 Uhr fährt mein IC nach Heidelberg zum Seminar. Nachts dann der Traditionsplausch mit Kühlmann. Und morgen früh zurück nach Berlin.

Guten Morgen, Leserin und Leser.

9.22 Uhr:
„Ich habe nicht gesagt, du seiest ungerecht gegen Schwäche. Ich habe gesagt: Du bist unduldsam gegen Schwäche. Das ist etwas anderes. Du hast für Schwäche kein Mitgefühl.”
Dies M.’s Protest, als ich ihr eben meinen Dialog zu Hettches Buch vorlas.
„Mein Mitgefühl”, sagte ich, „gehört dem Kind. Und auch das Kind ist schwach. Ich würde es niemals ‚Schwächling’ nennen. Ja, das Kind ist eigentlich schwach, weil es gar keine Chance hat, sich irgendwie stolz, geschweige frei zu verhalten. Wenn es diese Chance bekommt, ist es schon erwachsen, und dann sind die Wunden unheilbar Narben.Wir alle, ich auch, fügen unseren Kindern Wunden zu, aber Wunden aus Schwäche zuzufügen, einem Kind, ist nicht entschuldbar… es sei denn durch einen solchen Roman.”

12.08 Uhr:
Zu quasi nichts anderem gekommen, >>>> als mich mit Herrn Gröbel auseinanderzusetzen; man fragt sich in der Tat: was machen diese Leute dauernd hier? Niemand zwingt sie doch, meine Texte oder gar Die Dschungel zu lesen, da hat (über den Nick mußte ich immerhin lachen) >>>> „sense” schon recht. Oder stört mein sich dabei niemandem aufdrängender, sondern einfach nur vor sich hinschreibender Konservatismus, und daß ich mich keinem Mainstream einpassen mag, so s e h r? reicht allein d a s bereits hin, um die Leute fuchsig zu machen? Sind wir schon so weit, daß, wenn einer die Oper liebt und den Pop degoutant findet, das als ein Angriff auf die Gruppe empfunden wird? Ich habe in weißGöttin schon vielen Weblogs gelesen und nicht wenige gefielen mir; dennoch fand ich oft nicht die Zeit, sie mitzuverfolgen – wie also hätte ich, selbst wenn ich wollte, weiterlesen können dort, wo mir etwas n i c h t, ja so wenig gefiel, daß sich der Magen herumgedreht hat wie nun dem Herrn Gröbel. Für was dient Die Dschungel solchen Menschen, welch eine Projektionsfläche, offenbar, ist aufgespannt durch sie, daß sich die Herbst-Verächter ständig daran reiben, ja abarbeiten müssen? Oder halten sie mich für eine – Gefahr? gar eine öffentliche? so vielleicht, wie man Terroristen schon im Vorfeld bekämpft, oder Faschisten? Sind Mainstream-Gegner nun bereits Feinde des „Systems”, und die Milch der solidarischen Denkungsart schäumt, weil einer Kopftuch trägt anstatt Kappen von Nike? und sie schäumt über? und abermals über? aber muß doch, und muß immer weiter, in meinen Becher hinein – Leute! Wer den Pop liebt, darf das doch tun! Aber warum müssen das alle?

14.49 Uhr:
[Hauptbahnhof FFM, Gleis 13, Bank am Raucherbereich.]
Eine seltsam ruhige Stimmung ist das gerade im Haptbahnhof, vor allem hier, etwas außerhalb der Dachüberwölbung. Ich bin etwas mehr als eine halbe Stunde zu früh hergekommen, weil ich nicht einschätzen konnte, welch Andrang vor den Schaltern sei. Es war g a r kein Andrang, so bekam ich meine Fahrscheine schnell, auch den gleich für morgen zurück nach Berlin. Also etwas Ruhe jetzt. Ich rauche Eckstein ohne: lang nicht mehr in den Fingern gehabt, solch ein Päckchen. Was >>>> Alfred 23 Harth anbelangt, so tut mir die Entwicklung leid und auch weh; ich weiß aber wirklich nicht, inwieweit ich schuld daran trage. Schon, wieso er “Private Tierheim James” ausgerechnet auf sich bezog, ist mir schleierhaft. Vielleicht liegt hier eine derjenigen Dyamiken des Netzes vor, die immer wieder zu Mißverständnissen führen; ich kenne sowas auch aus Chats. Wenn man da dann nicht lacht und drüber weggeht, verhärtet sich alles, und die Beziehung ist futsch. Es hat auch gar keinen Sinn, da noch etwas retten zu wollen, will man nicht so dauernde wie unangemessene Gesten der Zerknirschung und Selbstbezichtigungen machen. Man kann sich dann nur stolz in den Verlust schicken.

Während der Fahrt werde ich lesen, so daß ich nicht weiß, wann ich heute wieder ins Netz kommen werde; kann sein, des Nachts, kann auch sein, erst morgen. Nach dem Seminar wird essen gegangen und vor dem Seminar mit dem Freund Kaffee getrunken, vielleicht ein Stück Kuchen gegessen und – erzählt. Wir sahen uns lange nicht mehr. Wie auch immer, Leser: Lesestoff gibt es für Sie hier genug. Schauen Sie einfach durch die Rubriken.

20 thoughts on “Zu Hettches Liebe eines Vaters. Im Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 13. Oktober 2010. Frankfurt am Main, Heidelberg, Mannheim. Kein Roman über Väter. Nur ein wirklich großes Buch: ein Abtestat für das Versagen. Am dritten Tag vor Sizilien und dem zweiten vor Neapel. Zur solidarischen Denkeungsart.

  1. Ja, ich verstehe Ihre Wut. Es ist die Wut des Leidenschaftlichen gegen den Schwächling, eine Wut, die sich fragt, ob Liebe, die sich nicht äußert, überhaupt Liebe genannt werden kann, ob dieses Bekenntnis eher das eines großen, tragischen Versagens – nein, eines jämmerlichen kleinen Versagens ist, als das einer Unmöglichkeit der Liebe.

    1. @Terpsichore. Es ist ganz sicher das eines tragischen Versagens, das, w e i l es tragisch ist, immer groß ist – auch schon gemessen am Leid aller Beteiligten. Wobei die Mutter in diesem Buch ganz ausgespart und in der Characterisierung eine nur-Behauptete bleibt. Allein manche leise Nebenbemerkung der Tochter deutet etwas anderes an. Daß das Behauptete der Mutter aber bleibt, liegt rein an der für dieses Buch auch sehr sinnvoll gewählten Ich-Perspektive; es ist Hettche durchaus nicht vorzuwerfen.
      Ich möchte deswegen, jenseits meiner Wut und einem gerechten Einwand M.’s folgend, lieber von “gegen einen schwachen Mann” statt “gegen einen Schwächling” schreiben. Daß ich mich im Text für “Schwächling” entschied, bleibt aber nötig: weil es die Kraft zeigt, die Hettches Buch einen Leser s e l b s t zu dem Erzähler werden läßt. “Schwächling” nennte ich mich selbst, hätte ich gehandelt, wie es der Erzähler tat; ich könnte nie wieder stolz in den Spiegel sehen. Wohlgemerkt: es ist eine große poetische Leistung, im Leser eine Identifikation mit einer ihm von allem Anfang an nicht nahen Figur zu bewirken, einer, deren permanente Melancholie mich abstößt, weil sie neben ihrer klügsten Feinsinnigkeit auch etwas in sich Suhlendes hat.

  2. Sicher ein herrliches Buch! Die, die mich verließen, wundern sich, daß ich mit ihrer Hilfe lerne, zu gehen. Zwei von den wohl drei möglichen Versionen “Gehen zu lernen” gehen bei mir schon (danke für den Link zu meinen alten Sünden).
    Lassen Sie es sich gutgehen (aber toll, toll, würde ich Ihnen doch aus Liebe immer wieder zurufen wollen, Gnade) Herr Herbst –
    Pst, es geht was vor sich, ziehen Sie mir den Splitter ausm Auge, oder nicht, s’ geht auch so

    1. @a23h. “Private Tierheim James”: Es stehr eben n i c h t da: >>>> “Privates Tierheim James” (14.57 Uhr im Link). “Private” ist ein Dienstrang der US Army, der etwa unserem Gefreiten entspricht. Tierheim James war also als Soldat gedacht, der einen Vornamen verpaßt bekam, den er wahrscheinlich gar nicht deuten kann. Dahinter steht eine Geschichte, die ich erzählen wollte.

    2. Ja wenn Herr Herbst wie eine Diva auf so gut wie nichts von ihren Kommentaren antwortet und lieber mit schönen Damen und Grappas schäkert, dann ist das ein dominantes Zeichen, Herr Harth.
      Wie sie wissen ist Herbst homophob und bestimmt alles andere als jemand der zusammmen mit anderen – und dann noch ihres Kalibers – Kunst machen kann.
      Mir gefällt ihr Schreibstil sowieso besser als Herbstens – das ist Geschmackssache sicherlich – aber an Interaktion werden sie hier nichts haben, was wirklich fruchtbar sein könnte.
      Es ist geradezu unverschämt, dass ihnen das hier keiner mitteilt, finde ich.
      Und jetzt höre ich noch, dass da ein Päckchen CD’s von ihnen schon unterwegs isr ?
      pearls before swines würde ich sagen.
      das ist kein Raum der Kunst von anderen ausser den Admins duldet.
      Die Konsequenz hieraus war die, dass Herr Herbst sein Arbeitsjoural aufpumpte, wahrscheinlich da zwei Frauen , mit denen er amourös zu tun hat, ständig neue Namen ´geben muss und neue Locations dazu erfinden, um einen auf den Rolf Eden der Literatur machen zu können und ein wenig Attraktivität bei den Damen zu heischen.
      So sehe ich das und das ist ein Kommentar, der eigentlich sehr schnell einfach gelöscht wird, weil er mit Unterstellungen arbeitet und suggestiv wirkt.
      Gegen die Vielweiberei von Herbst, die ganz interessant wäre, wäre sie nicht aus Gründen der Diskretion – dem gewollten Ich Erzähler – bequem ausblendbar und damit bequem mythifizierend den Autor selbst.
      Hielten sie da nicht irgendwie als Mann dagegen ?
      Wie soll da was funzen ?
      Ich meets ich ?
      Wage ich zu bezweifeln.

    3. @Klaus Gröbel. Weshalb sollte ich Ihren Unfug löschen? Er addiert sich doch fein zu vielem anderen von Ihnen mehr. Allenfalls gehörte er in den >>>> Anti-Herbst; aber da Sie auf Alfred Harth reagieren, bzw. ihn ansprechen, wär’s wenig fair, ihn zu verschieben. Außerdem finde ich Ihren kleinen Neid auf meine “Vielweiberei” asgesprochen nett, weil er zeigt, wie immer noch eng erotisch gedacht, geschweige denn gefühlt wird: wie unfrei. Solche Selbst-Decouvrierung eines ja durchaus zeitgemäßen metternichnen Biedermeiers soll meinen Lesern ganz unbedingt erhalten bleiben – also auch Ihnen selbst, der Sie, wenn Sie Die Dschungel lesen, in den Spiegel Ihrer Kommentare schauen können. Denn offenbar lesen Sie Die Dschungel ja ständig, was ein bemerkenswertes Maß von Masochismus indiziert.
      Im übrigen hätte es Ihnen doch freigestanden, und steht Ihnen nach wie vor frei, daß S i e auf Harths Beiträge künstlerisch reagieren. Daß wiederum ich kein Anhänger demokratischer Kunstansätze bin, habe ich oft genug deutlich gemacht; wenn mir andere beweisen, daß solche Kunstansätze tatsächlich zu Werken führen, werd ich vielleicht umgestimmt. Nur habe ich meiner permanenten eigenen Arbeiten wegen nicht unbedingt Zeit, hier und dort herumzuspielen; das wird auch jedem klar, der denken kann und nicht unbedingt bösartig sein will, – er muß nur, wie Sie, einige Zeit in Der Dschungel mitgelesen haben. Ich bin, was meine Arbeit anbelangt, Maniker, – besessen, wenn Sie so wollen, und insofern vollkommen egoman. Diesen Characterzug teile ich mit anderen Künstlern; so lange Egomanie nicht zum Egoismus verkommt, fördert sie Kunst und schadet nicht den Menschen. Skandal ist nur immer, daß ich das so auch sage. Im übrigen halte ich auch Harth, der Künstler ja ebenfalls ist, für einen Egomanen. Das ist ein Ausdruck der Achtung vor ihm, daß ich das hier schreibe.

    4. Schon gut! Ihr Spott nimmt kein Ende Herr Herbst – was soll das: „großer Sexophonist“? Mir ist jetzt klar, daß Sie mich bereits vor Ihrem Urteil vom Mai verurteilt hatten. Wenn ich Sie als „gigantischen Schriftsteller“ vorstellen würde, schmeckte dies nicht gut, noch nichtmal wenn ich Sie einen „bemerkenswerten Schriftsteller“ heißen würde, denn Teddie Adorno verband ja bekanntlicherweise damit ein Todesurteil.
      Also, danke für die Vorspeise, Sir! Wenn ich früher an Sie dachte, hatte ich „Meere“ als Vorspeise aufm Teller, allenfalls noch Frankfurter & Berliner. In Ihrem Senf könnte ich mich noch länger suhlen, ich muss aber allein zu gehen lernen, schreibt der große Schruftstaller, nein, Nichtgroßschriftsteller (wie Sie sich hier – nicht von mir – diskutieren lassen). Als „gigantischen Schriftsteller“ werde ich Sie vielleicht in zwanzig, oder dreißig Jahren bezeichnen. On verra, alles Jute!

    5. @a23h. “Mir ist jetzt klar, daß Sie mich bereits vor Ihrem Urteil vom Mai verurteilt hatten.”
      Das ist vollkommener Unfug. Ich habe in meinem damaligen Beitrag meiner Achtung Ausdruck verliehen und tue so etwas nur, wenn ich es ernst meine. Tut mir leid, wenn Sie das anders aufgefaßt haben sollten. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.
      ANH
      http://www.albannikolaiherbst.de

  3. Das Leben ist kein Roman. “aber Wunden aus Schwäche zuzufügen, einem Kind, ist nicht entschuldbar… es sei denn durch einen solchen Roman” – Das ist die Bruchstelle, an denen ich Ihnen nie werde folgen können: wie kann ein künstlerisches Werk das Versagen im Leben entschulden? Das Leben, räume ich ein, prägt sich ins Schreiben ein. (Gerade Mutter und Vater, Gebären und Zeugen – das sind ja Metaphern, mit denen auch der schöpferische Prozess beschrieben wird und vielleicht sogar, obgleich ich das bestreite, für manchen mehr als Metaphern). Ich würde auch nie ein Werk danach beurteilen, wie dessen Autor sich im Leben verhält. Aber umgekehrt gilt auch: dass großartigste Werk kann den Menschen, der sich wie ein Arschloch verhält, nicht entschulden. (Damit will ich nichts über Hettche sagen, den ich nicht kenne.) Es sind zwei ganz verschiedene “Urteile” zu fällen: das über den Menschen (was sich zur Gänze wohl kein anderer Mensch anmaßen kann) und das über das Werk.
    _____________________________
    Und deshalb gäbe ich einem wie Céline nie die Hand, egal wie gut so einer schreibt.

    1. @Melusine: Unterschiede. Céline und Hettche zu vergleichen, sie auch nur – menschlich – aneinanderzurücken, ist schlimmer als falsch. Im übrigen geht es gar nicht um ihn, sondern um seine Figur; das habe ich, hoffe ich, deutlich genug in meinem Text gemacht. Aber selbst die Figur, als Mensch betrachtet, da hatte M. ganz recht, ist allenfalls schwach, nicht aber rasend vor Haß wie Céline.
      Ein andres ist’s mit der von mir so gesagten “Entschuldung” durch Kunst. Im Falle dieses Romans ist ein großes Geschenk gemacht wurden – an die Literatur, und ich glaube sogar: an die Weltliteratur. Und ein Geschenk an die Literatur ist ein Geschenk an die Menschen, an viele Menschen. Dieser Roman hat sich vielleicht aus der Schuld erhoben; ohne sie hätte es ihn vielleicht nie gegeben. Ich habe den Prozeß solcher künstlerischen Bewegung nicht grundlos einen perversen genannt. Das genau hatte auch Adorno mit seinem so berühmten wie berüchtigten Satz im Blick, der die ästhetische Norm setzt, erst einer befreiten Gesellschaft stürbe Kunst ab. Kunst stammt fast immer aus dem Unglück und aus der Schuld, sie verarbeitet beide, formt sie um und erschafft etwas von Schönheit. Wenn irgend etwas, dann ist es das, wovon ich meine, Menschen zeichne es aus.
      Entschulden aber, da gehe ich einig mit Ihnen, kann nur Reue. Es gibt Werke, die so sehr bereuen, vor allen, die Zeugnis ablegen, aber, daß sie tatsächlich entschulden. Weil man dem, der sich solch einem Gericht aussetzt, verzeiht. Und nimmt das Werk, wie eines Fremden, ans Herz und zum Hort.

    2. Das stimmt: ein Vergleich zwischen Hettche und Céline ist völlig unangebracht. Ich gebe zu, die absatzlose Darstellung legt einen solchen aber beinahe nah. Das meine ich nicht – und füge oben daher jetzt deutlich einen Absatz ein.

      (Und dass ich Hettche als Person nicht meinte, das habe ich doch klar gesagt, oder?)

      Dennoch: Leser:innen hätten dem, der hier Zeugnis ablegt, nichts zu verzeihen. Darin bleibe ich uneins mit Ihnen. Es sind ganz bestimmte, einzelne Menschen, die man im Leben verletzt, nicht Ideen oder “die Menschheit” und nur die könnten verzeihen. Das hat mit Literatur aber nichts zu tun (und kann auch nicht über oder durch sie “geklärt” werden. )Was ich sagen will: Es gibt keinen Grund für die, die mit den “Schöpfer:innen von Schönheit” leben, ihnen irgendein Vorrecht einzuräumen oder darauf Rücksicht zu nehmen.

    3. @Melusine ff. Ein solches “Vorrecht” würden sie auch nicht verlangen, eingeräumt zu bekommen. Sondern man tut, was man muß, auch auf das Risiko hin, sich schuldig zu machen und vielleicht verstoßen zu werden. Das ist so im künstlerischen Beruf, wenn einer es ernst meint. Anders gesagt: Wer Kunst “macht”, muß bereit sein, Schuld auf sich zu laden. Wer das nicht ist, wird fern von ihr bleiben.

    4. Schuldig wird jede/r, ob Künstler/in oder nicht… …mancher fühlt es nur nicht und andere können es nicht ausdrücken. (Es kommt gar nicht darauf an, ob man ´bereit´ dazu ist.) “Man tut, was man muss…” – das ist sehr protestantisch (ausgerechnet von Ihnen!) Doch ich glaube es trotzdem nicht: Man tut, was man kann. (Und dazu ist man auch verpflichtet.)

    5. dazwischen gefragt wieso macht sich ein Vater schuldig, wenn er seine Kinder verlässt? Es gibt viele Väter, die ein paar Kinder rumlaufen haben bei verschiedenen Frauen…das ist doch ganz normal. Manchmal wissen sogar Mütter nicht immer ganz genau, von wem das Kind ist, also meistens wissen oder ahnen sie es, aber das nun zu einen Roman zu pimpen, halt ich für leicht überzogen.

  4. Ich verstehe nicht, wie ein Vater, der ein Kind hat, in eine andere Stadt ziehen kann, anstatt bei seinem Kind zu bleiben – egal, welche berufliche Situation ihn angeblich zwingt.
    Wundert mich ein bisschen. Es wären aber schon – abseits von der im Roman geschilderten Situation (den ich nicht gelesen habe) – doch solche denkbar, in denen das durchaus (meinetwegen auch moralisch) plausibel sein kann, nicht?

  5. Beabsichtigte oder “unterlaufene” Tragik, außerdem über die fehlende Mutterstimme é voilà: wie gewünscht rüberkopiert …

    …Was übrigens den neuen Hettche angeht, bin ich ähnlicher Meinung. Nur beschleicht mich jetzt, beim Wiedererinnern an den Text, das Gefühl, die Tragik dieses Vaters, der sich nicht wie einer verhält, ist Hettche vielleicht einfach “passiert” und nicht bewusst fein ausbalanciert worden, wie ich es gelesen zu haben glaubte. Will sagen, dass Hettche womöglich doch einen Überschuss an “berechtigten Verhaltens” beim Vater sieht. Hettches Interviews jedenfalls legen das ein bisschen nahe. Aber vielleicht ist der Text hier auch einfach, wie so oft, klüger. Oder der Eindruck entsteht nur, weil dieses “diesen Vätern eine Stimme geben” eben die Marketingstrategie ist – die das Buch unberechtigt zuschneidet.
    Bei dem Thema müsste man eh ein zweite Mal lesen, um dem, was man selbst in dieses Buch hinein- oder herauslesen will, zu entgehen.
    Das die Mutter so schlecht wegkommt, ohne sich “wehren” zu können, ist zwar ärgerlich, bei dieser Erzählperspektive aber wohl kaum zu vermeiden. Käme Sie jedenfalls durch den Mund der Tochter stärker zu Wort, würde deren Gegenposition wiederum an Eigenwert und Kraft verlieren. Es spricht gerade für die Tochter, dass sie ihre Mutter, zu der sie ja auch eine eigene Position finden muss, aus den Diskussionen mit ihrem Vater heraushält. Auch muss man sagen, dass gerade durch die völlige Abwesenheit der Mutterstimme die Schuldverleugnung und -verschiebung des Vaters besonders deutlich zutage tritt.
    Eigentlich wäre ein solches Buch jetzt, nach veränderter Rechtslage, erneut zu schreiben …

    1. @poppeye zu “einfach nur passiert”, nämlich Hettche ff. ist Hettche vielleicht einfach “passiert” und nicht bewusst fein ausbalanciert worden, wie ich es gelesen zu haben glaubteIst wirklich wichtig, was w a r? Oder wichtig, wie ein Buch wirkt? Ich glaube, letzteres. Man kann durchaus mit Berechtigung sagen, literaturmystisch: Dann schrieb es sich eben durch ihn hinduch. Das vermuten ja auch Sie:Aber vielleicht ist der Text hier auch einfach, wie so oft, klüger. Entscheidend ist, daß es diese feine Balance g i b t.Hettches Interviews jedenfalls legen das ein bisschen nahe.Ich bedauere sehr, daß er sie so zu geben scheint. Keines davon habe ich gelesen. Ich weigere mich schlicht, etwas zur Kenntnis zu nehmen, was ich selbst, im Fall >>>> MEERE, mit großer Entschiedenheit verweigert habe. Wenn die Interviews so aussehen sollten, wie Sie und >>>> vorher schon sowieso mir erzählen, dann relativierte Hettche selbst die Literarizität des Romans.weil dieses “diesen Vätern eine Stimme geben” eben die Marketingstrategie ist – die das Buch unberechtigt zuschneidet.Nicht nur unberechtigt, sondern eigentlich eine Art Verbrechen. Man kann das “die Opfer vermarkten” nennen, auch wenn es nur scheinbare Opfer sind oder einem doch das Opfertum ziemlich kläglich vorkommt, gemessen an den Einkünften, die es erzielt.Dass die Mutter so schlecht wegkommt, ohne sich “wehren” zu können, ist zwar ärgerlich, bei dieser Erzählperspektive aber wohl kaum zu vermeiden.Das deutete ich oben genau so an: realistische Erzählkonzepte haben keine Wahrheitsfunktionalität, hätte das damals an meiner Uni in der Analytischen Philosophie geheißen.

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