Und ein knalleroter Schal. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 27. Oktober 2011. Das erst mal eitel germmmpft.

4.55 Uhr:
[Arbeitswohnung. Robert HP Platz, >traill<: Klavierstück 1 (1981).]
Sehr schönes Essen mit >>>> Ralf Schnell gestern abend: vietnamesischer Feuertopf; er, nein: nicht der Feuertopf, hatte eingeladen. Brachte mir in die Arbeitswohnung seine >>>> DEUTSCHE LITERATUR von der Reformation bis zur Gegenwart mit, die zum 1. November in rowohlts enzyklopädie erscheinen wird, und meine Eitelkeit konnte es nicht lassen, im Register nach mir selbst zu suchen… wiederum „nein!“: n i c ht sofort, aber eben irgendwann doch. Wie? dachte es i n mir, nur einmal erwähnt? Na ja, bei sechshundert Seiten, die im frühen 16. Jahrhundert anfangen… und dann sah ich, auch Genazino ist nur einmal erwähnt, Mosebach gar nicht, Musil nur zweimal, Brigitte Reimann nur einmal, Terésia Mora wie Christian Kracht nur einmal, Karl Mickel immerhin zweimal – außerdem „komme“ ich, was ziemlich pikant ist, gleich hinter Jirgl, der auch nur einmal genannt ist… – nein, kein Grund, daß man grummelt. Aber erst, so ist‘s halt, grummelt man d o c h. Absurder Narzißmus!
Wir redeten und stritten, übrigens wieder einmal um >>>> von Peters Fidelio-Inszenierung, auch über >>>> Andrea Breths Wozzeck. Ich schickte ihm beide Links noch aufs Mobilchen, damit er während der Heimfahrt etwas zu lesen habe; dabei hatte er meine neuen Bücher mitgenommen, der ganz wie ich streitbare Mann. „Das wird nicht mehr geschehen“, sagte er, „daß man dich noch ans Herz nimmt“, zauderte, „vielleicht, ich weiß nicht: wenn ARGO erscheint. Vielleicht wird man dann anders nicht mehr können, als dich zu akzeptieren.“ „Ich mache mir um die Zukunft meines Werkes nicht ernstlich mehr Sorgen“, gab ich zurück. „Mußt du auch nicht, so, wie dich die Literaturwissenschaft schon heute behandelt.“ „Ich muß nur halt erst tot sein.“ Ich lachte, und er lachte auch. Da ich vorhabe, 124 Jahre alt zu werden, kann‘s also noch ein wenig dauern. Zumal hätte ich gern ein weiteres Kind.
Die Löwin, als ich wieder allein und zurück in der Arbeitswohnung war, holte ich bereits aus dem Wiener Schlaf; sie klang, als hätte ich sie unter Blättern vorgezogen, über denen noch eine Schneedecke liegt. Ich bohrte eine Öffnung in die Erde, um zu sprechen: die Wärme der Träume stieg daraus auf. Sorgsam wischte ich wieder die Blätter darüber und tat auch wieder Schnee darauf, klopfte ihn mit einer flachen Hand fest, aber sanft, dann wandte ich mich zu meinem eigenen Schlafplatz.
Um 4.45 Uhr auf, Latte macchiato, eine Morgenzigarette, weil ich mir gestern ein Päckchen gezogen hatte, da man im Restaurant nicht rauchen durfte und Pfeife zu rauchen immer lange dauert; es wäre unhöflich, den Gastgeber über Gebühr warten zu lassen; schon überhaupt: ihn da sitzen zu lassen allein, ist imgrunde ein Akt der Unhöflichkeit. So werden die Raucher genötigt, sich ihres Stils zu begeben oder damit aufzuhören, daß sie rauchen. Dieser Moment von Nötigung ärgert mich jedesmal neu. (Jetzt die erste Pfeife, aber! >>>> Motzeks Meister-, nämlich, also meine Morgenmischung.) – Es gab Zigaretten erst im Lokal gegenüber. Runter zu den Toiletten, wieder rauf: „Da ist kein Automat.“ „Doch, hinter der Toilettentür.“ „Und wie machen‘s dann die Frauen?“ Er lachte. „Da hängt auch ein Automat.“ „Ulkig“, sagte ich, „früher hingen da Automaten für was anderes.“ Das ihrerseits eine Dame, die lesend vor dem Fenster saß zur Kollwitzstraße raus, in ein leises Lachen brachte. Über dieses „das“, Leser, können wir streiten, -innen.
Auch über >>>> Ruge sprachen wir, über das Vormoderne seiner Ästhetik, und über Kurzeck, den wir beide schätzen.
Aber ich vergesse: ich lieg schon im Bett.
Schlief ein wie im Fall.

Der Jungenroman II wird also erst einmal wieder beiseitegelegt; nein, nicht ganz: den Plot entwickle ich noch weiter, aber nicht fokussiert, sondern die Konzentration gilt nun >>>> Krausser. Rowohlt schrieb mir gestern, man müsse erst „die Rechtelage“ klären – alarmiert schickte ich den absurden Vorgang an meine Redakteurin weiter, die holte die Kuh sachlich vom Eis und rief mich danach an: „Da war bestimmt jemand noch neu und unsicher.“ „Als ob ich einfach was abgreifen wollte“, sagte ich müde. „Das wird immer bizarrer.“
Krausser also. Lektüren. Für den Fall, daß er sich nicht noch meldet, werde ich ein Interview montieren müssen, aus schon gegebenen Interviews. Was an sich ganz reizvoll wäre. Dann brauch ich aber eine Krausser-Stimme. Eine meiner Grundideen, außerdem, ist, mit ihm Backgammon zu spielen, was er haushoch gewinnen wird, und dieses Spielen mitzuschneiden: das Knallen der Steine aufs Spielbrett, dazu Bemerkungen zur Literatur. Den zweiten O-Ton, der unten durchläuft, habe ich schon; aufgenommen im >>>> Berghain. Dazu Kraussers geliebter Puccini. Übrigens widme ich das Hörstück der >>>> Manon Lescaut, das wird den Krausser freuen.
So fangen wir denn an! Erst aber muß noch das DTs geschrieben werden.
Heute abend, übrigens, >>>> Lesung im Rauschgold. Verlagsfest der >>>> Kulturmaschinen. Wer von Ihnen in Berlin lebt, sei von Herzen eingeladen. Ich werde aus den >>>> Fenstern von Sainte Chapelle vortragen, und zwar, was ich in Frankfurt las: Fortsetzung der Orgie und die erste Coda. Das hat da gut funktioniert – besser, als jede Lesung aus diesem Buch zuvor. (Darf nicht vergessen, Gogolin endlich seinen knallroten Schal mitzubringen, den er beim letzten Rauschgold vergaß.)

[Robert HP Platz, Klavierstück 3 (1988).]

17.48 Uhr:
[Hans Zender, Hölderlin lesen III (1991).
Höre mich durch noch nicht archivierte Musiken; hab ich eine CD „durch“, archiviere ich sie; zweifache Buchführung, ich bin da sehr genau. Zugleich bis S. 314 in >>>> UC gekommen, bisher. Eine zusätzliche Datei angelegt, in die ich immer mal wieder ein Zitat eintippe oder eine Bemerkung zur Konstruktion des Romans, Auffälligkeiten, Eigenwilligkeiten, geschickte, sehr geschickte Tricks in den Übergängen.
Etwas Zeit habe ich noch dafür. Die Musik mit Salome Kammers Sprechstimme hebt mich in eine Art Schweben; dazu die esoterischen, durchaus, in ihrer Nüchternheit nämlich, beschwörenden Sätze Kurthes‘. Auf dem Herd wärmt der Eintopf auf, den ich aufgetaut habe. Dazu selbstgeschnitter Chorizo, drei getrocknete Chilis zerstampft. In etwa einer Stunde werde ich >>>> zum Rauschgold aufbrechen.

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